BFH I. Senat
EG Art 18, EG Art 39, AEUV Art 21, AEUV Art 45, EStG § 9, EStG § 10 Abs 1 Nr 2 Buchst a, EStG § 10 Abs 1 Nr 2 Buchst b, EStG § 10 Abs 1 Nr 3 Buchst a, EStG § 10 Abs 2 Nr 1, EStG § 32b Abs 1 Nr 3, EStG § 10 Abs 2 Nr 2, DBA FRA Art 14 Abs 1 S 1, DBA FRA Art 20 Abs 1 Buchst a, EStG VZ 2005 , EStG VZ 2006 , EStG § 2 Abs 4, EStG § 22 Nr 1 S 3 Buchst a
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 30. Juli 2013, Az: 14 K 2265/11
Leitsätze
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) einer Vorschrift deutschen Rechts entgegen, nach der Beiträge eines in Deutschland wohnenden und für die Verwaltung des französischen Staats tätigen Arbeitnehmers zur französischen Altersvorsorge- und Krankenversicherung ‑‑anders als vergleichbare Beiträge eines in Deutschland tätigen Arbeitnehmers zur deutschen Sozialversicherung‑‑ die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer nicht mindern, wenn der Arbeitslohn nach dem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und Frankreich in Deutschland nicht besteuert werden darf und nur den auf weitere Einkünfte anzuwendenden Steuersatz erhöht?
2. Ist Frage 1 auch dann zu bejahen, wenn die fraglichen Versicherungsbeiträge im Rahmen der Besteuerung des Arbeitslohns durch den französischen Staat ‑‑konkret oder in pauschaler Weise‑‑
a) steuermindernd berücksichtigt worden sind oder
b) zwar hätten steuermindernd berücksichtigt werden dürfen, aber nicht in diesem Sinne geltend gemacht und deshalb nicht berücksichtigt worden sind?
Tenor
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) einer Vorschrift deutschen Rechts entgegen, nach der Beiträge eines in Deutschland wohnenden und für die Verwaltung des französischen Staats tätigen Arbeitnehmers zur französischen Altersvorsorge- und Krankenversicherung anders als vergleichbare Beiträge eines in Deutschland tätigen Arbeitnehmers zur deutschen Sozialversicherung die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer nicht mindern, wenn der Arbeitslohn nach dem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und Frankreich in Deutschland nicht besteuert werden darf und nur den auf weitere Einkünfte anzuwendenden Steuersatz erhöht?
2. Ist Frage 1 auch dann zu bejahen, wenn die fraglichen Versicherungsbeiträge im Rahmen der Besteuerung des Arbeitslohns durch den französischen Staat konkret oder in pauschaler Weise
a) steuermindernd berücksichtigt worden sind oder
b) zwar hätten steuermindernd berücksichtigt werden dürfen, aber nicht in diesem Sinne geltend gemacht und deshalb nicht berücksichtigt worden sind?
Tatbestand
I.
Sach- und Streitstand
Die in den Streitjahren (2005 und 2006) im Inland wohnenden Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war inländischer Beamter und erzielte dadurch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin war französische Staatsbürgerin und in der französischen Finanzverwaltung als Beamtin beschäftigt. Sie bezog dafür Bruttoarbeitslöhne von 22.342 € (2005) und 24.397 € (2006). Ausweislich ihrer Gehaltsmitteilungen wurden die Bruttobezüge der Klägerin um folgende Abzugspositionen gemindert (in Klammern die vom Finanzgericht ‑‑FG‑‑ festgestellte Bedeutung der jeweiligen Abzüge):
-
Retenue à la source (Quellensteuer)
-
Pension civile (Zivilpension)
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Pension civile IMT (Zivilpension auf die monatliche Bruttoentschädigung für Fachwissen)
-
Mutuelle des agents des impôts (MAI) Branche générale bzw. Multi sante (Beitrag zur Zusatzkrankenversicherung sowie zur Zusatzversicherung für Invalidität und Hinterbliebenenversorgung)
-
MAI premuo (Beitrag zur Zusatzversicherung für Invalidität und Hinterbliebenenversorgung der Finanzbeamten)
-
Contribution ouv. maladie deplafonn (Arbeitnehmerbeitrag zur Krankenversicherung)
-
RAFP (Beitrag zur Zusatzrente für den öffentlichen Sektor; die während der Aktivphase geleisteten Beiträge wirkten sich auf die Höhe der späteren Ruhegehälter aus).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) nahm die Einkünfte der Klägerin in den Streitjahren als nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 (BGBl II 1961, 397, BStBl I 1961, 342) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 9. Juni 1969 (BGBl II 1970, 719, BStBl I 1970, 902) und des Zusatzabkommens vom 20. Dezember 2001 (BGBl II 2002, 2370, BStBl I 2002, 891) ‑‑DBA-Frankreich 1959‑‑ steuerfreie Einkünfte von der Bemessungsgrundlage der jeweils festzusetzenden Einkommensteuer aus. Er berücksichtigte diese Einkünfte aber ‑‑vermindert um die Positionen "Pension civile" und "Pension civile IMT", bei denen es sich seiner Auffassung nach nicht um zugeflossenen Arbeitslohn handele‑‑ im Rahmen des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz) vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427, BStBl I 2004, 554) ‑‑EStG 2002 n.F.‑‑ bei der Bemessung der Steuersätze.
Die Kläger sind der Auffassung, das FA habe die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte der Klägerin unzutreffend ermittelt. Mit Ausnahme der Quellensteuer (Retenue à la source) dürften die Abzugspositionen vom Bruttoarbeitslohn der Klägerin im Rahmen des Progressionsvorbehalts nicht berücksichtigt werden. Sie leiten zum einen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes ab, die Bezüge der Klägerin dürften im Rahmen des Progressionsvorbehalts nicht anders ermittelt werden als die steuerpflichtigen Einkünfte deutscher Beamter, denen der Staat erhebliche steuerfreie Sozialleistungen gewähre. Die darin zu sehende Ungleichbehandlung verstoße zudem gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 21 DBA-Frankreich 1959 und des Unionsrechts. Zum zweiten sind die Kläger der Auffassung, bei den Abzugspositionen handele es sich um abzugsfähige vorweggenommene Werbungskosten bzw. um berücksichtigungsfähige Sonderausgaben.
Die deswegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, hat sie zunächst mit Urteil vom 21. April 2010 2 K 2131/09 abgewiesen. Der erkennende Senat hat jenes Urteil auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger mit Beschluss vom 23. Mai 2011 I B 106, 107/10 wegen Verfahrensmängeln aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang hat das FG die Klage mit Urteil vom 31. Juli 2013 14 K 2265/11 wiederum als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die ‑‑vom FG zugelassene‑‑ Revision der Kläger.
Die Kläger beantragen, das FG-Urteil aufzuheben und die angefochtenen Bescheide dahingehend zu ändern, dass bei der Ermittlung der Einkünfte der Klägerin im Rahmen des Progressionsvorbehalts das "net à payer" lediglich um die Position "Retenue à la source" erhöht wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der erkennende Senat hat das streitgegenständliche Verfahren zunächst mit dem Revisionsverfahren der Kläger betreffend die Einkommensteuer der Jahre 2003 und 2004 (I R 61/13) zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Beschluss vom 16. September 2015 I R 61, 62/13 hat er die Verfahren wieder getrennt (§ 73 Abs. 1 Satz 1, § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung). Im Verfahren I R 61/13 hat der Senat die Revision betreffend die Jahre 2003 und 2004 mit Urteil vom 16. September 2015 I R 61/13 als unbegründet zurückgewiesen; dieses Urteil wird hier für den angerufenen Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) beigefügt.
Entscheidungsgründe
II.
Beurteilung nach deutschem Recht
Die Entscheidung über die Revision ist von der Beantwortung der an den EuGH gerichteten Vorlagefragen abhängig. Sofern die Frage 1 zu bejahen ist, wäre die Revision begründet und die Sache wäre ‑‑ggf. unter Berücksichtigung der Antwort auf Frage 2‑‑ zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das FG zurückzuverweisen. Ist Frage 1 aber zu verneinen, müsste die Revision der Kläger als unbegründet zurückgewiesen werden.
1. Die Einkünfte der Klägerin aus ihrer Tätigkeit in Frankreich sind nach dem sog. Kassenstaatsprinzip des Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. a DBA-Frankreich 1959 von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer der in den Streitjahren im Inland wohnenden und deshalb (vgl. § 1 Abs. 1 EStG 2002 n.F.) hier unbeschränkt steuerpflichtigen Kläger auszunehmen. Das Kassenstaatsprinzip umfasst nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich 1959 Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen sowie Ruhegehälter, die (u.a.) einer der Vertragstaaten an in dem anderen Staat ansässige natürliche Personen für gegenwärtige oder frühere Dienstleistungen in der Verwaltung oder in den Streitkräften zahlt. Die Einkünfte sind aber gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002 n.F. in die Ermittlung eines besonderen Steuersatzes einzubeziehen, der auf das zu versteuernde Einkommen der Kläger anzuwenden ist. Darüber herrscht zwischen den Beteiligten kein Streit.
2. Nach den einschlägigen gesetzlichen Regeln mindern die streitigen Vorsorgeaufwendungen der Klägerin nicht das für die Berechnung des Progressionsvorbehalts anzusetzende steuerfreie Einkommen.
a) Das FG hat die vom FA in die Bemessung der steuerfreien Einkünfte einbezogenen Einnahmen der Klägerin ‑‑nämlich die Bruttoarbeitslöhne mit Ausnahme der Positionen "Pension civile" und "Pension civile IMT"‑‑ zu Recht als in den jeweiligen Streitjahren zugeflossen angesehen. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf das in der Parallelsache ergangene Senatsurteil vom 16. September 2015 I R 61/13. Die dortigen Ausführungen zum Zufluss des Arbeitslohns gelten entsprechend für die in den Streitjahren 2005 und 2006 vorgenommenen Gehaltsabzüge.
b) Die sonach aus dem zugeflossenen Arbeitslohn der Klägerin bestrittenen Vorsorgeaufwendungen sind im Rahmen des Progressionsvorbehalts nicht ‑‑auch nicht im Hinblick auf die Beiträge zur Altersversorgung‑‑ gemäß § 9 EStG 2002 n.F. als Werbungskosten abziehbar.
aa) Beiträge zur Krankenversicherung decken ein allgemeines Lebensrisiko ab und gehören daher nicht zu den Werbungskosten (Senatsurteil vom 3. November 2010 I R 73/09, BFH/NV 2011, 773). Dafür, dass mit den Beiträgen speziell nur berufliche Risiken abgesichert werden sollten, besteht kein Anhalt.
bb) Altersvorsorgeaufwendungen hat der Gesetzgeber ausdrücklich den Sonderausgaben zugeordnet, sodass ein Werbungskostenabzug ausscheidet. Für die Streitjahre ergibt sich diese Zuordnung aus § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a (Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen) und Buchst. b (Beiträge zum Aufbau einer kapitalgedeckten Altersversorgung) sowie Nr. 3 (Beiträge u.a. zu Kranken- und Pflegeversicherungen) EStG 2002 n.F. Dass es sich bei den Aufwendungen für die Altersversorgung ihrer "wahren" Natur nach um Werbungskosten handelt (vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG 2002 n.F., vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 18. April 2012 X R 62/09, BFHE 237, 434, BStBl II 2012, 721), spielt nach der Gesetzessystematik für die Frage der Abziehbarkeit nach § 9 EStG 2002 n.F. keine Rolle. Der Senat verweist insoweit wiederum auf das Senatsurteil vom 16. September 2015 I R 61/13. Für die vorliegend maßgebliche Rechtslage nach dem Alterseinkünftegesetz ergibt sich keine andere Beurteilung (vgl. BFH-Urteile vom 18. November 2009 X R 34/07, BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414, und in BFHE 237, 434, BStBl II 2012, 721; ebenso z.B. Söhn, Finanz-Rundschau ‑‑FR‑‑ 2006, 905, 912; P. Fischer, jurisPR-SteuerR 9/2007 Anm. 3; a.A. Heidrich, FR 2004, 1321; Paus, FR 2006, 584).
c) Als Sonderausgaben können die Beiträge zur Altersvorsorge und die sonstigen Vorsorgeaufwendungen der Klägerin bei der Bemessung des auf das zu versteuernde Einkommen der Kläger anzuwendenden Steuersatzes nicht berücksichtigt werden. Denn in die von § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 2002 n.F. vorgeschriebene Berechnung gehen ausweislich des Wortlauts dieser Vorschrift nur "Einkünfte" ein. Sonderausgaben zählen indessen nicht zu den Einkünften, sondern werden erst im Anschluss an die Ermittlung der Einkünfte vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen (§ 2 Abs. 4 EStG 2002 n.F.). Das schließt ihre Berücksichtigung im Rahmen des Progressionsvorbehalts aus (vgl. Senatsurteile in BFH/NV 2011, 773, sowie wiederum vom 16. September 2015 I R 61/13, dort auch zu den diesbezüglichen ‑‑unbegründeten‑‑ Einwendungen der Kläger).
3. Die von der Klägerin gezahlten Beiträge zu Altersvorsorge- und Krankenversicherungen mindern nicht als Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 EStG 2002 n.F. die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer.
a) Nach § 2 Abs. 4 i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 2002 n.F. sind u.a. Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen, die den gesetzlichen Rentenversicherungen vergleichbare Leistungen erbringen, als Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen. Gleiches gilt unter gewissen Voraussetzungen für Beiträge zum Aufbau einer eigenen kapitalgedeckten Altersversorgung (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 2002 n.F.) und für Beiträge u.a. zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit, zu Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsversicherungen und zu Kranken- und Pflegeversicherungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG 2002 n.F.). Begrenzt wird der Sonderausgabenabzug von Vorsorgeaufwendungen durch die in § 10 Abs. 3 ff. EStG 2002 n.F. festgelegten Höchstbeträge.
b) Aufgrund der tatrichterlichen Feststellungen des FG ist davon auszugehen, dass die Beiträge der Klägerin zu "MAI", "MAI premuo", "RAFP" und zur "Contribution ouv. maladie deplafonn" die Tatbestände des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a oder Nr. 3 Buchst. a EStG 2002 n.F. erfüllen. Anders als im Parallelverfahren I R 61/13 ergibt sich anhand der angefochtenen Bescheide für die Streitjahre nicht, dass die Höchstbeträge des Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 3 ff. EStG 2002 n.F. schon ohne die streitigen Vorsorgeaufwendungen der Klägerin erschöpft sind. Vielmehr verbleiben die in den Einkommensteuererklärungen der Kläger für die Streitjahre geltend gemachten Vorsorgeaufwendungen des Klägers nach überschlägiger Berechnung des Senats unter den (gekürzten) Höchstbeträgen des § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 EStG 2002 n.F. Wäre ein Sonderausgabenabzug aus unionsrechtlichen Gründen vorzunehmen, müsste der Rechtsstreit deshalb gegebenenfalls zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurückverwiesen werden.
c) Der Sonderausgabenabzug ist jedoch ausgeschlossen, weil die streitbefangenen Aufwendungen unter das Abzugsverbot des § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2002 n.F. fallen. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
"Voraussetzung für den Abzug der in Absatz 1 Nr. 2 und 3 bezeichneten Beträge (Vorsorgeaufwendungen) ist, dass sie
1. nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen, ..."Der nach dieser Bestimmung für den Ausschluss des Sonderausgabenabzugs ausschlaggebende unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen ist hier mit Blick auf die durch das Kassenstaatsprinzip des Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959 bewirkte Freistellung des Gehalts der Klägerin von der inländischen Besteuerung gegeben (Senatsurteil vom 16. September 2015 I R 61/13). Folglich ist die Revision der Kläger auf der Grundlage des inländischen Rechts unbegründet und müsste zurückgewiesen werden.
III. Vereinbarkeit mit Unionsrecht
1. Hinsichtlich der vom Gehalt einbehaltenen Beiträge zur Kranken- und Altersvorsorgeversicherungen werden unbeschränkt Steuerpflichtige, die ihre nichtselbständige Arbeit für die Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats ausüben (und deren Einkünfte deshalb nach dem einschlägigen Abkommen zur Vermeidung der doppelten Besteuerung von der inländischen Besteuerung freigestellt sind), infolge des Abzugsverbots des § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2002 n.F. schlechter behandelt als solche Steuerpflichtige, die im Inland arbeiten. Denn diese können solche Vorsorgeaufwendungen im Rahmen des Sonderausgabenabzugs steuermindernd geltend machen. Es liegt damit eine Ungleichbehandlung vor, die unionsrechtliche Grundfreiheiten der Klägerin verletzen könnte.
a) Ob sich die Klägerin als Beamte des französischen Staats in diesem Zusammenhang auf die durch Art. 39 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. C 325, 1 ‑‑EG‑‑, jetzt Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47) ‑‑AEUV‑‑ gewährleistete Freizügigkeit der Arbeitnehmer berufen kann, ist allerdings nicht frei von Zweifeln. Denn gemäß Art. 39 Abs. 4 EG findet dieser Artikel keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung.
Der Senat hält Art. 39 EG in der vorliegenden Konstellation gleichwohl für anwendbar. Denn die Bereichsausnahme des Art. 39 Abs. 4 EG basiert auf dem Gedanken, dass die Ausübung der öffentlichen Verwaltungstätigkeit ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat und damit dessen Staatsangehörigkeit voraussetzt (EuGH-Urteil Kommission/Belgien vom 17. Dezember 1980 C-149/79, EU:C:1980:297, Rz 10, Slg. 1980, 3881). Das Beamtenverhältnis der Klägerin und die Verbundenheit ihrer Arbeitstätigkeit mit dem französischen Staat sind jedoch im Streitfall nicht von entscheidender Bedeutung. Die skizzierte Ungleichbehandlung wäre bei einer Arbeitstätigkeit der Klägerin in Frankreich bei einem privatrechtlichen Arbeitgeber in gleicher Weise aufgetreten. Denn dann wären die Gehälter der Klägerin zwar nicht aufgrund des Kassenstaatsprinzips des Art. 14 DBA-Frankreich 1959, wohl aber gemäß Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. a DBA-Frankreich 1959 als Einkünfte aus in Frankreich ausgeübter nichtselbständiger Arbeit von der inländischen Besteuerung freigestellt und würde das Abzugsverbot des § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2002 n.F. ebenfalls greifen (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1992 I R 102/91, BFHE 168, 157, BStBl II 1993, 149; BFH-Urteil in BFHE 237, 434, BStBl II 2012, 721). Im Verhältnis zum deutschen Fiskus ist die Klägerin nur "zufällig" Beamte und keine bei einem privatrechtlichen Arbeitgeber in Frankreich tätige Arbeitnehmerin. Da Art. 39 Abs. 4 EG grundsätzlich eng auszulegen ist (vgl. EuGH-Urteil Lawrie-Blum vom 3. Juli 1986 C-66/85, EU:C:1986:284, Rz 28, Slg. 1986, 2121), dürfte die Bereichsausnahme also im Streitfall nicht einschlägig sein.
b) Sollte diese Beurteilung nicht zutreffen, wäre der Schutzbereich der allgemeinen Freizügigkeit (Art. 18 EG, jetzt Art. 21 AEUV) betroffen. Für diesen Fall beziehen sich die Vorlagefragen des Senats auf jene Grundfreiheit.
2. Nach der Rechtsprechung des EuGH verstößt eine nationale Regelung, nach der eine in einem Mitgliedstaat ansässige und in einem anderen Mitgliedstaat wirtschaftlich tätige Person die im Tätigkeitsstaat geleisteten Sozialversicherungsbeiträge im Ansässigkeitsstaat nicht steuermindernd abziehen kann, gegen die in Art. 43 Satz 1 EG (jetzt Art. 49 AEUV) verbürgte Niederlassungsfreiheit und gegen die in Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) verankerte Dienstleistungsfreiheit (EuGH-Urteil Filipiak vom 19. November 2009 C-314/08, EU:C:2009:719, Slg. 2009, I-11049). Die Erwägungen dieser Rechtsprechung lassen sich im Grundsatz auf den Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit übertragen:
Die Situation der Klägerin, die in Deutschland wohnt und eine nichtselbständige Arbeitstätigkeit für die Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats ausübt, für die sie der Kranken- und Altersvorsorgeversicherung angeschlossen ist, und diejenige eines Steuerpflichtigen, der ebenfalls in Deutschland wohnt, aber auch seine Arbeitstätigkeit in diesem Staat ausübt, in dem er den nationalen Sozialversicherungen angeschlossen ist, sind in Bezug auf die Besteuerungsgrundsätze vergleichbar, da beide in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind. Somit müsste die Besteuerung ihrer Einkünfte nach denselben Grundsätzen und daher auf der Grundlage derselben Steuervergünstigungen erfolgen. Die Weigerung, dem gebietsansässigen Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug des Betrags der in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Sozialversicherungsbeiträge von der Bemessungsgrundlage in Deutschland oder auf Minderung der in Deutschland geschuldeten Steuer um die in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Sozialversicherungsbeiträge zu gewähren, kann den betreffenden Steuerpflichtigen davon abhalten, die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Anspruch zu nehmen und stellt damit eine Beschränkung dieser Grundfreiheit dar.
3. Da nach dem DBA-Frankreich 1959 die Besteuerungsbefugnis für den von der Klägerin bezogenen Arbeitslohn dem französischen Staat zusteht, könnte der Ausschluss des Sonderausgabenabzugs in Deutschland der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten dienen und deshalb gerechtfertigt sein.
a) Grundsätzlich ist es allerdings nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Sache des Wohnsitzstaats, dem Steuerpflichtigen sämtliche an seine persönliche und familiäre Situation geknüpften steuerlichen Vergünstigungen zu gewähren, da dieser Staat, von Ausnahmen abgesehen, am besten die persönliche Steuerkraft des Steuerpflichtigen beurteilen kann, weil dieser dort den Mittelpunkt seiner persönlichen und seiner Vermögensinteressen hat (z.B. EuGH-Urteile Schumacker vom 14. Februar 1995 C-279/93, EU:C:1995:31, Rz 32, Slg. 1995, I-225; Beker vom 28. Februar 2013 C-168/11, EU:C:2013:117, Rz 43, BStBl II 2015, 431).
Der Wohnsitzstaat kann sich daher nicht auf den Rechtfertigungsgrund der angemessenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten berufen, um sich der grundsätzlich ihm obliegenden Verantwortung zu entziehen, die dem Steuerpflichtigen zustehenden personen- und familienbezogenen Abzüge zu gewähren, es sei denn, dieser Staat wäre im Vertragswege von seiner Verpflichtung zur vollständigen Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation der Steuerpflichtigen, die in seinem Hoheitsgebiet wohnen und ihre wirtschaftliche Betätigung teilweise in einem anderen Mitgliedstaat ausüben, entbunden oder er stellte fest, dass ein oder mehrere Beschäftigungsstaaten ‑‑auch außerhalb irgendeiner Übereinkunft‑‑ in Bezug auf die von ihnen besteuerten Einkünfte Vorteile gewähren, die mit der Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation derjenigen Steuerpflichtigen im Zusammenhang stehen, die nicht im Hoheitsgebiet dieser Staaten wohnen, dort aber zu versteuernde Einkünfte erzielen (EuGH-Urteile de Groot vom 12. Dezember 2002 C-385/00, EU:C:2002:750, Rz 99 f., Slg. 2002, I-11819; Beker, EU:C:2013:117, Rz 56, BStBl II 2015, 431; Imfeld und Garcet vom 12. Dezember 2013 C-303/12, EU:C:2013:822, Rz 69, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2014, 183).
b) Nach diesen Grundsätzen ist das Vorliegen des Rechtfertigungsgrunds in der Konstellation des Streitfalls zweifelhaft:
aa) Das DBA-Frankreich 1959 enthält keine Regelung, die den jeweiligen Wohnsitzstaat von dessen Verpflichtung zur vollständigen Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation solcher Steuerpflichtiger, die im jeweils anderen Staat arbeiten und deren Arbeitseinkünfte nach Art. 14 (oder Art. 13) DBA-Frankreich 1959 im Tätigkeitsstaat besteuert werden können, entbindet.
bb) Ob Frankreich in Bezug auf die von ihm besteuerten Einkünfte unabhängig von der Abkommenslage unilateral Vorteile gewährt, die mit der Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation derjenigen Steuerpflichtigen im Zusammenhang stehen, die nicht in seinem Hoheitsgebiet wohnen, dort aber zu versteuernde Einkünfte erzielen, lässt sich den tatrichterlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht entnehmen. Insbesondere geht aus dem FG-Urteil nicht hervor, ob Frankreich bei der Bemessung der vom Gehalt der Klägerin einbehaltenen Quellensteuer (Retenue à la source) Vorteile gewährt, die den Belastungen durch die streitbefangenen Vorsorgeaufwendungen Rechnung tragen oder ob dort für die Klägerin die Möglichkeit einer jährlichen Steuerveranlagung bestanden hat, in deren Rahmen solche Vorteile gewährt werden und ob die Klägerin von dieser Möglichkeit ggf. tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Käme es für die Entscheidung der ersten Vorlagefrage auf diese Umstände an (vgl. die zweite Vorlagefrage), müsste der Senat den Rechtsstreit deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurückverweisen.
cc) Ob allein die unilaterale Berücksichtigung der streitigen Vorsorgeaufwendungen durch den Tätigkeitsstaat das Abzugsverbot des Wohnsitzstaats rechtfertigen könnte, ist aber fraglich.
Der X. Senat des BFH hat diese Frage in seinem Urteil in BFHE 237, 434, BStBl II 2012, 721 bejaht. Er folgert dies aus dem EuGH-Urteil Filipiak (EU:C:2009:719, Rz 51, Slg. 2009, I-11049), welches auf der Prämisse beruhe, die dort in Rede stehenden Vorsorgeaufwendungen könnten im dortigen Tätigkeitsstaat nicht berücksichtigt werden. Der beschließende Senat hält diese Folgerung indes nicht für zwingend. Denn der Umstand, dass der EuGH in jenem Urteil davon ausgegangen ist, die Aufwendungen könnten im dortigen Tätigkeitsstaat nicht steuermindernd berücksichtigt werden, erlaubt nicht im Umkehrschluss die Annahme, dass dann, wenn die Aufwendungen ‑‑anders als im Fall Filipiak‑‑ im Tätigkeitsstaat steuermindernd berücksichtigt werden können, der Abzugsausschluss durch den Wohnsitzstaat in jedem Fall gerechtfertigt ist.
Die Rechtfertigung eines Abzugsausschlusses im Wohnsitzstaat setzt nach der EuGH-Rechtsprechung vielmehr voraus, dass die zur Vermeidung der Doppelbesteuerung verwendeten Mechanismen oder die nationalen Steuersysteme, die eine Ausschließung oder Milderung der Doppelbesteuerung bewirken, den Steuerpflichtigen der betreffenden Staaten gewährleisten müssen, dass ihre gesamte persönliche und familiäre Situation im Ganzen gebührend berücksichtigt wird, unabhängig davon, wie die betreffenden Mitgliedstaaten diese Verpflichtung untereinander aufgeteilt haben, da andernfalls eine mit den Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit unvereinbare Ungleichbehandlung entstünde, die sich keineswegs aus den Unterschieden zwischen den nationalen Steuervorschriften ergeben würde (EuGH-Urteile de Groot, EU:C:2002:750, Rz 101, Slg. 2002, I-11819; Imfeld und Garcet, EU:C:2013:822, Rz 70, HFR 2014, 183).
Eine solche Gewährleistung bieten die Regeln über den Abzugsausschluss nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2002 n.F. nicht. Der Abzug der Vorsorgeaufwendungen wird danach unabhängig davon ausgeschlossen, ob der Steuerpflichtige die Möglichkeit hat, die Aufwendungen in jenem Staat, dem das Besteuerungsrecht für die mit den Aufwendungen in Zusammenhang stehenden steuerfreien Einnahmen zusteht, gebührend berücksichtigt wird. Maßgebend und allein ausreichend für den Abzugsausschluss ist der Zusammenhang mit den steuerfreien Einnahmen.
dd) Dass eine Nichtanwendung des Abzugsverbots nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2002 n.F. dazu führen könnte, dass der Steuerpflichtige die Vorsorgeaufwendungen im Ergebnis zweimal ‑‑nämlich einmal im Tätigkeitsstaat bei der Besteuerung des Arbeitseinkommens und ein weiteres Mal im Rahmen der Veranlagung im Wohnsitzstaat‑‑ steuermindernd geltend machen könnte, würde einer Unionsrechtswidrigkeit des Abzugsausschlusses nicht entgegenstehen. Dieser Umstand wäre nur die Folge der parallelen Anwendung der deutschen und der französischen Steuerregelung, so wie diese unter den im DBA-Frankreich 1959 festgelegten Bedingungen zwischen diesen beiden Mitgliedstaaten vereinbart worden ist (vgl. EuGH-Urteil Imfeld und Garcet, EU:C:2013:822, Rz 70, HFR 2014, 183).
4. Unter dem von den Klägern darüber hinaus verfolgten Aspekt einer Schlechterstellung gegenüber Eheleuten, die beide inländische Beamte sind, bestehen aus Sicht des Senats keine Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit der in Rede stehenden Vorschriften zum Progressionsvorbehalt und zum Sonderausgabenabzug. Das Unionsrecht verpflichtet den deutschen Gesetzgeber nicht, bestehende Unterschiede zwischen dem Vergütungssystem für deutsche Beamte und jenem für französische Beamte mithilfe des Steuerrechts zu nivellieren. Der Senat verweist insoweit nochmals auf sein Urteil vom 16. September 2015 I R 61/13. Er hält diese Rechtslage für so eindeutig, dass er in diesem Punkt von einer Vorlage an den EuGH absieht (vgl. EuGH-Urteil CILFIT vom 6. Oktober 1982, C-283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415).