BFH X. Senat
AO § 157 Abs 2, AO § 195 S 2, AO § 199 Abs 1, AO § 367 Abs 2, EStG § 15, FGO § 76 Abs 1 S 1, FGO § 99 Abs 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 116 Abs 3 S 3, FGO § 116 Abs 5 S 2 Halbs 2, FGO § 118 Abs 2, FGO § 135 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 20. Oktober 2014, Az: 4 K 3323/08
Leitsätze
1. NV: Die steuerrechtliche Beurteilung des Außenprüfers entfaltet für das anschließende Veranlagungsverfahren keine Bindungswirkung. Sie kann während laufender Außenprüfung auch Änderungen unterworfen sein, etwa wenn anfängliche Prüfungsfeststellungen aufgrund neu hinzugekommener Erkenntnisse hinfällig werden oder für den Prüfungsfall bedeutsame Rechtsprechungsentwicklungen hinreichend sicher abzusehen bzw. eingetreten sind. Auf solche Umstände muss der Außenprüfer flexibel reagieren.
2. NV: Die zur Begründung einer Grundsatzrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) herausgestellte Rechtsfrage muss sich innerhalb des vom FG festgestellten Sachverhalts bewegen.
3. NV: Ein überholtes FG-Urteil (hier: wegen Teilaufhebung durch den BFH) ist nicht mehr geeignet, eine Revisionszulassung wegen Divergenz zu begründen.
4. NV: Eine Sachaufklärungsrüge kann unschlüssig sein, wenn das FG seinem Urteil das Klagevorbringen des Beschwerdeführers zu den von diesem als unzureichend aufgeklärt beanstandeten Tatsachen ersichtlich zugrunde gelegt hat.
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 21. Oktober 2014 4 K 3323/08 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Die verheirateten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden im Streitjahr 1993 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus einer Tätigkeit als Geschäftsführer und (Allein-)Gesellschafter der X-GmbH; die Klägerin war als Arbeitnehmerin tätig. In Streit steht aufgrund einer u.a. das Streitjahr betreffenden, im Zeitraum 1999 bis 2002 durchgeführten steuerlichen Außenprüfung, ob der Kläger durch den Verkauf eines von ihm im Jahr 1988 erworbenen und in der Folge neu bebauten Grundstücks an einen Immobilienfonds Einkünfte aus gewerblichem Grundstückshandel erzielt hat (§ 15 des Einkommensteuergesetzes).
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) zuerst im Anschluss an den Bericht des Außenprüfers eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) der X-GmbH zugunsten des Klägers in Höhe von … DM angenommen, den Einkommensteuerbescheid 1993 mit Bescheid vom 16. August 2002 dahingehend abgeändert und die gegen die Kläger festgesetzte Einkommensteuer entsprechend erhöht. Hiergegen wandten sich die Kläger mittels Einspruch, woraufhin das FA am 6. September 2002 einen weiteren Änderungsbescheid erließ, der zu einer geringfügigen Steuerherabsetzung führte.
Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens gelangte das FA zu einer geänderten Rechtsauffassung und würdigte den streitgegenständlichen Erwerbs-/Veräußerungsvorgang als gewerblichen Grundstückshandel. Der daraufhin erlassene Änderungsbescheid vom 1. August 2007 hatte lediglich eine Modifikation der Besteuerungsgrundlagen (§ 157 Abs. 2 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑) zum Gegenstand. Die Höhe der festgesetzten Steuer blieb unverändert.
Der weitergehende Einspruch der Kläger wurde mit Einspruchsentscheidung vom 26. Juni 2008 ‑‑abschließend‑‑ zurückgewiesen.
Ihre dagegen gerichtete Klage begründeten sie damit, dass der Steueranspruch aufgrund der "mehrfach" (zuerst im laufenden Außenprüfungsverfahren, dann im Zuge der Änderungsfestsetzungen) gewechselten Argumentation des FA zu den Besteuerungsgrundlagen verwirkt sei. Zudem seien die Erkenntnisse aus der Außenprüfung unverwertbar, weil die Prüfungsanordnung mangels wirksamer Beauftragung des FA Y (§ 195 Satz 2 AO) nichtig sei. In materiell-rechtlicher Hinsicht lägen die Voraussetzungen eines gewerblichen Grundstückshandels nicht vor. Ungeachtet dessen habe das FA nicht sämtliche Betriebsausgaben berücksichtigt.
Dem folgte das FG in seinem Zwischenurteil zum Besteuerungsgrund (§ 99 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) durchweg nicht. Die Höhe der gewerblichen Einkünfte aus dem Grundstücksgeschäft behielt es dem Schlussurteil vor.
Die von den Klägern geltend gemachten Revisionszulassungsgründe betreffen demgegenüber der Sache nach nur noch den Verwirkungseinwand.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die von den Klägern geltend gemachten Revisionszulassungsgründe sind zum Teil nicht hinreichend i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt worden. Im Übrigen liegen die Zulassungsgründe nicht vor.
1. Die Beschwerdebegründung belegt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (zu den Anforderungen an den Beschwerdevortrag s. z.B. Senatsbeschluss vom 21. August 2014 X B 159/13, BFH/NV 2014, 1743, unter 1., m.w.N.). Hierzu ist die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage
"Ist die Finanzbehörde bezüglich der Einordnung einer Handlung des Steuerpflichtigen als steuerpflichtig aufgrund des Rechtsinstituts der Verwirkung daran gehindert, in einem langjährigen Steuerverwaltungsverfahren nach mehrfach geänderter Rechtsansicht auf einen bereits endgültig aufgegebenen Begründungsansatz zurückzugreifen, oder ist die Verwirkung ausgeschlossen, weil das Finanzamt von Beginn an zur Einordnung der Handlung als steuerpflichtig entschlossen war und durch den Begründungswechsel nur die nicht selbstständig anfechtbaren Besteuerungsgrundlagen geändert wurden?" (Hervorhebung durch den Senat)
bereits im Ausgangspunkt ungeeignet, weil sich die Fragestellung außerhalb des vom FG festgestellten Sachverhalts bewegt (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 30, m.w.N.). Den tatrichterlichen Feststellungen, die für den Senat auch im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO analog, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 25. Oktober 2007 VIII B 41/07, BFH/NV 2008, 189), lässt sich nicht entnehmen, dass das FA zu irgendeinem Zeitpunkt "endgültig" von der Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels Abstand genommen hätte. Es sind auch keine Tatsachen festgestellt (etwa ein bestimmtes Verhalten des FA im Verwaltungs- oder Einspruchsverfahren), die Rückschlüsse auf eine dahingehende Entschließung bzw. Handhabung zuließen. Die allein maßgeblichen Urteilsfeststellungen belegen nur, dass das FA seinen ersten, im Anschluss an die Außenprüfung erlassenen Änderungsbescheid auf die Annahme einer vGA gestützt und der Besteuerung im darauf folgenden (zweiten) Änderungsbescheid einen gewerblichen Grundstückshandel zugrunde gelegt hat. Diese Bescheidslage konnte ‑‑zumal angesichts des noch nicht abgeschlossenen Einspruchsverfahrens (vgl. § 367 Abs. 2 AO)‑‑ kein wie auch immer geartetes, gar zur Verwirkung des Steueranspruchs führendes schutzwürdiges Vertrauen begründen, wonach sich das FA hinsichtlich der steuerlichen Einordnung des Immobiliengeschäfts in die eine oder andere Richtung abschließend festgelegt hätte.Nähere Feststellungen zu dem von den Klägern in diesem Kontext zusätzlich herangezogenen Wechsel der steuerrechtlichen Beurteilung bereits im Außenprüfungsverfahren hat das FG ebenfalls nicht getroffen. Sie wären indes auch unerheblich, weil die Rechtsauffassung des Außenprüfers für das anschließende Veranlagungsverfahren keine Bindungswirkung entfaltet (vgl. z.B. Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 202 AO Rz 27, zum Inhalt des Prüfungsberichts) und während laufender Außenprüfung ‑‑naturgemäß‑‑ Änderungen unterworfen sein kann, etwa wenn anfängliche Prüfungsfeststellungen aufgrund neu hinzugekommener Erkenntnisse hinfällig werden oder für den Prüfungsfall bedeutsame Rechtsprechungsentwicklungen hinreichend sicher abzusehen bzw. eingetreten sind. Auf solche Umstände muss der Außenprüfer ‑‑zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen (vgl. § 199 Abs. 1 AO)‑‑ flexibel reagieren. Ein Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens lässt sich daraus (auch in der Zusammenschau mit Folgeänderungen durch das FA) ersichtlich nicht ableiten.
2. Aus denselben Gründen kommt die von den Klägern mit identischer Fragestellung angestrebte Rechtsfortbildungsrevision (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) nicht in Betracht. Denn dabei handelt es sich um einen Spezialfall der Grundsatzrevision, an dessen Darlegung dieselben ‑‑hier nicht erfüllten (II.1.)‑‑ Anforderungen zu stellen sind (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 18. Juni 2015 X B 30/15, www.bundesfinanzhof.de/entscheidungen, Datum der Veröffentlichung: 19. August 2015, unter II.1.).
3. Das angefochtene Urteil weicht nicht i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO von dem Urteil des 13. Senats des FG Baden-Württemberg vom 22. Januar 2003 13 K 140/01 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 770) ab. Dieses Urteil ist in dem von den Klägern für maßgebend erachteten Punkt (Verwirkung des Rechts zum Erlass von Gewerbesteuermessbescheiden für die Jahre 1990 bis 1993) durch den BFH mit Beschluss vom 12. November 2003 XI B 30/03 (nicht veröffentlicht) aufgehoben worden. Damit ist dieses FG-Urteil insoweit überholt und nicht mehr geeignet, eine Revisionszulassung wegen Divergenz zu begründen (BFH-Beschluss vom 6. August 2010 V B 65/09, BFH/NV 2010, 2111).
4. Zuletzt ist auch der von den Klägern gerügte Sachaufklärungsmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht schlüssig dargetan. Soweit die Kläger vortragen, die Vorinstanz habe "die aufklärungsbedürftige Tatsache, dass der Beklagte mehrmals die Begründung (...) gewechselt hat", pflichtwidrig unaufgeklärt gelassen, übergehen sie, dass das FG seinem Urteil offenkundig ihr diesbezügliches Klagevorbringen zugrunde gelegt hat (s. FG-Urteil, S. 18, dritter Absatz: "ständig die Begründungen ... ausgewechselt"; Hervorhebung durch den Senat). Da das FG danach (zu Recht, s. unter II.1.) bereits die Entstehung eines Vertrauenstatbestands verneint hat (FG-Urteil, a.a.O.), lag es auf der Hand, dass es die diesbezügliche Vorstellungswelt des Klägers nicht noch weiter aufklären musste. Vor diesem Hintergrund erschließt sich die Verfahrensrüge der Kläger insgesamt nicht.
5. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.