BFH II. Senat
ErbStG § 10 Abs 6, ErbStG § 13a, ErbStG § 10 Abs 1 S 2, ErbStG § 10 Abs 5 Nr 2, ErbStG § 10 Abs 6 S 4, BGB § 2311, BGB §§ 2311ff, ErbStR 2003 R 31 Abs 2 S 1, ErbStR 2011 R E10.10 Abs 2
vorgehend FG Münster, 12. Februar 2014, Az: 3 K 37/12 Erb
Leitsätze
NV: Die Verbindlichkeit aus einem geltend gemachten Pflichtteil ist auch dann in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeit abziehbar, wenn zum Nachlass ein Anteil an einer Kapitalgesellschaft gehört, dessen Erwerb nach § 13a ErbStG begünstigt ist .
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 13. Februar 2014 3 K 37/12 Erb aufgehoben.
Die Erbschaftsteuer wird unter Abänderung des Erbschaftsteuerbescheids des Beklagten vom 21. April 2015 auf 38.430 € festgesetzt.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die alleinige Vorerbin ihres im Juli 2009 verstorbenen Lebensgefährten (L). Zum Nachlass gehörte u.a. ein Anteil an einer GmbH. Die Klägerin verpflichtete sich auf Verlangen der als Nacherben eingesetzten beiden Söhne des L, an diese als Pflichtteil jeweils 131.208 € zu zahlen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) berücksichtigte bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer für den erworbenen Gesellschaftsanteil die Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG). Die Pflichtteilsschulden zog das FA im Hinblick darauf nur in gekürzter Höhe als Nachlassverbindlichkeiten ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die auf einen Abzug der Pflichtteilsschulden in voller Höhe gerichtete Klage ab. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 947 veröffentlicht.
Während des Revisionsverfahrens setzte das FA die Erbschaftsteuer durch Änderungsbescheide vom 11. April 2014 und 21. April 2015 wegen geänderter Feststellung des Werts des GmbH-Anteils und einer Neuberechnung des nicht abgezogenen Teils der Pflichtteilsschulden auf zuletzt 60.030 € herab. Es erhöhte dabei den für den Erwerb durch Erbanfall angesetzten Betrag von 315.617 € um den nach seiner Ansicht nicht abziehbaren Teil der Pflichtteilsschulden von 72.068 €.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 10 Abs. 6 ErbStG. Die Pflichtteilsschulden müssten in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Erbschaftsteuer unter Änderung des Bescheids vom 21. April 2015 so festzusetzen, dass die Pflichtteilsschulden in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen, das dem Verfahren aufgrund einer Aufforderung durch den Bundesfinanzhof ‑‑BFH‑‑ (Beschluss vom 18. Februar 2015 II R 15/14, BFH/NV 2015, 843) gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten ist, teilt die Ansicht des FA.
Entscheidungsgründe
II. Das Urteil des FG war schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 FGO). An die Stelle des Erbschaftsteuerbescheids vom 19. Dezember 2013, über den das FG entschieden hat, sind während des Revisionsverfahrens die Bescheide vom 11. April 2014 und 21. April 2015 getreten und nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos und aufzuheben (BFH-Urteile vom 2. März 2011 II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147, und vom 3. Juni 2014 II R 45/12, BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806, jeweils m.w.N.).
Einer Zurückverweisung der Sache an das FG nach § 127 FGO bedarf es jedoch nicht, da sich aufgrund der Änderungsbescheide an den zwischen den Beteiligten streitigen Punkten nichts geändert hat (BFH-Urteile vom 12. Januar 2011 II R 30/09, BFH/NV 2011, 755, und in BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806). Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des BFH; sie fallen durch die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nicht weg, da das finanzgerichtliche Urteil nicht an einem Verfahrensmangel leidet (BFH-Urteil in BFHE 245, 374, BStBl II 2014, 806, m.w.N.).
III.
Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist begründet. Die Pflichtteilsschulden sind in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen.
1. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG kann der Erbe vom Wert des gesamten Vermögensanfalls die Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilen abziehen. § 10 Abs. 6 Satz 4 ErbStG begründet in Fällen, in denen zum Nachlass ein Gesellschaftsanteil an einer GmbH gehört, dessen Erwerb nach § 13a ErbStG begünstigt ist, keine Einschränkung dieses Abzugs.
a) Schulden und Lasten, die mit nach § 13a ErbStG befreitem Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, sind gemäß § 10 Abs. 6 Satz 4 ErbStG nur mit dem Betrag abzugsfähig, der dem Verhältnis des nach Anwendung des § 13a ErbStG anzusetzenden Werts dieses Vermögens zu dem Wert vor Anwendung des § 13a ErbStG entspricht.
b) Mit dem auch in den Sätzen 1 bis 3 und 5 des § 10 Abs. 6 ErbStG verwendeten Merkmal des wirtschaftlichen Zusammenhangs ist dasselbe gemeint wie in § 103 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes ‑‑BewG‑‑ (BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 II R 34/03, BFHE 210, 463, BStBl II 2005, 797). Ein wirtschaftlicher Zusammenhang von Schulden mit der Gesamtheit oder einzelnen Teilen des Betriebsvermögens i.S. des § 103 Abs. 1 BewG wird angenommen, wenn die Entstehung der Schuld ursächlich und unmittelbar auf Vorgängen beruht, die das Betriebsvermögen betreffen (BFH-Urteile vom 19. Februar 1982 III R 108/80, BFHE 135, 338, BStBl II 1982, 449, und in BFHE 210, 463, BStBl II 2005, 797). Dieser Zusammenhang ist insbesondere dann zu bejahen, wenn die Schuld zum Erwerb, zur Sicherung oder zur Erhaltung des jeweiligen Vermögens eingegangen worden ist. Dagegen reicht es nicht aus, wenn lediglich ein rechtlicher Zusammenhang zwischen der Schuld und dem begünstigten Vermögen besteht (BFH-Urteil in BFHE 210, 463, BStBl II 2005, 797).
c) Schulden und Lasten können danach nur mit bestimmten zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenständen oder Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Erbe ein Darlehen zu tilgen hat, das der Erblasser zum Kauf eines zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstands (z.B. Grundstück oder Anteil an einer Kapitalgesellschaft) aufgenommen hatte. Fehlt es an einem solchen konkreten Zusammenhang einer Nachlassverbindlichkeit mit bestimmten zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenständen oder Vermögen, so wird ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit allen zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstände und Vermögen nicht allein dadurch begründet, dass der Erbe zur Erfüllung der Verbindlichkeit verpflichtet ist. Diese Verpflichtung des Erben begründet keinen wirtschaftlichen, sondern allenfalls einen rechtlichen Zusammenhang.
Hätte der Gesetzgeber anordnen wollen, dass sämtliche Nachlassverbindlichkeiten, die nicht in einem konkreten wirtschaftlichen Zusammenhang mit bestimmten zum Nachlass gehörenden aktiven Vermögensgegenständen oder Vermögen stehen, nur mit dem Anteil abzugsfähig sind, der dem Verhältnis der Verkehrswerte oder Steuerwerte der steuerpflichtigen Vermögensgegenstände zum entsprechenden Wert des steuerfreien Vermögens entspricht, hätte er dies anordnen können und müssen. Für eine derartige Aufteilung durch die Finanzverwaltung und die Rechtsprechung findet sich in § 10 Abs. 6 ErbStG keine Rechtsgrundlage. Der Wortlaut des § 10 Abs. 6 Satz 4 ErbStG betrifft nur den Fall, dass nach Anwendung des § 13a ErbStG ein anzusetzender Wert des nach § 13a ErbStG begünstigten Vermögens verbleibt.
d) Davon geht im Grundsatz auch die Finanzverwaltung aus. Nach R 31 Abs. 2 Satz 2 der Erbschaftsteuer-Richtlinien (ErbStR) 2003 (BStBl I 2003, Sondernummer 1, 2) und R E 10.10 Abs. 2 Satz 2 ErbStR 2011 (BStBl I 2011, Sondernummer 1, 2) besteht "bei anderen allgemeinen Nachlassverbindlichkeiten" kein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den einzelnen erworbenen Vermögensgegenständen. Diese allgemeinen Nachlassverbindlichkeiten sind daher auch dann in voller Höhe abziehbar, wenn zum Erwerb von Todes wegen ganz oder teilweise steuerbefreite Vermögensgegenstände oder Vermögen i.S. des § 10 Abs. 6 Satz 1, 3, 4 oder 5 ErbStG gehören. Zu den allgemeinen Nachlassverbindlichkeiten rechnet die Finanzverwaltung beispielsweise Steuerschulden, ein Konsumentendarlehen (H E 10.10 "Pflichtteilskürzung" der Hinweise zu den ErbStR 2011, BStBl I 2011, Sondernummer 1, 117) und die Erbfallkosten (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG), ferner bisher auch die Pflicht des Erben zur Zahlung des Zugewinnausgleichs an den überlebenden Ehegatten des Erblassers (anders nunmehr der im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der anderen Länder ergangene Erlass des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg vom 14. Januar 2015 3-S381.0/46, ErbSt-Kartei BW § 10 ErbStG Karte 31).
e) Bei Pflichtteilsansprüchen besteht demgegenüber nach Ansicht der Finanzverwaltung (R 31 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 2003, R E 10.10 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 2011) ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den einzelnen erworbenen Vermögensgegenständen unabhängig davon, inwieweit sie steuerbar oder steuerbefreit sind, so dass diese Last von der Beschränkung des Abzugs nach § 10 Abs. 6 ErbStG erfasst wird.
Dieser Ansicht der Finanzverwaltung kann nicht gefolgt werden. Die Pflicht des Erben zur Erfüllung eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs steht ebenso wenig in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den einzelnen erworbenen Vermögensgegenständen wie die anderen allgemeinen Nachlassverbindlichkeiten.
Die Bemessung des Pflichtteils nach dem Wert des Nachlasses (§§ 2311 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs ‑‑BGB‑‑) begründet keinen wirtschaftlichen, sondern allenfalls einen rechtlichen Zusammenhang der Pflichtteilslast mit den zum Nachlass gehörenden aktiven Vermögensgegenständen oder Vermögen (Meincke, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2006, 199; ders., Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 16. Aufl., § 10 Rz 55). Nach dem BFH-Urteil vom 2. März 1993 VIII R 47/90 (BFHE 170, 566, BStBl II 1994, 619, unter 1.d) ist der Pflichtteilsanspruch nicht gegenständlich konkretisiert in Bezug auf das Betriebsvermögen oder einzelne betriebliche Wirtschaftsgüter. Diese Entscheidung lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass der Pflichtteilsanspruch nicht gegenständlich konkretisiert in Bezug auf die zum Nachlass gehörenden aktiven Vermögensgegenstände oder Vermögen ist und es somit an einem wirtschaftlichen Zusammenhang der Pflichtteilslast mit diesen Vermögensgegenständen oder Vermögen fehlt.
Ein anderer sachlicher Grund, der es unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) rechtfertigen könnte, dass bei teilweiser Steuerpflicht und teilweiser Steuerfreiheit eines Erwerbs von Todes wegen der Erbe, der einen bestimmten Betrag als Pflichtteil schuldet, mit einer höheren Erbschaftsteuer belastet wird als wenn er diesen Betrag beispielsweise als Vermächtnis an den Pflichtteilsberechtigten oder an einen Dritten oder als andere allgemeine Nachlassverbindlichkeit (z.B. vom Erblasser aufgenommenes Konsumentendarlehen) zahlen müsste, ist nicht ersichtlich.
Dem BFH-Urteil vom 21. Juli 1972 III R 44/70 (BFHE 107, 147, BStBl II 1973, 3) lässt sich nichts anderes entnehmen. Der BFH hat in diesem Urteil zwar ausgeführt, zwischen dem Vermögensübergang aufgrund des Erbfalls und der durch den Erbfall ausgelösten Verpflichtung der Erben zur Zahlung des Pflichtteils bestehe grundsätzlich ein bei der Besteuerung zu beachtender wirtschaftlicher Zusammenhang. Dieses Urteil betraf aber zum einen nicht die Auslegung des § 10 Abs. 6 ErbStG, sondern die Frage, ob die Verpflichtung der Erben zur Zahlung des Pflichtteils bei der Ermittlung des nach dem Lastenausgleichsgesetz abgabepflichtigen Inlandsvermögens vom Rohvermögen abzuziehen ist, soweit sie auf das Inlandsvermögen entfällt. Zum anderen setzen das Entstehen eines Pflichtteilsanspruchs und die Pflicht zur Erfüllung dieses Anspruchs anders als vom BFH in dem Urteil angenommen keine Verfügung des Erblassers von Todes wegen voraus, durch die ein gesetzlicher Erbe von der Erbfolge ausgeschlossen und der zur Zahlung des Pflichtteils verpflichtete Erbe eingesetzt wurde. Vielmehr kann es auch bei gesetzlicher Erbfolge zum Entstehen eines Pflichtteilsanspruchs kommen, nämlich in den Fällen des § 1371 Abs. 3 Halbsatz 1 i.V.m. § 2303 Abs. 2 Satz 2 BGB bei Ausschlagung der Erbschaft bzw. des Erbteils. Auch einem Erben kann gemäß § 2305 BGB ein Pflichtteilsanspruch zustehen, nämlich wenn der Erbteil geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
f) Da das FG von einer anderen Ansicht ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
2. Die Sache ist spruchreif. Die von den Söhnen des L gegen die Klägerin geltend gemachten Pflichtteilsansprüche von insgesamt 262.416 € sind somit in voller Höhe als Nachlassverbindlichkeiten abziehbar. Die gegen die Klägerin festzusetzende Erbschaftsteuer berechnet sich abweichend vom Bescheid vom 21. April 2015 wie folgt:
Erwerb durch Erbanfall
315.617 €
Wert des Erwerbs
315.617 €
abzüglich Steuerbefreiungen nach § 13a ErbStG
167.500 €
Erwerb von Todes wegen
148.117 €
abzüglich Freibetrag gemäß § 16 Abs. 1 ErbStG
20.000 €
steuerpflichtiger Erwerb (abgerundet auf volle 100 €)
128.100 €
Steuersatz 30 %
Erbschaftsteuer
38.430 €
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.