BFH VI. Senat
FGO § 90, FGO § 94a, FGO § 119 Nr 3, FGO § 119 Nr 4, GG Art 103 Abs 1, FGO § 116 Abs 6
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 11. Dezember 2014, Az: 5 K 47/14
Leitsätze
1. NV: Ein vom Kläger erklärter Verzicht auf mündliche Verhandlung wird wirkungslos, wenn das FG gleichwohl eine mündliche Verhandlung anberaumt. Das FG darf danach nur dann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn die Beteiligten erneut darauf verzichten.
2. NV: Beantragt der Beteiligte in einem Verfahren mit geringem Streitwert die Erhebung eines Zeugenbeweises, liegt darin immer auch der konkludente Antrag auf mündliche Verhandlung.
3. NV: Dies gilt selbst dann, wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers am Terminstag telefonisch mitteilt, dass er und sein Mandant nicht zum Termin kommen können. Ein weiterer (u.U. erneuter) Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung ist darin nicht zu erblicken, und zwar insbesondere dann nicht, wenn der Prozessbevollmächtigte damit zugleich das Interesse an einer einvernehmlichen Lösung des Rechtsstreits kundtut.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 12. Dezember 2014 5 K 47/14 aufgehoben.
Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wendet sich mit seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts (FG) vom 12. Dezember 2014 5 K 47/14. Das FG hat in dem Verfahren die Klage, mit der der Kläger den anteiligen Abzug von weiteren Steuerberaterkosten in Höhe von 188 € als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit begehrte, ohne mündliche Verhandlung abgewiesen.
Dem Urteil vorangehend hatten der vertretene Kläger und der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) mitgeteilt, dass gegen die Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung keine Bedenken bestünden. Gleichwohl hat das FG mit Verfügung vom 10. November 2014 einen Termin zur mündlichen Verhandlung für den 8. Dezember 2014 anberaumt und mit Beschluss ebenfalls vom 10. November 2014 den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter gemäß § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Entscheidung übertragen. Am 4. Dezember 2014 nahm der Berichterstatter mit einer der vom Kläger zur Frage zur Aufteilung der geltend gemachten Steuerberaterkosten (nach Arbeitsaufwand) in abzugsfähige Werbungskosten und nicht abzugsfähige Kosten der Lebensführung benannten Zeugin Kontakt auf. Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2014 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers erneut hierzu die Einvernahme eines Zeugen. Ausweislich eines Aktenvermerks des Berichterstatters teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 8. Dezember 2014 telefonisch mit, dass er und sein Mandat nicht zum Termin kommen könnten und grundsätzlich Interesse an einer einvernehmlichen Lösung des Rechtsstreits bestehe.
Mit seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger u.a. geltend, dass das FG ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 1 und Abs. 2 FGO hätten nicht vorgelegen, so dass das FG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründet. Sie führt nach § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör. Das FG hätte nicht nach § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift muss auch in den Fällen, in denen der Streitwert bei einer auf Geldleistung gerichteten Klage 500 € nicht übersteigt, auf Antrag eines Beteiligten mündlich verhandelt werden. Der Antrag kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent gestellt werden (Senatsbeschluss vom 10. März 2011 VI B 147/10, BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556, m.w.N.). Hat ein Beteiligter die Erhebung eines Zeugenbeweises beantragt, so ist der Beweisantrag zugleich ein konkludenter Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 12. Januar 2011 VIII B 15/10, BFH/NV 2011, 630, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 94a Rz 6, m.w.N.).
a) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob der Kläger mit Schriftsatz vom 9. April 2014 vorbehaltlos und damit wirksam auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat. Denn dieses Einverständnis hat jedenfalls durch die Anberaumung der mündlichen Verhandlung seine prozessrechtliche Wirkung verloren (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556).
b) Auch hat der Kläger hernach nicht erneut sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Sein Verhalten war vielmehr auf die Durchführung einer solchen gerichtet. Denn er hat vorliegend mehrfach ‑‑zuletzt mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2014 und damit am Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung in dieser Sache‑‑ die Vernehmung seines Prozessbevollmächtigten zur Aufteilung der geltend gemachten Steuerberaterkosten in abzugsfähige Werbungskosten und nicht abzugsfähige Kosten der Lebensführung beantragt und damit hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass eine mündliche Verhandlung stattfinden soll. Ob das FG dem Beweisantrag entsprechen muss, ist insoweit ohne Bedeutung; denn selbst dann, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich sein sollte, wird der mit dem Beweisantrag verbundene Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung hiervon nicht berührt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 630, m.w.N.). Dies gilt selbst dann, wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers am Terminstag telefonisch mitgeteilt haben sollte, dass er und sein Mandat nicht zum Termin kommen können. Ein weiterer (u.U. erneuter) Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung ist darin nicht zu erblicken, und zwar insbesondere dann nicht, wenn der Prozessbevollmächtigte damit zugleich das Interesse an einer einvernehmlichen Lösung des Rechtsstreits kundtut.
2. Aufgrund des Verfahrensfehlers ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Der Verfahrensfehler ist ein absoluter Revisionsgrund, bei dem gemäß § 119 Nr. 4 FGO davon auszugehen ist, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Eine Sachentscheidung ist dem erkennenden Senat verwehrt (s. Senatsbeschluss in BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556, m.w.N.). Auch kann der Senat dahinstehen lassen, ob die angefochtene Entscheidung im Übrigen verfahrensfehlerfrei ist.
3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.