BFH VIII. Senat
AO § 171 Abs 4 S 2, AO § 171 Abs 5 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, MRK Art 6 Abs 1, AO § 233a, AO § 235, AO § 193, AO §§ 193ff, AO § 227
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 09. Juli 2013, Az: 2 K 2069/11
Leitsätze
1. NV: Die Frage, ob der Steuerpflichtige nach über zehn Jahren der Unterbrechung einer Außenprüfung eine Steuerfestsetzung hinnehmen muss, hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie nach der Rechtsprechung grundsätzlich zu bejahen ist .
2. NV: Soweit der Steuerpflichtige aufgrund der außergewöhnlich langen Bearbeitungszeit mit unverhältnismäßig hohen Nachzahlungszinsen belastet ist, ist dem durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen .
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. Juli 2013 2 K 2069/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Revision ist nicht zuzulassen. Der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) ist nicht gegeben.
Die von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, "ob der Steuerpflichtige nach über zehn Jahren der Unterbrechung einer Außenprüfung, ohne dass für diesen erkennbare Prüfungshandlungen stattgefunden haben, eine Steuerfestsetzung durch das Finanzamt hinnehmen muss", bedarf keiner erneuten Entscheidung in einem Revisionsverfahren, weil sie für den Streitfall nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzlich zu bejahen ist.
1. Nach § 171 Abs. 4 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) entfällt die Ablaufhemmung der Festsetzungs- und Feststellungsfristen, wenn eine Außenprüfung (oder wie hier eine Steuerfahndungsprüfung i.S. von § 171 Abs. 5 Satz 1 AO) unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen wird, die die Finanzbehörde zu vertreten hat. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Unterbrechung unmittelbar nach Beginn der Prüfung dann anzunehmen ist, wenn der Prüfer über Vorbereitungshandlungen, allgemeine Informationen über die betrieblichen Verhältnisse, das Rechnungswesen und die Buchführung und/oder die Sichtung der Unterlagen des zu prüfenden Steuerfalls bzw. ein allgemeines Aktenstudium nicht hinausgekommen ist. Eine Außenprüfung ist danach nur dann nicht mehr unmittelbar nach Beginn unterbrochen, wenn die Prüfungshandlungen von Umfang und Zeitaufwand gemessen an dem gesamten Prüfungsstoff erhebliches Gewicht erreicht oder erste verwertbare Ergebnisse gezeitigt haben. Letzteres bedeutet allerdings nicht, dass die ermittelten Ergebnisse geeignet sein müssen, unmittelbar als Besteuerungsgrundlage Eingang in einen Steuer- oder Feststellungsbescheid zu finden; ausreichend ist vielmehr, dass Ermittlungsergebnisse vorliegen, an die bei der Wiederaufnahme der Prüfung angeknüpft werden kann (BFH-Urteil vom 26. Juni 2014 IV R 51/11, BFH/NV 2014, 1716, m.w.N., zu einem mit dem Streitfall im Wesentlichen vergleichbaren Zeitablauf).
Das angefochtene Urteil entspricht diesen Maßstäben. Das Finanzgericht (FG) hat auf Seite 9 seines Urteils im Einzelnen ausgeführt, inwieweit die Prüferin die Vielzahl der sichergestellten Unterlagen teilweise bereits ausgewertet hatte, bevor es zur Unterbrechung der Prüfung kam. Die Prüferin habe einen erheblichen tatsächlichen und zeitlichen Aufwand betrieben und bei der Wiederaufnahme der Prüfung am 12. November 2009 an die bereits im Oktober/November 1998 erlangten Erkenntnisse anknüpfen können.
Diese tatsächliche Würdigung des FG ist anhand der getroffenen Feststellungen möglich und damit für das Revisionsgericht bindend (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).
2. Der Streitfall wirft auch keine grundsätzliche Frage dahin auf, ob der Steueranspruch wegen der mehr als zehnjährigen Unterbrechung der Prüfung verwirkt ist. In der Rechtsprechung ist geklärt (vgl. zuletzt BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1716, m.w.N.), dass ein bloßes Untätigbleiben der Finanzbehörde in der Regel nicht ausreicht, um einen Steueranspruch als verwirkt anzusehen; denn die zeitliche Grenze für die Festsetzung eines Steueranspruchs bilden die Verjährungsvorschriften. Der Tatbestand der Verwirkung setzt neben dem bloßen Zeitmoment (zeitweilige Untätigkeit des Finanzamts) einerseits ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten voraus, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand), andererseits aber auch, dass der Steuerpflichtige tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet hat (Vertrauensfolge). Danach hat das FG zu Recht entschieden, dass die Untätigkeit der Prüferin allein kein Vertrauen der Kläger darauf begründen konnte, dass der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Außenprüfung als erledigt betrachtet, und dass besondere Umstände, die gleichwohl Verwirkung eintreten lassen könnten, nicht ersichtlich sind.
Soweit die Kläger aufgrund der außergewöhnlich langen Bearbeitungszeit mit unverhältnismäßig hohen Nachzahlungszinsen gemäß §§ 233a, 235 AO belastet sein sollten, wäre dem durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen, zumal die Länge der Prüfungsunterbrechung im Streitfall ausschließlich in den Verantwortungsbereich des FA fällt.
3. Die Revision ist auch nicht wegen des von den Klägern gerügten Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention zuzulassen. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ist diese Vorschrift für steuerrechtliche Verfahren nicht anwendbar.
4. Die Revision ist ferner nicht mit Rücksicht auf den Beschluss des FG Rheinland-Pfalz vom 17. Dezember 2010 6 V 1924/10 zuzulassen, mit dem der 6. Senat des FG Rheinland-Pfalz die Vollziehung der im Streitfall aufgrund der Fahndungsprüfung erlassenen Umsatzsteuerbescheide ausgesetzt hat. Der 6. Senat des FG Rheinland-Pfalz hat seine bei summarischer Prüfung gewonnene Auffassung vornehmlich darauf gestützt, dass für die Kläger nicht zu Beginn der Prüfung, sondern erst nach Wiederaufnahme der Prüfung über zehn Jahre später erkennbar gewesen sei, dass auch Umsatzsteuerforderungen Prüfungsgegenstand waren. Zu dem Zeitpunkt sei aber Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen. In diesem Punkt liegt der Streitfall indes anders, weil, wie das FG im Einzelnen ausgeführt hat, für die Kläger von Anfang an erkennbar war, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen wie auch die Gewinnermittlungen aus Gewerbebetrieb und aus freiberuflicher Tätigkeit Prüfungsgegenstand waren.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.