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Urteil vom 04. Dezember 2014, II R 22/13

Einbeziehung von Bauerrichtungskosten in die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage - Keine Bedenken gegen die Rechtsprechung zum einheitlichen Erwerbsgegenstand im Grunderwerbsteuerrecht

BFH II. Senat

GrEStG § 1 Abs 1 Nr 1, GrEStG § 8 Abs 1, GrEStG § 9 Abs 1 Nr 1, GG Art 3 Abs 1, GG Art 2 Abs 1, GG Art 20 Abs 3

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 19. März 2013, Az: 7 K 223/10

Leitsätze

1. NV: Der objektiv sachliche Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und weiteren Vereinbarungen wird indiziert, wenn die Veräußererseite dem Erwerber vor Abschluss des Kaufvertrags über das Grundstück ein bestimmtes Gebäude zusammen mit dem Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis angeboten hatte und der Erwerber dieses Angebot später unverändert oder mit geringen Abweichungen angenommen hat .

2. NV: Gegen die ständige Rechtsprechung zum einheitlichen Erwerbsgegenstand im Grunderwerbsteuerrecht bestehen keine unions- oder verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie steht nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung der Umsatzsteuersenate des BFH .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. März 2013  7 K 223/10, 7 K 224/10 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

  1. I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) nahmen im Jahre 2006 zwecks Erwerbs eines Einfamilienhauses Kontakt zu der A-GmbH (GmbH) auf. Die GmbH warb in ihrem Internetauftritt und in der Tagespresse mit der Errichtung von Einfamilienhäusern auf bestimmten Baugrundstücken im Neubaugebiet N in B-Stadt zu einem bestimmten Preis. Die C-KG (KG) hatte der GmbH erlaubt, u.a. das in ihrem Eigentum stehende, in dem Neubaugebiet gelegene und später von den Klägern erworbene Grundstück mit feststehendem Kaufpreis in ihr Hausangebot aufzunehmen.

  2. Am 30. Oktober 2006 schlossen die Kläger mit der GmbH einen Planungsvertrag über die künftige Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem näher bezeichneten Grundstück. Am 7. Dezember 2006 reichten die Kläger bei der Baubehörde den entsprechenden Bauantrag ein. Durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 12. Dezember 2006 erwarben die Kläger gemeinsam je zur Hälfte von der KG das Grundstück zu einem Gesamtkaufpreis in Höhe von 33.005 €. Am 14. Dezember 2006 schlossen die Kläger mit der GmbH einen Bauvertrag über die Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem erworbenen Grundstück. Als Vergütung wurde ein Festpreis in Höhe von 138.670 € einschließlich Umsatzsteuer vereinbart. Aufgrund eines Nachtrags vom 14. Dezember 2006 zu dem Bauvertrag erhöhten sich die Errichtungskosten auf 141.923,70 €.

  3. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte mit Bescheid vom 31. Mai 2007 die Grunderwerbsteuer für die Kläger auf jeweils 3.061 € fest. Dabei legte das FA eine Bemessungsgrundlage für den Erwerb des Grundstücks in Höhe von insgesamt 174.928 € zugrunde, von der aufgrund des hälftigen Miteigentumsanteils auf die Kläger jeweils 87.464 € entfielen. Die auf Herausrechnen der Bauerrichtungskosten aus der Bemessungsgrundlage gerichteten Einsprüche wies das FA mit gleichlautenden Einspruchsentscheidungen vom 29. September 2010 als unbegründet zurück.

  4. Das Finanzgericht (FG) gab den zunächst getrennt erhobenen und später zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen statt. Seiner Auffassung nach hat das FA zu Unrecht die Kosten für das nach Erwerb des unbebauten Grundstücks hergestellte Gebäude in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen. Die Rechtsprechung des für die Grunderwerbsteuer zuständigen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) zum "fiktiven einheitlichen Vertragswerk" sei abzulehnen, weil sie gegen das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG), die Einheit der Steuerrechtsordnung, das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot, den Anspruch auf den gesetzlichen Richter und gegen europäisches Gemeinschaftsrecht verstoße.

  5. Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Seiner Ansicht nach seien im Streitfall ein "einheitlicher Leistungsgegenstand" anzunehmen und die Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einzubeziehen.

  6. Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  7. Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Entgegen der Auffassung des FG sind die Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen.

  2. 1. Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs, nach dem sich gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG die als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzende Gegenleistung richtet, wird zunächst durch das den Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllende zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ergibt sich jedoch aus weiteren Vereinbarungen, die mit diesem Rechtsgeschäft in einem rechtlichen oder zumindest objektiv sachlichen Zusammenhang stehen, dass der Erwerber das beim Abschluss des Kaufvertrags unbebaute Grundstück in bebautem Zustand erhält, bezieht sich der grunderwerbsteuerrechtliche Erwerbsvorgang auf diesen einheitlichen Erwerbsgegenstand (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 28. März 2012 II R 57/10, BFHE 237, 460, BStBl II 2012, 920; vom 27. September 2012 II R 7/12, BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86; vom 19. Juni 2013 II R 3/12, BFHE 242, 173, BStBl II 2013, 965, und vom 27. November 2013 II R 56/12, BFHE 243, 415, BStBl II 2014, 534).

  3. a) Ob ein objektiv sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und weiteren Vereinbarungen besteht, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln (BFH-Urteile in BFHE 237, 460, BStBl II 2012, 920, Rz 12; in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 10, und in BFHE 242, 173, BStBl II 2013, 965, Rz 11). Der objektiv sachliche Zusammenhang wird indiziert, wenn der Veräußerer dem Erwerber vor Abschluss des Kaufvertrags über das Grundstück aufgrund einer in bautechnischer und finanzieller Hinsicht konkreten und bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung ein bestimmtes Gebäude zusammen mit dem Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis angeboten hatte und der Erwerber dieses Angebot später unverändert oder mit geringen Abweichungen, die den Charakter der Baumaßnahmen nicht verändert haben, angenommen hat (BFH-Urteile in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 10; in BFHE 242, 173, BStBl II 2013, 965, Rz 11, und vom 26. Februar 2014 II R 54/12, BFH/NV 2014, 1403, Rz 10, jeweils m.w.N.).

  4. b) Auf der Veräußererseite können dabei mehrere Personen als Vertragspartner auftreten, so dass sich die Ansprüche des Erwerbers auf Übereignung des Grundstücks und auf Errichtung des Gebäudes zivilrechtlich gegen verschiedene Personen richten. Entscheidend ist insoweit, dass (auch) der den Grundstücksübereignungsanspruch begründende Vertrag in ein Vertragsgeflecht miteinbezogen ist, das unter Berücksichtigung aller Umstände darauf gerichtet ist, dem Erwerber als einheitlichen Erwerbsgegenstand das Grundstück in bebautem Zustand zu verschaffen (BFH-Urteile vom 23. November 1994 II R 53/94, BFHE 176, 450, BStBl II 1995, 331; vom 21. September 2005 II R 49/04, BFHE 211, 530, BStBl II 2006, 269; in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 12; in BFHE 242, 173, BStBl II 2013, 965, Rz 13, und in BFH/NV 2014, 1403, Rz 11, jeweils m.w.N.).

  5. 2. Zu Unrecht geht das FG in der Vorentscheidung davon aus, die Rechtsprechung des BFH zum "einheitlichen Erwerbsgegenstand" finde im GrEStG keine Rechtsgrundlage, verstoße gegen die Einheit der Steuerrechtsordnung, gegen das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot und gegen Unionsrecht. Das Bundesverfassungsgericht ‑‑BVerfG‑‑ (Beschluss vom 27. Dezember 1991  2 BvR 72/90, BStBl II 1992, 212), der Gerichtshof der Europäischen Union (Beschluss Vollkommer, C-156/08, EU:C:2008:663) und der erkennende Senat (vgl. zuletzt Urteil in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 14, m.w.N.) haben bereits eingehend dargelegt, weshalb diese Bedenken nicht durchgreifen. Die gegen das Urteil des Senats in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86 eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 20. Mai 2013  1 BvR 2766/12).

  6. Eine Divergenz zu der Rechtsprechung des V. Senats des BFH, der für Zwecke der Umsatzsteuer unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls von einer einheitlichen Leistung ausgeht und die Umsatzsteuer durch die grunderwerbsteuerrechtliche Beurteilung des Leistungsgegenstandes nicht betroffen sieht (vgl. BFH-Urteile vom 24. Januar 2008 V R 42/05, BFHE 221, 316, BStBl II 2008, 697; vom 19. März 2009 V R 50/07, BFHE 225, 224, BStBl II 2010, 78), besteht ebenfalls nicht (BFH-Urteil in BFHE 239, 154, BStBl II 2013, 86, Rz 14).

  7. 3. Da die Vorentscheidung von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.

  8. Im Streitfall haben die GmbH und die KG den Klägern vor Erwerb des Grundstücks aufgrund einer bis zur Baureife gediehenen Vorplanung ein bestimmtes Gebäude auf einem bestimmten Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis angeboten. Die Kläger haben dieses einheitliche, auf den Erwerb des bebauten Grundstücks gerichtete Angebot angenommen.

  9. Der Annahme eines einheitlichen Angebots steht nicht entgegen, dass die Kläger das Grundstück von der KG erworben und die Bauleistungen bei der GmbH in Auftrag gegeben haben, denn die KG und die GmbH haben zusammengewirkt, um den Klägern als einheitlichen Erwerbsgegenstand das Grundstück im bebauten Zustand zu verschaffen. Die KG hat der GmbH das Grundstück an die Hand gegeben und es ihr ermöglicht, es zusammen mit der Bebauung anzubieten. Dieser Umstand war Voraussetzung dafür, dass die Kläger, die zunächst nur zur GmbH Kontakt hatten, diese am 30. Oktober 2006 mit der Planung des Bauvorhabens auf dem später erworbenen Grundstück beauftragen und am 7. Dezember 2006 einen entsprechenden Bauantrag zur Errichtung des Gebäudes auf diesem Grundstück stellen konnten. Erst danach haben sie mit einem Abstand von zwei Tagen zunächst das Grundstück von der KG erworben und sodann den Bauvertrag einschließlich des Nachtrags mit der GmbH geschlossen. Angesichts dieser Umstände, insbesondere des engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen Vorplanungsvertrag, Grundstückkaufvertrag und Bauvertrag, wäre es lebensfremd anzunehmen, dass die Kläger den Kaufvertrag ohne konkretes Angebot zur Bebauung des Grundstücks geschlossen haben oder die GmbH lediglich die Möglichkeit eines Grundstückserwerbs vermittelt hat.

  10. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO.

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