BFH IX. Senat
AO § 173 Abs 1 Nr 2, EStG § 17 Abs 4, EStG § 10d, EStG VZ 2007
vorgehend FG Münster, 22. Januar 2014, Az: 8 K 2198/11 F
Leitsätze
1. Der Begriff des Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist bei elektronisch gefertigten Steuererklärungen in gleicher Weise auszulegen wie bei schriftlich gefertigten Erklärungen .
2. Das schlichte Vergessen des Übertrags selbst ermittelter Besteuerungsgrundlagen in die entsprechende Anlage zur Einkommensteuererklärung ist nicht grundsätzlich grob fahrlässig i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO .
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 23. Januar 2014 8 K 2198/11 F aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) es zu Recht abgelehnt hat, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007 nach § 173 der Abgabenordnung (AO) zu ändern und dabei einen vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) nachträglich geltend gemachten Verlust i.S. des § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen.
Der Kläger war mit zuletzt 75 % am Stammkapital der 1988 gegründeten P-GmbH beteiligt. Im Jahr 1999 wurde die P-GmbH aufgelöst und der Kläger zum alleinvertretungsberechtigten Liquidator bestellt. Nach Durchführung der Liquidation wurde die P-GmbH im Streitjahr 2007 aus dem Handelsregister gelöscht; der Verlust des Klägers aus der Auflösung der P-GmbH betrug 209.195 €. Unter dem 9. März 2009 übersandte der Kläger seinem steuerlichen Berater ‑‑welcher auch für die steuerlichen Angelegenheiten der P-GmbH zuständig war‑‑ eine E-Mail, in der er u.a. auf die für ihn noch ungeklärte Frage einer zeitlich zutreffenden steuerrechtlichen Berücksichtigung des Auflösungsverlusts hinwies.
Die von dem steuerlichen Berater gefertigten und im April 2009 bei dem FA eingereichten Erklärungen des Klägers zur Einkommensteuer und zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages enthielten für das Streitjahr 2007 Angaben zu Einkünften aus selbständiger Arbeit, aus Gewerbebetrieb betreffend eine Beteiligung an der X GmbH & Co. KG, aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung. Angaben zu einem Verlust aus der Auflösung der P-GmbH enthielten die Erklärungen demgegenüber nicht. Nach den in diesem Zusammenhang zum Geschehensablauf getroffenen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) lagen dem steuerlichen Berater des Klägers zwar alle Fakten vor, aus denen sich ergab, dass der entstandene Auflösungsverlust im Jahr 2007 zu erfassen war. Er war im Rahmen der Erstellung der Einkommensteuererklärung auch zu dem Ergebnis gekommen, dass der geltend gemachte Auflösungsverlust im Streitjahr zu erfassen war, hatte den Verlust persönlich berechnet und beabsichtigte, ihn in den Erklärungsvordruck einzutragen. Allerdings hatte der steuerliche Berater des Klägers es "schlicht vergessen", den errechneten Verlust in das von ihm genutzte elektronische DATEV-Formular zu übertragen.
Unter dem 12. Juni 2009 erließ das FA einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem es den Angaben des Klägers in seiner Einkommensteuererklärung folgte und die Einkommensteuer auf 0 € festsetzte. Gleichzeitig erließ das FA einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007, in dem die Besteuerungsgrundlagen aus dem Einkommensteuerbescheid berücksichtigt wurden. Der verbleibende Verlustvortrag wurde auf 2.673.816 € festgestellt. Unter dem 14. Mai 2010 erließ das FA Änderungsbescheide betreffend die Einkommensteuer 2007 und den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007. Die Änderungsbescheide sind formell bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2011 beantragte der Kläger erstmals, den geänderten Verlustfeststellungsbescheid vom 14. Mai 2010 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dahin zu ändern, dass ein Verlust i.S. des § 17 Abs. 4 EStG aus der Auflösung der P-GmbH in Höhe von 209.195 € berücksichtigt wird. Das FA lehnte den Antrag unter dem 26. Januar 2011 ab; es ging davon aus, dass die Nichtberücksichtigung des Verlustes in den ursprünglichen, bestandskräftigen Bescheiden auf einem groben Verschulden des Klägers beruhe. Dabei könne offenbleiben, ob der Steuerpflichtige selbst grob schuldhaft gehandelt habe oder ob ein grobes Verschulden des ihn und die GmbH betreuenden steuerlichen Beraters vorliege, welches dem Steuerpflichtigen zuzurechnen sei.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG ging in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1748 veröffentlichten Entscheidung zwar davon aus, dass den Kläger selbst kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden des Auflösungsverlusts treffe. Der Kläger müsse sich jedoch ein grobes Verschulden seines steuerlichen Beraters zurechnen lassen. Diesem hätten alle Fakten vorgelegen, aus denen sich ergab, dass der entstandene Auflösungsverlust im Streitjahr steuerlich zu berücksichtigen war. Der steuerliche Berater sei auch im Rahmen der Erstellung der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr zu dem Ergebnis gekommen, dass der Verlust in diesem Jahr zu erfassen sei; dieser habe daher den entsprechenden Verlustbetrag berechnet und beabsichtigt, ihn in den (elektronischen) DATEV-Erklärungsvordruck einzutragen. Der Umstand, dass der steuerliche Berater es versäumt habe, die Übertragung des bereits berechneten Verlustbetrags in den Vordruck vorzunehmen, stelle ein die Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausschließendes Verschulden dar, da "das schlichte Vergessen des Eintragens des bei der Prüfung festgestellten Verlustbetrages in die entsprechende Anlage GSE zur Einkommensteuererklärung grundsätzlich ‑‑wenn nicht ganz besondere Umstände vorlägen, die den Steuerberater vom Eintragen abgehalten haben könnten‑‑ grob fahrlässig" sei. Solche besonderen Umstände seien indes nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich.
Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass ein "schlichtes Vergessen" der Eintragung durch den steuerlichen Berater lediglich den Tatbestand der leichten Fahrlässigkeit, nicht aber den der groben Fahrlässigkeit erfüllen könne. Denn Voraussetzung für die Annahme einer groben Fahrlässigkeit sei, dass der Steuerpflichtige die ihm zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt habe. Im Streitfall sei der zu beurteilende Übertragungsfehler weder ungewöhnlich noch unentschuldbar; ein vergleichbares Fehlverhalten auf Seiten der Finanzbehörde führe regelmäßig zu einer Berichtigung nach § 129 AO.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil des FG vom 23. Januar 2014 8 K 2198/11 F sowie den Bescheid des FA vom 26. Januar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Mai 2011 aufzuheben und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007 dahin zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag auf 2.882.143 € festgestellt wird.Ferner beantragt der Kläger, die Hinzuziehung eines Vertreters für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Das FA geht davon aus, dass die Änderungsvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO im Streitfall nicht vorliegen und mithin die Klage zu Recht abgewiesen wurde.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Nach den bisherigen Feststellungen des FG kann nicht abschließend entschieden werden, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO für eine Änderung des bestandskräftigen Bescheides über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2007 vorliegen oder nicht.
1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Im Streitfall sind mit dem Verlust aus der Auflösung der P-GmbH Tatsachen nachträglich bekannt geworden, die zu einem höheren Verlustvortrag und mithin zu einer niedrigeren Steuer führen. Allein streitig ist, ob den Kläger am nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsachen ein grobes Verschulden trifft.
a) Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 9. November 2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545; vom 16. Mai 2013 III R 12/12, BFHE 241, 226, m.w.N.). Nach der Rechtsprechung hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters, dessen er sich zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient, bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten; dabei werden an einen solchen Berater erhöhte Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich der von diesem zu erwartenden Kenntnis und sachgemäßen Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften gestellt (z.B. BFH-Urteile vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324; vom 28. Juni 1983 VIII R 37/81, BFHE 139, 8, BStBl II 1984, 2; vom 9. Mai 2012 I R 73/10, BFHE 238, 1, BStBl II 2013, 566; Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl., § 173 Rz 126). Der Begriff des Verschuldens i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist bei elektronisch gefertigten Steuererklärungen in gleicher Weise auszulegen wie bei schriftlich gefertigten Erklärungen. Allerdings sind Besonderheiten der elektronischen Steuererklärung hinsichtlich ihrer Übersichtlichkeit bei der Beurteilung des individuellen Verschuldens ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass am Computerbildschirm ein Überblick über die ausfüllbaren Felder der elektronischen Steuererklärung mitunter schwieriger zu erlangen ist, als in einer Steuererklärung in Papierform (vgl. BFH-Urteile vom 20. März 2013 VI R 9/12, BFHE 240, 507; vom 18. März 2014 X R 8/11, BFH/NV 2014, 1347, und in BFHE 241, 226).
Grob fahrlässiges Handeln nimmt die Rechtsprechung insbesondere dann an, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt. Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 4. Februar 1993 III R 78/91, BFH/NV 1993, 641; vom 23. Oktober 2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441; vom 20. März 2013 VI R 5/11, BFHE 240, 504; in BFHE 241, 226, und in BFH/NV 2014, 1347). Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige ‑‑auch wenn ihm steuerrechtliche Kenntnisse fehlen‑‑ andererseits nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage bewusst nicht beantwortet (so ausdrücklich BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65).
b) Demgegenüber stellen Fehler und Nachlässigkeiten, die üblicherweise vorkommen und mit denen immer gerechnet werden muss, keine grobe Fahrlässigkeit dar; insbesondere bei unbewussten ‑‑mechanischen‑‑ Fehlern, die selbst bei sorgfältiger Arbeit nicht zu vermeiden sind, kann grobe Fahrlässigkeit ‑‑nicht stets, aber im Einzelfall‑‑ ausgeschlossen sein (so ausdrücklich BFH-Urteil vom 13. September 1990 V R 110/85, BFHE 162, 488, BStBl II 1991, 124, zur Nichtberücksichtigung von Vorsteuerbeträgen aus einer Voranmeldung; s. auch Sächsisches FG, Urteil vom 5. Mai 2010 8 K 553/05, juris, zur irrtümlich unterlassenen Umrechnung von DM in € als mechanischen Fehler; FG Köln, Urteil vom 7. August 2002 11 K 406/02, EFG 2003, 209, zur fehlenden Angabe der Geburt des vierten Kindes; FG Köln, Urteil vom 5. September 1991 7 K 4769/90, EFG 1992, 171, zur versehentlichen Nichtangabe einer als Werbungskosten abziehbaren Vorauszahlung). Nicht als grobes Verschulden anzusehen ist es etwa, wenn der Steuerpflichtige grundsätzlich um die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit von Aufwendungen weiß, die Eintragung im Steuererklärungsformular aber aufgrund eines bloßen ‑‑mechanischen‑‑ Versehens unter erschwerten Arbeitsbedingungen unterbleibt (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. August 2011 3 K 2674/10, EFG 2012, 15, zu unterbliebenen Eintragungen in einem elektronischen Formular).
Dies bedeutet andererseits nicht, dass jeder "mechanische Fehler" i.S. des § 129 AO auch i.S. des § 173 AO "entschuldbar" ist; denn die Änderungsnorm des § 173 AO geht von anderen Tatbestandsvoraussetzungen aus als die (vom Verschulden der Finanzbehörde unabhängige) Berichtigungsnorm des § 129 AO (so zutreffend Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 113; s. auch BFH-Urteil in BFHE 162, 488, BStBl II 1991, 124).
c) Anhaltspunkte, die auf ein grobes Verschulden des Steuerpflichtigen hindeuten, sind von der Finanzbehörde darzulegen und ggf. zu beweisen. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Fehler des Steuerpflichtigen im Regelfall auf einem Versehen, also auf leichter Fahrlässigkeit, beruhen; verbleibende Zweifel hieran gehen daher zu Lasten der Behörde, die insoweit die Feststellungslast trägt (BFH-Urteil vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80; FG Köln in EFG 2003, 209; FG Düsseldorf, Urteil vom 22. April 2009 7 K 1951/07 F, EFG 2011, 19; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Oktober 1996 14 K 95/92, EFG 1997, 112; Loose in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 85).
d) Ob ein Beteiligter grob fahrlässig gehandelt hat, ist im wesentlichen Tatfrage. Allerdings muss der Tatbestand des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung einer konkreten Prüfung unterzogen werden, die eine Differenzierung zwischen einfachem Pflichtverstoß ‑‑als Ausdruck leichter Fahrlässigkeit‑‑ und schwerem Pflichtverstoß ‑‑als Ausdruck grober Fahrlässigkeit‑‑ hinreichend deutlich erkennen lässt (v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 173 AO Rz 295; s. ferner Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 AO Rz 78). Hierzu sind tatrichterliche Feststellungen hinsichtlich eines individuellen Verschuldens des Steuerpflichtigen erforderlich; denn es gilt der subjektive Verschuldensbegriff (s. BFH-Urteile in BFHE 240, 507; vom 19. Dezember 2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866; in BFH/NV 2003, 441; v. Groll in HHSp, § 173 AO Rz 275; v. Wedelstädt in Beermann/Gosch, § 173 AO Rz 86; Anwendungserlass zur Abgabenordnung 2014 ‑‑AEAO‑‑ Nr. 5.1 zu § 173). Ein dahin gehendes individuelles Fehlverhalten kann sich indes nicht allein schon aus äußeren Fallumständen ‑‑wie dies das FG etwa in der fehlenden Komplexität des Steuerfalles gesehen hat‑‑ ergeben. Derartigen äußeren Umständen ‑‑wozu etwa auch ein irreführendes Verhalten der Behörde zählen kann‑‑ wird allenfalls eine einzelfallbezogene Bedeutung für das Maß des Verschuldens des Steuerpflichtigen zuzumessen sein (vgl. BFH-Urteil vom 5. Dezember 1990 I R 21/88, BFH/NV 1991, 785; AEAO Nr. 5.1.4 zu § 173). Dies bedeutet andererseits aber nicht, dass es insoweit auf das individuelle ‑‑schuldhafte‑‑ Verhalten des Steuerpflichtigen oder seines Beraters nicht mehr ankommen kann (und mithin Feststellungen hierzu entbehrlich wären).
Hat das FG die im Einzelfall maßgeblichen Feststellungen getroffen und darauf eine rechtliche Würdigung gegründet, kann dies ‑‑abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen‑‑ von der Revisionsinstanz nur darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 20. November 2008 III R 107/06, BFH/NV 2009, 545, und in BFHE 241, 226, m.w.N.).
2. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil es diesen Grundsätzen nicht in vollem Umfang entspricht.
a) Zwar hat das FG rechtsfehlerfrei ein eigenes grobes Verschulden des Klägers verneint. Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und daher das Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG hat der Kläger seine Sorgfaltspflichten im ausreichenden Maße erfüllt und das Seine dazu beigetragen, dass der maßgebliche Verlust in den später von ihm unterschriebenen Erklärungen zur Einkommensteuer und zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 2007 hätte berücksichtigt werden können. Insbesondere kann dem Kläger auch kein grobes Verschulden bei der Unterzeichnung der von seinem steuerlichen Berater vorausgefüllten Steuererklärung angelastet werden.
b) Die vom FG vorgenommene Gesamtwürdigung, wonach den steuerlichen Berater des Klägers ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden des Auflösungsverlusts trifft, welches sich der Kläger zurechnen lassen muss, wird indes von den Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils nicht getragen.
aa) Nach den insoweit getroffenen tatrichterlichen Feststellungen bestand die Nachlässigkeit, die dazu geführt hat, dass der bei der Prüfung festgestellte Verlustbetrag nicht in die entsprechende Anlage GSE zur Einkommensteuererklärung eingetragen wurde, lediglich darin, dass der steuerliche Berater des Klägers es ‑‑so das FG‑‑ "schlicht vergessen" habe, den errechneten Verlust in das elektronische Formular zu übertragen. Das im Streitfall maßgebliche Versäumnis stellt einen unbewussten ‑‑rein mechanischen‑‑ Fehler dar, der jederzeit bei der Verwendung eines Steuerprogramms unterlaufen kann, welches den Finanzämtern die mechanische Erfassungsarbeit von Steuererklärungsdaten abnimmt und auf die Steuerpflichtigen verlagert. Solche bloßen Übertragungs- oder Eingabefehler zählen zu den Nachlässigkeiten, die üblicherweise vorkommen und mit denen immer gerechnet werden muss; sie sind nicht als grob fahrlässig zu werten, wenn sie selbst bei sorgfältiger Arbeit nicht zu vermeiden sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 162, 488, BStBl II 1991, 124). Denn nach der Rechtsprechung des BFH ist in einem solchen Zusammenhang nicht grundsätzlich, wie das FG annimmt, sondern eben nur dann von einer groben Fahrlässigkeit auszugehen, wenn der Steuerpflichtige bzw. sein steuerlicher Berater in Steuerformularen gestellte Fragen ‑‑bewusst‑‑ nicht beantwortet oder klare und ausreichend verständliche Hinweise und Angaben ‑‑bewusst‑‑ unbeachtet lässt (so BFH-Urteil in BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65); im letztgenannten Fall wird sich der Steuerpflichtige indes nicht wegen eines bei der Anfertigung der Erklärung unterlaufenen Eingabefehlers, sondern wegen einer vorangegangenen Verletzung steuerlicher Pflichten den Vorwurf grober Fahrlässigkeit gefallen lassen müssen (so auch AEAO Nr. 5.1.1 zu § 173).
bb) Im Streitfall hat das FG weder ein bewusstes Außerachtlassen entsprechender Angaben noch einen Verstoß des steuerlichen Beraters gegen die an ihn zu stellenden erhöhten Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich der Kenntnis und sachgemäßen Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften noch andere objektive Umstände festgestellt, die zweifelsfrei ein individuelles grobes Verschulden des steuerlichen Beraters nahelegen; verbleiben aber Zweifel, ob ein Fehlverhalten als "grob fahrlässig" i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen ist, gehen diese zu Lasten der Behörde.
cc) Der Senat weist in diesem Zusammenhang ergänzend darauf hin, dass auch die ‑‑im Urteil des FG erkennbar nur hilfsweise vorgenommene‑‑ Würdigung, wonach den steuerlichen Berater des Klägers auch deshalb ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden des Auflösungsverlusts treffe, weil er vor Weiterleitung der Einkommensteuererklärung an seinen Mandanten nicht nochmals auf Fehler bzw. auf fehlende Angaben durchgegangen sei, durch keinerlei tatsächliche Feststellungen zu einem individuellen Fehlverhalten unterlegt ist.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen nicht selbst beurteilen, ob den steuerlichen Berater des Klägers ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden des Auflösungsverlusts trifft.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
5. Der Antrag der Kläger, die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, ist im Revisionsverfahren unzulässig. Die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren. Zuständig ist deshalb das FG als Gericht des ersten Rechtszugs (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 19. Februar 2013 IX R 7/10, BFHE 240, 258, BStBl II 2013, 436, m.w.N.).