BFH VI. Senat
AO § 207 Abs 2, EStG § 42e, FGO § 69 Abs 2 S 2, FGO § 69 Abs 3 S 1, FGO § 128 Abs 3, FGO § 129 Abs 1
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 10. August 2014, Az: 8 V 8135/14
Leitsätze
1. Der Widerruf einer dem Arbeitgeber erteilten Lohnsteueranrufungsauskunft (§ 42e EStG) ist ein feststellender, aber nicht vollziehbarer Verwaltungsakt (Anschluss an Senatsurteil vom 30. April 2009 VI R 54/07, BFHE 225, 50, BStBl II 2010, 996).
2. Ein Antrag auf AdV nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist deshalb nicht statthaft.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. August 2014 8 V 8135/14 aufgehoben.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom 16. Juni 2014 wird abgelehnt.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) beschäftigt in seiner Kanzlei mehrere Rechtsanwälte und bezahlt für diese Beiträge an den Deutschen Anwaltsverein (DAV). Auf Antrag des Antragstellers erteilte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) am 7. Januar 2010 die Auskunft nach § 42e des Einkommensteuergesetzes (EStG), dass diese Zahlungen nicht als Sachbezug zu versteuern seien. Im Zeitraum Mai 2012 bis Juni 2013 fand beim Antragsteller eine Lohnsteuer-Außenprüfung statt, die zu dem von der erteilten Auskunft abweichenden Ergebnis führte, dass die Beiträge an den DAV als Werbungskostenersatz steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellen. Dabei berief sich die Prüferin auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Februar 2009 VI R 32/08 (BFHE 224, 314, BStBl II 2009, 462). Mit Bescheid vom 24. März 2013 widerrief das FA daraufhin die Anrufungsauskunft vom 7. Januar 2010 mit der Begründung, dass die Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung zu einer neuen rechtlichen Würdigung des Sachverhalts geführt hätten.
Gegen den Widerruf der Auskunft legte der Antragsteller Einspruch ein und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Das FA lehnte mit Bescheid vom 16. August 2013 den Antrag auf AdV mit dem Hinweis ab, der Widerruf der Anrufungsauskunft sei kein vollziehbarer Verwaltungsakt.
Der Einspruch gegen den Widerruf der Auskunft blieb erfolglos. Das FA leitete seine Widerrufsbefugnis aus § 207 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) analog ab und begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Widerruf eine Ermessensentscheidung sei, bei der das Vertrauen in den Bestand der erteilten Auskunft und das Gebot der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung gegeneinander abzuwägen seien. Die Anrufungsauskunft verstoße gegen materielles Recht und sei deshalb rechtswidrig. Daher müsse die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Antragstellers in den Bestand der erteilten Auskunft zurücktreten, zumal der Antragsteller infolge der Zusage keine Dispositionen getroffen habe, von denen er sich nicht lösen könne.
Daraufhin erhob der Antragsteller Klage zum Finanzgericht (FG) und beantragte zugleich AdV.
Das FG gab dem Antrag auf AdV gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Beschluss vom 11. August 2014 8 V 8135/14 statt und begründete dies im Wesentlichen wie folgt: Der Antrag sei statthaft, insbesondere sei der Widerruf der Anrufungsauskunft ein vollziehbarer Verwaltungsakt i.S. des § 69 Abs. 2 FGO, da dem Antragsteller durch den Widerruf eine Rechtsposition (Vertrauensschutz für eine bestimmte Vorgehensweise beim Lohnsteuerabzug) entzogen würde. Der Antrag sei auch begründet. Es sei ernstlich zweifelhaft, ob der Widerruf der Anrufungsauskunft rechtmäßig sei. Das FA treffe im Rahmen des § 207 Abs. 2 AO analog eine Ermessensentscheidung, die eine gründliche Prüfung der "richtigen" Rechtslage voraussetze. Die Aufhebungsentscheidung enthalte keine solche Prüfung. Insbesondere lasse diese eine Gesamtabwägung in Bezug auf den konkreten Einzelfall vermissen.
Hiergegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Beschwerde. Es beantragt, den AdV-Beschluss des FG vom 11. August 2014 8 V 8135/14 aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Das FG half der Beschwerde nicht ab (Beschluss vom 3. September 2014 8 V 8135/14).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des FG über die AdV nach § 69 Abs. 3 FGO ist statthaft, da sie vom FG ausdrücklich zugelassen wurde (§ 128 Abs. 3 Satz 1 FGO). Sie wurde form- und fristgerecht i.S. des § 129 Abs. 1 FGO beim FG eingelegt.
2. Sie ist auch begründet. Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird der Antrag auf AdV hinsichtlich des Widerrufs der Anrufungsauskunft als unzulässig abgelehnt, da dieser nicht statthaft ist.
a) Das Gericht der Hauptsache kann nach § 69 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz FGO auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz, Abs. 2 Satz 2 FGO soll dies erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Die Statthaftigkeit eines Antrags auf AdV setzt dabei voraus, dass der im Hauptsacheverfahren angefochtene Verwaltungsakt vollziehbar ist (Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 220).
b) Der Widerruf der Anrufungsauskunft nach § 42e EStG ist nicht vollziehbar.
Die Lohnsteueranrufungsauskunft nach § 42e EStG trifft lediglich eine Regelung dahin, wie die Finanzbehörde den vom Antragsteller dargestellten typischerweise hypothetischen Sachverhalt im Hinblick auf die Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug gegenwärtig beurteilt (Senatsurteile vom 27. Februar 2014 VI R 23/13, BFHE 244, 572, BStBl II 2014, 894, und vom 7. Mai 2014 VI R 28/13, BFH/NV 2014, 1734). Demgemäß erschöpft sich der Inhalt des Widerrufs einer Lohnsteueranrufungsauskunft darin, dass das FA mitteilt, von nun an eine andere Auffassung als bisher zu vertreten. Die Wirkung eines Widerrufs einer Lohnsteueranrufungsauskunft geht damit nicht über die Negation des zuvor Erklärten hinaus. Vollziehbar sind jedoch nur solche Verwaltungsakte, deren Wirkung sich nicht auf eine reine Negation beschränkt (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Juli 2009 VII S 22/09, BFH/NV 2009, 1599). Ein Antrag auf AdV ist daher nicht statthaft.
3. Der Antragsteller trägt die Kosten des gesamten Verfahrens (§§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 143 Rz 3, 22; Gräber/Ruban, a.a.O., § 132 Rz 13).