BFH VI. Senat
EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 5, EStG VZ 2008
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 24. September 2013, Az: 2 K 2038/11
Leitsätze
1. Ob die außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen .
2. Das gilt auch dann, wenn beiderseits berufstätige Ehegatten/Lebenspartner/Lebensgefährten während der Woche (und damit den weitaus überwiegenden Teil des Jahres) am Beschäftigungsort zusammenleben. Denn dieser Umstand allein rechtfertigt es nicht, dort den Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen und seiner (Haupt) Bezugsperson zu verorten .
3. In der Regel verlagert sich indes der Mittelpunkt der Lebensinteressen eines Arbeitnehmers an den Beschäftigungsort, wenn er dort mit seinem Ehegatten/Lebenspartner/Lebensgefährten in eine familiengerechte Wohnung einzieht, auch wenn die frühere Wohnung beibehalten und zeitweise noch genutzt wird .
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob Aufwendungen im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen sind.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sie war vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2008 bei der A GmbH in B und vom 1. Juli 2008 bis zum 31. Dezember 2008 bei der C GmbH in D jeweils in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis beschäftigt.
Die Klägerin bewohnte im Streitjahr zunächst mit ihrem Lebensgefährten, der ebenfalls im E-Gebiet arbeitete, eine 70,35 qm große Wohnung in F. Diese Wohnung war von der Klägerin auch schon in den Vorjahren zu Wohnzwecken genutzt worden. Im November 2008 mieteten die Klägerin und ihr Lebensgefährte eine Vierzimmerwohnung mit 156 qm Wohnfläche in G.
In H, dem Heimatort der Klägerin, stand ihr und ihrem Lebensgefährten zudem eine 2,5 Zimmer-Wohnung mit 72 qm Wohnfläche zur Verfügung, die den Eltern des Lebensgefährten der Klägerin gehört. Die Klägerin hat im Streitjahr 22 Fahrten nach H unternommen.
Die Klägerin hat im Streitjahr 2008 im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung in Höhe von 9.307 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend gemacht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) hat in dem Einkommensteuerbescheid für 2008 die geltend gemachten Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung steuerlich nicht anerkannt. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Der Umstand, dass sich die Klägerin im Streitjahr den weitaus überwiegenden Teil des Jahres nicht allein, sondern zusammen mit ihrem Lebensgefährten und damit ihrer Hauptbezugsperson am Beschäftigungsort aufgehalten habe, führe zwangsläufig dazu, dass dort und nicht am Heimatort auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin zu verorten sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sie beantragt,
das Urteil des Hessischen FG vom 25. September 2013 2 K 2038/11 und die Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2011 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 18. Februar 2010 dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung in Höhe von 9.307 € als Werbungskosten berücksichtigt werden.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung).
1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.
a) Zwischen dem Wohnen in einer Zweitwohnung am Beschäftigungsort und dem Unterhalten eines eigenen Hausstandes außerhalb dieses Ortes ist zu unterscheiden. Mit dem "Hausstand" ist der Ersthaushalt (Hauptwohnung) umschrieben, an dem sich der Arbeitnehmer ‑‑abgesehen von den Zeiten der Arbeitstätigkeit und ggf. Urlaubsfahrten‑‑ regelmäßig aufhält, den er fortwährend nutzt und von dem aus er sein Privatleben führt, also seinen Lebensmittelpunkt hat. Das Vorhalten einer Wohnung außerhalb des Beschäftigungsortes für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist dagegen nicht als Unterhalten eines Hausstandes zu werten (Senatsurteil vom 16. Januar 2013 VI R 46/12, BFHE 240, 241, BStBl II 2013, 627, m.w.N.). Denn eine doppelte Haushaltsführung ist nicht gegeben, wenn der Beschäftigungsort der Lebensmittelpunkt ist.
b) Ob die außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteile vom 22. Februar 2001 VI R 192/97, BFH/NV 2001, 1111; vom 9. August 2007 VI R 10/06, BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820, und vom 28. März 2012 VI R 87/10, BFHE 236, 553, BStBl II 2012, 800; jeweils m.w.N.).
c) Das gilt auch, wenn beiderseits berufstätige Ehegatten/Lebenspartner/Lebensgefährten während der Woche (und damit den weitaus überwiegenden Teil des Jahres) am Beschäftigungsort zusammenleben. Denn dieser Umstand allein rechtfertigt es nicht, dort den Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen und seiner (Haupt)Bezugsperson zu verorten (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juli 2008 VI B 4/08, BFH/NV 2008, 2000, m.w.N.). Vielmehr sind auch in einem solchen Fall zum Auffinden des Mittelpunkts der Lebensinteressen die Gesamtumstände des Einzelfalls in den Blick zu nehmen (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1994 VI R 136/89, BFHE 175, 548, BStBl II 1995, 184).
2. Die Entscheidung des FG entspricht diesen Grundsätzen nicht. Denn die Vorinstanz hat den Lebensmittelpunkt der Klägerin allein wegen des Umstands, dass sie sich den weitaus überwiegenden Teil des Jahres nicht allein, sondern mit ihrem Lebensgefährten in der gemeinsamen Wohnung am Beschäftigungsort aufhielt, ("zwangsläufig") dort und nicht in H verortet.
3. Die Sache ist jedoch nicht entscheidungsreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die entsprechenden Feststellungen zum Lebensmittelpunkt der Klägerin nachzuholen und alle Umstände des Einzelfalles, die sich aus einer Zusammenschau mehrerer Einzeltatsachen ergeben (u.a. persönliche Verhältnisse des Steuerpflichtigen, Ausstattung und Größe der Wohnungen, Art und Intensität der sozialen Kontakte, Vereinszugehörigkeiten und andere private Aktivitäten und Unternehmungen), zu würdigen haben. Indizien können weiter sein, wie oft und wie lange sich der Arbeitnehmer in der einen und der anderen Wohnung aufhält, sofern der Aufenthalt dem Unterhalten des Ersthaushalts und dem dort geführten Privatleben dient und sich nicht lediglich in Familienbesuchen erschöpft. Denn auch eine Vielzahl von Besuchsfahrten, selbst wenn sie der Fürsorge gegenüber einem kranken Familienmitglied wegen unternommen werden, rechtfertigt es nicht, den Besuchsort als Lebensmittelpunkt des Besuchers anzusehen.
Im Übrigen weist der Senat auf Folgendes hin: Bei einem verheirateten Arbeitnehmer liegt der Mittelpunkt der Lebensinteressen grundsätzlich an dem Ort, an dem sein Ehepartner und ‑‑wenn auch nicht notwendigerweise‑‑ auch seine minderjährigen Kinder wohnen (Senatsurteil vom 29. November 1974 VI R 77/73, BFHE 115, 23, BStBl II 1975, 459). Gelegentliche Besuche des Ehepartners am Beschäftigungsort des Arbeitnehmers sowie das Zusammenleben berufstätiger Ehegatten an dem Beschäftigungsort während der Woche führen dabei für sich genommen noch nicht zu einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes (Senatsurteile in BFHE 175, 548, BStBl II 1995, 184, und vom 6. Oktober 1994 VI R 55/93, BFH/NV 1995, 585). Dagegen verlagert sich in der Regel der Mittelpunkt der Lebensinteressen an den Beschäftigungsort, wenn der Arbeitnehmer dort mit seinem Ehepartner in eine familiengerechte Wohnung einzieht, auch wenn die frühere Familienwohnung beibehalten und zeitweise noch genutzt wird (vgl. Senatsurteile in BFHE 175, 548, BStBl II 1995, 184; vom 2. Oktober 1987 VI R 149/84, BFHE 151, 78, BStBl II 1987, 852; vom 21. November 1985 VI R 121/83, BFH/NV 1986, 339; in BFHE 115, 23, BStBl II 1975, 459; vom 21. Januar 1972 VI R 95/71, BFHE 104, 193, BStBl II 1972, 262). Diese Regelvermutung ist der Lebenswirklichkeit geschuldet und gilt deshalb nicht nur bei Eheleuten, sondern nach Auffassung des Senats gleichermaßen bei verpartnerten wie nichtverpartnerten und unverheirateten Lebensgefährten.
Sollte das FG zu der Würdigung gelangen, dass eine doppelte Haushaltsführung vorliegt, wird das FG auch zu prüfen haben, in welcher Höhe die Klägerin die Aufwendungen der doppelten Haushaltsführung (Mietkosten) selbst getragen hat und in welcher Höhe diese angesichts der Begrenzung auf einen durchschnittlichen Mietzins einer 60 qm Wohnung als Werbungskosten zu berücksichtigen sind (Senatsurteil vom 28. März 2012 VI R 25/11, BFHE 237, 429, BStBl II 2012, 831, m.w.N).
4. Der Senat muss nicht entscheiden, ob dem FG die von der Klägerin gerügten Verfahrensfehler unterlaufen sind, nachdem die Revision schon aus anderen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung führt (Senatsurteil vom 21. Januar 2010 VI R 51/08, BFHE 228, 85, BStBl II 2010, 700; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 73).