BFH VII. Senat
AO § 37 Abs 2, AO § 218 Abs 2, InsO §§ 129ff, InsO § 143 Abs 1, InsO § 144 Abs 1, InsO § 129
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 15. Oktober 2012, Az: 6 K 721/10
Leitsätze
NV: Im Verhältnis zwischen insolventer Organgesellschaft, Organträger und Finanzamt liegt ein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, wenn der Organträger einen Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch geltend macht, obwohl das Finanzamt den entsprechenden Betrag bereits wegen einer (vermeintlichen) Anfechtung in die Insolvenzmasse der Organgesellschaft gezahlt hat und ohne die Anfechtung eine Verpflichtung des Organträgers zur Weiterleitung des Betrags an die Organgesellschaft bestanden hätte.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war umsatzsteuerliche Organträgerin der A-GmbH. Herr D handelte sowohl bei der Komplementärin der Klägerin als auch bei der A-GmbH als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) vollstreckte im Jahr 2002 Steuern, welche die Klägerin aus Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden für das Jahr 2002 schuldete. Vom 7. Mai 2002 bis zum 3. Juni 2002 suchte hierfür eine Vollziehungsbeamtin mehrmals die gemeinsamen Geschäftsräume der Klägerin und der A-GmbH auf. Dort erhielt sie von Herrn D Zahlungen in Höhe von insgesamt 40.424,82 €, und zwar fünf Schecks in Höhe von 12.735 €, welche die A-GmbH von ihren Kunden erhalten hatte, und 27.689,82 € aus der Barkasse der A-GmbH.
Am 5. September 2002 eröffnete das Amtsgericht … das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A-GmbH.
Auf die entsprechende Forderung des Insolvenzverwalters, der sich auf die Anfechtbarkeit einer inkongruenten Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 145 Abs. 2 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) und hilfsweise auf die Anfechtbarkeit einer kongruenten Deckung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 145 Abs. 2 Nr. 1 InsO berief, zahlte das FA die zuvor erhaltenen 40.424,82 € in zwei Teilbeträgen in die Insolvenzmasse zurück.
Im April 2004 reichte die Klägerin für das Jahr 2002 eine Umsatzsteuerjahreserklärung ein, aus der sich gegenüber der vorangemeldeten Umsatzsteuer in Höhe von 49.193,95 € nur noch eine Umsatzsteuer in Höhe von 5.425,63 € ergab. Das FA stimmte der Steuererklärung im Juni 2004 zu. Daraufhin erhob die Klägerin beim Landgericht … Klage gegen das Land … auf Rückzahlung der zuvor schon an die Insolvenzmasse zurückgezahlten 40.424,82 €. Das Landgericht … (LG), an das der Rechtsstreit verwiesen worden war, gab der Klage statt.
Auf die Berufung des Landes … hob das Oberlandesgericht … das Urteil des LG auf und verwies den Rechtsstreit an das Hessische Finanzgericht (FG), bei dem es unter dem Az. 6 K 1786/09 geführt wird. Dieses Verfahren ruht bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im hiesigen Verfahren, in dem es um den nach § 218 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) erlassenen Abrechnungsbescheid vom 20. Oktober 2009 geht. In diesem Abrechnungsbescheid stellte das FA im Hinblick auf die Umsatzsteuer 2002 lediglich Zahlungen der Klägerin in Höhe von 7.368,90 € fest. Dabei ging das FA ausführlich auf die gezahlten und später der Insolvenzmasse zurückgezahlten 40.424,82 € ein. Wegen der Rückzahlung an den Insolvenzverwalter erhöhten diese Zahlungen letztlich nicht die vom FA festgestellten Zahlungen der Klägerin in Höhe von 7.368,90 €. Auf Grundlage der in Höhe von 5.425,63 € festgesetzten Umsatzsteuer führte dies zu einem Guthaben in Höhe von 1.943,27 €.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das FG urteilte, der Klägerin stehe ein weiterer Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO in Höhe von 40.424,82 € zu, da die in den Geschäftsräumen der Klägerin und der A-GmbH vollstreckten 40.424,82 € unstreitig auf Rechnung der Klägerin gezahlt worden seien und der Insolvenzverwalter der A-GmbH keinen Anspruch auf Rückzahlung dieses Betrags in die Insolvenzmasse gehabt habe. Ein Anspruch auf Rückzahlung habe sich insbesondere nicht aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO ergeben, da kein Anfechtungstatbestand i.S. der §§ 130 ff. InsO vorgelegen habe. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1084 veröffentlicht.
Mit seiner Revision macht das FA geltend, der Insolvenzverwalter habe ein Anfechtungsrecht nach § 134 InsO gehabt. Dadurch habe dem Insolvenzverwalter ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO in Höhe von 40.424,82 € zugestanden. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass die Klägerin keinen entsprechenden Erstattungsanspruch haben könne.
Die A-GmbH habe mit der ursprünglichen Zahlung in Höhe von 40.424,82 € dem FA eine Leistung i.S. des § 134 InsO erbracht. Auch die Voraussetzung der Unentgeltlichkeit der Leistung sei erfüllt. Die A-GmbH habe (ausschließlich) eine Steuerverbindlichkeit der Klägerin getilgt, d.h. eine fremde Verbindlichkeit. Die entsprechende Steuerforderung sei aber wegen der Zahlungsunfähigkeit der Klägerin i.S. des § 17 Abs. 2 InsO nicht werthaltig gewesen. Hierfür hätten verschiedene Indizien gesprochen. Entgegen der Auffassung des FG könne die Zahlungsfähigkeit der Klägerin auch nicht damit begründet werden, dass die A-GmbH auf Grundlage einer internen Ausgleichsverpflichtung gegenüber der Klägerin bzw. einer konkludenten Kreditgewährung an die Klägerin gezahlt habe. Die A-GmbH habe vielmehr unmittelbar an das FA gezahlt, ohne dass aufgrund eines internen Schuldverhältnisses eine Zwischenübereignung an die Klägerin stattgefunden habe.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie folgt grundsätzlich der Rechtsauffassung des FG. Allerdings habe nicht die A-GmbH, sondern sie, die Klägerin, dem FA 40.424,82 € gezahlt, zumal sich auch die Vollstreckung ausschließlich gegen sie gerichtet habe. Gegenüber der A-GmbH habe sie, die Klägerin, im Innenverhältnis einen Erstattungsanspruch gehabt.
Im Übrigen habe das FG zu Recht ein Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters der A-GmbH gemäß § 134 InsO verneint. Denn der Anspruch des FA gegen sie, die Klägerin, sei werthaltig gewesen. Die vom FA vorgetragenen Indizien reichten nicht aus, um eine gegenteilige Rechtsauffassung zu begründen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) und ist auch nicht im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 FGO). Der Abrechnungsbescheid vom 20. Oktober 2009 ist rechtmäßig. Unabhängig davon, ob im Streitfall die Voraussetzungen der §§ 129 ff. InsO für eine Anfechtung des Insolvenzverwalters gegenüber dem FA gegeben waren, weist der Bescheid zutreffend keinen zusätzlichen Anspruch der Klägerin in Höhe von 40.424,82 € aus.
1. Für ein Zwei-Personen-Verhältnis hat der Senat bereits mehrfach entschieden, dass im Zusammenhang mit einer insolvenzrechtlichen Anfechtung stehende Ansprüche keine Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind, über die durch Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO entschieden werden kann. Dies gilt sowohl für den Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters nach § 143 Abs. 1 InsO (Senatsbeschluss vom 27. September 2012 VII B 190/11, BFHE 238, 526, BStBl II 2013, 109, m.w.N.; insbesondere unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 24. März 2011 IX ZB 36/09, Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 2011, 1365) als auch für eine anschließende Rückforderung aus der Insolvenzmasse unter Hinweis auf das Fehlen der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvoraussetzungen (Senatsurteil vom 12. November 2013 VII R 15/13, BFHE 243, 309, BStBl II 2014, 359). Insofern handelt es sich um bürgerlich-rechtliche Ansprüche, für die der Zivilrechtsweg zu beschreiten ist.
Der Vorrang des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts gilt auch dann, wenn sich nachträglich die zugrunde liegende Steuerforderung mindert. Wie der BGH in seinem Beschluss in NJW 2011, 1365 ausgeführt hat, sind den zivilrechtlichen Ansprüchen in diesem Fall die geänderten Steuerbescheide zugrunde zu legen, ohne deren Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dies bedeutet im Rahmen des § 144 Abs. 1 InsO, dass der Steueranspruch des FA nur insoweit aufleben kann, wie er nach der neuen Bescheidlage noch besteht. Die zivilrechtlichen Ansprüche passen sich also der geänderten steuerrechtlichen Bescheidlage an. Ein abgabenrechtlicher Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 AO, über den durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO entschieden wird, kann also nur insoweit bestehen, wie das Volumen der Steuerminderung über die von der Insolvenzanfechtung betroffenen Beträge hinausgeht.
Darüber hinaus bleibt es auch dann beim Vorrang des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, wenn das Finanzamt als Anfechtungsgegner nur auf ein vermeintliches Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters gezahlt hat. Auch in diesem Fall hat es in Befolgung des (vermeintlichen) Anfechtungsrechts und nicht auf Grundlage eines Steuerschuldverhältnisses gezahlt, so dass eine Rückforderung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (Senatsurteil in BFHE 243, 309, BStBl II 2014, 359).
2. Ob bzw. inwieweit diese Grundsätze auf Drei-Personen-Verhältnisse und damit auf den Streitfall übertragbar sind, ist noch nicht geklärt (zur Anwendbarkeit des § 144 Abs. 1 InsO im anfechtungsrechtlichen Drei-Personen-Verhältnis vgl. BGH-Urteil vom 22. November 2012 IX ZR 22/12, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2013, 163, m.w.N.; MünchKommInsO/Kirchhof, 3. Aufl., § 144 InsO Rz 7a).
Da die Beteiligten des ursprünglichen Steuerschuldverhältnisses Klägerin/FA nicht mit denjenigen des (vermeintlichen) Anfechtungsverhältnisses Insolvenzverwalter/FA identisch sind, stellt sich u.a. die Frage, ob die zivilrechtliche Rückabwicklung eines im Verhältnis Insolvenzverwalter/FA tatsächlich nicht bestehenden Anfechtungsrechts den Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO, der sich im Verhältnis Klägerin/FA aus der Festsetzung einer niedrigeren Steuerschuld ergab, überlagern und beschränken könnte.
Darüber hinaus ist fraglich, ob das FG im Streitfall zu Recht das Vorliegen der in Betracht kommenden Anfechtungsvorschriften der InsO geprüft hat oder ob es für den Eintritt der Rechtsfolgen des § 144 Abs. 1 InsO nicht ausreicht, dass das FA den Anfechtungsanspruch des Insolvenzverwalters anerkannt und den streitigen Betrag an die Insolvenzmasse ausgekehrt hat (vgl. MünchKommInsO/Kirchhof, a.a.O., § 144 InsO Rz 3, Fn 4).
3. Im Streitfall können diese Fragen dahingestellt bleiben. Im Abrechnungsbescheid vom 20. Oktober 2009 ist jedenfalls kein zusätzlicher Anspruch in Höhe von 40.424,82 € auszuweisen, weil die Geltendmachung dieses Anspruchs durch die Klägerin gegen Treu und Glauben verstößt.
Zwar hätte die Klägerin wegen der nachträglichen Minderung der festgesetzten Steuern ohne die Anfechtung des Insolvenzverwalters einen zusätzlichen Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO in Höhe von 40.424,82 € gehabt. Diesen Betrag hätte sie aber ihrer Organgesellschaft, der A-GmbH, weiterleiten müssen. Dies folgt aus einer analogen Anwendung des § 426 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, da die streitigen Steuern auf der Geschäftstätigkeit der A-GmbH beruhten und aus deren Vermögen bezahlt worden waren. Durch die Rückzahlung des FA in die Insolvenzmasse ist also genau dasjenige Ergebnis eingetreten, das auch ohne die Anfechtung eingetreten wäre. Hätte die Klägerin mit ihrer Klage Erfolg, müsste das FA zusätzlich 40.424,82 € an die Klägerin zahlen, ohne dass diese den Betrag an die Insolvenzmasse der A-GmbH auszukehren hätte. Denn die Insolvenzmasse der A-GmbH hat diesen Betrag wegen der (vermeintlichen) Anfechtung bereits durch eine direkte Zahlung des FA erhalten. Letztlich würde die Klägerin also etwas dauerhaft behalten können, das ihr ohne die Anfechtung gar nicht zugestanden hätte. Dies widerspricht Treu und Glauben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.