BFH VII. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 79 Abs 1 S 1, FGO § 96 Abs 1 S 1
vorgehend FG Düsseldorf, 23. Februar 2014, Az: 4 K 3403/13 Z,EU
Leitsätze
1. NV: Es ist keine Gehörsverletzung, wenn der Richter bereits vor der mündlichen Verhandlung einen Urteilsentwurf erarbeitet, der als Grundlage der endgültigen Überzeugungsbildung dient und aufgrund der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung noch geändert werden kann.
2. NV: Die Übermittlung der endgültigen Entscheidung per Fax bereits eineinhalb Stunden nach Beginn der mündlichen Verhandlung, zu der kein Beteiligter erschienen ist, liefert für sich allein keinen Beweis für das Vorliegen eines Verfahrensmangels.
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) führte in Syrien erworbene Goldbarren mit einem Wert von … € und dort erworbenen Goldschmuck mit einem Wert von … € über den Flughafen X nach Deutschland ein, wobei er die Waren nicht bei der zuständigen Zollstelle anmeldete, sondern den grünen Ausgang benutzte. Infolge der Abwicklung eines Einbruchsdiebstahls erfuhr der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) von den Einfuhren und setzte aufgrund des vorschriftswidrigen Verbringens der Waren in das Zollgebiet der Europäischen Union nach Art. 202 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex i.V.m. § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes für das nach Deutschland eingeführte Gold die dafür geschuldeten Einfuhrabgaben fest.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die eingeführten Gegenstände aus Gold hätten den in § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b der Verordnung über die Einfuhrabgabenfreiheit von Waren im persönlichen Gepäck von Reisenden festgelegten Schwellenwert von 430 € überstiegen. Darüber hinaus habe es sich bei dem Goldschmuck nicht um einfuhrabgabenfreies Heiratsgut gehandelt.
Zur mündlichen Verhandlung ist weder der Kläger noch dessen Prozessvertreter und auch kein Vertreter des HZA erschienen. Es erging der Beschluss, dass die Entscheidung den Beteiligten zugestellt wird. Das Urteil wurde noch am Tag der mündlichen Verhandlung dem Prozessvertreter des Klägers per Fax übermittelt, wobei zwischen der Eröffnung der mündlichen Verhandlung und dem Empfang des Faxes weniger als zwei Stunden lagen.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der Umstand, dass die Entscheidung des FG bereits anderthalb Stunden nach Beginn der mündlichen Verhandlung übermittelt worden sei, belege, dass das Urteil zu Beginn der mündlichen Verhandlung bereits vorgelegen habe. Dies stelle eine Verletzung des Mündlichkeitsgrundsatzes und eine Gehörsverletzung und damit einen absoluten Revisionsgrund dar. Im Übrigen handele es sich bei den Geldern, die der Kläger zum Kauf des Goldes in Syrien verwendet habe, um Beträge aus einem in Deutschland aufgenommenen Darlehen. Nach Beendigung des in Syrien herrschenden Kriegszustandes hätte das Gold dorthin wieder zurückgebracht werden sollen.
Entscheidungsgründe
II. Ungeachtet der Mängel in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Darlegung der Gründe für die Zulassung der Revision liegt der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel jedenfalls nicht vor, so dass die Beschwerde keinen Erfolg haben kann.
1. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Übermittlung des Urteils ca. eineinhalb Stunden nach dem Beginn der mündlichen Verhandlung kein Verfahrensverstoß. Selbst wenn die nicht näher substantiierte Behauptung des Klägers zuträfe, zumindest ein Urteilsentwurf habe zu Beginn der mündlichen Verhandlung bereits vorgelegen, wäre dies ein rechtlich nicht zu beanstandendes Verfahren der Terminsvorbereitung und Urteilsfindung. Es entspricht allgemeiner Übung, dass sich der Richter vor der mündlichen Verhandlung umfassend den gesamten Sach- und Streitstand erarbeitet und sich so in die Lage versetzt, dem gesetzlichen Gebot zu entsprechen, einen Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 79 Abs. 1 Satz 1 FGO; vgl. dazu näher: Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 79 Rz 1). Dass dieses Vorgehen vielfach in einen Urteilsentwurf mündet, ist nicht nur ein Gebot rationeller Arbeitsweise, weil damit zugleich die Basis für die spätere Urteilsbegründung erarbeitet wird, es dient auch der Selbstkontrolle, weil auf diese Weise die Entscheidungserheblichkeit einzelner Punkte und die Entscheidungsreife des Falls besonders deutlich werden. Schließlich dient dieses Verfahren typischerweise nur einer vorläufigen Standortbestimmung, die sich infolge anderer oder besserer späterer Erkenntnisse bei der endgültigen Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) als korrekturbedürftig erweisen kann (vgl. im Übrigen auch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. März 1959 1 BvR 53/56, BVerfGE 9, 213, 215), so dass in dieser Vorgehensweise keine Verletzung des Anspruchs der Beteiligten auf rechtliches Gehör gesehen werden kann (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 4. Juli 2006 X B 4/06, BFH/NV 2006, 1867). Sie zeigt vielmehr, dass das FG das Vorbringen der Beteiligten bis zur mündlichen Verhandlung sorgfältig zur Kenntnis genommen und verarbeitet hat (ausführlich BFH-Urteil vom 17. Mai 1995 X R 55/94, BFHE 177, 344, BStBl II 1995, 604).
2. Den übrigen Ausführungen des Klägers ‑‑insbesondere hinsichtlich des aufgenommenen Darlehens zur Finanzierung des Goldkaufs und des beabsichtigten Rücktransports des Goldes nach Syrien‑‑ sind Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) nicht zu entnehmen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.