BFH VII. Senat
AO § 257 Abs 1 Nr 2, AO § 257 Abs 2 S 1
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 22. Mai 2013, Az: 4 K 89/12
Leitsätze
NV: Vollstreckungsmaßnahmen sind selbst dann nicht nichtig, wenn die diesen zugrunde liegenden Leistungsgebote nichtig sein sollten, etwa weil sie während eines Insolvenzverfahrens nicht mehr gegen den Vollstreckungsschuldner, sondern nur noch gegen den Insolvenzverwalter als alleinigen Verfügungsberechtigten über das Schuldnervermögen hätten ergehen dürfen. Denn nach § 257 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AO ist die Vollstreckung einzustellen und bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen sind aufzuheben, wenn der zu vollstreckende Verwaltungsakt aufgehoben oder - was der Aufhebung gleichsteht - nichtig ist.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Keiner der in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abschließend genannten Gründe für die Zulassung der Revision liegt vor.
1. Wenn dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen sein sollte, das Finanzgericht (FG) habe seiner Entscheidung verfahrensfehlerhaft den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit von Pfändungen und Vollstreckungsankündigungen zugrunde gelegt, ohne auf sachgerechte, sich aus dem Streitfall ergebende Anträge hinzuwirken, so ergäbe sich aus diesem Einwand kein Revisionszulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Denn das FG hat bereits in dem der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) zugestellten Gerichtsbescheid den Klageantrag der von ihr ‑‑als Steuerberaterin Sachkundigen‑‑ erstellten Klageschrift entnommen. Mit ihrem Antrag auf mündliche Verhandlung hätte sie auf einen Änderungsantrag hinweisen und diesen spätestens in der mündlichen Verhandlung stellen müssen. Da sie insoweit nichts unternommen hat, insbesondere auch nicht zur Verhandlung erschienen ist, ist sie mit diesem Vorbringen nunmehr ausgeschlossen.
2. Es war auch nicht verfahrensfehlerhaft, insbesondere keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, dass das FG in Abwesenheit der Klägerin mündlich verhandelt hat. Denn mit ihrem am Morgen des Verhandlungstags eingegangenen Telefax hat sie nur mitgeteilt, erkrankt zu sein. Es mag offenbleiben, ob das FG dieses Schreiben überhaupt als einen Verlegungsantrag erkennen musste. Jedenfalls war die bloße Mitteilung einer Erkrankung kein Verlegungsgrund. Nach § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO ist das Gericht nur dann verpflichtet, einen anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen, wenn hierfür erhebliche Gründe vorliegen. Die Umstände, die im Einzelfall eine Verlegung des Termins erforderlich machen, muss derjenige, der die Verlegung beantragt, dem FG darlegen. Wird der Antrag auf Terminverlegung mit einer plötzlichen Erkrankung begründet, muss der Antragsteller ‑‑wenn er kein ärztliches Attest beibringen kann‑‑ die Umstände so genau schildern, dass das FG selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung ein Erscheinen zum Termin unzumutbar macht (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 21. November 2012 VIII B 144/11, BFH/NV 2013, 240, m.w.N.). Das ist im Streitfall nicht geschehen.
3. Die Klägerin meint weiter sinngemäß, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ergebe sich daraus, dass das FG eine ihr nach englischem Recht aufgrund eines in Großbritannien durchgeführten Insolvenzverfahrens erteilte Restschuldbefreiung wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht anerkannt und damit gegen europäisches Recht verstoßen habe.
Unbeschadet der Zweifel, ob damit eine grundsätzlich bedeutende Rechtsfrage in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt ist, liegt dieser Revisionszulassungsgrund schon deshalb nicht vor, weil es für die Abweisung der Nichtigkeitsklage ‑‑wie im Urteil des FG (S. 7 unten) ausdrücklich festgestellt‑‑ nicht darauf ankam, ob dem Insolvenzverfahren aufgrund eines Verstoßes gegen den ordre public die Anerkennung zu versagen war.4. Einen die Revision rechtfertigenden schwerwiegenden Fehler der angefochtenen Entscheidung sieht die Klägerin schließlich darin, dass das FG den Nichtigkeitsgrund des § 125 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) nicht beachtet habe. Denn hätte sie die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) geforderten Zahlungen geleistet, hätte sie sich nach ihrem Vortrag nach englischem Recht strafbar gemacht, weil ihr während des Insolvenzverfahrens Zahlungen ohne Zustimmung des "Receivers" nicht erlaubt gewesen seien.
Eine Zulassung der Revision, die nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung grundsätzlich in Betracht kommen kann, wenn das angefochtene Urteil auf einem so schweren Rechtsfehler beruht, dass sein Fortbestand das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen könnte (Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896), kommt im Streitfall aber nicht in Betracht. Denn die Vollstreckungsmaßnahmen, gegen die sich die Klage richtet, sind selbst dann nicht nichtig, wenn die diesen zugrunde liegenden Leistungsgebote nichtig sein sollten, weil sie, wie die Klägerin wohl meint, während des englischen Insolvenzverfahrens nicht mehr gegen sie, sondern nur noch gegen den Insolvenzverwalter als alleinigen Verfügungsberechtigten über ihr Vermögen hätten ergehen dürfen.
Denn nach § 257 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AO ist die Vollstreckung einzustellen und bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen sind aufzuheben, wenn der zu vollstreckende Verwaltungsakt aufgehoben oder ‑‑was der Aufhebung gleichsteht‑‑ nichtig ist (vgl. Klein/Brockmeyer, AO, 11. Aufl., § 257 Rz 5, m.w.N.). Dieser Anspruch kann ‑‑sofern das FA nicht von Amts wegen tätig wird‑‑ mit der Verpflichtungsklage verfolgt werden. Die von der Klägerin beschworene Gefahr, zur Abwendung der Vollstreckung eine strafbare Handlung begehen zu müssen, besteht mithin nicht.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.