BFH V. Senat
UStG § 1 Abs 1a, EWGRL 388/77 Art 5 Abs 8
vorgehend FG Köln, 11. Juni 2013, Az: 3 K 1178/07
Leitsätze
NV: Eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung liegt auch dann vor, wenn der Vollzug der Übertragung im Hinblick auf die Klärung einer steuerrechtlichen Zweifelsfrage vorübergehend ausgesetzt wird.
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war bis zu seiner Abberufung durch Gesellschafterbeschluss vom 18. August 2003 Geschäftsführer der C-GmbH. Die C-GmbH versteuerte ihre Umsätze in den Jahren 2002 und 2003 nach vereinbarten Entgelten und gab monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen ab.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ am 3. Januar 2005 gegenüber dem Kläger als Geschäftsführer der C-GmbH einen Haftungsbescheid über … €. Die Haftung entfiel auf die Jahresumsatzsteuer 2002 nebst eines Verspätungszuschlags und Zinsen hierzu und auf die Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume März 2003 und Juni 2003. Den Haftungsanspruch stützte das FA darauf, dass der Kläger seine Pflichten als Geschäftsführer der GmbH verletzt habe.
Der Haftungsanspruch zur Umsatzsteuer 2002 beruhte im Wesentlichen auf einer Veräußerung von Unternehmensvermögen durch die C-GmbH an die I-AG mit Vertrag vom 20. Dezember 2002. Danach veräußerte die C-GmbH mit sofortiger Wirkung ihren gesamten Geschäftsbereich als IT-Vermieter einschließlich Kundenbestand, Warenbestand und Zubehör an die in der Schweiz ansässige I-AG für … €. Nach dem Kaufvertrag sollte die C-GmbH ihre Aktivitäten in diesem Geschäftsbereich einstellen und danach ausschließlich als ausführendes Dienstleistungsunternehmen tätig sein. Bis zur vollständigen Tilgung des Kaufpreises sollten die veräußerten Gegenstände im Eigentum der C-GmbH bleiben. Die C-GmbH erteilte der I-AG am 20. Dezember 2002 eine Rechnung über den Kaufpreis in Höhe von … € "über die Veräußerung des Warenbestands". Nach den Rechnungsangaben handelte es sich um einen nichtsteuerbaren Vorgang. Für den Fall der Umsatzsteuerpflicht sollte die geschuldete Umsatzsteuer nachgefordert werden. Die I-AG sollte nach der Geschäftsaufnahme als Vermieter des IT-Equipments neben der C-GmbH andere Gesellschaften als Partner an den jeweiligen Ausstellungsorten vor Ort einsetzen. Vermieter der überlassenen Gegenstände sollte nach Aufnahme der Geschäftstätigkeit nur die I-AG sein. Bei Vertragsschluss hatte die I-AG bereits Zahlungen in Höhe von … € geleistet. Der Restbetrag in Höhe von … € wurde durch die I-AG in Teilbeträgen in Höhe von … € zum 19. März 2003 und in Höhe von … € zum 8. Mai 2003 an die C-GmbH gezahlt.
Am 30. Dezember 2002 schlossen die C-GmbH und die I-AG eine Ergänzungsvereinbarung. Da rechtlich ungeklärt sei, ob die I-AG als Schweizer Dienstleister in Deutschland für die Vermietung von Hard- und Software in ihren Ausgangsrechnungen Umsatzsteuer ausweisen müsse oder ob die Umsatzsteuerpflicht nach § 13b des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (UStG) von deren Leistungsempfängern zu tragen sei, dürfe bis zu einer endgültigen Klärung die C-GmbH kommissarisch und stellvertretend im eigenen Namen und auf eigene Rechnung wie bisher ihre Tätigkeiten ausüben, um eine Aktivitätseinstellung und einen Schaden des Geschäftsnamens zu verhindern. Jeder Auftrag musste jedoch vor Annahme durch die C-GmbH von der I-AG genehmigt werden. Für die Auftragsabwicklung sollte die I-AG den Warenbestand bereit stellen und die C-GmbH das notwendige Equipment bei Bedarf anschaffen. Im Gegenzug verpflichtete sich die I-AG, auch den weiter erworbenen Warenbestand nachträglich zu erwerben.
Am 14. März 2003 vereinbarten die C-GmbH und die I-AG, dass die I-AG zum 17. März 2003 ihre geschäftliche Aktivität aufnehmen sollte. Die kommissarische Weiterführung der Geschäftstätigkeit durch die C-GmbH ende im Hinblick auf die Neuannahme von Aufträgen zum 17. März 2003 und mit Durchführung der Aufträge, die bis zum 14. März 2003 angenommen worden seien. Zudem wurde geregelt, dass für Warenlieferungen an die I-AG Bestellungen weiterhin durch die C-GmbH bei den Lieferanten im eigenen Namen und für eigene Rechnung platziert werden und dann an die I-AG weiter berechnet werden sollten, bis Letztere von den Lieferanten eigene Kundennummern zugeteilt bekommen haben.
Aufgrund eines Einspruchs minderte das FA in der Einspruchsentscheidung vom 27. Februar 2007 die Haftungssumme auf … €. Das FA reduzierte dabei die Haftungssumme um die Säumniszuschläge und den Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 2002. Im Übrigen hatte der Einspruch keinen Erfolg.
Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit dem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2013, 1817 veröffentlichten Urteil überwiegend statt. Bei der Lieferung durch die C-GmbH an die I-AG habe es sich aufgrund der Ergänzungsvereinbarung vom 30. Dezember 2002, durch die der Unternehmensübergang aufgehalten worden sei, nicht um eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung gehandelt. Für das Vorliegen einer steuerbaren und mangels Geschäftsveräußerung steuerpflichtigen Lieferung an die I-AG sei diese Ergänzungsvereinbarung aber ohne Bedeutung geblieben. Der Kläger hafte aber gleichwohl nicht für Umsatzsteuer 2002, da er zur Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen der C-GmbH einen Steuerberater eingeschaltet habe, so dass ihm keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Das FG verneinte unter Berücksichtigung der Beauftragung des Steuerberaters ein Verschulden des Klägers auch insoweit, als die C-GmbH in den Umsatzsteuervoranmeldungen für 2002 Vorsteuerbeträge aus Leasingverträgen geltend gemacht hatte. Im Hinblick auf Rechnungen mit Steuerausweis durch Frau G habe die C-GmbH den Vorsteuerabzug zu Recht in Anspruch genommen. Die Haftung zur Umsatzsteuer 2002 sei daher nur in Höhe von … € zu Recht erfolgt. Die Haftungsinanspruchnahme für den Voranmeldungszeitraum März 2003 sei in vollem Umfang rechtswidrig. In diesem Voranmeldungszeitraum seien Besteuerungssachverhalte aus früheren Voranmeldungszeiträumen dieses Jahres zu Unrecht aus Vereinfachungsgründen erfasst worden. Auch insoweit habe der Kläger aufgrund der Beauftragung eines Steuerberaters nicht grob fahrlässig gehandelt. Rechtswidrig sei auch die Haftungsinanspruchnahme zur Umsatzsteuer Juni 2003. Dem FA hätten die Voranmeldungen für April und Mai 2003 fristgerecht vorgelegen. Daher hätte eine Verrechnung mit der Umsatzsteuerschuld Juni 2003 erfolgen können.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, für die es Verletzung materiellen Rechts anführt. Der Kläger habe trotz Beauftragung eines Steuerberaters grob fahrlässig gehandelt, da er sich im Hinblick auf den Abschluss der Ergänzungsvereinbarung und die Vereinbarung einer Nettokaufpreisabrede nicht nochmals habe steuerlich beraten lassen. Hinsichtlich der Ablehnung der Haftung für Umsatzsteuer Juni 2003 habe das FG zu Unrecht auf die Möglichkeit einer Verrechnung mit Vergütungsansprüchen aus anderen Voranmeldungszeiträumen abgestellt.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.Der Kläger hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das Urteil des FG ist revisionsrechtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden. Allerdings scheitert eine Haftung des Klägers nach § 69 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 191 AO für die Umsatzsteuer aus der Lieferung der C-GmbH an die I-AG bereits daran, dass es sich entgegen dem Urteil des FG um eine Geschäftsveräußerung gehandelt hat, so dass es auf die Frage, ob der Kläger grob fahrlässig i.S. von § 69 AO gehandelt hat, nicht ankommt.
1. Das FG hat zu Unrecht das Vorliegen einer Geschäftsveräußerung verneint.
a) Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen unterliegen nach § 1 Abs. 1a UStG nicht der Umsatzsteuer.
aa) § 1 Abs. 1a UStG setzt voraus, dass ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. § 1 Abs. 1a UStG dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 8 und Art. 6 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) in nationales Recht und ist entsprechend diesen Bestimmungen richtlinienkonform auszulegen. Nach Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung vorliegt.
bb) Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 30. April 2009 V R 4/07, BFHE 226, 138, BStBl II 2009, 863, unter II.2.a, und vom 6. Mai 2010 V R 26/09, BFHE 230, 256, BStBl II 2010, 1114, unter II.3.a) setzt die Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG entsprechend dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 27. November 2003 C-497/01, Zita Modes (Slg. 2003, I-14393) die Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbständigen Unternehmensteils voraus, der als Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bildet, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann. Der Erwerber muss die Unternehmensfortführung beabsichtigen, so dass das übertragene Vermögen die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten Tätigkeit ermöglicht. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung ist zu entscheiden, ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht, und ob die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich hinreichend ähneln.
b) Im Streitfall liegt eine Geschäftsveräußerung vor. Aus der Vereinbarung vom 30. Dezember 2002 ergibt sich entgegen dem Urteil des FG nicht, die Geschäftsveräußerung als Unternehmensübertragung sei in dem Sinne "aufgehalten" worden, dass unklar war, ob die I-AG die Geschäftstätigkeit der C-GmbH fortsetzt. Die Ergänzungsvereinbarung diente vielmehr nur dazu, der I-AG die Möglichkeit zu verschaffen, die steuerrechtliche Frage klären zu lassen, ob sie ‑‑bei einer weiterhin beabsichtigten Unternehmensfortführung‑‑ an die Kunden des übernommenen Geschäftsbetriebs Rechnungen mit oder ohne Steuerausweis zu erteilen hat. Aus diesem Grund ist die Ergänzungsvereinbarung nicht geeignet, die Beurteilung der am 20. Dezember 2002 erfolgten Lieferung als Geschäftsveräußerung in Frage zu stellen.
2. Auch im Übrigen hat das FG eine Haftung des Klägers zutreffend verneint.
a) Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG eine Haftung für die Umsatzsteuer Juni 2003 mit der Erwägung abgelehnt hat, dass aufgrund von Vergütungsansprüchen für andere Voranmeldungszeiträume eine Verrechnungsmöglichkeit bestanden habe. Soweit das FA hiergegen einwendet, dass die bloße Möglichkeit zur Verrechnung nicht ausreichend sei, berücksichtigt es nicht hinreichend, dass das FG sein Urteil insoweit auch auf den Verlust von Unterlagen im Amt gestützt hat, weshalb eine weitergehende Prüfung nicht möglich gewesen sei.
b) Anderweitige Rechtsfehler, die zu einer Aufhebung des FG-Urteils führen könnten, sind unter Berücksichtigung des Vortrags des FA nicht ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.