BFH X. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 76 Abs 1, FGO § 155, ZPO § 295 Abs 1, FGO § 82, ZPO § 391, FGO § 96 Abs 1 S 1
vorgehend FG Köln, 05. Februar 2013, Az: 14 K 1469/11
Gründe
I. Das Verfahren wegen Umsatzsteuer 2004 wird gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgetrennt und an den nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesfinanzhofs (BFH) für 2013 dafür zuständigen XI. Senat des BFH abgegeben.
II.
Im Hinblick auf die Einkommensteuer 2004 hat die Beschwerde keinen Erfolg.
Teils entspricht die Beschwerdebegründung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung eines Zulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 FGO; teils ist der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht gegeben.
1. Die Klägerin hat die gerügte Abweichung der angefochtenen Entscheidung von der Rechtsprechung des BFH nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
a) Eine die einheitliche Rechtsprechung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gefährdende Divergenz liegt vor, wenn das Finanzgericht (FG) bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG (Senatsbeschluss vom 20. Juni 2012 X B 1/12, BFH/NV 2012, 1616). Das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 13. Juli 2011 X B 117/10, BFH/NV 2011, 2075).
Dies ist deutlich herauszuarbeiten (vgl. z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2011, 2075, m.w.N.) und erfordert deshalb insbesondere auch die Benennung der angeblichen Divergenzentscheidung mit Datum sowie Aktenzeichen und/oder Fundstelle (vgl. BFH-Beschluss vom 11. März 2011 III B 76/10, BFH/NV 2011, 981).
b) Dem genügt die Rüge der Klägerin, das angefochtene Urteil verstoße gegen BFH-Urteile zum Buchführungs- und Bilanzierungsgrundsatz sowie zur selbständigen nachhaltigen Tätigkeit, nicht. Sie hat bereits keine konkreten Divergenzentscheidungen benannt.
2. Soweit sich die Klägerin mit der Bewertung der Aussage ihres als Zeugen vernommenen ehemaligen Lebensgefährten (Z) ‑‑insbesondere dessen Glaubwürdigkeit‑‑ auseinandersetzt, setzt sie ihre eigene Tatsachen- und Beweiswürdigung und Rechtsansicht anstelle der des FG und rügt dessen darauf basierende (vermeintlich) fehlerhafte Rechtsanwendung, also materiell-rechtliche Fehler des Urteils. Damit kann aber die Zulassung der Revision ‑‑jenseits des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO‑‑ nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. Januar 2013 IX B 155/12, BFH/NV 2013, 581; vom 24. Juli 2012 IX B 173/11, BFH/NV 2012, 1784, unter 1.b).
Eine Zulassung der Revision wegen fehlerhafter Beweiswürdigung oder fehlerhafter Rechtsanwendung durch das FG kommt nur bei offensichtlichen materiellen oder formellen Fehlern des FG von erheblichem Gewicht im Sinne einer objektiv willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung in Betracht (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Eine Beweiswürdigung ist nur dann willkürlich, wenn sie so schwerwiegende Fehler aufweist, dass sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und offensichtlich jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwiderläuft, so dass ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung besteht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. Dezember 2007 IV B 124/06, BFH/NV 2008, 781; vom 14. März 2012 V B 10/11, BFH/NV 2012, 1315, unter II.2.a, m.w.N.). Diese besonderen Umstände sind substantiiert darzulegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. November 2005 V B 9/04, BFH/NV 2006, 248; vom 24. Juli 2006 IX B 208/05, BFH/NV 2006, 2269). Das ist vorliegend nicht geschehen; schwerwiegende Fehler in diesem Sinne sind auch nicht ersichtlich.
3. Die Rüge der Klägerin, das angefochtene Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar und verletze daher ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO), weil das FG das Vorliegen der nachhaltigen, selbständigen Tätigkeit auf Verkäufe in den Jahren 2003 bis Anfang 2006 sowie auf ihr angebliches Auftreten als Schmuckverkäuferin in den Jahren 1998, 2000 und 2002 stütze, diese Jahre in der mündlichen Verhandlung aber nicht angesprochen habe, rechtfertigt nicht die Annahme eines Verfahrensfehlers i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
a) Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (BVerfG-Beschluss vom 29. Mai 1991 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188; Senatsbeschlüsse vom 15. März 2002 X B 175/01, BFH/NV 2002, 944, und vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947).
b) Im Streitfall hat bereits das zunächst örtlich zuständige Finanzamt (FA) A die Klägerin zu ihren Schmuckverkäufen in den Jahren 2001 bis 2003 und 2005 befragt. Die durch ihren Prozessbevollmächtigten fach- und sachkundig vertretene Klägerin musste zudem allgemein damit rechnen, dass das FG nicht nur isoliert auf ihr Verhalten im Streitjahr 2004 abstellen, sondern für die Frage, ob die in diesem Jahr getätigten Schmuckverkäufe zu gewerblichen Einkünften führten, die Vor- und Folgejahre miteinbeziehen würde. Dies stellt auch keinen Verstoß gegen die allgemeinen Denkgesetze dar. Schließlich konnte sie von der möglichen Relevanz ihrer Aktivitäten bei ebay auch tatsächlich nicht überrascht worden sein, weil die in diesem Zusammenhang eingeholten Auskünfte nach ihrer Darstellung auf Seite 7 der Beschwerdebegründung in der mündlichen Verhandlung diskutiert wurden. Auf mögliche Aktivitäten der Klägerin als Schmuckverkäuferin in den Jahren 1998, 2000 und 2002 hat das FG ‑‑wie das FA zutreffend anmerkt‑‑ seine Entscheidung im Übrigen entgegen ihrer Darstellung nicht gestützt.
4. Soweit die Klägerin rügt, das FG habe den Zeugen unbeeidigt gelassen, liegt darin kein Verstoß gegen § 82 FGO i.V.m. § 391 der Zivilprozessordnung (ZPO). Danach ist ein Zeuge zu beeidigen, wenn das Gericht die Beeidigung mit Rücksicht auf die Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage für geboten erachtet und die Parteien auf die Beeidigung nicht verzichten. Der BFH darf die gerichtliche Entscheidung, nicht zu beeiden, nur eingeschränkt daraufhin überprüfen, ob sie die Grenzen ihres Ermessens verkannt oder missbräuchlich außer Acht gelassen hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13. März 1995 XI B 73/94, BFH/NV 1995, 906; vom 10. März 2009 IX B 197/08, BFH/NV 2009, 1129).
Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 391 ZPO schon deshalb nicht erfüllt, weil beide Beteiligten ausweislich des Terminprotokolls keine Anträge zur Beeidigung gestellt, sondern auf diese vielmehr übereinstimmend verzichtet haben. Zudem handelt es sich bei dem Verfahrensfehler der ermessensfehlerhaft unterbliebenen Zeugenbeeidigung um einen verzichtbaren Mangel i.S. des § 295 Abs. 1 ZPO. Die Beteiligten müssen deshalb ‑‑um ihr dahingehendes Rügerecht nicht zu verlieren‑‑ das Unterlassen einer ihrer Ansicht nach gebotenen Beeidigung grundsätzlich spätestens in der auf die Beweisaufnahme folgenden mündlichen Verhandlung rügen. § 295 Abs. 1 ZPO gilt auch im FG-Prozess mit der Folge, dass der ungerügt gebliebene Verfahrensmangel nach § 155 FGO grundsätzlich weder mit der Revision noch ‑‑wie hier‑‑ mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Juli 2002 X B 40/02, BFH/NV 2003, 56). Die Klägerin hat eine Rüge in der mündlichen Verhandlung nicht erhoben.
5. Auch die Rüge der Klägerin, das FG habe entgegen § 76 Abs. 1 FGO den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt, da es Z nicht dazu befragt habe, dass ein langjähriger Bekannter ihm 15.700 € geschuldet habe, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
a) Einen entsprechenden Beweisantrag hat die Klägerin nicht gestellt. Zwar hat sie den im Ausland lebenden Z zur mündlichen Verhandlung gestellt. Aufgrund ihrer Äußerungen in der mündlichen Verhandlung hat das FG diesen zu ihren Behauptungen befragt, sie habe bis auf wenige Ausnahmen lediglich privaten Schmuck veräußert und die Geldeingänge auf ihrem Girokonto stammten aus Geldabholungen für Z im Rahmen von dessen Schmuckgeschäften. Weder die Klägerin noch Z haben in der mündlichen Verhandlung den nicht weiter substantiierten Vortrag aus der Klageschrift angesprochen, "die verbleibenden 15.700 €" seien von ihr einkassiert worden, weil ein "langjähriger Bekannter" Z "Gelder" geschuldet habe. Z bekundete während der Beweisaufnahme ausweislich des Protokolls vielmehr, das an ihn überwiesene Geld habe aus Verkäufen seiner Firma gestammt.
b) Die Klägerin kann zudem nicht mehr rügen, das FG sei auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen zur weiteren Sachverhaltsaufklärung verpflichtet gewesen.
aa) Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch das Übergehen eines Beweisantrages oder die Verletzung der Amtsermittlungspflicht. Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich. Der Verfahrensmangel muss in der (nächsten) mündlichen Verhandlung gerügt werden, in der der Rügeberechtigte erschienen ist; verhandelt er zur Sache, ohne den Verfahrensmangel zu rügen, obwohl er den Mangel kannte oder kennen musste, verliert er das Rügerecht (BFH-Beschluss vom 1. September 2008 IV B 4/08, BFH/NV 2009, 35, m.w.N.). Eine Rüge des vermeintlichen Verfahrensmangels vor dem FG ist jedenfalls dann erforderlich, wenn der Rügeberechtigte im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen Prozessbevollmächtigten sachkundig vertreten war (z.B. BFH-Beschluss vom 16. Februar 1998 VIII B 46/97, BFH/NV 1998, 875; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 103, m.w.N.).
bb) Im Streitfall war die Klägerin in der mündlichen Verhandlung persönlich zugegen und zudem durch ihren Prozessbevollmächtigten sachkundig vertreten. Sie hatte Kenntnis davon, dass der in der mündlichen Verhandlung verkündete Beweisbeschluss u.a. nur ihre Behauptung betraf, die Einzahlungen auf ihrem Girokonto stammten aus Geldabholungen für Z im Zuge von dessen Schmuckgeschäften. Das Protokoll zeigt, dass die Klägerin oder ihr Prozessbevollmächtigter keine Fragen zu dem angeblichen Sachverhalt, ein langjähriger Bekannter habe Z 15.700 € geschuldet, die sie ebenfalls für diesen einkassiert habe, gestellt haben. Die mündliche Verhandlung wurde geschlossen, ohne dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Nichtaufklärung dieses angeblichen Sachverhalts gerügt hat.
c) Der Umstand, dass das FG den Betrag von 15.700 € ‑‑nach Auffassung der Klägerin rechtsfehlerhaft‑‑ nicht aus den angesetzten Betriebseinnahmen ausgeschieden hat, stellt auch weder einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten noch eine verfahrensfehlerhafte vorweggenommene Beweiswürdigung dar.
aa) Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten ist nur dann ein Zulassungsgrund, wenn er gleichzeitig eine Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO und damit einen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darstellt (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Februar 2007 X B 105/06, BFH/NV 2007, 962, unter 3.). Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Vorschrift verpflichtet mithin das FG, den Inhalt der ihm vorgelegten Akten und den Vortrag der Beteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 96 FGO Rz 40, m.w.N.). Das FG verstößt regelmäßig nicht gegen seine Verpflichtung, nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, wenn es sämtliche vom Kläger geltend gemachten Tatsachen ‑‑wie auch im Streitfall‑‑ in den Tatbestand des Urteils aufnimmt (BFH-Beschluss vom 27. April 2012 III B 238/11, BFH/NV 2012, 1321; Lange in HHSp, § 96 FGO Rz 41).
bb) Das Gericht hat den beweiserheblichen Prozessstoff durch Beweisaufnahme auszuschöpfen. Es verstößt daher gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung, wenn es erhebliche Beweisantritte eines Beteiligten mit der Begründung übergeht, von der Erhebung des Beweises sei kein zweckdienliches Ergebnis zu erwarten (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 X B 242/10, BFH/NV 2011, 1715). Ein Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung liegt aber dann nicht vor, wenn kein ordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2008 X B 248/07, BFH/NV 2009, 186, unter 5.).
6. Soweit die Klägerin noch rügt, das FG habe seine "Aufklärungspflicht" verletzt, indem es "die ebay-Auskünfte in der mündlichen Verhandlung nicht genau dargelegt" habe, ist schon nicht ersichtlich, welche Verfahrensvorschrift verletzt sein soll. Da die Klägerin durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war und die eingeholten Auskünfte offensichtlich Thema der mündlichen Verhandlung waren, ist auch nicht verständlich, warum keine Nachfrage erfolgte, wenn aus ihrer Sicht "Aufklärungsbedarf" bestanden haben sollte.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
8. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.