BFH IX. Senat
EStG § 9 Abs 1 S 1, EStG § 12 Nr 1, EStG § 32a, GG Art 1, GG Art 3 Abs 1, GG Art 6 Abs 1, GG Art 20 Abs 1, EStG VZ 2005 , EStG § 4 Abs 4, EStG § 21
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 20. Juni 2013, Az: 3 K 148/09
Leitsätze
NV: Aufwendungen für das private Wohnen gehören grundsätzlich zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung nach § 12 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG, die von dem über Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten subjektiven Nettoprinzip erfasst werden und steuerlich über den Grundfreibetrag (§ 32a Abs. 1 EStG) abgegolten sind .
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
Die Ehefrau des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) war Alleineigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in A. Das Haus wies zwei Wohnungen auf. In der Erdgeschosswohnung ging der Kläger einer freiberuflichen Tätigkeit nach. Das Obergeschoss wurde von der Familie des Klägers bewohnt. Nach dem Auszug der Kinder und aufgrund des Verkehrslärms an der bisherigen Wohnung entschlossen sich der Kläger und seine Ehefrau "ins Grüne" umzuziehen. Sie mieteten deshalb ein Haus in B zu einer Kaltmiete von 3.000 DM (= 1.533,88 €) monatlich und zogen zum 1. Dezember 1999 dorthin um. Anschließend vermietete die Klägerin ab dem 1. Februar 2002 sowohl das Erdgeschoss als auch das Obergeschoss des Hauses in A.
Im Streitjahr 2004 erklärte die Ehefrau des Klägers bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung Einnahmen aus der Vermietung des Hauses in A in Höhe von rund 18.600 € (Mieten und Nebenkosten). Die Ausgaben in Höhe von rund 24.600 € enthielten u.a. eine Position "negative Eigenmiete" in Höhe von 9.000 €. Insgesamt ergab sich hieraus ein Verlust in Höhe von rund 6.000 €, der zunächst erklärungsgemäß veranlagt wurde. Im Streitjahr 2005 machte die Ehefrau des Klägers ebenfalls 9.000 € "negative Eigenmiete" als Werbungskosten bei den Einkünften aus der Vermietung des Objektes geltend. Bei der Veranlagung 2005 versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) mit Bescheid vom 12. Juli 2007 die Anerkennung der Position "negative Eigenmiete". Gleichzeitig änderte es mit Bescheid vom 12. Juli 2007 die unter Vorbehalt der Nachprüfung stehende Veranlagung für 2004 entsprechend und versagte auch dort die Berücksichtigung der negativen Eigenmiete.
Einspruch und die vom Kläger als Rechtsnachfolger seiner zwischenzeitlich verstorbenen Ehefrau erhobene Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, weder das objektive Nettoprinzip noch das Gebot der Aufteilung gemischter beruflich und privat veranlasster Aufwendungen rechtfertige die steuerliche Anerkennung der in Ansatz gebrachten "negativen Eigenmiete". Die Aufwendungen für die private Wohnung seien über das steuerfreie Existenzminimum und damit den steuerlichen Grundfreibetrag abgegolten und damit dem Anwendungsbereich des § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 9 EStG entzogen.
Mit seiner Revision bringt der Kläger vor, die negative Eigenmiete stehe in Veranlassungszusammenhang mit der Einkünfteerzielung, sodass es sich um Werbungskosten handele. Das Wohnen in einer anderen Wohnung in B und damit das Entstehen der Mietaufwendungen sei notwendige Bedingung und Voraussetzung für das Vermieten der Wohnung in A. Die "negative Eigenmiete" sei daher durch die Einkünfteerzielung zumindest mit veranlasst. Es bestehe ein derart enger Zusammenhang, dass sie bei einer verfassungskonformen Anwendung des EStG Berücksichtigung finden müsse. Es liege ansonsten ein Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) herzuleitende verfassungsrechtliche Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit vor. Das objektive Nettoprinzip verlange, dass er nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werde. Diese sei durch Umzug und Vermietung aber gerade nicht gestiegen. Denn die vereinnahmte Miete für das Haus in A werde sogleich als Miete für das gemietete Wohnhaus in B wieder ausgegeben. Er sei steuerlich so zu stellen, als habe er keinen Überschuss aus der Vermietung der früheren Familienwohnung in A erzielt. Zudem könne seit der Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. September 2009 GrS 1/06 (BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672) nicht mehr wie früher auf das Aufteilungs- und Abzugsverbot verwiesen werden. Der privaten Mitveranlassung sei dadurch Rechnung getragen, dass nur ein Teil der Miete als "negative Eigenmiete" geltend gemacht werde.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG vom 21. Juni 2013 aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid 2004 vom 12. Juli 2007 sowie den Einkommensteuerbescheid 2005 vom 12. Juli 2007 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 24. November 2008 sowie die Einspruchsentscheidungen vom 12. Juni 2009 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer jeweils unter Berücksichtigung der "negative Eigenmiete" in Höhe von 9.000 € bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung festgesetzt wird.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Er hält daran fest, dass die negative Eigenmiete steuerlich nicht berücksichtigt werden könne.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Zutreffend hat es das FG abgelehnt, die vom Kläger geltend gemachten Mietaufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) zu berücksichtigen.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen. Sie sind nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung abzuziehen, wenn sie durch sie veranlasst sind. Eine derartige Veranlassung liegt vor, wenn (objektiv) ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit der auf Vermietung und Verpachtung gerichteten Tätigkeit besteht und (subjektiv) die Aufwendungen zur Förderung der Nutzungsüberlassung gemacht werden (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 IX R 28/12, BFH/NV 2013, 914, unter II.2.a, m.w.N.).
Aufwendungen für das private Wohnen gehören hingegen seit dem Wegfall der Nutzungswertbesteuerung für die eigengenutzte Wohnung in § 21 Abs. 2 EStG a.F. mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 1987 grundsätzlich zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung. Unverzichtbare Aufwendungen der Lebensführung sind durch Berücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums im Rahmen des Grundfreibetrags nach § 32a Abs. 1 EStG pauschal abgegolten oder sind als Sonderausgabe oder außergewöhnliche Belastung abziehbar (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672, unter C.III.4.a). Sie sind damit nach § 12 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG vom Werbungskostenabzug nach § 9 EStG grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, der Gesetzgeber hat einen Abzug für einen betrieblichen oder beruflichen Mehraufwand zugelassen, wie z.B. im Fall einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG; vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672, unter C.III.4.a). Es ist auch seit Abschaffung des § 10e EStG im Einkommensteuergesetz keine Vorschrift ersichtlich, nach der die Aufwendungen für das selbstgenutzte Einfamilienhaus, das kein Baudenkmal i.S. des § 10f EStG ist und nicht in einem Sanierungsgebiet oder Entwicklungsbereich liegt, oder den privaten Wohnbedarf eines Steuerpflichtigen steuermindernd zu berücksichtigen sind. Dies ist aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelungen zwischen Rechtsprechung, Finanzverwaltung und Schrifttum auch nicht weiter streitig (vgl. u.a. FG Düsseldorf, Urteil vom 2. Dezember 2009 7 K 978/07 E, juris, bestätigt durch BFH-Beschluss vom 17. März 2010 X B 10/10, BFH/NV 2012, 953, und Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 13. April 2012 2 BvR 642/12, nicht veröffentlicht; FG Düsseldorf, Urteil vom 4. Juni 2013 10 K 734/11 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1023, unter 2.; Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 6. Juli 2010, BStBl I 2010, 614, Rz 4; Bergkemper in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz 750, Stichwort "Wohnung"; Fissenewert in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 12 EStG Rz 34; Schmidt/Loschelder, EStG, 32. Aufl., § 12 Rz 13 und Rz 25, Stichwort "Wohnungskosten"; Blümich/Thürmer, § 12 EStG Rz 130, Stichwort "Wohnung"; Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 12 Rz B 150, Stichwort "Wohnung").
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des FG, wonach die vom Kläger geltend gemachte "negative Eigenmiete" nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden kann (a) und auch von Verfassung wegen ein Abzug nicht geboten ist (b), revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Das FG hat zutreffend auf der Grundlage von § 12 Nr. 1 EStG sowie der Entscheidung des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 abgelehnt, die Mietaufwendungen ‑‑auch nur teilweise‑‑ zum Werbungskostenabzug zuzulassen. Unabhängig davon, dass nach den tatsächlichen Feststellungen des FG auslösendes Moment für das Entstehen der Mietaufwendungen in erster Linie die private Entscheidung zum Umzug und die Nutzung der angemieteten Wohnung für eigene Wohnzwecke ‑‑der Umzug "ins Grüne"‑‑ und nicht die Vermietung der zuvor genutzten Wohnung war, hat das FG die Mietaufwendungen in der streitigen Höhe dem existentiellen und unabdingbaren Wohnbedarf und damit der steuerlich nicht abziehbaren privaten Lebensführung des Klägers und seiner Ehefrau zugeordnet. Die Aufwendungen hat es nach Maßgabe des subjektiven Nettoprinzips über die Steuerfreistellung des Existenzminimums und damit den steuerlichen Grundfreibetrag (§ 32a Abs. 1 EStG) als abgegolten behandelt und damit einen ‑‑zusätzlichen‑‑ Abzug als Werbungskosten in der geltend gemachten Höhe nicht für erforderlich gehalten.
b) Die steuerliche Berücksichtigung der Kosten für die eigengenutzte Wohnung ist ‑‑wie vom FG zutreffend ausgeführt‑‑ auch nicht von Verfassung wegen geboten, wenn wegen der Vermietung der eigenen Wohnung eine andere Wohnung angemietet wird. Kosten der Haushaltsführung zählen grundsätzlich zu den Ausgaben für die allgemeine Lebensführung des Steuerpflichtigen und seiner Familie. Diese werden von dem über Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten subjektiven Nettoprinzip erfasst und sind steuerlich über den Grundfreibetrag abgegolten (vgl. u.a. BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, unter D.II.1., m.w.N.; Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672, unter C.III.4.a).
3. Die Kostentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.