BFH XI. Senat
AO § 90 Abs 2, FGO § 76 Abs 1 S 4, FGO § 96 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 6, FGO § 119 Nr 3, FGO § 155, GG Art 103 Abs 1, StPO § 244 Abs 3, ZPO § 227
vorgehend Finanzgericht des Saarlandes , 11. September 2013, Az: 2 K 1096/11
Leitsätze
NV: Das FG darf einen Antrag auf Vertagung wegen Verhinderung eines im Ausland lebenden Zeugen nicht mit der unzutreffenden Begründung ablehnen, der Kläger habe keine Angaben dazu gemacht, wann konkret damit zu rechnen ist, dass der Zeuge für eine Aussage zur Verfügung steht.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen ausgeführt hat.
Der Kläger betrieb als Einzelunternehmer bis zum 30. Juni 2008 einen Handel mit Krafträdern und Zubehörteilen, insbesondere im Bereich von Motocross-Motorrädern. Im Jahr 2004 erteilte er vier Rechnungen über insgesamt 42.200 € und im Jahr 2005 sieben Rechnungen über insgesamt 65.727,85 € an das in Y (Italien) ansässige Unternehmen A über Lieferungen von Motorrädern und Motorradteilen unter Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Rechnungsempfängers. In den Umsatzsteuer-Voranmeldungen bzw. -Jahreserklärungen der Jahre 2004 und 2005 (Streitjahre) behandelte der Kläger diese Geschäfte als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen.
Im Rahmen eines Verfahrens zum umsatzsteuerlichen Auskunftsaustausch teilte die italienische Finanzbehörde mit, dass die A den Erhalt der entsprechenden Lieferungen bestreite und hierzu keine innergemeinschaftlichen Erwerbe angemeldet habe. Zur Überprüfung des Sachverhalts führte das Finanzamt beim Kläger eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die Streitjahre durch. Im Rahmen der Prüfung erklärte der Kläger, die für A bestimmten Liefergegenstände seien durch Herrn C abgeholt und in das in der jeweiligen Rechnung genannte Bestimmungsland Italien gebracht worden. Bei C habe es sich um einen Beauftragten der A gehandelt. Ein Rechnungsjournal des Klägers vom Februar 2008 weist die handschriftliche Erklärung in italienischer Sprache aus, dass die Motorräder nach Italien verbracht worden seien.
Der Prüfer lehnte die Steuerbefreiung für die Lieferungen an die A wegen fehlender Nachweise nach § 6a Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes i.V.m. §§ 17a und 17c der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung insbesondere wegen des fehlenden Nachweises einer Bevollmächtigung des Abholers C durch A ab. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) schloss sich den Feststellungen des Außenprüfers an und erließ am 28. April 2008 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre, in denen er die streitbefangenen Umsätze dem Regelsteuersatz unterwarf. Am 30. Mai 2008 legte der Kläger Einsprüche gegen die geänderten Bescheide ein, die das FA als unbegründet zurückwies.
Mit der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das II. Kalendervierteljahr 2008 legte der Kläger auf Anraten seines Steuerberaters neue Ausfertigungen der streitbefangenen Rechnungen aus den Streitjahren vor, in denen er anstelle des bisherigen Adressaten (A) den Abholer der Liefergegenstände C ("Fa. C …", Italien), als Rechnungsempfänger angab.
Während des anschließenden finanzgerichtlichen Verfahrens beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 30. Mai 2011, C als Zeugen zu vernehmen. Vor der für den 12. September 2013 vorgesehenen mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 21. August 2013, dass er beabsichtige, diesen Zeugen zum Termin der mündlichen Verhandlung zu stellen. Mit weiterem Schriftsatz vom 9. September 2013 übersandte der Kläger dem Finanzgericht (FG) eine in italienischer Sprache an ihn gerichtete "E-Mail" des benannten Zeugen, woraus sich ergab, dass dieser wegen "unaufschiebbarer Arbeitsverpflichtungen" nicht zum vorgesehenen Verhandlungstermin am 12. September 2013 vor Gericht erscheinen könne und um Verlegung des Termins auf die Monate November oder Dezember 2013 bitte. Der Kläger beantragte, den anberaumten Verhandlungstermin auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Der zuständige Berichterstatter teilte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers fernmündlich am 10. September 2013 mit, dass der Termin nicht aufgehoben werde. Im Verhandlungstermin rügte der Kläger die unterbliebene Vertagung und die Nichteinvernahme des benannten Zeugen. Das FG wies die Klage als unbegründet ab.
Mit der gegen das Urteil des FG gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs und einen Verstoß gegen die dem Gericht obliegende Sachaufklärungspflicht als Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
Entscheidungsgründe
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO.
1. Das FG hat einen Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO in Gestalt der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO) begangen, in dem es den vom Kläger gestellten Antrag auf Vertagung des Termins zur mündlichen Verhandlung abgelehnt hat.
a) Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass ein im Ausland ansässiger Zeuge vom FG nicht zu laden, sondern vom Beteiligten, der die Vernehmung dieses Zeugen beantragt, gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung zu stellen ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 11. November 2004 V B 82/04, BFH/NV 2005, 568; vom 21. August 2006 X B 154/05, BFH/NV 2006, 2285, m.w.N.). Insoweit darf das FG für den Fall, dass der Zeuge von dem rechtskundig vertretenen Beteiligten nicht gestellt wurde, grundsätzlich ohne Berücksichtigung dieses Beweismittels den ihm vorliegenden Sachverhalt nach freier Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) würdigen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2005, 568; vom 23. September 2010 XI B 97/09, BFH/NV 2011, 269; vom 30. Mai 2011 XI B 90/10, BFH/NV 2011, 1479).
b) Auch braucht das FG einem Antrag auf Vertagung nach § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung wegen Verhinderung eines im Ausland lebenden Zeugen jedenfalls dann nicht nachgehen, wenn dessen Verhinderung nicht nachprüfbar entschuldigt ist und außerdem der Beweisführer keine Angaben dazu macht, wann damit zu rechnen ist, dass dieser für eine Aussage zur Verfügung steht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. Februar 2004 V B 205/02, BFH/NV 2004, 964, und vom 8. August 2006 X B 161/04, BFH/NV 2006, 2119, unter 4.).
c) Diese Voraussetzungen hat das FG im Streitfall aber zu Unrecht bejaht.
aa) Das FG hat zwar zu Recht angenommen, dass die Verhinderung des Zeugen C nicht nachprüfbar entschuldigt war. Es hat insoweit darauf hingewiesen, dass die vorliegende schriftliche Einlassung des Zeugen C, wonach er wegen unumgänglicher beruflicher Pflichten nicht zum Verhandlungstermin erscheinen könne, nicht nachprüfbar ist und ferner als unsubstantiiert und floskelhaft erscheint. Die Entscheidung des FG, dass eine derartige Entschuldigung nicht ausreicht, steht im Einklang mit den hierzu aufgestellten Rechtsgrundsätzen des BFH (vgl. z.B. Beschlüsse in BFH/NV 2006, 2119, unter 4.; vom 28. August 2008 VI B 59/08, BFH/NV 2009, 34, unter II.2.a).
bb) Das FG ist aber unzutreffend davon ausgegangen, dass die Mitteilung des Klägers, der Zeuge C werde nach eigener Auskunft in den Monaten November und/oder Dezember 2013 an einer Beweisaufnahme teilnehmen können, nicht als hinreichend substantiierte Angabe gelten kann, die eine neuerliche Terminierung gestattete.
Das FG hat ausgeführt, der Kläger habe keine Angaben dazu gemacht, wann konkret damit zu rechnen sei, dass der Zeuge für eine Vernehmung zur Verfügung steht. Der Hinweis auf die "Monate November und/oder Dezember" sei zu unbestimmt und erlaube es dem Senat nicht, einen neuen Termin so anzuberaumen, dass mit dem Erscheinen des Zeugen zu rechnen sei.
Dies ist unzutreffend.
Im Übrigen wäre es dem FG ohne Weiteres möglich gewesen, die Sache zu vertagen und erneut eine mündliche Verhandlung (nur wenig später) im November oder Dezember 2013 anzuberaumen. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge entgegen dessen Ankündigung dann nicht erscheinen werde, hatte das FG nicht.
In diesem Zusammenhang war auch zu berücksichtigen, dass es sich um einen erstmaligen Vertagungsantrag handelte, und kein Anhaltspunkt für eine Prozessverschleppungsabsicht erkennbar war (vgl. dazu z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 91 Rz 5).
2. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.