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Urteil vom 27. Februar 2014, V R 15/13

Nichtberücksichtigung eines Kindes bei fehlendem inländischen Wohnsitz

BFH V. Senat

EStG § 63 Abs 1 S 3, AO § 8, FVG § 5 Abs 1 Nr 11, EStG VZ 2010

vorgehend FG Münster, 06. Oktober 2011, Az: 12 K 4112/10 Kg

Leitsätze

NV: Bei mehrfachem Wohnsitz eines Elternteils im In- und Drittland teilt ein im Drittland geborenes Kind nicht automatisch den Inlandswohnsitz dieses Elternteils (Anschluss an BFH-Urteil vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351, unter II.1.c).

Tatbestand

  1. I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist deutscher Staatsangehöriger und leiblicher Vater des am 9. Februar 2010 im Drittland geborenen Kindes M (Kind). Das Kind hat die deutsche Staatsangehörigkeit.

  2. In der Zeit von Mai 2009 bis März 2011 hielt sich der Kläger überwiegend in einem Drittland auf. Dort war er für eine "non-governmental organization" (X-NGO) unentgeltlich als Berater tätig. Während dieses Zeitraums hielt sich der Kläger lediglich für drei zusammenhängende Monate in der Wohnung seines im Inland belegenen Hauses auf. Über diese voll eingerichtete Wohnung hatte der Kläger während der gesamten Tätigkeitszeit im Drittland verfügt. Das Kind hatte der Kläger ab dessen Geburt in der inländischen Wohnung angemeldet. Tatsächlich bezog es diese Wohnung erstmals ab dem 3. März 2011, nachdem der Kläger seine Tätigkeit bei der X-NGO beendet hatte. Zuvor lebte das Kind zusammen mit der Kindesmutter ohne Unterbrechung in dem Drittland.

  3. Am 25. August 2010 hatte der Kläger einen Antrag auf Kindergeld gestellt. Diesen lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) durch Bescheid vom 27. September 2010 ab. Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Ein Anspruch auf Kindergeld bestehe nicht, weil das Kind keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe.

  4. Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage durch Urteil mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1355 veröffentlichten Gründen statt und verpflichtete die Familienkasse, dem Kläger für das Kind ab Februar 2010 bis einschließlich Oktober 2010 Kindergeld zu gewähren. Das Kind sei kindergeldrechtlich zu berücksichtigen, weil es den inländischen Wohnsitz des Klägers teile.

  5. Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Kind bereits mit der Geburt einen Wohnsitz im Inland begründet habe.

  6. Die Familienkasse beantragt,
    das Urteil des FG Münster vom 7. Oktober 2011  12 K 4112/10 Kg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  7. Der Kläger beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision ist begründet. Das Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Der während des Revisionsverfahrens durch den Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit vom 18. April 2013 Nr. 21/2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes (Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) eingetretene Zuständigkeitswechsel auf die Beklagte führt zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 22. August 2007 X R 2/04, BFHE 218, 533, BStBl II 2008, 109, m.w.N.). Das Rubrum des Verfahrens ist deshalb zu ändern.

  3. 2. Das Urteil ist aufzuheben, weil es § 63 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verletzt. Der Kläger hat im streitigen Zeitraum (Februar 2010 bis Oktober 2010) keinen Anspruch auf Kindergeld. Entgegen der Rechtsauffassung des FG ist das Kind nicht zu berücksichtigen, weil es im Streitzeitraum weder einen Wohnsitz im Inland noch in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union noch in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, hatte (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).

  4. a) Gemäß § 8 der Abgabenordnung hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Ein Wohnsitz wird durch tatsächliches Handeln begründet. Nicht entscheidend ist daher die Anmeldung eines Wohnsitzes des Kindes beim inländischen Einwohnermeldeamt (BFH-Urteile vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BFHE 178, 294, BStBl II 1996, 2, und vom 12. September 2013 III R 16/11, BFH/NV 2014, 320). Danach hatte das Kind keinen inländischen Wohnsitz begründet, weil es im Streitzeitraum ausschließlich im Drittland gewohnt hat und erst nach über einem Jahr nach seiner Geburt die Wohnung des Vaters bezog.

  5. b) Der (zweite) Wohnsitz des Klägers im Inland ist dem Kind nicht zuzurechnen. Entgegen der Rechtsauffassung des FG gibt es keinen Rechtsgrundsatz, wonach ein Kind ‑‑bis es sich persönlich und wirtschaftlich vom Elternhaus gelöst hat‑‑ bei mehrfachem Wohnsitz eines Elternteils diesen automatisch mitbegründet (vgl. BFH-Urteil vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351, unter II.1.c). Das Gesetz unterscheidet in § 62 und § 63 EStG zwischen dem Wohnsitz des Kindergeldberechtigten und dem Wohnsitz des Kindes. Der Senat schließt sich dem Urteil des III. Senats in BFH/NV 2011, 1351 an.

  6. 3. Die Sache ist spruchreif und die Klage abzuweisen, da das Kind des Klägers die Voraussetzungen des § 63 EStG nicht erfüllt.

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