BFH V. Senat
UStG § 4 Nr 9b, EGRL 112/2006 Art 1, EGRL 112/2006 Art 135 Abs 1 Buchst i, AEUV Art 267, GG Art 103, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 127, UStG VZ 2009 , UStG VZ 2010 , UStG VZ 2011 , UStG VZ 2012
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 20. November 2012, Az: 5 K 217/12
Leitsätze
1. NV: Es ist geklärt, dass Mehrwertsteuer und eine innerstaatliche Sonderabgabe auf Glücksspiele kumulativ erhoben werden dürfen, sofern die Sonderabgabe nicht den Charakter einer Umsatzsteuer hat und dass Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL einer innerstaatlichen Regelung nicht entgegensteht, nach der die geschuldete Mehrwertsteuer betragsgenau auf eine nicht harmonisierte Abgabe angerechnet wird.
2. NV: Die Finanzgerichte sind nicht zu Vorlagen an den EuGH verpflichtet.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) zuzulassen.
Die Klägerin hält es für klärungsbedürftig, ob Mehrwertsteuer und nationale Sonderabgaben auf Glücksspiele nur alternativ, nicht aber kumulativ erhoben werden dürfen. Gleiches gelte für die Frage, ob landesrechtliche Bestimmungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind, die für staatliche Spielbanken eine Anrechnung, Stundung oder einen Erlass von Sonderabgaben vorsehen, die mit der Umsatzsteuer korrespondieren und die so zu einem faktischen Wettbewerbsvorteil im Verhältnis zu privaten Geldspielautomatenaufstellern führen.
Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen sind bereits durch die Rechtsprechung geklärt. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 24. Oktober 2013 C-440/12 Metropol (Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2013, 866) entschieden, dass Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) i.V.m. Art. 135 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, "dass die Mehrwertsteuer und eine innerstaatliche Sonderabgabe auf Glücksspiele kumulativ erhoben werden dürfen, sofern die Sonderabgabe nicht den Charakter einer Umsatzsteuer hat" und dass Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL dahin auszulegen ist, "dass er einer innerstaatlichen Regelung, wonach die geschuldete Mehrwertsteuer betragsgenau auf eine nicht harmonisierte Abgabe angerechnet wird, nicht entgegensteht". Damit besteht kein weitergehender Klärungsbedarf in Bezug auf die aufgeworfenen Fragen.
2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen, da durch das EuGH-Urteil Metropol in UR 2013, 866, das die nationalen Gerichte bei der Rechtsauslegung und –anwendung zu beachten haben, eine hinreichende Klärung eingetreten ist. Dies gilt auch in Bezug auf frühere Urteile des EuGH.
Die in diesem Zusammenhang von der Klägerin auch erhobene Rüge, das Finanzgericht (FG) habe ihr durch das Unterlassen einer Vorlage an den EuGH den gesetzlichen Richter entzogen und damit gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) verstoßen, greift nicht durch. Denn nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Union sind die Finanzgerichte ‑‑als nicht letztinstanzliche Gerichte‑‑ nicht zur Vorlage an den EuGH verpflichtet (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19. Juli 1994 VII R 107/93, BFHE 175, 192, BStBl II 1994, 875, unter II.2. der Gründe; BFH-Beschluss vom 27. November 2003 VII R 49/03, BFH/NV 2004, 521, unter II.2.). Das gilt auch, wenn Rechtsmittel ‑‑ggf. durch das höhere Gericht‑‑ zuzulassen sind (vgl. BFH-Beschluss vom 9. November 2007 IV B 169/06, BFH/NV 2008, 390, unter 4.).
3. Es liegt auch kein Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor. Die Klägerin macht insoweit geltend, dass ihr Anspruch auf faires Verfahren und damit Art. 103 GG verletzt sei. Im Kern wendet sich die Klägerin aber gegen die materiell-rechtliche Beurteilung durch das FG, die zwischenzeitlich durch den EuGH bestätigt wurde. Dass die Klägerin eine nachvollziehbare Ableitung der finanzgerichtlichen Überzeugung vermisst und beanstandet, dass das FG davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 74 FGO evident nicht vorgelegen hätten, reicht nicht aus.
4. Auch der Erlass des Änderungsbescheides führt nicht zur Begründetheit der Beschwerde.
Ergeht während des Verfahrens über eine zulässige, aber unbegründete Nichtzulassungsbeschwerde ein Änderungsbescheid, ist die Vorentscheidung entsprechend § 127 FGO aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Die Vorentscheidung ist aber nicht entsprechend § 127 FGO aufzuheben, wenn der Änderungsbescheid keine gegenüber den bisherigen Belastungen verbösernde Entscheidung enthält oder diese Entscheidung nicht streitig ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom 31. März 2006 V B 13/04, BFH/NV 2006, 1492; vom 8. Februar 2007 IV B 138/05, BFH/NV 2007, 1326, und vom 29. Oktober 2010 V B 123/09, BFH/NV 2011, 663).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Umsatzsteuerjahresbescheid 2011 vom 4. Juli 2013 hat die ‑‑auch‑‑ angefochtenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide Januar bis Mai 2011, Juli 2011 und September bis Dezember 2011 ersetzt und ist nach § 68 FGO zum Verfahrensgegenstand geworden (BFH-Beschlüsse vom 15. Oktober 2008 X B 60/07, BFH/NV 2009, 205; vom 29. Oktober 2004 XI B 213/02, BFH/NV 2005, 566). Klägerin und der Beklagte und Beschwerdegegner haben zudem erklärt, dass sich durch den Erlass des Umsatzsteuerjahresbescheides der Streitgegenstand nicht geändert habe.