BFH III. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2, FGO § 116 Abs 3 S 3
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 30. Juli 2013, Az: 4 K 2708/12
Leitsätze
NV: Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde das Vorliegen einer Divergenz geltend gemacht , kann die Revision gegen ein kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestütztes Urteil des Finanzgerichts wegen Divergenz nur dann zugelassen werden, wenn hinsichtlich jedes dieser Gründe eine Divergenz dargelegt wird und gegeben ist.
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) war seit 1985 mit der Beigeladenen verheiratet. Die Eheleute betreuten neben einem gemeinsamen Kind seit 1996 auch ein im Dezember 1992 geborenes Pflegekind (B) und seit 1998 ein im August 1995 geborenes Pflegekind (F). Beide Kinder befanden sich im Streitzeitraum November 2010 bis April 2012 in Berufsausbildung. Bis Oktober 2010 bewohnten die Eheleute gemeinsam mit den beiden Pflegekindern ein Haus in der A-Straße. Im Oktober 2010 begründete der Kläger wegen Problemen zwischen den Eheleuten einen weiteren Wohnsitz in der B-Straße. Zum 1. April 2011 gab der Kläger diesen Wohnsitz auf und begründete einen neuen Wohnsitz in dem von beiden Eheleuten erworbenen Haus in der C-Straße. Zum 4. Mai 2012 gab der Kläger den Wohnsitz in der C-Straße wieder auf und zog zurück in die A-Straße, wo sich auch die Pflegekinder nach wie vor aufhielten. Zum gleichen Zeitpunkt begründete die Ehefrau des Klägers einen Wohnsitz in der C-Straße.
Die Beklagte und Beschwerdeführerin (Familienkasse) hob mit Bescheiden vom 16. Juli 2012 die zugunsten des Klägers erfolgte Kindergeldfestsetzung für die beiden Pflegekinder ab November 2010 auf, da keine Aufnahme der Pflegekinder in den Haushalt des Klägers mehr vorgelegen habe, sah den zugleich geltend gemachten Rückforderungsanspruch jedoch aufgrund einer von der Beigeladenen abgegebenen Weiterleitungserklärung als erfüllt an. Im Rahmen des hiergegen geführten Einspruchsverfahrens beschränkte die Familienkasse die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind F auf den Zeitraum bis April 2012. Das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 30. November 2012).
Das Finanzgericht (FG) gab den hiergegen gerichteten Klagen, die sich auf das Kindergeld für jeweils eines der Pflegekinder beschränkten, statt.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Familienkasse die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Entscheidungsgründe
II. Die Verbindung der beiden Beschwerdeverfahren beruht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 121 FGO.
III.
Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und deshalb durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Sofern Zulassungsgründe überhaupt in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form geltend gemacht wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.
1. a) Eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist anzunehmen, wenn das FG mit einem das angegriffene Urteil tragenden und entscheidungserheblichen Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz einer anderen Gerichtsentscheidung abgewichen ist. Das angefochtene Urteil und die vorgebliche Divergenzentscheidung müssen dabei dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein (z.B. Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2011 III B 56/11, BFH/NV 2012, 178).
Ist ein Urteil kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, kann die Revision wegen Divergenz nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jedes dieser Gründe eine Divergenz dargelegt wird (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) und gegeben ist (Senatsbeschluss vom 30. August 2000 III B 62/98, BFH/NV 2001, 455).
b) Im vorliegenden Fall hat das FG sein Urteil kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt. Es verwies in seinem ersten Begründungsstrang darauf, dass bei Pflegekindern i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ‑‑anders als im Falle der Kindergeldberechtigung für Stief- oder Enkelkinder (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 EStG)‑‑ eine einmal begründete Haushaltsaufnahme nicht stets fortgeführt werden müsse. Vielmehr könne auch bei einer gelockerten Familienzusammengehörigkeit die Anspruchsberechtigung erhalten bleiben. In seinem zweiten Begründungsstrang stellte es darauf ab, dass der Kläger bei Würdigung der Gesamtumstände im Streitzeitraum mit den beiden Pflegekindern in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe.
c) aa) Soweit die Familienkasse eine Abweichung zum Senatsbeschluss vom 16. April 2008 III B 36/07 (BFH/NV 2008, 1326) geltend macht, ist die Rüge unschlüssig. Eine Abweichung der Vorentscheidung von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt voraus, dass in der Divergenzentscheidung über eine revisible Rechtsfrage entschieden wurde. In Beschlüssen, die in einem Nichtzulassungsverfahren ergangen sind, werden keine Rechtsfragen entschieden, sodass diese als Divergenzentscheidungen ausscheiden (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Juli 2004 X B 175/03, BFH/NV 2004, 1544).
bb) Soweit die Familienkasse eine Divergenz zum BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 VIII R 106/03 (BFHE 208, 220, BStBl II 2008, 762) rügt, liegt eine solche nicht vor.
Nach der vorgeblichen Divergenzentscheidung ist eine Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG dann gegeben, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist; neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (ebenso der vom Kläger des weiteren angeführte Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2006 III S 3/06 (PKH), BFH/NV 2007, 238).
Von eben diesem Rechtssatz ist indessen auch das FG in seinem zweiten Begründungsstrang ausgegangen. Es hat diesen aus dem BFH-Urteil vom 20. Juni 2001 VI R 224/98 (BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713) entnommen, dem sich auch die vorgebliche Divergenzentscheidung angeschlossen hat. Entgegen der Beschwerdebegründung hat das FG insoweit auch nicht entschieden, dass eine zur Übernachtung genutzte Zweitwohnung ausreichend sei, um eine Haushaltsaufnahme zu erhalten. Vielmehr ist das FG unter Würdigung der Gesamtumstände des Falles (insbesondere der von der Beigeladenen bestätigten fortdauernden materiellen Versorgung der Kinder durch den Kläger, seiner steten Einbindung in die Betreuung der Kinder, seinem ständigen direkten häuslichen Kontakt und dem Alter der Kinder) zu dem Ergebnis gelangt, dass die außerhalb des Haushalts erfolgten Übernachtungen des Klägers die Aufnahme der Pflegekinder in seinen Haushalt nicht entfallen ließen.
Soweit die Familienkasse darüber hinaus eine Divergenz des ersten Begründungsstrangs des angegriffenen FG-Urteils zu den BFH-Urteilen in BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713 und in BFHE 208, 220, BStBl II 2008, 762 geltend macht, kann sich hieraus kein Zulassungsgrund ergeben, weil für den zweiten selbständig tragenden Begründungsstrang kein Zulassungsgrund vorliegt.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO. Es war weder geboten, der Beigeladenen Kosten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 3 FGO), noch die Erstattung außergerichtlicher Aufwendungen der Beigeladenen anzuordnen (§ 139 Abs. 4 FGO). Die Beigeladene hat im Beschwerdeverfahren über die Nichtzulassung der Revision weder förmliche Sachanträge gestellt noch das Verfahren in sonstiger Weise gefördert.