BFH VI. Senat
EStG § 19 Abs 1, EStG § 8 Abs 1, EStG § 8 Abs 2 S 2, EStG § 8 Abs 2 S 3, EStG § 8 Abs 2 S 4, EStG § 6 Abs 1 Nr 4 S 2, EStG § 19 Abs 1, EStG § 8 Abs 1, EStG § 8 Abs 2 S 2, EStG § 8 Abs 2 S 3, EStG § 8 Abs 2 S 4, EStG § 6 Abs 1 Nr 4 S 2, EStG VZ 2007 , EStG VZ 2008 , EStG VZ 2009 , FGO § 96 Abs 1, FGO § 118 Abs 2
vorgehend FG Düsseldorf, 10. April 2013, Az: 11 K 2935/11 E
Leitsätze
1. NV: Über die Frage, ob und welches betriebliche Fahrzeug dem Arbeitnehmer ausdrücklich oder doch zumindest konkludent auch zur privaten Nutzung überlassen ist, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung .
2. NV: Steht nicht fest, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat, kann auch der Beweis des ersten Anscheins diese fehlende Feststellung nicht ersetzen .
3. NV: Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber ein arbeitsvertraglich vereinbartes Privatnutzungsverbot nicht überwacht oder es wie bei einem familienangehörigen Arbeitnehmer an einer "Kontrollinstanz" fehlt .
Tatbestand
I. Streitig ist der Ansatz eines geldwerten Vorteils wegen der privaten Nutzung eines Firmenwagens.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Arbeitnehmer der X, deren Inhaber der Vater des Klägers ist. Dem Kläger ist ein Firmenfahrzeug, ein Audi A6 Kombi mit Anhängerkupplung (Erstzulassung 2002), zur (dienstlichen) Nutzung überlassen worden. Das Fahrzeugkennzeichen beinhaltet die Initialen des Klägers. Ausweislich einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag darf der Kläger ab der Einstellung mit dem Firmenfahrzeug keine Privatfahrten durchführen. Das Fahrzeug darf ausschließlich zu Firmenzwecken genutzt werden. Eine Versteuerung des geldwerten Vorteils wurde vom Arbeitgeber nicht vorgenommen. Auf den Kläger ist als Privatwagen seit 2003 ein Porsche 911 Carrera zugelassen.
Bei dem Arbeitgeber des Klägers fand in den Jahren 2010/2011 eine Lohnsteuer-Außenprüfung statt. Die Lohnsteuer-Außenprüferin stellte fest, dass das Nutzungsverbot nicht überwacht und Fahrtenbücher nicht geführt wurden. Nach Auskunft des Arbeitgebers sei kein schriftlicher Arbeitsvertrag mit dem Kläger geschlossen worden; dies sei nicht erforderlich gewesen, da der Kläger der zukünftige Geschäftsinhaber sei. Es liege lediglich ein Ausbildungsvertrag für eine Ausbildung vor und die "Zusätzliche Vereinbarung zum Arbeitsvertrag" (im Weiteren als "Zusatzvereinbarung" bezeichnet). Die Lohnsteuer-Außenprüferin kam zu der Auffassung, dass eine private Nutzung des Firmenwagens durch den Kläger nicht ausgeschlossen werden könne, und sah den geldwerten Vorteil als Arbeitslohn an.
Entsprechend erhöhte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) in den Jahren 2007, 2008 und 2009 den Arbeitslohn des Klägers um jeweils 8.232 € und erließ unter dem 24. März 2011 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung berichtigte Einkommensteuerbescheide.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1315 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt,
das Urteil des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf vom 11. April 2013 11 K 2935/11 E und die Einspruchsentscheidung vom 5. August 2011 aufzuheben sowie die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2009 jeweils vom 24. März 2011 insoweit abzuändern, als die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit für die Jahre 2007 bis 2009 jeweils um 8.232 € gemindert werden.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Überlässt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung, führt das nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zu einem als Lohnzufluss nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erfassenden steuerbaren Nutzungsvorteil des Arbeitnehmers (Senatsurteile vom 18. April 2013 VI R 23/12, BFHE 241, 276, BFH/NV 2013, 1316, und vom 21. März 2013 VI R 42/12, BFHE 241, 180, BFH/NV 2013, 1305; VI R 46/11, BFHE 241, 175, BFH/NV 2013, 1302, und VI R 31/10, BFHE 241, 167, BStBl II 2013, 700; jeweils m.w.N.), und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer den betrieblichen PKW privat nutzt (Senatsurteil in BFHE 241, 167, BStBl II 2013, 700). Der Vorteil ist nach § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entweder mit der Fahrtenbuchmethode oder, wenn ‑‑wie im Streitfall mittlerweile unstreitig‑‑ kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt wird, mit der 1 %-Regelung zu bewerten.
2. Über die Frage, ob und welches betriebliche Fahrzeug dem Arbeitnehmer auch zur privaten Nutzung überlassen ist, entscheidet das FG unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zwar ist die finanzrichterliche Überzeugungsbildung revisionsrechtlich nur eingeschränkt auf Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze überprüfbar. Das FG hat jedoch im Einzelnen darzulegen, wie und dass es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 13. März 1997 I B 78/96, BFH/NV 1997, 772). Die subjektive Gewissheit des Tatrichters vom Vorliegen eines entscheidungserheblichen Sachverhalts ist nur dann ausreichend und für das Revisionsgericht bindend, wenn sie auf einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Würdigung beruht, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen werden. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, so liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor (Senatsurteil vom 11. November 2010 VI R 16/09, BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966, m.w.N.).
3. Ein solcher Rechtsanwendungsfehler ist vorliegend zu beklagen. Der Schluss des FG, dass dem Kläger von seinem Arbeitgeber der streitige Firmenwagen in den Streitjahren auch zur privaten (befugten) Nutzung überlassen worden ist, hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Denn diese Erkenntnis beruht nicht auf belastbaren Feststellungen des FG. Danach ist dem Kläger die private Nutzung des Audi A6 verboten. Das FG hat seine Überzeugung allein aus dem Umstand, dass der Kläger aufgrund seiner herausgehobenen Position im Unternehmen (faktischer Geschäftsführer) die Möglichkeit hatte, wie ein Unternehmer frei über das streitige Firmenfahrzeug zu bestimmen, geschöpft und hieraus auf die private Nutzungsbefugnis des Klägers geschlossen. Dieser Schluss ist jedoch für den Senat nicht nachvollziehbar. Denn von der Nutzungsmöglichkeit aufgrund tatsächlicher Sachherrschaft lässt sich nicht auf eine rechtsgeschäftlich (ausdrücklich oder konkludent) vermittelte Nutzungsbefugnis schließen.
b) Im Übrigen rechtfertigt allein die Möglichkeit, das Fahrzeug (gegen den Willen des Arbeitgebers) privat zu nutzen, den Ansatz eines lohnsteuerbaren Nutzungswerts nicht. Arbeitslohn liegt nur insoweit vor, als der Arbeitnehmer zur Privatnutzung des Firmenfahrzeugs befugt ist (Senatsurteil vom 21. April 2010 VI R 46/08, BFHE 229, 228, BStBl II 2010, 848). Folglich kann auch entgegen der Auffassung des FG die Tatsache, dass der Arbeitgeber vorliegend diese private Nutzungsmöglichkeit geduldet habe und diese Möglichkeit nicht durch das arbeitsvertragliche Nutzungsverbot oder dessen unzureichende Überwachung ausgeschlossen worden sei, einen geldwerten nach der 1 %-Regelung zu bewertenden Vorteil des Arbeitnehmers nicht begründen.
4. Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze den hier streitigen Sachverhalt insbesondere dahingehend weiter aufzuklären und zu würdigen haben, ob der Kläger gegebenenfalls aufgrund einer möglicherweise konkludent geschlossenen Vereinbarung zur privaten Nutzung des geleasten Audi A6 befugt war. Diese Feststellungen kann auch der Beweis des ersten Anscheins nicht ersetzen. Das FG hat sich von der privaten Nutzungsbefugnis und nicht lediglich von der Möglichkeit zur unbefugten Privatnutzung mit der erforderlichen Gewissheit zu überzeugen. Dabei hat es auch zu berücksichtigen, dass die fehlende Überwachung eines arbeitsvertraglich vereinbarten Verbots der privaten Nutzung des dienstlich überlassenen Fahrzeugs nicht auf dessen Steuerunerheblichkeit schließen lässt (vgl. Senatsurteile in BFHE 241, 180, BFH/NV 2013, 1305; in BFHE 241, 175, BFH/NV 2013, 1302). Zwar mag es sein, dass in Fällen wie dem vorliegenden der Arbeitnehmer ‑‑in Ermangelung einer "Kontrollinstanz"‑‑ bei einer Zuwiderhandlung keine arbeitsrechtlichen oder gar strafrechtlichen Konsequenzen zu gewärtigen hat. Gleichwohl rechtfertigt dies einen entsprechenden steuerstrafrechtlich erheblichen Generalverdacht nicht. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber ein arbeitsvertraglich vereinbartes Privatnutzungsverbot nicht überwacht oder es wie bei einem angestellten (Allein-)Geschäftsführer, einem (familienangehörigen) Geschäftsführer eines Familienunternehmens oder dem Gesellschafter-Geschäftsführer an einer "Kontrollinstanz" fehlt (Senatsurteile in BFHE 241, 276, BFH/NV 2013, 1316; in BFHE 241, 180, BFH/NV 2013, 1305; in BFHE 241, 175, BFH/NV 2013, 1302, m.w.N.). Allerdings kann bei einer nachhaltigen "vertragswidrigen" privaten Nutzung eines betrieblichen PKW durch den Arbeitnehmer ‑‑sofern eine solche festgestellt ist‑‑ der Schluss naheliegen, dass Nutzungsbeschränkung oder -verbot nicht ernstlich gemeint sind, sondern lediglich "auf dem Papier stehen", da üblicherweise der Arbeitgeber eine unbefugte Nutzung durch den Arbeitnehmer nicht duldet. Unterbindet der Arbeitgeber die unbefugte Nutzung durch den Arbeitnehmer nicht, kann die "vertragswidrige" Privatnutzung auf einer vom schriftlich Vereinbarten abweichenden, mündlich oder konkludent getroffenen Nutzungs- oder Überlassungsvereinbarung beruhen und damit den Ansatz eines nach der 1 %-Regelung zu bewertenden, lohnsteuerbaren Nutzungsvorteil rechtfertigen (Senatsurteil vom 23. April 2009 VI R 81/06, BFHE 225, 33, BStBl II 2012, 262).