BFH VI. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 76, ZPO § 295, ZPO § 418, ZPO § 182
vorgehend FG Köln, 11. Juni 2013, Az: 4 K 3329/12
Leitsätze
1. NV: Der Inhalt der Zustellungsurkunde erbringt den vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachen auch dann, wenn die Uhrzeit der Zustellung auf der Urkunde nicht vermerkt ist. Er kann nur durch einen Gegenbeweis erschüttert werden.
2. NV: Der Gegenbeweis ist nicht geführt, wenn in einer eidesstattlichen Versicherung dem FG gegenüber erklärt wird, da das Schriftstück am Montag im Briefkasten vorgefunden worden sei, sei davon ausgegangen worden, dass dies der Tag der Zustellung sei. In diesem Fall liegt auch kein Verstoß gegen die Ermittlungspflicht vor, denn die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen musste sich dem nicht aufdrängen.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit die Ausführungen in der Beschwerdeschrift den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechen, liegen die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung (§ 115 Abs. 2 FGO) jedenfalls nicht vor.
1. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung des Finanzgerichts (FG) zur Sachaufklärung (§ 76 FGO) liegt nicht vor. Insbesondere durfte sich das FG für den Beweis des Zugangs der gerichtlichen Verfügung, mit der den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO eine Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Klagebegehrens gesetzt worden war, mit der Würdigung des Inhalts der Zustellungsurkunde nach § 182 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) begnügen. Sie erbringt den vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachen (§ 418 ZPO; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14. Februar 2007 XI B 108/05, BFH/NV 2007, 1158; vom 10. Juli 2013 VII B 11/13, BFH/NV 2013, 1787). Der Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 1787).
Dem Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) aufgrund der unterlassenen Einvernahme der schriftsätzlich als Zeugin benannten Fachangestellten des Prozessbevollmächtigten der Kläger steht zunächst der Verlust des Rügerechts entgegen.
Die Kläger haben ausweislich des Sitzungsprotokolls keine Beweisanträge gestellt. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 115 FGO i.V.m. § 295 ZPO), hat das Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge den Rügeverlust zur Folge. Eine unterlassene Zeugeneinvernahme kann deshalb im Beschwerdeverfahren nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der mündlichen Verhandlung anwesende fachkundige Prozessvertreter dies ‑‑wie im Streitfall‑‑ nicht gerügt hat (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 1787).
Im Streitfall musste sich dem FG die Vernehmung der Angestellten des Prozessvertreters als Zeugin auch nicht aufdrängen. Die Kläger haben in der Beschwerdeschrift ausgeführt, die Angestellte habe die Verfügung des FG erst im Laufe des Montags, dem 31. Dezember 2012, im Briefkasten vorgefunden, nicht hingegen bereits am Morgen dieses Tages. Dies spreche gegen die in der Zustellungsurkunde vermerkte Zustellung bereits am Samstag, dem 29. Dezember 2012. Dieser Vortrag wird indes durch den Inhalt der finanzgerichtlichen Akten nicht hinreichend belegt. Insbesondere ist in der von der Kanzleiangestellten unterzeichneten eidesstattlichen Versicherung vom 19. Februar 2013 lediglich ausgeführt, sie habe die gerichtliche Verfügung "in den Vormittagsstunden des 31.12.2012" im Briefkasten vorgefunden und sei daher davon ausgegangen, dass das Schriftstück im Laufe des Vormittags eingeworfen worden sei. Im Gegensatz zu den Ausführungen in der Beschwerdeschrift ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung jedoch nicht, dass sich das Schriftstück am Montagmorgen noch nicht im Briefkasten befunden habe. Ein entsprechendes Vorbringen findet sich auch im Übrigen nicht in den Akten des FG. Da die Kläger ihren Vortrag danach im finanzgerichtlichen Verfahren nicht in der Weise konkretisiert hatten, dass sich daraus die Erschütterung der Beweiskraft des in der Zustellungsurkunde vermerkten Datums ergeben hätte, bestanden hinreichende Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Zeugenvernehmung zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts nicht.
2. Auch eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt nicht in Betracht.
Eine Rechtssache ist von grundsätzlicher Bedeutung, wenn die in der Beschwerdeschrift aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar ist (Senatsbeschlüsse vom 24. Juli 2008 VI B 7/08, BFH/NV 2008, 1838; vom 12. Oktober 2007 VI B 161/06, BFH/NV 2008, 45; vom 10. Oktober 2007 VI B 33/07, BFH/NV 2008, 44). Im Streitfall ist die in der Beschwerdeschrift als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage, ob einer Zustellungsurkunde ein Beweiswert zukomme, wenn sie nicht vollständig ausgefüllt worden sei, in einem ggf. nachfolgenden Revisionsverfahren nicht klärbar, weil die Zustellungsurkunde nicht unvollständig war. Nach § 182 Abs. 2 Nr. 7 ZPO ist die Uhrzeit der Zustellung nur auf Anordnung der Geschäftsstelle, nicht hingegen regelmäßig, zu vermerken. Da vorliegend nichts für eine solche Anordnung spricht, ist die Urkunde nicht unvollständig.