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Urteil vom 05. November 2014, XI R 42/12

Ermäßigter Umsatzsteuersatz auf Eintrittsgelder für ein Dorffest

BFH XI. Senat

UStG § 2 Abs 3, UStG § 12 Abs 2 Nr 7 Buchst d, UStDV § 30, EGRL 112/2006 Art 98 Abs 2 Anh 3 Nr 7, EWGRL 388/77 Art 12 Anh H Nr 7, UStG VZ 2007 , UStG VZ 2008 , UStG VZ 2009 , UStAE Abschn 12.8 Abs 2

vorgehend Thüringer Finanzgericht , 13. Juni 2012, Az: 1 K 810/11

Leitsätze

Eintrittsgelder, die eine Gemeinde von Besuchern eines von ihr veranstalteten Dorffestes für von ihr organisierte "Schaustellungen, Musikaufführungen, unterhaltende Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten" verlangt, unterliegen dem ermäßigten Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten darum, ob die von einer Gemeinde erbrachten Leistungen für ein von ihr organisiertes Dorffest dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.

  2. Die Gemeinde X, die 2008 in die Stadt Y ‑‑Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin)‑‑ eingemeindet wurde, führt jährlich im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art an einem Wochenende im September ein Dorffest durch.

  3. In den Jahren 2007 bis 2009 (Streitjahre) schloss sie hierzu als Veranstalterin mit auftretenden Musikgruppen Konzert-, Engagement- bzw. Honorarverträge ab. In den Verträgen waren die Vergütung, die Auftrittszeiten und der jeweilige Auftrittsort (Festzelt, Festwiese oder Festplatz) festgelegt. Bei der Ausgestaltung und Darbietung ihres Programms waren die engagierten Künstler frei. Die Gemeinde sorgte für den Veranstaltungsraum mit Bühne sowie den erforderlichen Strom, unentgeltliche Verpflegung, kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten, den Erwerb der Schankerlaubnis und eine Sperrzeitverkürzung. Ferner erwarb sie GEMA-Rechte, stellte Aufbauhelfer zur Verfügung und organisierte die Plakatierung. Gegenüber den Besuchern des Dorffestes trat sie als Gesamtveranstalterin auf eigene Rechnung auf und erzielte Einnahmen aus dem Verkauf von Eintrittskarten, die zum Besuch des komplett angebotenen Programms berechtigten. Die Eintrittskarten gab es in der Form von Tageskarten für den Freitag bzw. Samstag oder als Dauerkarten für beide Tage. An Sonntagen wurde kein Eintrittsentgelt erhoben.

  4. Neben Vorführungen örtlicher Vereine und Fahrgeschäften wurden in den Streitjahren jeweils von Freitag bis Sonntag Musik auf der Festwiese und Live-Musikveranstaltungen im Festzelt geboten. Das Fest begann regelmäßig mit einem Lampionumzug am Freitagabend vom Kirchplatz zum Festplatz. Dort fand ein Unterhaltungsprogramm statt (z.B. Feuershow, Cheerleader). Um 21:00 Uhr erfolgte der Bieranstich im großen Festzelt unter musikalischer Beteiligung der engagierten Musikkapellen. Im kleinen Zelt wurden Discoveranstaltungen durchgeführt. Ähnlich verlief das Fest am Samstag ab 13:00 Uhr mit dem Aufstellen des Festbaumes, einem Kinderprogramm, diversen Darbietungen von Vereinen und begleitender Musik durch eine Kapelle. Für den Samstagabend war jeweils eine überregional bekannte Musikgruppe engagiert, die für Stimmung im großen Festzelt sorgte, während im kleinen Zelt Discomusik geboten wurde.

  5. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) unterwarf die vereinnahmten Eintrittsgelder für den Besuch des Dorffestes entsprechend den eingereichten Umsatzsteuererklärungen gemäß § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) dem Regelsteuersatz von 19 %. Nach einer Umsatzsteuerprüfung ergingen am 5. Mai 2011 für die Streitjahre (geringfügig) geänderte Steuerbescheide, die gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen.

  6. Mit Schreiben vom 15. Juni 2011 beantragte die Klägerin unter Berufung auf ein Urteil des Finanzgerichts (FG) Berlin-Brandenburg (Urteil vom 13. April 2010  5 K 7215/06 B, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2010, 2039) die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 UStG von 7 % auf die vereinnahmten Eintrittsgelder. Mit Bescheid vom 21. Juni 2011 lehnte das FA den Änderungsantrag ab. Die dagegen eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 30. August 2011).

  7. Das FG wies die Klage ab. Die Anwendung des u.a. für Eintrittsberechtigungen für Konzerte geltenden § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG scheide aus, weil die musikalischen Darbietungen auf dem Dorffest nicht als dessen Hauptzweck angesehen werden könnten. Auch die Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG i.V.m. § 30 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV), wonach u.a. die Leistungen aus der Tätigkeit als Schausteller begünstigt seien, sei nicht einschlägig. Denn im Streitfall sei die Klägerin nicht als Schaustellerin tätig geworden. Insoweit sei der Sachverhalt des Streitfalls nicht vergleichbar mit dem Fall, über den das FG Berlin-Brandenburg in EFG 2010, 2039 entschieden habe.

  8. Das Urteil des FG ist in EFG 2013, 249 veröffentlicht.

  9. Zur Begründung der ‑‑vom FG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassenen‑‑ Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Auffassung, dass abweichend von der Entscheidung des FG die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a oder gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG vorlägen.

  10. Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 21. Juni 2011 und die Einspruchsentscheidung des FA vom 30. August 2011 aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2007, 2008 und 2009 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2007 auf ... €, für 2008 auf ... € und für 2009 auf ... € festgesetzt wird,
    hilfsweise, das FG-Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

  11. Das FA beantragt in erster Linie, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, hilfsweise, die Revision zurückzuweisen.

  12. Es hält die Entscheidung des FG dem Grunde nach für zutreffend, weil bei der erforderlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls im Rahmen von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG weder ein Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze noch eine fehlende Objektivität im Rahmen der Tatsachen- und Beweiswürdigung feststellbar sei. Auch die Voraussetzungen von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG seien nicht erfüllt, weil ein "Schausteller" im Sinne dieser Vorschrift von Ort zu Ort ziehe. Dies sei bei der Klägerin nicht gegeben.

  13. Im Übrigen habe der nationale Gesetzgeber die in Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Kategorie 7 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) enthaltene Ermächtigung nicht in vollem Umfang umgesetzt bzw. den Ermächtigungsrahmen nicht ausgeschöpft. Die Verwaltung sei deshalb in Abschn. 12.8. Abs. 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) der Meinung, dass die in § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG enthaltene Regelung auch nur in dem dort vorgesehenen eingeschränkten Umfang anwendbar sei. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Juli 2002 V R 89/01 (BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88) sei im Streitfall nicht anwendbar, weil bei diesem vom BFH entschiedenen Fall der Veranstalter ‑‑bei dem es sich nicht um eine Gemeinde gehandelt habe‑‑ an ständig wechselnden Orten im Einsatz gewesen sei.

  14. Allerdings lasse sich den tatsächlichen Feststellungen des FG bislang nicht in ausreichendem Umfang entnehmen, ob das streitbefangene Volksfest nicht möglicherweise aus mehreren Teilen bestanden habe, nämlich einem Teil, der von den Eintrittsberechtigungen der Klägerin umfasst sei, und einem weiteren Teil mit frei zugänglichen Fahrgeschäften usw., bei denen die leistenden Unternehmer selbst die entsprechenden Eintrittsgelder vereinnahmt hätten. Insoweit komme ggf. eine Aufteilung der streitbefangenen Umsätze unter Anwendung des Regelsteuersatzes und des ermäßigten Steuersatzes in Betracht.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klagestattgabe (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. Das FG hat zu Unrecht die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die von der Gemeinde X im Rahmen eines Dorffestes erbrachten Leistungen verneint.

  3. 1. Das FG ist (stillschweigend) davon ausgegangen, dass die Gemeinde X als juristische Person des öffentlichen Rechts mit der Organisation und Durchführung des Dorffestes einschließlich der auf privatrechtlicher Grundlage verlangten und vereinnahmten Eintrittsgelder i.S. von § 2 Abs. 3 UStG unternehmerisch tätig geworden ist. Dies ist zutreffend (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 1. Dezember 2011 V R 1/11, BFHE 236, 235, BFH/NV 2012, 534, Rz 13 ff.; vom 14. März 2012 XI R 8/10, BFH/NV 2012, 1667, Rz 26 ff., jeweils m.w.N.) und auch zwischen den Beteiligten nicht streitig.

  4. 2. Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die von der Gemeinde X erbrachten Leistungen dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG unterliegen und nicht die Voraussetzungen eines der in § 12 Abs. 2 UStG genannten Steuerermäßigungstatbestände erfüllen.

  5. Dabei kann der Senat offenlassen, ob diese Leistungen (zumindest zum Teil) nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen (vgl. dazu BFH-Urteile vom 19. Oktober 2011 XI R 40/09, BFH/NV 2012, 798, Rz 19 ff.; vom 10. Januar 2013 V R 31/10, BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352, Rz 39 ff.; vom 30. April 2014 XI R 34/12, BFHE 245, 409, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2014, 936). Denn im Streitfall sind jedenfalls die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG gegeben.

  6. a) Nach dieser Vorschrift ermäßigt sich die Steuer auf 7 % u.a. für die Leistungen aus der Tätigkeit als Schausteller. Gemäß § 30 UStDV gelten als Leistungen aus der Tätigkeit als Schausteller i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG Schaustellungen, Musikaufführungen, unterhaltende Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten auf Jahrmärkten, Volksfesten, Schützenfesten oder ähnlichen Veranstaltungen.

  7. aa) § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG ist richtlinienkonform auszulegen. Die Vorschrift beruht auf Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Kategorie 7 der MwStSystRL (zuvor Art. 12 i.V.m. Anhang H Kategorie 7 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‑‑Richtlinie 77/388/EWG‑‑), wonach die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ermächtigt sind, auf Eintrittsberechtigungen für Veranstaltungen, Theater, Zirkus, Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen, Tierparks, Kinos und Ausstellungen sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen den ermäßigten Steuersatz vorzusehen.

  8. bb) Die Mitgliedstaaten haben nur unter der Voraussetzung, dass der Grundsatz der Neutralität beachtet wird, die Möglichkeit, konkrete und spezifische Aspekte einer Kategorie von Dienstleistungen i.S. von Anhang III der MwStSystRL mit einem ermäßigten Steuersatz zu belegen. Die selektive Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ist hiernach nicht ausgeschlossen, wenn sie keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung nach sich zieht (vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union ‑‑EuGH‑‑ vom 3. April 2003 C-144/00 ‑‑Hoffmann‑‑, Slg. 2003, I-2921, BFH/NV Beilage 2003, 153, Rz 20, m.w.N.; vom 6. Mai 2010 C-94/09 ‑‑Kommission/Frankreich‑‑, Slg. 2010, I-4261, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2010, 454, Rz 25, m.w.N.; vom 27. Februar 2014 C-454/12 und C-455/12 ‑‑Pro Med Logistik u.a.‑‑, UR 2014, 490, HFR 2014, 470, Rz 43, 44; vgl. auch BFH-Urteile vom 4. Mai 2011 XI R 44/08, BFHE 233, 367, BStBl II 2014, 200, Rz 38 f.; vom 2. Juli 2014 XI R 22/10, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2014, 2014; vom 2. Juli 2014 XI R 39/10, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2014, 2019, Deutsches Steuerrecht 2014, 2174). Nach gefestigter Rechtsprechung lässt es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität insbesondere nicht zu, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (vgl. EuGH-Urteile vom 10. November 2011 C-259/10 und C-260/10 ‑‑The Rank Group‑‑, Slg. 2011, I-10947, UR 2012, 104, Rz 32, und ‑‑Pro Med Logistik u.a.‑‑ in UR 2014, 490, HFR 2014, 470, Rz 52).

  9. b) Der BFH hat "Schausteller" als Personen definiert, die mit ihren der Unterhaltung dienenden Unternehmen gewerbsmäßig Jahrmärkte, Volksfeste usw. beschicken, also von Ort zu Ort ziehen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. April 1988 X R 20/82, BFHE 153, 454, BStBl II 1988, 796; vom 25. November 1993 V R 59/91, BFHE 173, 249, BStBl II 1994, 336, unter II.1.; V R 46/91, BFH/NV 1995, 349, unter II.1., jeweils m.w.N.). Dabei hat der BFH in seinen Grundsatzentscheidungen vom 22. Oktober 1970 V R 67/70 (BFHE 100, 420, BStBl II 1971, 37) und vom 22. Juni 1972 V R 36/71 (BFHE 106, 148, BStBl II 1972, 684) bei der Auslegung des seinerzeit geltenden § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. e UStG 1967 auf den Sprachgebrauch abgestellt, den er dem bei der Einführung des UStG 1967 und noch zum Zeitpunkt seiner Entscheidungen maßgebenden Wörterbuch entnommen hat (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 349, unter II.1.a).

  10. aa) § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG begünstigt eine tätigkeits- und nicht personenbezogene Leistung, die voraussetzt, dass der jeweilige Umsatz auf einer ambulanten, d.h. nicht ortsfest ausgeführten schaustellerischen Leistung beruht (vgl. BFH-Urteile in BFHE 173, 249, BStBl II 1994, 336, unter II.3.; in BFH/NV 1995, 349, unter II.1.b, m.w.N.).

  11. bb) Unmaßgeblich ist insoweit, ob der Schausteller seine Darbietungen in eigener Regie selbst veranstaltet oder ob er seine Leistungen im Rahmen eines fremdveranstalteten Volksfestes erbringt. Vielmehr reicht es aus, dass der Leistende die entsprechenden Umsätze im eigenen Namen mit Hilfe seiner Arbeitnehmer oder sonstiger Erfüllungsgehilfen an die Besucher dieser Veranstaltungen ausführt; solche Erfüllungsgehilfen können auch von ihm engagierte Schaustellergruppen sein (BFH-Urteil in BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88, unter II.1.).

  12. cc) Da ‑‑wie bereits ausgeführt‑‑ auch eine Gemeinde bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 2 Abs. 3 UStG bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen als Unternehmerin im umsatzsteuerrechtlichen Sinne zu behandeln ist, und dementsprechend auch Schaustellergruppen im Sinne der Rechtsprechung in BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88, unter II.1. engagieren kann, kommt entgegen der Auffassung des FA auch die Gemeinde als Leistende im Sinne dieser Steuerermäßigung in Betracht.

  13. c) Gemessen an diesen Grundsätzen und bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung sind die von der Gemeinde X erteilten Eintrittsberechtigungen für die Dorffeste nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG i.V.m. § 30 UStDV ermäßigt zu besteuern.

  14. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG sind die danach erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Denn die von der Gemeinde X erbrachten Leistungen waren Eintrittsberechtigungen (vgl. Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Kategorie 7 der MwStSystRL) für die in § 30 UStDV genannten Schaustellungen, Musikaufführungen, unterhaltende Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten auf Jahrmärkten, Volksfesten oder ähnlichen Veranstaltungen (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88, unter II.1.).

  15. aa) Entgegen der Auffassung des FG können die Umsätze der Gemeinde X nicht als bloße organisatorische Leistungen angesehen werden, die nicht von der Steuerermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG erfasst werden. Denn die Gemeinde X hat zwar auch für die auf dem Dorffest auftretenden Musikgruppen, Schausteller usw. Organisationsleistungen erbracht. Im Streitfall geht es aber um Leistungen, die Besucher der Veranstaltungen als Leistungsempfänger gegen Entgelt (Eintrittsgelder) unmittelbar von der Gemeinde X bezogen haben. Der BFH hat insoweit bereits geklärt, dass im Rahmen des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG nicht zwischen der Organisation der in § 30 UStDV genannten Vorstellungen und den dort aufgeführten Leistungen zu unterscheiden ist, wenn der Unternehmer die Schaustellungen, Musikaufführungen, unterhaltende Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten unmittelbar an die Besucher der Veranstaltungen "erbringt" (vgl. BFH-Urteil in BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88, unter II.1.; vgl. auch FG Berlin-Brandenburg zur Veranstaltung eines Volksfestes in EFG 2010, 2039).

  16. bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich im Streitfall abweichend von dem Sachverhalt, über den der BFH in BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88 zu entscheiden hatte, um eine einmal jährlich stattfindende Veranstaltung handelt, die immer am selben Ort und nicht an ständig wechselnden Orten durchgeführt wurde. Maßgeblich ist der Umstand, dass die von den Besuchern des Dorffestes von der Gemeinde X bezogenen Leistungen bei richtlinienkonformer Auslegung in den Anwendungsbereich von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG i.V.m. § 30 UStDV fallen (vgl. auch FG Berlin-Brandenburg in EFG 2010, 2039; a.A. FG Münster, Urteil vom 5. Oktober 2010  15 K 3961/07 U, EFG 2011, 578).

  17. cc) Soweit der V. Senat des BFH mit Urteil in BFHE 199, 93, BStBl II 2004, 88 entschieden hat, dass Umsätze aus der Veranstaltung von mittelalterlichen Märkten und Ritterturnieren dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, weil es dem Sinn und Zweck des Art. 12 i.V.m. Anhang H Kategorie 7 der Richtlinie 77/388/EWG entspreche, auf Eintrittsberechtigungen für die in § 30 UStDV genannten Veranstaltungen den ermäßigten Steuersatz anzuwenden (unter II.1. der Gründe), teilt der erkennende Senat diese Auffassung ausdrücklich. Auch die Gemeinde X hat Eintrittsberechtigungen für die in § 30 UStDV genannten Veranstaltungen eingeräumt.

  18. dd) Ferner steht der Anwendung der Steuersatzermäßigung in § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG auf die Eintrittsberechtigungen der Gemeinde X nicht der Einwand des FA entgegen, der nationale Gesetzgeber habe von der entsprechenden unionsrechtlichen Ermächtigung nicht in vollem Umfang Gebrauch gemacht. Denn es lässt sich weder dem Wortlaut von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG noch der Regelung in § 30 UStDV entnehmen, dass der Leistende selbst Schausteller im Sinne dieser Bestimmungen sein muss. Soweit sich aus Abschn. 12.8. Abs. 2 UStAE etwas anderes ergeben sollte, handelt es sich lediglich um eine Verwaltungsanweisung, durch die eine selektive Anwendung des Regelsteuersatzes nicht angeordnet werden kann (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 8. Oktober 2008 V R 61/03, BFHE 222, 176, BStBl II 2009, 321, unter II.3.d cc, unter Hinweis auf das EuGH-Urteil vom 16. Januar 2003 C-315/00 ‑‑Maierhofer‑‑, Slg. 2003, I-563, UR 2003, 86, Rz 23).

  19. Außerdem würde eine unterschiedliche Besteuerung der im Rahmen eines Dorffestes angebotenen Schaustellerleistungen und der außerhalb einer solchen Veranstaltung erbrachten gleichartigen Leistungen gegen das unionsrechtliche Neutralitätsprinzip verstoßen. Daher war eine entsprechende unionsrechtskonforme Auslegung geboten.

  20. ee) Soweit das FA in der mündlichen Verhandlung ergänzend ausgeführt hat, es sei denkbar, dass ein Teil des Volksfestes frei zugänglich und nicht von den streitbefangenen Eintrittsberechtigungen umfasst gewesen sei, wäre dies ‑‑unabhängig vom Fehlen entsprechender tatsächlicher Feststellungen des FG‑‑ nicht entscheidungserheblich. Denn aus den ‑‑im Übrigen nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen‑‑ tatsächlichen Feststellungen des FG ergibt sich lediglich, dass die Beteiligten um die Anwendung des zutreffenden Steuersatzes auf die von der Gemeinde X erteilten Eintrittsberechtigungen streiten. Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung etwaiger weiterer von anderen Unternehmern ausgeführter Umsätze ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

  21. 3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Klage war in vollem Umfang stattzugeben.

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