BFH V. Senat
UStG § 15 Abs 4, EWGRL 388/77 Art 17 Abs 5, EWGRL 388/77 Art 19 Abs 1, UStG VZ 2005 , UStG § 15 Abs 4
vorgehend FG Münster, 07. Dezember 2009, Az: 15 K 1271/06 U
Leitsätze
1. Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, ist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG in richtlinienkonformer Auslegung nur zulässig, wenn keine andere ‑‑präzisere‑‑ Zurechnung möglich ist .
2. Bei der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes richtet sich die Vorsteueraufteilung im Regelfall nach dem objektbezogenen Flächenschlüssel .
3. Vorsteuerbeträge sind aber dann nach dem (objektbezogenen) Umsatzschlüssel aufzuteilen, wenn eine Gesamtwürdigung ergibt, dass erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume bestehen (Bestätigung und Fortführung des BFH-Urteils vom 7. Mai 2014 V R 1/10, DStR 2014, 1162) .
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Vorsteuern auf Eingangsleistungen zur Herstellung eines gemischt genutzten Gebäudes in den Streitjahren (2004 und 2005) nach dem Verhältnis der Ausgangsumsätze aufgeteilt werden konnten.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GbR, ihr Unternehmensgegenstand der Bau und die Vermietung von Gebäuden. Auf einem von ihr erworbenen Grundstück ließ sie ein gemischt genutztes Gebäude errichten, das im Erdgeschoss durch zwei Ladengeschäfte (steuerpflichtige Vermietung) und im ersten und zweiten Obergeschoss als Wohnung (steuerfreie Vermietung) genutzt werden sollte.
Die auf die Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge betrugen 2004 insgesamt 20.947,53 € und 2005 insgesamt 100.632,98 €. Die abzugsfähigen Vorsteuern berechnete sie nach dem Verhältnis der voraussichtlich steuerpflichtigen zu den steuerfreien Umsätzen (Umsatzschlüssel). Dies ergab ein Verhältnis von 51,54 % (Erdgeschoss/steuerpflichtige Vermietungsumsätze) zu 48,46 % (Obergeschoss/steuerfreie Vermietungsumsätze). Nach dem sog. Flächenschlüssel dagegen entfielen in den Streitjahren auf das Erdgeschoss 23,35 % und auf die Obergeschosse 76,65 %.
Nachdem die Klägerin die Umsatzsteuer-Erklärung 2004 und die Umsatzsteuer-Voranmeldungen Januar bis April 2005 eingereicht hatte, führte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch. Die Prüferin hielt den von der Klägerin angewandten Umsatzschlüssel ab dem 1. Januar 2004 für unzulässig und kürzte die geltend gemachten Vorsteuern unter Anwendung des sog. Flächenschlüssels. Nach Maßgabe der Prüfungsfeststellungen erließ das FA hierauf am 26. Juli 2005 eine nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderte Umsatzsteuerfestsetzung 2004 und am 27. Juli 2005 einen ebenfalls nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Vorauszahlungsbescheid für April 2005, in dem die Änderungen von Januar 2005 bis April 2005 kumulativ berücksichtigt wurden.
Den Einspruch gegen die geänderte Umsatzsteuerfestsetzung 2004 wies das FA am 6. März 2006 als unbegründet zurück. Während des Klageverfahrens wegen Umsatzsteuer 2004 und Umsatzsteuer April 2005 erließ das FA am 4. April 2006 einen ‑‑von der zwischenzeitlich eingereichten Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2005 abweichenden‑‑ Jahressteuerbescheid 2005 über ./. 22.332,56 €, in dem die Vorsteueraufteilung nach dem sog. Flächenschlüssel erfolgte. Dieser Bescheid ist nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens geworden.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in "Steuerrecht kurzgefasst" 2010, 171 veröffentlichten Urteil statt. Die Klägerin sei zur Vorsteueraufteilung nach dem Umsatzschlüssel berechtigt. Die Anwendung des Umsatzschlüssels sei zwar nach § 15 Abs. 4 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 ab dem 1. Januar 2004 ausgeschlossen, diese Norm stehe aber nicht mit dem Unionsrecht in Einklang, sodass sich die Klägerin unmittelbar auf die Regelungen der Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) berufen könne, die als Regelaufteilungsmaßstab den Umsatzschlüssel vorsehen.
Mit der Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend. Aufgrund der Neuregelung des § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG sei die Aufteilung der streitbefangenen Vorsteuern nach dem sog. Umsatzschlüssel ab dem 1. Januar 2004 ausgeschlossen. Diese Norm stehe nicht im Widerspruch zum Unionsrecht, sondern beruhe auf Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG.
Die in dem Umsatzsteuerbescheid 2005 vom 4. April 2006 festgesetzte Umsatzsteuer (./. 22.332,56 €) berücksichtige nicht abzugsfähige Vorsteuern von 41,19 €. Dabei handele es sich um den fehlenden Anteil des bisher nur quotal berücksichtigten Vorsteuerbetrags von 80 €, der unstreitig der steuerpflichtigen Vermietung direkt zuzuordnen und somit in voller Höhe zu berücksichtigen sei.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG Münster vom 8. Dezember 2009 15 K 1271/06 U aufzuheben und die Umsatzsteuer 2004 auf ./. 4.891,27 € und die Umsatzsteuer 2005 auf ./. 22.373,75 € festzusetzen.Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.Zutreffend habe das FG entschieden, dass § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sei und sich die Klägerin unmittelbar auf die Richtlinie berufen könne.
Mit Zustimmung der Beteiligten hatte der Senat durch Beschluss vom 8. Dezember 2010 ein Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache BLC Baumarkt (C-511/10) angeordnet. Der EuGH entschied mit Urteil vom 8. November 2012 (Umsatzsteuer-Rundschau 2012, 968).
Die Klägerin trägt ergänzend vor, dass sie nur eine einzige Tätigkeit (Vermietung) ausübte und sich im Unternehmen nur ein einziges Vermietungsobjekt befinde. Im Falle eines Ein-Objektunternehmens müsse keine Präzisionsabwägung zwischen Umsatz- und Flächenschlüssel getroffen werden. Jedenfalls könne in diesem Fall der Gesamtumsatzschlüssel nicht als "pauschal" bezeichnet werden.
In der mündlichen Verhandlung bringt die Klägerin vor, dass sich die gewerblich vermieteten Räume im Erdgeschoss von den privat vermieteten Räumen im Obergeschoss durch die unterschiedliche Höhe der Räume (3,45 m im Erd-, 2,62 m im Obergeschoss) unterschieden, außerdem entfielen auf die gewerblich vermieteten Räume im Erdgeschoss höhere Eingangsleistungen für Brandschutz und die Stahlbetonbauweise sowie für Verglasung, zusätzliche Fluchtwege, Stellplätze und eine aufwändigere Trockenbauweise.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das Urteil ist aufzuheben, weil die Vorentscheidung § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 nicht angewandt und die Vorsteuern, um die es hier geht, stattdessen unmittelbar nach Art. 17 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG zugeordnet hat. Die Sache ist nicht spruchreif, weil Feststellungen des FG dazu fehlen, ob die Anwendung des Flächenschlüssels im Streitfall zu einer präziseren Bestimmung des Pro-rata-Satzes führt.
1. Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, ist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG in richtlinienkonformer Auslegung nur zulässig, wenn keine andere ‑‑präzisere‑‑ Zurechnung möglich ist. Bei der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes richtet sich die Vorsteueraufteilung im Regelfall nach dem objektbezogenen Flächenschlüssel. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die Ausführungen in Rz 16 ff. seines Grundsatzurteils vom 7. Mai 2014 V R 1/10, Deutsches Steuerrecht (DStR) 2014, 1162.
Das Urteil des FG widerspricht diesen Maßstäben und ist deshalb aufzuheben. Das FG ist bei seiner Entscheidung rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG bei der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes wegen Richtlinienwidrigkeit nicht anwendbar ist und sich der Unternehmer daher auf die für ihn günstigere Anwendung des Umsatzschlüssels nach Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Art. 19 der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann. Demgegenüber ist § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG bei richtlinienkonformer Auslegung anwendbar, sodass die Klägerin grundsätzlich zu einer Aufteilung nach dem Flächenschlüssel verpflichtet ist.
2. Die Sache ist nicht spruchreif und deshalb zum Nachholen der erforderlichen Feststellungen an das FG zurückzuverweisen.
a) Vorsteuerbeträge sind dann nach dem (objektbezogenen) Umsatzschlüssel aufzuteilen, wenn die Ausstattung der Räumlichkeiten, die verschiedenen Zwecken dienen (z.B. wegen der Höhe der Räume, der Dicke der Wände und Decken oder in Bezug auf die Innenausstattung) erhebliche Unterschiede aufweist. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf Rz 32 seiner Ausführungen im Grundsatzurteil in DStR 2014, 1162.
b) Ob dies der Fall ist, hat das FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nicht geprüft. Im zweiten Rechtsgang hat das FG daher festzustellen, ob die in der mündlichen Verhandlung genannten Ausstattungsunterschiede tatsächlich vorliegen und sodann zu würdigen, ob die Ausstattung der gewerblich vermieteten Räume erheblich von der Ausstattung der privat genutzten Räume abweicht, sodass die Vorsteuerbeträge nach dem Umsatzschlüssel aufgeteilt werden können, wofür insbesondere die unterschiedliche Raumhöhe sprechen könnte. Da es sich vorliegend um ein Ein-Objekt-Unternehmen handelt, unterscheidet sich der objektbezogene Umsatzschlüssel nicht von dem gesamtunternehmensbezogenen Umsatzschlüssel.