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Urteil vom 05. Juni 2014, XI R 25/12

Keine Vorsteuerkorrektur beim letzten inländischen Unternehmer einer Lieferkette bei Rabattgewährung durch ausländischen Hersteller

BFH XI. Senat

UStG § 1 Abs 1 Nr 1, UStG § 1 Abs 5, UStG § 15 Abs 1 Nr 3, UStG § 17 Abs 1 S 4, UStG § 17 Abs 1 S 5, FGO § 68 S 1, FGO § 127, EWGRL 388/77 Art 20 Abs 1, EGRL 112/2006 Art 185 Abs 1, UStG VZ 2008 , UStG VZ 2009 , UStG § 17 Abs 1 S 1, UStG § 17 Abs 1 S 2, UStG § 17 Abs 1 S 3

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 28. September 2011, Az: 16 K 255/10

Leitsätze

Gewährt der erste, in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässige und dort eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung ausführende Unternehmer in einer Lieferkette dem letzten inländischen Unternehmer einen Rabatt, ist dessen Vorsteuerabzug nicht nach § 17 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Satz 5 UStG zu berichtigen.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, ist Organträgerin der C, die Computer herstellt und vertreibt.

  2. Die C bezog für ihre Produktion u.a. Prozessoren des Herstellers X von dem in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Unternehmen B, dem autorisierten Distributor der in Großbritannien ansässigen A. Die C entrichtete an B den vereinbarten Kaufpreis und machte die in den entsprechenden Eingangsrechnungen gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hatte A die Prozessoren steuerfrei innergemeinschaftlich an B geliefert, die diese innergemeinschaftlich erworben hatte.

  3. Die A gewährte der C in den Jahren 2008 und 2009 (Streitjahre) ‑‑abhängig von der Anzahl der von ihr in einem bestimmten Zeitraum in Computer eingebauten Prozessoren des Herstellers X‑‑ als sog. "Maßnahme einer außerordentlichen Preisanpassung" (Exceptional Customer Adjusted Price) Vergütungsbeträge (Rückvergütungen).

  4. Nach einer den Prüfungszeitraum 2008 und 2009 umfassenden Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Auffassung, die Zahlungen der A an die C seien als Minderungen des Entgelts zu betrachten, die gemäß § 17 Abs. 1 Satz 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zu einer Berichtigung der Vorsteuerabzugsbeträge bei der Klägerin als Organträgerin der C führten.

  5. Dementsprechend änderte das FA mit Bescheid vom 20. Mai 2010 die Festsetzung der Umsatzsteuer für den Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraum Dezember 2009 und kürzte hierbei die abziehbaren Vorsteuerbeträge um ... €. Mit Änderungsbescheid vom 21. Mai 2010 setzte es ‑‑gleichfalls den Ergebnissen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung folgend‑‑ die Umsatzsteuer für das Streitjahr 2008 unter Kürzung der abziehbaren Vorsteuerbeträge um ... € neu fest.

  6. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg.

  7. Das FG führte zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen aus, dem Streitfall liege der in § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG geregelte Sachverhalt, dass ein anderer Unternehmer, der durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich begünstigt werde, seinen Vorsteuerabzug zu berichtigen habe, nicht zugrunde. Voraussetzung für eine Vorsteuerberichtigung nach dieser Vorschrift sei, dass sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz geändert habe. Das sei hier nicht der Fall. Denn die Umsätze der ‑‑die Vergütungsbeträge gewährenden‑‑ A seien nicht steuerpflichtig, sondern steuerfrei. Auch die Bemessungsgrundlage für den innergemeinschaftlichen Erwerb der B habe sich nicht geändert.

  8. Es bedürfe keiner Korrektur nach § 17 Abs. 1 UStG, weil sich die von B geschuldete Umsatzsteuer und der Vorsteuerabzug der Klägerin der Höhe nach weiterhin ausglichen.

  9. Das FA stützt seine Revision auf die Verletzung materiellen Rechts.

  10. Es bringt vor, entgegen der vom FG vertretenen Auffassung habe die Klägerin ihren Vorsteuerabzug zu berichtigen, weil eine Änderung der Bemessungsgrundlage i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG auch dann vorliege, wenn ‑‑wofür Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschrift sprächen‑‑ der innerhalb einer Lieferkette den Preisnachlass oder Rabatt gewährende Unternehmer innergemeinschaftlich liefere und dessen unmittelbarer Abnehmer innergemeinschaftlich i.S. des § 1a Abs. 1 Nr. 1 UStG erwerbe.

  11. Die Vorsteuerkorrektur nach § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG sei nicht auf die Fälle beschränkt, in denen der in der Lieferkette Rabatt gewährende Unternehmer einen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erbringe. Der Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG beziehe sich nämlich lediglich auf § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG. Er mache die Vorsteuerkorrektur zwar von einer Änderung der Bemessungsgrundlage des Umsatzes des den Rabatt bzw. Preisnachlass gewährenden Unternehmers abhängig, definiere aber nicht die Fallkonstellationen, in denen eine Änderung der Bemessungsgrundlage anzunehmen sei.

  12. § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG sei systematisch im Zusammenhang mit § 17 Abs. 1 Satz 5 UStG zu sehen, der bestimme, dass die Sätze 1 bis 4 des § 17 Abs. 1 UStG sinngemäß in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG (innergemeinschaftlicher Erwerb) und des § 13b UStG (Leistungsempfänger als Steuerschuldner) anzuwenden seien, und somit den Anwendungsbereich auf die Fälle erweitere, in denen ein innergemeinschaftlicher Erwerb in der Lieferkette vorangegangen sei.

  13. Zwar sei nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15. Oktober 2002 C-427/98 ‑‑Kommission/ Deutschland‑‑ (Slg. 2002, I-8315, BStBl II 2004, 328) ein Mitgliedstaat berechtigt, die Grundsätze des EuGH-Urteils vom 24. Oktober 1996 C-317/94 ‑‑Elida Gibbs‑‑ (Slg. 1996, I-5339, BStBl II 2004, 324) dann nicht anzuwenden, wenn der Umsatz, dessen Bemessungsgrundlage sich ändere, steuerfrei sei (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 26. April 2012 V R 18/11, BFHE 237, 512, BFH/NV 2012, 1393). Mit der Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 5 UStG habe der Gesetzgeber dagegen ausdrücklich seinen Willen zum Ausdruck gebracht, die Grundsätze des EuGH-Urteils ‑‑Elida Gibbs‑‑ (Slg. 1996, I-5339, BStBl II 2004, 324) auch im Falle eines innergemeinschaftlichen Erwerbs gelten zu lassen.

  14. Die Rabattgewährung des ausländischen Herstellers mindere das Entgelt für seine innergemeinschaftliche Lieferung und damit korrespondierend das Entgelt für den innergemeinschaftlichen Erwerb des Zwischenhändlers, der die Vorsteuer i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG in sinngemäßer Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG ohne Berücksichtigung des Preisnachlasses abziehen dürfe, weil er durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich nicht begünstigt sei.

  15. Dem Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer werde dadurch Rechnung getragen, dass sowohl die aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb entstandene Steuer des Zwischenhändlers als auch die Vorsteuer des aus dem Preisnachlass wirtschaftlich begünstigten Einzelhändlers zu berichtigen seien.

  16. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs beim wirtschaftlich Begünstigten nach § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG knüpfe lediglich ‑‑was vorliegend erfüllt sei‑‑ an eine Änderung der Bemessungsgrundlage an, was sich sowohl aus dem Sinn und Zweck des § 17 Abs. 1 UStG ergebe, nach dem systemwidrige Vorsteuerüberhänge zu vermeiden seien, als auch aus dessen richtlinienkonformer Auslegung folge.

  17. Während des Revisionsverfahrens hat das FA am 4. Oktober 2013 den Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2009 erlassen und (auch darin) die Umsatzsteuer entsprechend den Ergebnissen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung festgesetzt. Die Klägerin hat hierzu ‑‑unwidersprochen‑‑ mitgeteilt, durch den Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2009 sei der bisherige Streitstoff nicht verändert worden.

  18. Das FA beantragt,
    die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  19. Die Klägerin beantragt,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen und den Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2009 vom 4. Oktober 2013 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2009 auf ... € festgesetzt wird, hilfsweise die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

  20. Sie tritt dem Revisionsvorbringen entgegen und führt hierzu im Wesentlichen aus, § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG setze ‑‑woran es im Streitfall fehle‑‑ die Änderung der Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG voraus.

  21. Aus der Rechtsprechung des EuGH und des BFH zur Rabattgewährung außerhalb einer Lieferkette, wonach es kein allgemeines Korrespondenzprinzip zwischen der Bemessungsgrundlage des Lieferanten und dem Vorsteuerabzug seines Abnehmers gebe, folge für den Streitfall, dass eine (mögliche) Änderung der Bemessungsgrundlage für die innergemeinschaftlichen Lieferungen ‑‑hier der A‑‑ nicht korrespondierend zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage für die innergemeinschaftlichen Erwerbe des Zwischenhändlers ‑‑hier der B‑‑ führe.

  22. Selbst wenn ‑‑wie das FA meine‑‑ sich die Bemessungsgrundlage für die innergemeinschaftlichen Erwerbe ändere und sich die vom Zwischenhändler hieraus geschuldete Umsatzsteuer dementsprechend mindere, würde sich zugleich dessen Vorsteueranspruch in gleicher Höhe reduzieren, sodass auch insoweit die Neutralität der Mehrwertsteuer gewahrt bliebe.

  23. Der Fiskus erhalte ‑‑würde man der Ansicht des FA folgen‑‑ mehr Umsatzsteuer, als der Endverbraucher zahle, sodass es zu einem gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verstoßenden Umsatzsteuerüberhang käme.

  24. Die Klägerin regt hilfsweise eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) an.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Das Urteil des FG war aus verfahrensrechtlichen Gründen insoweit aufzuheben, als es über den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Dezember 2009 vom 20. Mai 2010 entschieden hat. Die mit Bescheid vom 4. Oktober 2013 festgesetzte Umsatzsteuer für 2009 war ‑‑dem Antrag der Klägerin entsprechend‑‑ herabzusetzen. Im Übrigen war die Revision ‑‑hinsichtlich des Streitjahrs 2008‑‑ nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückzuweisen.

  2. 1. Die Vorentscheidung muss ‑‑soweit sie den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Dezember 2009 vom 20. Mai 2010 betrifft‑‑ aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben werden, weil ihr ein nicht mehr existierender Verwaltungsakt zugrunde liegt.

  3. a) Der während des Revisionsverfahrens ergangene Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2009 vom 4. Oktober 2013 hat gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Dezember 2009 vom 20. Mai 2010, über den das FG entschieden hat, ersetzt und ist Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 3. November 2005 V R 63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337, unter II.1.; vom 10. November 2010 XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311, Rz 23 ff., jeweils m.w.N.).

  4. Damit liegt dem FG-Urteil ein in seiner Wirkung suspendierter Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil insoweit keinen Bestand mehr haben kann (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 23. August 2007 V R 10/05, BFHE 217, 332, BFH/NV 2007, 2217, unter II.1.a; vom 12. Februar 2009 V R 61/06, BFHE 224, 467, BStBl II 2009, 828, unter II.1.; in BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311, Rz 23 ff.; vom 11. Juli 2012 XI R 17/09, BFH/NV 2013, 266, Rz 28, jeweils m.w.N.).

  5. b) Dennoch bedarf es hier keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO, da die Sache spruchreif ist. Der erkennende Senat kann auf der Grundlage der gleichwohl fortgeltenden finanzgerichtlichen Feststellungen auch zum Streitjahr 2009 entscheiden (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 12. September 2007 VIII R 38/04, BFH/NV 2008, 37; in BFH/NV 2013, 266, Rz 28, jeweils m.w.N.).

  6. 2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass keine Rechtsgrundlage zur Berichtigung des von der Klägerin in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs vorhanden ist.

  7. a) Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert, so hat nach § 17 Abs. 1 UStG in der im Streitfall geltenden Fassung der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 UStG). Ebenfalls ist der Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt wurde, zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 UStG). Dies gilt nicht, soweit er durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich nicht begünstigt wird (§ 17 Abs. 1 Satz 3 UStG). Wird in diesen Fällen ein anderer Unternehmer durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich begünstigt, hat dieser Unternehmer seinen Vorsteuerabzug zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 4 UStG). Die Sätze 1 bis 4 gelten in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG ‑‑innergemeinschaftlicher Erwerb‑‑ und des § 13b UStG ‑‑Leistungsempfänger als Steuerschuldner‑‑ sinngemäß (§ 17 Abs. 1 Satz 5 UStG).

  8. b) Unionsrechtlich beruht § 17 Abs. 1 UStG auf Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) ‑‑nunmehr Art. 185 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL)‑‑, wonach der ursprüngliche Vorsteuerabzug berichtigt wird, "wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der [Mehrwertsteuer-]Erklärung geändert haben, insbesondere bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten".

  9. c) Diese Voraussetzungen für eine Vorsteuerkorrektur sind im Streitfall nicht erfüllt.

  10. aa) Für die von der B an die C ausgeführten Umsätze hat sich die Bemessungsgrundlage, das Entgelt (vgl. § 10 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 UStG), nicht gemindert. Es fehlt insoweit an den Voraussetzungen, an die die Vorsteuerkorrektur nach § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG anknüpft. Das ist im Übrigen zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten.

  11. bb) Der Umsatz, dessen Bemessungsgrundlage sich hätte nachträglich ändern können, wurde von der A an die B ausgeführt. Er war nicht im Inland steuerbar, sondern in Großbritannien; er war auch nicht steuerpflichtig.

  12. (1) Erstattet der erste Unternehmer in einer Lieferkette dem letzten Abnehmer ‑‑wie im Streitfall die A der C‑‑ einen Teil des von diesem gezahlten Leistungsentgelts oder gewährt er ihm einen Preisnachlass, mindert sich dadurch grundsätzlich die Bemessungsgrundlage für den Umsatz des ersten Unternehmers ‑‑hier der Umsatz der A‑‑ (vgl. EuGH-Urteile ‑‑Elida Gibbs‑‑ in Slg. 1996, I-5339, BStBl II 2004, 324; vom 24. Oktober 1996 C-288/94 ‑‑Argos Distributors Ltd.‑‑, Slg. 1996, I-5311, Umsatzsteuer-Rundschau 1997, 263; ‑‑Kommission/Deutschland‑‑ in Slg. 2002, I-8315, BStBl II 2004, 328; BFH-Urteile vom 12. Januar 2006 V R 3/04, BFHE 213, 69, BStBl II 2006, 479, unter II.1.b; vom 13. Juli 2006 V R 46/05, BFHE 214, 463, BStBl II 2007, 186, unter II.2.; vom 13. März 2008 V R 70/06, BFHE 221, 429, BStBl II 2008, 997, unter II.1.b aa; vom 15. Februar 2012 XI R 24/09, BFHE 236, 267, BStBl II 2013, 712, Rz 15).

  13. (2) Die A hätte daher den für ihren Umsatz an ihren Abnehmer der nächsten Stufe ‑‑B‑‑ geschuldeten Steuerbetrag nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG zu ihren Gunsten berichtigen können (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 213, 69, BStBl II 2006, 479, unter II.1.b), soweit die Umsätze der A nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der Umsatzsteuer im Inland unterlegen hätten und steuerpflichtig gewesen wären.

  14. Dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr hat A die Lieferungen der Prozessoren an B in Großbritannien erbracht, und zwar entsprechend Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ‑‑nunmehr Art. 138 Abs. 1 der MwStSystRL‑‑ als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen.

  15. cc) Die Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG setzt ebenso wie § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG eine ‑‑im Streitfall nicht vorliegende‑‑ Änderung der Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz voraus.

  16. (1) Mit der Formulierung "in diesen Fällen" knüpft die Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG nach Wortlaut und Gesetzessystematik nicht nur ‑‑wie das FA meint‑‑ (voraussetzungslos) an die in § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG geregelten Fälle an, in denen ein anderer Unternehmer durch die Änderung der Bemessungsgrundlage wirtschaftlich begünstigt wird, sondern auch an die in § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG enthaltene Bedingung, dass "sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 [UStG] geändert" hat.

  17. Denn § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG regelt nicht die Voraussetzungen der Vorsteuerberichtigung, sondern lediglich (in personeller Hinsicht), welcher Unternehmer seinen Vorsteuerabzug zu berichtigen hat. Abweichend von § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG, wonach der Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer zu berichtigen ist, "an den dieser Umsatz ausgeführt wurde", ordnet § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG die Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei dem (anderen) Unternehmer an, der durch die Änderung der Bemessungsgrundlage "wirtschaftlich begünstigt" wird.

  18. (2) Dieses Verständnis entspricht der Gesetzesbegründung zu § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG.

  19. Durch § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG hat der Gesetzgeber § 17 UStG an die EuGH-Rechtsprechung im Urteil ‑‑Elida Gibbs‑‑ (Slg. 1996, I-5339, BStBl II 2004, 324) angepasst (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 236, 267, BStBl II 2013, 712, Rz 28). In den Gesetzesmaterialien (BRDrucks 605/04, 69 f.) wird ausgeführt, dass für Unternehmer, die auf den Produktions- und Vertriebsstufen vor der Endverbrauchsstufe tätig seien, die Umsatzbesteuerung neutral sein müsse. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes dürfe dem Fiskus aus allen Umsatzgeschäften von der Produktion bis zum Endverbraucher insgesamt nur der Umsatzsteuerbetrag zufließen, den der Endverbraucher wirtschaftlich aufwende.

  20. Hieraus folgt, dass § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG dazu dient, beim wirtschaftlich begünstigten Unternehmer durch eine Vorsteuerkorrektur den nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG geminderten Steuerbetrag auszugleichen. Der Anwendung dieser Korrekturvorschrift bedarf es jedoch nicht, soweit es ‑‑wie im Streitfall‑‑ an einer Minderung des Steuerbetrags i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG fehlt. Anderenfalls käme es ‑‑was dem Sinn und Zweck des § 17 Abs. 1 UStG, die Neutralität der Umsatzsteuer zu gewährleisten, widerspräche‑‑ zu einem Umsatzsteuerüberhang.

  21. (3) An dieser Änderung der Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz als Voraussetzung für eine Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG fehlt es, soweit ‑‑wie im Streitfall‑‑ der Unternehmer, der eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in das Inland ausführt, an den letzten inländischen Unternehmer der Lieferkette eine Rückvergütung gewährt. Ein steuerpflichtiger Umsatz, dessen Bemessungsgrundlage sich geändert hätte, liegt ‑‑wie vorstehend ausgeführt‑‑ nicht vor. Die Rückvergütung, die der ausländische, die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in Großbritannien ausführende Unternehmer A der C als letztem (inländischen) Unternehmer der Lieferkette gewährt hat, führt bei C mithin zu keiner Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG.

  22. dd) Aus § 17 Abs. 1 Satz 5 UStG, der u.a. bestimmt, dass die "Sätze 1 bis 4" auch im Falle eines innergemeinschaftlichen Erwerbs sinngemäß gelten, ergibt sich ‑‑entgegen der Ansicht des FA‑‑ nichts anderes.

  23. (1) Auch danach ist eine Änderung der Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz Voraussetzung für eine Vorsteuerberichtigung. Denn § 17 Abs. 1 Satz 5 UStG ordnet für die Fälle des § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG ‑‑innergemeinschaftlicher Erwerb‑‑ und des § 13b UStG ‑‑Leistungsempfänger als Steuerschuldner‑‑ die sinngemäße Geltung von § 17 Abs. 1 Sätze 1 bis 4 UStG an. Die Vorschrift knüpft damit auch an die in § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG enthaltene Voraussetzung an, dass "sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz ... geändert" hat.

  24. § 17 Abs. 1 Satz 5 UStG erweitert die in § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG für einen "Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1" UStG getroffene Regelung auf die Fälle des § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG und des § 13b UStG. Die Vorschrift bezieht also lediglich die Umsätze des § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG und die Fälle des § 13b UStG in die in § 17 Abs. 1 Sätze 1 bis 4 UStG für die Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG getroffenen Regelungen ein, verzichtet aber nicht auf die in § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG aufgestellte ‑‑und im Streitfall nicht vorliegende‑‑ Voraussetzung der Änderung der Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz.

  25. (2) Bestätigt wird dies durch § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG in der vor der Änderung der Vorschrift durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (Richtlinien-Umsetzungsgesetz) vom 9. Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3310) bis zum 15. Dezember 2004 geltenden Fassung. Die Vorschrift lautete:

  26. "Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 geändert, haben

  27. 1. der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag und

  28. 2. der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug

  29. entsprechend zu berichtigen; dies gilt in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 und des § 13b sinngemäß."

  30. Hierdurch wird der dargelegte Zusammenhang zwischen § 17 Abs. 1 Satz 1 und § 17 Abs. 1 Satz 5 UStG in der nachfolgenden, in den Streitjahren 2008 und 2009 geltenden Gesetzesfassung besonders deutlich.

  31. ee) Die Ansicht, der zum Vorsteuerabzug berechtigte letzte Unternehmer einer Lieferkette müsse auch bei vorausgegangener innergemeinschaftlicher Lieferung des Rabatt gewährenden Herstellers nach § 17 Abs. 1 Satz 4 UStG seinen Vorsteuerabzug berichtigen und jener habe im Bestimmungsland in analoger Anwendung des Art. 185 Abs. 1 der MwStSystRL, § 17 Abs. 1 UStG einen Rückforderungsanspruch in Höhe der Umsatzsteuer (vgl. dazu Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 17 Rz 215), widerspricht sowohl der in § 17 Abs. 1 UStG geregelten Gesetzeslage als auch dem Unionsrecht in der Auslegung durch den EuGH in den bezeichneten Urteilen.

  32. 3. Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV ‑‑wie von der Klägerin hilfsweise angeregt‑‑ ist nicht geboten.

  33. Zweifel an der Auslegung des für die Entscheidung im Streitfall einschlägigen Unionsrechts bestehen nicht.

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