BFH X. Senat
GVG § 198 Abs 1, BGB § 288 Abs 1 S 2, BGB § 288 Abs 2, BGB § 291, FGO § 155 S 2, GG Art 19 Abs 4, MRK Art 6, GG Art 2 Abs 1, GG Art 20 Abs 3, GVG § 198 Abs 2 S 3
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 17. Februar 2013, Az: 12 K 12057/10
Leitsätze
1. Bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem typischen in dieser Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, besteht die Vermutung, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene Phase der gerichtlichen Aktivität nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt (Bestätigung der BFH-Rechtsprechung) .
2. Wird das FG in einem Klageverfahren, das sowohl hinsichtlich seines Schwierigkeitsgrads als auch hinsichtlich seiner Bedeutung für die Verfahrensbeteiligten als durchschnittlich anzusehen ist, erstmals 34 Monate nach Klageeingang tätig und bescheidet es mehrere Verzögerungsrügen und Sachstandsanfragen des Verfahrensbeteiligten entweder gar nicht oder lediglich mit ‑‑nicht auf das konkrete Verfahren bezogenen‑‑ Standard-Textbausteinen, ist die Verfahrensdauer im Umfang von neun Monaten als unangemessen anzusehen .
3. Führt ein Entschädigungsklageverfahren zur Zuerkennung eines Geldanspruchs, besteht zusätzlich ein Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 291 BGB). Der erhöhte Zinssatz des § 288 Abs. 2 BGB (acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz) ist nicht anwendbar, weil ein Anspruch auf Entschädigung keine "Entgeltforderung" darstellt .
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vor dem Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg vom 9. März 2010 (Klageeingang) bis zum 18. Februar 2013 (Absendung des nach Erledigung der Hauptsache erlassenen Kostenbeschlusses durch das FG) anhängigen Klageverfahrens.
Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Kläger betreibt als Einzelunternehmer einen Kraftfahrzeughandel mit Reparaturwerkstatt. Zu seinem Betriebsvermögen gehörte im Streitjahr 2006 ein PKW Skoda, den er auch privat nutzte. Den privaten Nutzungsanteil ermittelte er nach der sogenannten 1 %-Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im März 2006 erwarb er zusätzlich ein Kraftfahrzeug VW Multivan, dessen hintere Sitzreihe er ausbauen ließ. Für dieses Fahrzeug nahm er eine Sonderabschreibung nach § 7g EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung in Anspruch. Im Anschluss an eine Außenprüfung ging das Finanzamt (FA) davon aus, der Kläger habe auch den VW Multivan privat genutzt. Es setzte nur für dieses Fahrzeug ‑‑das einen erheblich höheren Listenpreis hatte als der PKW Skoda‑‑ einen nach der 1 %-Regelung ermittelten Privatnutzungsanteil an. Ferner versagte das FA die Sonderabschreibung mit der Begründung, der VW Multivan sei nicht fast ausschließlich betrieblich genutzt worden.
Gegen die entsprechend geänderten Bescheide über Einkommensteuer, den Gewerbesteuermessbetrag, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer erhob der Kläger ‑‑nach erfolgloser Durchführung eines Einspruchsverfahrens‑‑ am 9. März 2010 Klage. Er behauptete ‑‑wie bereits im Einspruchsverfahren‑‑, der VW Multivan werde ausschließlich betrieblich genutzt. Das Fahrzeug diene hauptsächlich als Zugmaschine für einen Anhänger, mit dem er fahruntüchtige PKW seiner Werkstattkunden transportiere. Es sei zulassungsrechtlich als LKW eingestuft. Er beantragte die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob eine Privatnutzung ausgeschlossen sei.
Mit einem Schreiben des FA vom 23. August 2010 endete der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten. Am 8. April 2011 bat der Kläger das FG, einen Termin anzuberaumen. Der dort zuständige Berichterstatter verfügte: "Bitte Standardantwort", worauf die Geschäftsstelle des FG dem Kläger mitteilte, wegen zahlreicher älterer Verfahren könne eine Terminierung noch nicht abgesehen werden. Am 21. Dezember 2011 erhob der Kläger Verzögerungsrüge; am 14. August 2012 bat er nochmals um Anberaumung eines Termins. Das FG äußerte sich hierzu jeweils nicht. Mit Schreiben vom 13. September 2012 erinnerte der Kläger das FG an eine Stellungnahme. Der Berichterstatter verfügte erneut: "Bitte Standardantwort". Am 18. Oktober 2012 wiederholte der Kläger seine Verzögerungsrüge.
Am 8. Januar 2013 verfügte das FG die Ladung zur mündlichen Verhandlung und forderte beim FA die Steuerakten an. Mit Schriftsatz vom 11. Februar 2013 trug der Kläger vor, der VW Multivan sei am 25. Juni 2012 ‑‑zu einem Zeitpunkt, als das Klageverfahren bereits verzögert gewesen sei‑‑ gestohlen worden und daher nicht mehr für den beantragten Sachverständigenbeweis verfügbar. Stattdessen bot er Beweis für eine ausschließlich betriebliche Nutzung durch Vernehmung eines seiner Mitarbeiter an. In der mündlichen Verhandlung am 13. Februar 2013 vernahm das FG diesen Zeugen. Ferner erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dieser lebe alleine in seinem Haushalt. Daraufhin regte das FG eine Abhilfe durch das FA an. Das FA verpflichtete sich zum Erlass entsprechender Bescheide, die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Durch Kostenbeschluss vom selben Tage, den das FG am 18. Februar 2013 mit einfachem Brief versandte, legte der Berichterstatter des FG die Kosten dem Kläger und dem FA je zur Hälfte auf. Zur Begründung führte er aus, das FG wäre dem ursprünglichen Vorbringen des Klägers, der VW Multivan sei zur Privatnutzung nicht geeignet gewesen, voraussichtlich nicht gefolgt. Den für die Abhilfe letztlich entscheidenden Tatsachenvortrag zur Größe seines Haushalts habe der Kläger dem Gericht erst in der mündlichen Verhandlung und auf dessen Nachfrage unterbreitet. Allerdings hätte bereits das FA dieser Frage nachgehen müssen.
Am 8. April 2013 hat der Kläger die vorliegende Entschädigungsklage erhoben. Er verweist darauf, dass die durchschnittliche Dauer finanzgerichtlicher Klageverfahren in Deutschland nach dem Geschäftsbericht der Finanzgerichte für die Jahre 2009 und 2010 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1578) bei ca. 18 Monaten gelegen habe, während das FG im Streitfall 35 Monate benötigt habe, ohne dass hierfür ein anderer Grund als die schlechte Personalausstattung des Gerichts erkennbar sei. Die Sache sei schon mit Klageeingang entscheidungsreif und spätestens am 23. August 2010 ausgeschrieben gewesen. Nach verschiedenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) belaufe sich die angemessene Verfahrensdauer auf etwa ein Jahr pro Instanz. Als Entschädigung sei für jedes angefangene Jahr der Verzögerung ein Betrag von 1.200 € zu gewähren. Der Kläger habe durch das "Erleiden einer über Jahre völlig ungeklärten Steuerrechtslage" einen kausal durch die Verzögerungen des Gerichtsverfahrens verursachten immateriellen Schaden erlitten. Die Klage sei für ihn angesichts des Umstands, dass der Streitwert ‑‑in Bezug auf die Einkommensteuer‑‑ etwa 50 % der festgesetzten Steuer betragen habe, von besonderer Bedeutung gewesen.
Als materieller Schaden werde der dem Kläger vom FG trotz vollen Obsiegens im Ausgangsverfahren auferlegte Kostenbetrag in Höhe von 582,13 € geltend gemacht, allerdings zur Vermeidung einer Erhöhung des Streitwerts des vorliegenden Verfahrens nicht zusätzlich zur begehrten Entschädigung für Nichtvermögensschäden, sondern lediglich zur argumentativen Verstärkung des Klagevorbringens.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem FG Berlin-Brandenburg 12 K 12057/10 eine Entschädigung in Höhe von 2.400 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz zu zahlen.Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.Der Zeitraum von 28 Monaten, in dem das Verfahren gänzlich unbearbeitet geblieben sei, sei bei Zugrundelegung der bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 198 GVG noch hinzunehmen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage ist teilweise begründet.
Der Kläger hat die erforderliche Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG) erhoben (dazu unten 1.). Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen; die Verzögerung betrifft einen Zeitraum von neun Monaten (unten 2.). Dem Kläger steht indes lediglich eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 900 € statt der geltend gemachten 2.400 € zu (unten 3.); hinzu kommt der Anspruch auf Prozesszinsen (unten 4.).
1. Die am 21. Dezember 2011 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge ist i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG "unverzüglich" nach dem Inkrafttreten des genannten Gesetzes am 3. Dezember 2011 erhoben und hat daher gemäß Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG Ansprüche auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes gewahrt.
Der Senat hat bereits entschieden, dass im Rahmen der gebotenen normspezifischen Auslegung des in Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG verwendeten Begriffs "unverzüglich" ein Zeitraum von drei Monaten als sachgerecht anzusehen ist (ausführlich Urteil vom 7. November 2013 X K 13/12, BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.1.d). Dieser Zeitraum ist vorliegend nicht überschritten.
2. Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen. Die Dauer der Verzögerung beläuft sich auf neun Monate.
a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.2., auf das zur Vermeidung von Wiederholungen wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
Nach dieser Entscheidung ist der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen, die dem Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits einerseits und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen ‑‑wie dem Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes durch inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen, der Unabhängigkeit der Richter und dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter‑‑ Rechnung tragen. Danach darf die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer des Ausgangsverfahrens nicht zu eng gezogen werden; dem Ausgangsgericht ist ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens ‑‑auch in zeitlicher Hinsicht‑‑ einzuräumen. Zwar schließt es die nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG vorzunehmende Einzelfallbetrachtung aus, im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein sollte. Gleichwohl kann für ein finanzgerichtliches Klageverfahren, das im Vergleich zu dem typischen in dieser Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, die Vermutung aufgestellt werden, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt. Dies gilt nicht, wenn der Verfahrensbeteiligte rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise auf Umstände hinweist, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgt.
Die gegen die dargestellte Angemessenheitsvermutung erhobenen Einwendungen des Klägers geben keinen Anlass, von diesen Grundsätzen abzurücken. Er begehrt letztlich, dass das FG sich von Anfang an ausschließlich mit seiner Klage hätte befassen müssen. Dabei übersieht er, dass stets parallel auch zahlreiche andere Verfahren zu bearbeiten sind. Verfassungs- und menschenrechtlich ist die gerichtsorganisatorische Grundentscheidung, einem Richter mehr als ein Verfahren gleichzeitig zuzuweisen, nicht zu beanstanden, weil die begrenzten staatlichen Ressourcen möglichst effizient eingesetzt werden sollen. Der Kläger hat trotz ausdrücklicher Nachfrage des Senats auch keine Entscheidung des EGMR oder des Bundesverfassungsgerichts benennen können, in der es beanstandet worden wäre, dass ein Verfahren über nicht existenzsichernde Geldansprüche erst zwei Jahre nach seinem Eingang einer Entscheidung zugeführt wurde.
b) Nach diesen Grundsätzen ist das Ausgangsverfahren um neun Monate in unangemessener Weise verzögert worden.
aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.
Der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens war als durchschnittlich anzusehen. Einerseits waren die für die Beurteilung des Rechtsstreits maßgebenden rechtlichen Grundsätze geklärt. In tatsächlicher Hinsicht ging es aber um einen Sachverhalt, der die private Sphäre des Klägers berühren könnte und daher regelmäßig nicht ohne Schwierigkeiten aufklärbar ist.
Die Bedeutung des Ausgangsverfahrens war für den Kläger in Bezug auf die Einkommen- und Gewerbesteuer ‑‑legt man das Verhältnis zwischen den streitigen und den insgesamt festgesetzten Beträgen von 50 % bzw. 100 % zugrunde‑‑ erheblich. In Bezug auf die Umsatzsteuer ging es demgegenüber nur um einen Betrag von 1,4 % der für das Streitjahr festgesetzten Steuerschuld. Allerdings ist davon auszugehen, dass die ‑‑formal auf das Jahr 2006 beschränkte‑‑ Entscheidung des FG im Ausgangsverfahren auch für die Folgejahre von Bedeutung war.
Das FA hatte Aussetzung der Vollziehung gewährt, so dass sich der Kläger während der gesamten Verfahrensdauer keinen fälligen Forderungen des FA gegenüber sah, auch wenn er ‑‑im Falle eines Unterliegens im Ausgangsverfahren‑‑ Aussetzungszinsen gemäß § 237 der Abgabenordnung (AO) zu tragen gehabt hätte.
bb) Umstände, die für eine besondere Eilbedürftigkeit des Ausgangsverfahrens sprechen, sind dem FG weder vom Kläger unterbreitet worden noch waren derartige Umstände für das FG sonst ersichtlich.
(1) Den zahlreichen Sachstandsanfragen und Verzögerungsrügen des Klägers waren keine Darlegungen zu entnehmen, aus denen sich eine objektiv bestehende besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens ergeben hätte.
(2) Entgegen der Auffassung des Klägers ergab sich eine solche besondere Eilbedürftigkeit auch nicht aus den dem FG vorliegenden Akten.
Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang der Verweis des Klägers auf seine in der Klageschrift enthaltene Behauptung, das FA habe gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten erklärt, der Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung und solle einer Entscheidung durch den Bundesfinanzhof (BFH) zugeführt werden. Zum einen wird diese Behauptung durch den übrigen Akteninhalt und insbesondere durch das Vorbringen des FA, das in seiner Klageerwiderung ausdrücklich erklärt hatte, seine Entscheidung stimme mit der ständigen Rechtsprechung des BFH überein, nicht getragen. Zum anderen würde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und die Notwendigkeit einer höchstrichterlichen Klärung darauf hindeuten, dass das Ausgangsverfahren von überdurchschnittlichem Schwierigkeitsgrad wäre, was gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch eine gegenüber dem Normalfall moderat verlängerte ‑‑nicht etwa verkürzte‑‑ Verfahrensdauer noch als angemessen erscheinen lassen könnte.
Ebensowenig nachvollziehbar ist die Behauptung des Klägers, aus dem ‑‑als Anlage zur Klageschrift eingereichten‑‑ Betriebsprüfungsbericht seien die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers erkennbar gewesen, so dass das FG hätte wissen müssen, dass die Höhe der streitigen Steuerbeträge für den Kläger von existenzieller Bedeutung gewesen sei. Tatsächlich waren jedenfalls die Vermögensverhältnisse des Klägers aus dem Betriebsprüfungsbericht nicht ersichtlich.
Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, der von ihm in der Klageschrift "vorsorglich" beantragte Sachverständigenbeweis zu der Tatsache, dass er sämtliche hinter der vorderen Sitzbank liegenden Sitzplätze des VW Multivan entfernt habe, habe erkennbar für eine besondere Eilbedürftigkeit gesprochen, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen. Zum einen war diese Tatsache nicht nur durch eingereichte Lichtbilder glaubhaft gemacht worden, sondern zwischen den Beteiligten auch unstreitig, so dass eine Beweiserhebung entbehrlich war. Zum anderen war nicht ersichtlich, dass während des Zeitraums, in dem die Verfahrensdauer im Allgemeinen als noch angemessen anzusehen ist (dazu oben a), eine Verschlechterung oder Unerreichbarkeit des Beweismittels drohen könnte.
cc) Die Würdigung, dass die Verfahrensdauer in Bezug auf einen Zeitraum von neun Monaten unangemessen war, ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs.
In dem seit dem 9. März 2010 beim FG anhängigen Klageverfahren endete der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten am 23. August 2010.
Geht man nach den vorstehend unter a dargelegten Grundsätzen davon aus, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu vermuten ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, hätte das FG das Verfahren im Frühjahr 2012 wieder aufgreifen und durch kontinuierliches Tätigwerden zur Entscheidung führen müssen. Tatsächlich ist das FG jedoch ‑‑trotz der im Dezember 2011 erhobenen Verzögerungsrüge des Klägers‑‑ erst im Januar 2013 wieder tätig geworden. Danach ist im Zeitraum von April bis Dezember 2012 (insgesamt neun Monate) eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens eingetreten.
3. Dem Kläger steht aufgrund der unangemessenen Verfahrensdauer eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 900 € zu.
a) Das Entstehen eines Nichtvermögensnachteils wird in Fällen unangemessener Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet (vgl. auch Senatsurteil vom 17. April 2013 X K 3/12, BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.6.a).
b) Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG wäre im Streitfall nicht ausreichend. Dafür spricht vor allem, dass das FG auf die zahlreichen Versuche des Klägers, es zu einer Entscheidung innerhalb angemessener Frist zu bewegen, entweder gar nicht reagiert hat oder sich auf Standardantworten beschränkt und dem Kläger noch nicht einmal einen Zeitpunkt in Aussicht gestellt hat, ab dem mit einer Verfahrensförderung zu rechnen sei. In derartigen Fällen ist ein Verfahrensbeteiligter, der ‑‑wie aus den zahlreichen Anfragen des Klägers folgt‑‑ erkennbar, wenn auch ohne Nennung konkreter Umstände, die für eine besondere Beschleunigung des Verfahrens sprechen, an einer zügigen Entscheidung interessiert ist, von der Verfahrensverzögerung in stärkerem Maße betroffen als wenn das Ausgangsgericht zwar seine Überlastung zu erkennen gibt, aber zugleich seine Vorstellungen vom weiteren Ablauf des Verfahrens in zeitlicher Hinsicht konkretisiert und den Beteiligten mitteilt. Hinzu kommt, dass das FG im Streitfall in den 35 Monaten, die der mündlichen Verhandlung vorangegangen sind, keinerlei verfahrensfördernde Aktivitäten entfaltet hat.
c) Umstände dafür, dass der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG genannte Regelbetrag von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung vorliegend unbillig (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) sein könnte, sind weder von den Beteiligten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Auch wenn im Gesetz ein Jahresbetrag genannt ist, kann dieser ‑‑anders als der Kläger meint‑‑ im konkreten Fall nach Monaten bemessen werden (ebenso Urteil des Bundessozialgerichts vom 21. Februar 2013 B 10 ÜG 1/12 KL, BSGE 113, 75, unter 2.c d).
d) Die Prozesskosten, die der Kläger aufgrund der im Ausgangsverfahren getroffenen Kostenentscheidung des FG zu zahlen hatte, beruhen nicht auf der Verzögerung jenes Verfahrens. Es ist weder erkennbar noch vom Kläger vorgetragen, dass das FG ‑‑auf der Grundlage seiner kostenrechtlichen Rechtsauffassung‑‑ eine andere Kostenentscheidung getroffen hätte, wenn es das Verfahren in angemessener Zeit zu einem Ende geführt hätte.
4. Der Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit der Entschädigungsklage (§ 66 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) an folgt aus § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
a) Im Rahmen von Entschädigungsklagen sind die genannten Vorschriften auch in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten anwendbar, weil Spezialregelungen, die den allgemeinen Anspruch auf Prozesszinsen verdrängen könnten, nicht bestehen (vgl. für die Sozialgerichtsbarkeit Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. Februar 2013 L 6 SF 6/12 EK U, Neue Zeitschrift für Sozialrecht 2013, 472, und des Thüringer Landessozialgerichts vom 10. Juli 2013 L 12 SF 916/12 EK, nicht veröffentlicht). Dies gilt auch, wenn ‑‑wie im Streitfall‑‑ die Vorschriften über das finanzgerichtliche Verfahren erster Instanz anzuwenden sind, da sich die abgabenrechtlichen Regelungen über Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge (§ 236 AO) nur auf zu erstattende Steuern und Steuervergütungen beziehen.
b) Nicht zu folgen ist allerdings der Auffassung des Klägers, ihm stehe ein Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu.
Der auf § 288 Abs. 2 BGB gestützte Anspruch auf erhöhte Prozesszinsen setzt nicht allein voraus, dass an dem "Rechtsgeschäft" ein Verbraucher nicht beteiligt ist, sondern auch, dass es um eine "Entgeltforderung" geht. Der vorliegende Rechtsstreit betrifft indes eine Forderung auf eine Entschädigungszahlung, nicht aber eine Entgeltforderung.
Entgeltforderungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Forderungen auf Zahlung eines Entgelts als Gegenleistung für eine vom Gläubiger erbrachte oder zu erbringende Leistung (Urteile vom 21. April 2010 XII ZR 10/08, NJW 2010, 1872, unter II.2.a bb, mit Beispielen, und vom 6. November 2013 KZR 58/11, Neue Zeitschrift für Kartellrecht 2014, 31, unter B.II.4.c bb). Die vorliegend vom Senat auf der Grundlage des § 198 GVG zugesprochene Entschädigung kann aber nicht als Gegenleistung für eine vom Kläger erbrachte Leistung angesehen werden. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die entsprechende Geltung der §§ 291, 288 BGB für öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche zu einer Verzinsung von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 288 Abs. 1 BGB führt, aber keine ausreichende Analogiebasis besteht, Absatz 2 dieser Vorschrift anzuwenden (Urteil vom 18. März 2004 3 C 23/03, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2004, 991, unter 3.).
5. Die Kostenentscheidung nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Anlass für eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen gemäß § 201 Abs. 4 GVG besteht nicht, da die Bezifferung der Höhe der geltend gemachten Entschädigungsforderung zum Risikobereich des Entschädigungsklägers gehört.