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Urteil vom 28. Januar 2014, VIII R 28/13

Wahrung der Festsetzungsfrist durch Übersendung eines Steuerbescheids im Wege des Telefax-Verfahrens

BFH VIII. Senat

AO § 118, AO § 119, AO § 122, AO § 169 Abs 1 S 3 Nr 1

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt , 25. Februar 2013, Az: 4 K 498/10

Leitsätze

1. Die gesetzlich gebotene Schriftform für behördliche und gerichtliche Entscheidungen wird auch durch Übersendung per Telefax gewahrt (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteile vom 4. Juli 2002 V R 31/01, BFHE 198, 337, BStBl II 2003, 45; vom 18. August 2009 X R 25/06, BFHE 226, 77, BStBl II 2009, 965).

2. Die Festsetzungsfrist ist nach Maßgabe des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO schon gewahrt, wenn der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde ‑‑mit ihrem Wissen und Wollen‑‑ verlassen hat und dem Adressaten tatsächlich (wenn auch erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist) zugegangen ist. Auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe ‑‑auch hinsichtlich der Bekanntgabefiktionen im Anwendungsbereich des § 122 AO‑‑ kommt es danach nicht an.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Übersendung eines Einkommensteuerbescheids per Telefax die Festsetzungsverjährung unterbricht.

  2. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gab ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2003 im Jahr 2004 ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) übersandte den aufgrund der Erklärung ergangenen Einkommensteuerbescheid 2003 mit handschriftlichem Datum "30.12.2008" ausweislich des Telefaxjournals am 30. Dezember 2008 in der Zeit von 13:33 Uhr bis 13:40 Uhr per Telefax an das Büro der früheren Empfangsbevollmächtigten der Klägerin. Dort wurde er am selben Tag ausgedruckt.

  3. Mit Änderungsbescheiden vom 23. Januar 2009 und vom 28. Januar 2009 minderte das FA ‑‑jeweils auf telefonischen Antrag der Klägerin‑‑ den Ansatz ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

  4. Am 29. Januar 2009 ging bei dem FA per Telefax ein Einspruch gegen den "Einkommensteuerbescheid 2003 per Fax mit handschriftlichem Datum 30.12.2008" ein. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass wegen nicht rechtzeitiger Bekanntgabe hinsichtlich der Einkommensteuerveranlagung 2003 zum 31. Dezember 2008 Festsetzungsverjährung eingetreten sei.

  5. Mit Einspruchsentscheidung vom 8. März 2010 verwarf das FA den Einspruch (gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2008) als unzulässig und wies den Einspruch gegen den Einkommensteueränderungsbescheid vom 23. Januar 2009 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 28. Januar 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, dass der Einkommensteuerbescheid vom 30. Dezember 2008 mit Bekanntgabewillen der Steuerberaterin der Klägerin bekannt gegeben worden sei und sich der Bekanntgabewille in der Aktenverfügung unter Anführung der Telefaxnummer der Steuerberaterin dokumentiert habe. Nach der Aktenverfügung habe der für den Erlass des Steuerbescheids zuständige Bedienstete, hier der Sachgebietsleiter, sein Namenszeichen vermerkt.

  6. Im Streitfall sei die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gewahrt, da der Steuerbescheid noch vor Ablauf der Frist am 31. Dezember 2008 den Bereich der zuständigen Finanzbehörde verlassen habe und der Klägerin tatsächlich zugegangen sei. Der auf den 30. Dezember 2008 datierende Steuerbescheid sei taggleich per Telefax an die Steuerberaterin der Klägerin übermittelt worden. Der Bescheid sei der Klägerin ausweislich ihrer telefonischen Änderungsanträge vom 12. und 13. Januar 2009 sowie ausweislich des gesonderten Einspruchs vom 29. Januar 2009 gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2008 auch tatsächlich zugegangen. Da der Bescheid vom 30. Dezember 2008 die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2003 gewahrt habe, seien auch die angefochtenen Änderungsbescheide zulässigerweise erlassen worden.

  7. Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1545 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab.

  8. Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO.

  9. Die Vorschrift sei auf Steuerbescheide nur anwendbar, wenn sie auf dem Postwege, nicht aber, wenn sie ‑‑wie im Streitfall‑‑ per Telefax bekannt gegeben würden. Ihre Voraussetzung, der den Ablauf der Festsetzungsfrist hemmende Steuerbescheid müsse die Behörde "verlassen" haben, sei nicht gegeben, weil der Bescheid bei Übersendung im Wege des Telefaxverfahrens in der Behörde verbleibe und auf diese Form der Übersendung die Vorschrift wegen ihres Ausnahmecharakters nicht im Wege der Auslegung ausgedehnt werden dürfe.

  10. Selbst wenn man mit dem FA und dem FG die Anwendbarkeit des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO auch bei Übersendung von Bescheiden durch Telefax bejahen wollte, fehle im Streitfall die gebotene Absendung durch die Poststelle des FA mit entsprechender Dokumentation durch einen Absendevermerk. Denn der Bescheid vom 30. Dezember 2008 sei unmittelbar vom Sachgebietsleiter des FA gefaxt worden.

  11. Auf dieser Grundlage gelte der per Telefax übersandte Bescheid nach § 122 Abs. 2a AO als elektronisch übermittelter Bescheid als am dritten Tag nach Absendung bekannt gegeben, selbst wenn der Bescheid noch am selben Tag beim Empfänger eingehe und gelesen werden könne.

  12. Abgesehen davon müsse man entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) davon ausgehen, dass die für Steuerbescheide zu wahrende Schriftform die Übersendung des Originalbescheids erfordere und schon deshalb eine Übersendung per Telefax keine verjährungsunterbrechende Wirkung haben könne.

  13. Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2010 aufzuheben.

  14. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet.

  2. Zu Recht hat das FG den Einwand der Verjährung für unbegründet gehalten.

  3. a) Im Streitfall lief die Festsetzungsfrist für die Veranlagung der Klägerin zur Einkommensteuer 2003 nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2008 ab, weil die Klägerin ihre Steuererklärung im Jahr 2004 eingereicht hatte.

  4. b) Der vor Ablauf dieser Frist per Telefax übermittelte und nach den bindenden Feststellungen des FG am Tag der Übermittlung bei der Empfangsbevollmächtigten der Klägerin ausgedruckte Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 30. Dezember 2008 hat diese Frist ‑‑wie das FA und das FG zu Recht angenommen haben‑‑ gewahrt.

  5. Die Einwendungen der Klägerin gegen die Formwirksamkeit des Bescheids sowie gegen die Ordnungsmäßigkeit seiner Bekanntgabe rechtfertigen keine andere Entscheidung.

  6. aa) Nach ständiger BFH-Rechtsprechung wird eine gesetzlich gebotene Schriftform auch durch Übersendung per Telefax gewahrt (BFH-Urteil vom 4. Juli 2002 V R 31/01, BFHE 198, 337, BStBl II 2003, 45).

  7. (1) Ein Telefax gewährleistet gleichermaßen den mit dem Gebot der Schriftlichkeit verfolgten Zweck, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Zudem weist ein Telefax gleichermaßen aus, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Empfänger zugeleitet worden ist (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ‑‑GmS-OGB‑‑ vom 5. April 2000 GmS-OGB 1/98, Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 2000, 2340, unter III.1.). Dementsprechend ist nach der dem technischen Fortschritt auf dem Gebiet der Telekommunikation Rechnung tragenden Rechtsprechung die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig (vgl. Beschluss des GmS-OGB in NJW 2000, 2340, unter III.2., m.w.N.; Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. März 2001 B 3 KR 12/00 R, BSGE 88, 1; Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 11. Januar 2006 L 1 P 14/05, juris).

  8. (2) Für die Übermittlung von Steuerbescheiden gilt auf dieser Grundlage entgegen der Auffassung der Klägerin nichts anderes (BFH-Urteile vom 8. Juli 1998 I R 17/96, BFHE 186, 491, BStBl II 1999, 48; vom 18. August 2009 X R 25/06, BFHE 226, 77, BStBl II 2009, 965, unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 28. Mai 2009 III R 84/06, BFHE 225, 11, BStBl II 2009, 949 zur bejahten Wirksamkeit einer einen Verwaltungsakt mündlich widerrufenen Mitteilung; die Verfassungsbeschwerde gegen das BFH-Urteil in BFHE 226, 77, BStBl II 2009, 965 hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 29. Oktober 2012  2 BvR 2579/09, juris, nicht zur Entscheidung angenommen; BFH-Beschluss vom 31. März 1998 I S 8/97, BFH/NV 1998, 1318; Güroff in Beermann/Gosch, AO § 122 Rz 32; vgl. auch BFH-Beschluss vom 27. Juni 2001 X B 23/01, BFH/NV 2001, 1529).

  9. (3) Die Übersendung per Telefax ist auch nicht als Übersendung eines elektronischen Verwaltungsakts anzusehen, für den nach § 87a Abs. 4 AO eine Signatur erforderlich wäre (vgl. § 119 Abs. 3 Satz 3 AO). Denn die Wirksamkeit einer Bekanntgabe behördlicher oder gerichtlicher Entscheidungen per Telefax wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) durch die Einfügung der Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr in die Verfahrensgesetze nicht berührt, weil ein Computerfax oder Funkfax kein elektronisches Dokument darstellt (BVerwG-Beschluss vom 30. März 2006  8 B 8/06, NJW 2006, 1989; ebenso Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 19. Aufl., § 55a Rz 5). Per Telefax übermittelte Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidungen erfordern keinen besonderen Nachweis der Urheberschaft (Authentizität) und keinen besonderen Schutz vor nachträglicher Veränderung (Integrität). Insoweit unterscheiden sie sich maßgeblich von elektronischen Dokumenten, die leicht elektronisch änderbar sind und deren Absicherung die Regelungen zur qualifizierten Signatur allein bezwecken (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 14. Januar 2010 VII ZB 112/08, BGHZ 184, 75, unter Bezugnahme auf den BGH-Beschluss vom 4. Dezember 2008 IX ZB 41/08, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2009, 357 und BTDrucks 14/4987, S. 24; BTDrucks 15/4067, S. 37 f. zu § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung).

  10. Für andere Dokumente stellt sich selbst bei Übermittlung per Telefax ‑‑wie im Streitfall‑‑ das Problem der Integrität nicht anders als bei traditionell übermittelten Schriftstücken, für die eine qualifizierte Signatur nicht erforderlich ist (BVerwG-Beschluss in NJW 2006, 1989).

  11. bb) Mit dem gefaxten Einkommensteuerbescheid hat das FA im Streitfall den Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt. Denn die Frist ist nach Maßgabe des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO auch gewahrt, wenn der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde ‑‑mit ihrem Wissen und Wollen‑‑ verlassen hat und dem Adressaten tatsächlich (wenn auch erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist) zugegangen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 22. August 1996 V B 30/96, BFH/NV 1997, 162). Diese Voraussetzungen sind nach den für den Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG im Streitfall gegeben.

  12. Da es danach im Anwendungsbereich des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe nicht ankommt, haben die Ausführungen der Klägerin zu den Bekanntgabefiktionen in § 122 AO für den Streitfall keine Bedeutung.

  13. Der Einwand der Klägerin, bei wortlaut- und zweckorientierter Auslegung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO habe ein Bescheid im Sinne der Vorschrift den Bereich des FA nur verlassen, wenn er nicht per Telefax, sondern in Papierform übersandt werde, ist ersichtlich mit der dargestellten ständigen Rechtsprechung zur Ordnungsmäßigkeit der Bekanntgabe von Bescheiden im Wege der Übersendung per Telefax unvereinbar. Denn der auf diese Weise bekanntgegebene Bescheid löst die Bindungswirkung der in ihm getroffenen Regelungen für den Adressaten sowie den Lauf der Rechtsbehelfsfristen aus, sodass für ihn mangels abweichender Sonderregelungen dieselben Vorschriften für die Verjährungsfristen und ihre Ablaufhemmung wie für im Postweg übersandte Bescheide gelten.

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