BFH X. Senat
EStG § 6 Abs 1 Nr 3a Buchst b, EStG § 6 Abs 1 Nr 3a Buchst e S 2, AO § 162
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 10. Mai 2011, Az: 2 K 11301/08
Leitsätze
1. Die Abzinsung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen richtet sich gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG nach dem Zeitraum bis zur erstmaligen Erfüllung der Bestandspflegepflicht. Diesen hat der Steuerpflichtige darzulegen und mit Stichproben zu belegen (Fortentwicklung der Rechtsprechung in den Senatsurteilen vom 19. Juli 2011 X R 26/10, BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856; X R 48/08, BFH/NV 2011, 2032, und X R 8/10, BFH/NV 2011, 2035).
2. Steht fest, dass der Steuerpflichtige vertraglich zur weiteren Betreuung der von ihm vermittelten Versicherungsverträge verpflichtet ist und auch tatsächlich entsprechende Nachbetreuungsleistungen erbracht hat, scheitert die Bildung der Rückstellung zwar nicht daran, dass er keine der Rechtsprechung entsprechenden Aufzeichnungen über den Umfang der Betreuungsleistungen vorlegen kann. Da den Steuerpflichtigen aber die Darlegungs- und Beweislast trifft, muss sich die dann vorzunehmende Schätzung des Betreuungsaufwandes im unteren Rahmen bewegen.
Tatbestand
I.
Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2004 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger erzielte als selbständiger Versicherungsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung ‑‑EStG‑‑).
Als Vertreter der V, bestehend aus der A und der B, vermittelte der Kläger sowohl Lebens- als auch Sachversicherungen. Der Vertretervertrag lautete auszugsweise wie folgt:
§ 3
Aufgaben
1. Der Vertreter ist verpflichtet, die Geschäfte der "..." <V> nach besten Kräften zu fördern und deren Interessen in jeder Hinsicht wahrzunehmen.
2. Demzufolge hat er insbesondere
a) Versicherungsverträge zu vermitteln,
b) den Versicherungsbestand zu pflegen sowie die sich daraus ergebenden geschäftlichen Vorgänge zu erledigen,
c) an der Bearbeitung von Schadenfällen nach besonderer Weisung mitzuwirken,
d) die Schadenverhütungsbestrebungen der "..." <V> zu unterstützen.Für die Vermittlung von Sachversicherungen der B erhielt der Kläger neben der Abschlussprovision zusätzlich eine Verwaltungsprovision für die Pflege des Versicherungsbestandes, für den ihm übertragenen Beitragseinzug, die Mitwirkung bei der Bearbeitung von Schadensfällen und für sonstige ihm nach § 3 des Vertretervertrages obliegende Aufgaben. Für die Vermittlung von Lebensversicherungen der A erhielt der Kläger eine einmalige Abschlussprovision, mit der "die Vermittlung des Versicherungsvertrages und andere Tätigkeiten abgegolten" waren sowie ab Erreichen von bestimmten Grenzen zusätzlich eine Sondervergütung.
Aufgrund eines Kooperationsvertrages mit der C hielt V ihre Vertreter in einem dem Vertretervertrag beigefügten Merkblatt dazu an, bei sich bietender Gelegenheit als Untervertreter der V Bausparverträge für die C zu vermitteln. Hierfür erhielt der Kläger von der C im Auftrag der V eine einmalige Abschlussprovision. Einmalige Abschlussprovisionen erhielt er zudem für die Vermittlung von Krankenversicherungen der D als "Partner-Produkt".
Zum 31. Dezember 2004 befanden sich 53 Krankenversicherungen, 125 Bausparverträge sowie 591 Lebensversicherungsverträge im Bestand des Klägers. In seiner Gewinnermittlung für das Streitjahr 2004 passivierte er erstmalig Rückstellungen für Bestandspflege sämtlicher Versicherungen, d.h. einschließlich der Sachversicherungen, in Höhe von insgesamt 311.823,58 €. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erkannte diese Rückstellungen nicht an.
Im Einspruchsverfahren legten die Kläger Schreiben der V vor, nach denen der vom Kläger zugrunde gelegte Aufwand von zwei Stunden für die Betreuung der Lebensversicherungen nicht als zu hoch gegriffen erscheine. Aufgrund von Stundenzetteln seiner Mitarbeiter für den Monat Dezember 2006 ermittelte der Kläger einen Betreuungsbedarf von 1:38 Stunden pro Lebensversicherungsvertrag im Jahr. Dieser sei allerdings aufgrund des Arbeitsanfalls bei den Kfz-Versicherungen niedriger als im Jahresdurchschnitt.
Das FA führte in dieser Zeit eine Außenprüfung durch. Der Prüfer vertrat abschließend weiterhin die Auffassung, die Rückstellungen seien bereits dem Grunde nach nicht anzuerkennen. Der Prüfer forderte den Kläger u.a. auf, die Unterlagen zu 30 zufällig ausgewählten Verträgen vorzulegen. Dem kam der Kläger nach Rücksprache mit V aus Datenschutzgründen nicht nach. Der Einspruch blieb daraufhin erfolglos.
Im Klageverfahren begehrten die Kläger noch Rückstellungen für die Lebensversicherungen, Krankenversicherungen und Bausparverträge in Höhe von insgesamt 188.493,73 €.
Im Rahmen der vertraglich vereinbarten Betreuung seien beispielsweise Änderungen der Zahlungsnachweise, Änderungen der Bankverbindungen, Änderungen der Adressen sowie Änderungen der Deckung zu berücksichtigen. Bei den Lebensversicherungsverträgen seien außerdem Anträge auf Beitragsfreistellung sowie Beitragsänderungen aufgrund finanzieller Engpässe vorzunehmen. Weiter kämen Änderungen der Laufzeit in Betracht und seien jährliche Auskünfte zum Rückkaufswert zu erteilen. Häufig würden auch Anträge auf Teilauszahlung der Lebensversicherungen oder die Möglichkeit zum Ruhenlassen des Vertrages geltend gemacht. Schließlich seien steuerliche Fragen zu beantworten. Häufig müsse er, der Kläger, bei der Direktion in X Rückfrage halten. Für die Betreuung der Lebensversicherungsverträge sei von einem jährlichen Aufwand von zwei Stunden auszugehen, die Betreuung der Krankenversicherungsverträge erfordere einen Zeitaufwand von einer Stunde, die der Bausparverträge von 30 Minuten.
Die Klage hatte teilweise Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1691). Für die Lebensversicherungsverträge sah das Finanzgericht (FG) die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung als dem Grunde nach gegeben an. Der Höhe nach schätzte das FG eine Rückstellung in Höhe von 23.272 €. Den Nachbetreuungsaufwand schätzte es dabei auf 20 Minuten je Vertrag und Jahr.
Für die Bausparverträge sowie die Krankenversicherungen lehnte das FG hingegen die Bildung von Rückstellungen ab. Da es insoweit schon an einer eindeutigen vertraglichen Verpflichtung zur Bestandsbetreuung fehle, befinde sich der Kläger nicht in einem Erfüllungsrückstand.
Gegen das FG-Urteil wenden sich sowohl die Kläger als auch das FA mit der Revision wegen Verletzung materiellen Rechts.
Die Kläger machen geltend:
(1) Entgegen der Auffassung des FG seien auch für die Betreuung der Krankenversicherungen und Bausparverträge Rückstellungen zu bilden, da sich der Kläger insoweit ebenfalls in einem Erfüllungsrückstand befunden habe. Aus § 3 Nr. 2 Buchst. b des Vertretervertrages ergebe sich auch insoweit eine vertragliche Betreuungsverpflichtung.
Die von dem FG für die Lebensversicherungen geschätzte Rückstellung sei der Höhe nach unzureichend, da insoweit von einem Betreuungsaufwand von zwei Stunden pro Vertrag und Jahr auszugehen sei.
(2) Die Revision des FA sei demnach unbegründet.Die Kläger beantragen,
das FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 6. März 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2008 dergestalt zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung einer Rückstellung bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe von 95.438,57 € festgesetzt wird, sowie die Revision des FA zurückzuweisen.Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Revision der Kläger zurückzuweisen.Es ist der Ansicht, entgegen der Würdigung des FG könne aus § 3 Nr. 2 Buchst. b des Vertretervertrages nicht auf einen Erfüllungsrückstand des Klägers und damit auf die Berechtigung zur Bildung einer Rückstellung dem Grunde nach geschlossen werden. Erst recht ergebe sich daraus keine rechtliche Verpflichtung zur Pflege des Bestandes von Produkten Dritter wie den Krankenversicherungen und Bausparverträgen.
Aber auch dann, wenn die Bildung von Rückstellungen dem Grunde nach möglich sein sollte, stelle sich die Frage nach deren Höhe. Nach den allgemeinen Beweislastregeln habe keine Schätzung erfolgen dürfen. Das FG lasse völlig unberücksichtigt, dass die objektive Beweislast für die behaupteten Betreuungsleistungen beim Kläger liege, die beigebrachten Unterlagen nach den Feststellungen des FG für eine Berechnung der Rückstellung aber völlig unzureichend gewesen seien, insbesondere genügten diese auch nicht den vom Bundesfinanzhof (BFH) gestellten Anforderungen.
Sei es möglich, auch ohne entsprechende Aufzeichnungen schätzen zu können, erscheine es gerechtfertigt, den zeitlichen Aufwand für die Betreuungsleistungen für die gesamte Laufzeit allenfalls mit einer Stunde pro Lebensversicherungsvertrag zu berücksichtigen. Auch dann komme eine Schätzung nur dann in Betracht, wenn für den Kunden daneben kein Sachversicherungsvertrag vorliege, für den eine entsprechende Betreuungsprovision gezahlt werde.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Gemäß § 5 Abs. 1 EStG sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden; geboten ist ein Bilanzausweis u.a. aber bei Vorleistungen und Erfüllungsrückständen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. Juni 1997 GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735, m.w.N.). Es entspricht der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden sind, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrages erhält (BFH-Urteil vom 28. Juli 2004 XI R 63/03, BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866; Senatsurteile vom 9. Dezember 2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860; vom 19. Juli 2011 X R 26/10, BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856; X R 48/08, BFH/NV 2011, 2032, und X R 8/10, BFH/NV 2011, 2035, jeweils m.w.N.).
a) Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen eine dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit gegenüber einem anderen voraus; es genügt, dass Grund und Höhe wahrscheinlich sind (Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 32. Aufl., § 5 Rz 361, 376). In zeitlicher Hinsicht muss die Verbindlichkeit in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sein; es muss bereits bis zum Bilanzstichtag eine wirtschaftliche Belastung eingetreten sein (BFH-Urteile vom 19. Oktober 2005 XI R 64/04, BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371, und vom 29. November 2007 IV R 62/05, BFHE 220, 85, BStBl II 2008, 557).
b) Entgegen der Auffassung des FA ist die Bildung der Rückstellung nicht wegen Unwesentlichkeit der Verpflichtung ausgeschlossen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf seine grundlegenden Ausführungen im Urteil in BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856 (unter II.1.b).
2. Die Würdigung des FG, der Kläger sei aufgrund der Regelung in § 3 Nr. 2 Buchst. b des Vertretervertrages rechtlich zur Betreuung lediglich der vermittelten Lebensversicherungsverträge (unter a), nicht aber auch der Krankenversicherungs- und Bausparverträge (unter b) verpflichtet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Gemäß § 3 Nr. 2 Buchst. b des Vertretervertrages ist der Kläger "insbesondere" verpflichtet, den Versicherungsbestand zu pflegen sowie die sich daraus ergebenden geschäftlichen Vorgänge zu erledigen.
aa) Für die Pflege des Bestandes an ‑‑für B vermittelte‑‑ Sachversicherungen, für den ihm übertragenen Beitragseinzug, die Mitwirkung bei der Bearbeitung von Schadensfällen und für sonstige ihm obliegende Aufgaben erhält er eine entsprechende Verwaltungsprovision. Gemäß den Provisionsbestimmungen der A in Anlage 4 sind dagegen mit der Abschlussprovision sowohl die Vermittlung eines Lebensversicherungsvertrages als auch "andere Tätigkeiten" abgegolten. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass mit dieser Umschreibung die Betreuungstätigkeiten gemeint sind, die sich im Zuge der in § 3 Nr. 2 Buchst. b des Vertretervertrages vereinbarten Bestandspflege durch den Kläger ergeben.
bb) Das FA wendet sich insoweit letztlich auch nicht gegen die Annahme einer vertraglich vereinbarten Pflicht zur Betreuung bestehender Lebensversicherungsverträge. Vielmehr ist es der Auffassung, in Bezug auf den Bestand an Lebensversicherungen habe diese Verpflichtung keinen wirtschaftlichen Gehalt, was sich daran zeige, dass V hierfür ‑‑anders als für die Betreuung der Sachversicherungen‑‑ keine zusätzliche Verwaltungsprovision zahle.
cc) Anders als das FA offenbar meint, ist zwischen der rechtlichen Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen und der Frage, ob sich der Versicherungsvertreter in einem Erfüllungsrückstand befindet, zu trennen. Die Bildung einer entsprechenden Rückstellung setzt zunächst eine Verpflichtung des Versicherungsvertreters voraus, auch nach Abschluss des Vertrages tätig zu werden. Diese ergibt sich nicht aus dem Gesetz, kann aber im Rahmen der Vertragsfreiheit als vertragliche Zusatzpflicht des Versicherungsvertreters vereinbart werden (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2010, 860, unter II.3.). Im Erfüllungsrückstand befindet sich der Versicherungsvertreter, wenn er aufgrund einer individualvertraglichen Regelung zur künftigen Betreuung bereits abgeschlossener Versicherungsverträge verpflichtet ist, diese Verpflichtung aber auch durch die einmalige, bei Abschluss des vermittelten Vertrages gezahlte Provision abgegolten ist. In diesem Fall hat der Versicherungsvertreter weniger geleistet, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner (der Versicherungsgesellschaft) erbrachte Leistung (Zahlung einer einmaligen Provision) insgesamt zu leisten hatte (BFH-Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866, unter II.1.b). Hierbei handelt es sich auch um eine wesentliche Verpflichtung (BFH-Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866, unter II.1.a; Senatsurteil in BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856, unter II.1.b).
Keinesfalls lässt sich die "Unwesentlichkeit" der Nachbetreuungsverpflichtung daraus ableiten, dass keine jährliche Verwaltungsprovision gezahlt wird. Die Zahlung einer separaten jährlichen Verwaltungsprovision führt lediglich dazu, dass sich der Versicherungsvertreter ‑‑trotz seiner vertraglichen Verpflichtung zur Nachbetreuung‑‑ nicht in einem Erfüllungsrückstand befindet.
b) Entgegen der Auffassung der Kläger hält auch die Würdigung des FG, es fehle hinsichtlich der vermittelten Bausparverträge und Krankenversicherungen an einer eindeutigen vertraglichen Verpflichtung zur Bestandsbetreuung, einer Überprüfung stand.
Die Vertragsauslegung durch das FG entspricht den Auslegungsgrundsätzen und verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Sie ist daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den erkennenden Senat bindend (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil in BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856). Das FG weist insbesondere zutreffend darauf hin, dass es sich bei den Bausparverträgen und Krankenversicherungen nicht um Produkte der V handelt, sondern um "Partner-" bzw. "Kooperationsprodukte", die nicht ausdrücklich von § 3 Nr. 2 Buchst. b des Vertretervertrages erfasst werden. In Bezug auf die Bausparverträge ist dies offensichtlich, da die Klausel nur eine Regelung zur Pflege des Versicherungsbestandes enthält. Angesichts der dort ausdrücklich getroffenen Regelung über die Bestandspflege liefert erst recht die allgemeine Regelung in § 3 Nr. 1 des Vertretervertrages, nach der der Kläger verpflichtet ist, die Geschäfte der V nach besten Kräften zu fördern und deren Interessen wahrzunehmen, keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer Bestandspflegepflicht für Produkte Dritter. Das FG führt auch zutreffend aus, anders als die Anlage 4 für die vermittelten Lebensversicherungen enthalte die Anlage 7 in Bezug auf die Bausparverträge nur Regelungen zu einer Abschlussprovision und der damit einhergehenden Vermittlungstätigkeit. Für die Anlage 8 betreffend die Krankenversicherungen gilt nichts anderes.
3. Hinsichtlich der Höhe der Rückstellung hat der Senat in seinen Urteilen vom 19. Juli 2011 (in BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856; in BFH/NV 2011, 2032, und in BFH/NV 2011, 2035) folgende zu beachtende Grundsätze aufgestellt:
a) Die Nachbetreuungsverpflichtung ist eine Sachleistungsverpflichtung i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG; sie ist mit den Einzelkosten und den Gemeinkosten zu bewerten.
aa) Abzustellen ist auf die Anzahl der Versicherungsverträge, für die noch künftige Betreuungsleistungen aufgrund rechtlicher Verpflichtung zu erbringen sind, für die aber kein weiteres Entgelt beansprucht werden kann.
Einbezogen werden dürfen nur Leistungen für die Betreuung bereits abgeschlossener Verträge. Werbeleistungen mit dem Ziel, Kunden (auch Bestandskunden) zu neuen Vertragsabschlüssen zu veranlassen (Einwerbung von Neugeschäften), sind nicht rückstellbar.
Nicht einzubeziehen ist der Aufwand für die eigene künftige Arbeitsleistung des Betriebsinhabers; Vertreter ohne angestelltes Personal können daher von vornherein keine Rückstellung bilden. Sollte neben dem angestellten Personal auch der Einzelunternehmer selbst in die Betreuung eingeschaltet sein, könnte für den von ihm erbrachten Teil der Leistungen ebenfalls keine Rückstellung gebildet werden.
bb) Für die Höhe der Rückstellung ist der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und Jahr von entscheidender Bedeutung; zur Darlegung des (voraussichtlichen) Zeitaufwandes ist im Einzelnen notwendig:
- die genaue Beschreibung der einzelnen Betreuungstätigkeiten; die Darstellung muss das FA und das FG in die Lage versetzen, anhand der rechtlichen Anforderungen zu prüfen, ob der Aufwand für die jeweilige Tätigkeit zur Bildung einer Rückstellung berechtigt;
- die Angabe, welchen Zeitbedarf die jeweilige Tätigkeit mit sich bringt, wenn sie im Einzelfall anfällt;
- die Angabe, wie oft die jeweilige Tätigkeit über die Gesamtlaufzeit des jeweiligen Vertrages zu erbringen ist;
- die Laufzeit bzw. Restlaufzeit der einzubeziehenden Verträge; dabei ist vor allem auch der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass ein Teil der Verträge vorzeitig gekündigt wird.
cc) Neben dem zeitlichen Umfang der Betreuungsleistungen ist für die Bemessung der Rückstellung der Stundenlohn der vom Kläger für die Nachbetreuung eingesetzten Mitarbeiter sowie die auf diese anteilig entfallenden Gemeinkosten von Bedeutung.
dd) Als Sachleistungsverpflichtung ist eine Rückstellung für Erfüllungsrückstand nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG abzuzinsen.
Maßgebend ist insoweit der Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung, d.h. bis zur konkreten Umsetzung der Sachleistungspflicht. Entsprechend dem Gesetzeswortlaut ist entscheidend darauf abzustellen, wann im konkreten Einzelfall erstmalig Bestandspflegemaßnahmen (z.B. als Reaktion auf eine Adressänderung des Kunden, eine Änderung der Bankverbindung oder ähnliches) durchgeführt werden (ebenso Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 6 Rz 482; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 20. November 2012, BStBl I 2012, 1100; Prinz, Finanz-Rundschau 2012, 36; a.A. Endert, Deutsches Steuerrecht 2011, 2280).
Der Steuerpflichtige hat insoweit darzulegen und mittels Stichproben zu belegen, zu welchem nach dem Vertragsabschluss liegenden Zeitpunkt unter Berücksichtigung von Erfahrungswerten im einzelnen Vertrag erstmals mit Betreuungsmaßnahmen zu rechnen ist.
b) Über die unter a) bezeichneten Angaben sind Aufzeichnungen zu führen und vorzulegen.
aa) Diese Aufzeichnungen müssen so konkret und spezifiziert sein, dass eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen sowie des Zeitraums bis zum Beginn der erstmaligen Durchführung von Betreuungsmaßnahmen (Abzinsungszeitraum) möglich ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass eine Rückstellung ein Passivposten ist, der eine dem Grund und/oder der Höhe nach noch ungewisse (also nur wahrscheinliche) künftige Verbindlichkeit zum Ausdruck bringt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Rückstellung jedes Jahr angepasst werden muss und jedes Jahr zu prüfen ist, in welchem Umfang der rückgestellte Aufwand tatsächlich eingetreten ist und ob für die Zukunft Korrekturen vorzunehmen sind.
Dieser Natur des Rückstellungspostens entsprechend (Schätzung von Aufwand, der auf unter Umständen sehr langfristigen Verpflichtungen beruht) kann ggf. auch auf spätere Aufzeichnungen zurückgegriffen werden, sofern sie geeignet sind, die voraussichtlich anfallenden Kosten zu belegen.
bb) Die laufenden Aufzeichnungen sind "vertragsbezogen" zu führen; der Steuerpflichtige hat zu belegen, welche einzelnen Tätigkeiten (z.B. Fälle von Namens- und Adressenänderungen, Beitragsfreistellungen, Baufinanzierungen, Abtretungen, Änderungskündigungen) in welcher Häufigkeit mit welchem Zeitaufwand über die Gesamtlaufzeit des einzelnen Vertrages (typischerweise) anfallen werden. Diese Prüfung muss nicht für alle Verträge einzeln vorgenommen werden; im Einzelfall können fundierte Stichproben (z.B. anhand eines bestimmten Prozentsatzes der Verträge oder nach bestimmten Anfangsbuchstaben der Kundennamen) ausreichen, um eine hinreichende Rückstellungswahrscheinlichkeit zu begründen.
cc) Die Richtigkeit der vorgenommenen Aufzeichnungen kann im Einzelfall verprobt werden durch eine Gegenüberstellung von Verträgen ohne Bestandspflegeprovision mit Verträgen mit Bestandspflegeprovision. Dabei muss die Vergleichbarkeit der Versicherungen gewährleistet sein; so darf etwa der Teil der Bestandspflege, der auf den Inhaber der Versicherungsagentur entfällt, nicht berücksichtigt werden.
dd) Eine derartige Dokumentation der Beratungsleistungen erlegt dem Steuerpflichtigen keine unangemessenen und unverhältnismäßigen Belastungen auf. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass der zu führende Belegnachweis sich auf Vorgänge bezieht, die sich allein in der Sphäre des Steuerpflichtigen zugetragen haben und die zu einem späteren Zeitpunkt nur in eingeschränktem Umfang und nur mit erheblichem Ermittlungsaufwand auf ihre zutreffende Erfassung hin überprüft werden können (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 9. November 2005 VI R 27/05, BFHE 211, 508, BStBl II 2006, 408, unter II.1.c, zu den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch). Zum anderen sind auch angesichts der Höhe und der Zeitdauer des vom Kläger geltend gemachten Erfüllungsrückstandes aussagekräftige Aufzeichnungen geboten.
4. Diese Grundsätze konnte das FG noch nicht beachten, da es zeitlich vor den Urteilen des erkennenden Senats vom 19. Juli 2011 in BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856, BFH/NV 2011, 2032 und BFH/NV 2011, 2035 entschieden hat. Seit der Veröffentlichung der Entscheidungen am 19. Oktober 2011 hatte der Kläger auch Gelegenheit, die von ihm und seinen Mitarbeitern getätigten Nachbetreuungsleistungen entsprechend den vom Senat niedergelegten Anforderungen zu dokumentieren, um so der ihm obliegenden Feststellungslast (objektive Beweislast) für die behaupteten Aufwendungen Rechnung zu tragen (vgl. Senatsurteil in BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856, unter II.5.).
a) Ist der Kläger nach wie vor nicht in der Lage, Aufzeichnungen entsprechend den unter II.3. dargelegten Anforderungen vorzulegen, so führt dies entgegen der Ansicht des FA nicht zwangsläufig dazu, dass die Bildung einer Rückstellung gänzlich zu unterbleiben hat. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des FG ist der Kläger hinsichtlich der von ihm abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge zur weiteren Betreuung dieser Verträge vertraglich verpflichtet. Das FG ist weiter zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger insoweit auch tatsächlich Nachbetreuungsleistungen erbracht hat. Auch dies ist nicht zu beanstanden. Dies genügt für die grundsätzliche Berechtigung zur Bildung der Rückstellung.
b) Der tatsächliche Umfang der Nachbetreuungsleistungen ist erst für die konkrete Bemessung der Höhe der Rückstellung von Bedeutung. Zutreffend ist das FG insoweit davon ausgegangen, dass die von dem Kläger vorgelegten Aufzeichnungen infolge der festgestellten Mängel einen Betreuungsansatz von zwei Stunden pro Vertrag und Jahr nicht rechtfertigen und ein solcher im Streitfall auch nicht ansatzweise als gerechtfertigt erscheint. Kann der Kläger im zweiten Rechtsgang den von ihm erbrachten Betreuungsaufwand nicht durch neue, substantiierte Aufzeichnungen belegen, kommt die Bildung einer Rückstellung in der von ihm beantragten Höhe deshalb nicht in Betracht, da ihn die Darlegungs- und Beweislast trifft. Vielmehr hat das FG den künftigen Betreuungsaufwand aufgrund der ‑‑noch im Einzelnen festzustellenden‑‑ Verhältnisse im Betrieb des Klägers erneut zu schätzen.
c) Eine solche Schätzung des ‑‑durch die von dem erkennenden Senat geforderten substantiierten Aufzeichnungen nicht belegten‑‑ Umfangs der Betreuungsleistungen durch das FG muss sich im Hinblick auf die den Steuerpflichtigen treffende Darlegungs- und Beweislast aber im unteren Rahmen bewegen. Ggf. muss das FG zudem den Zeitraum schätzen, in dem unter Berücksichtigung von Durchschnittswerten noch keine Betreuungsmaßnahmen anfallen, d.h. den gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG maßgeblichen Abzinsungszeitraum. Auch hier gehen Unklarheiten infolge nicht nachvollziehbarer Aufzeichnungen zu Lasten des Steuerpflichtigen. Wie vom FG im ersten Rechtsgang bereits zutreffend ausgeführt, ist im Streitfall in diesem Zusammenhang insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Kläger unter Verletzung seiner Mitwirkungspflichten im Rahmen der Außenprüfung die Einsichtnahme in 30 zufällig ausgewählte Verträge verweigert hat.
d) Insbesondere wird das FG noch aufzuklären haben, wer (der Kläger, Mitarbeiter) im Streitjahr welche Nachbetreuungsleistungen für welchen Versicherungstyp erbracht hat. Zu seinen im ersten Rechtsgang angestellten Überlegungen wird es auch zu überdenken haben, ob angesichts der angeführten eigenen Erfahrungen des Senats, nach denen während der Laufzeit regelmäßig überhaupt nur geringfügige Verrichtungen anfallen und sich auch die Tätigkeiten im Streitfall oftmals in einer bloßen Weiterleitung von Anträgen und Erklärungen von Versicherungsnehmern an den Direktionsbetrieb erschöpfen, ein Ansatz von jährlich 20 Minuten pro Vertrag tatsächlich gerechtfertigt ist. Solange der Kläger die Vornahme von ‑‑über die Entgegennahme und Weiterleitung von Unterlagen für den Direktionsbetrieb bzw. für den Versicherungsnehmer hinausgehende‑‑ arbeitsintensiveren Nachbetreuungsleistungen nicht belegen kann, können diese für die Höhe der Rückstellung naturgemäß keine Rolle spielen. Maßgeblich ist ferner, welche(r) Mitarbeiter im Betrieb des Klägers für die Bestandspflege zuständig war(en), und dass diese(r) in der Arbeitszeit nicht nur die 591 Lebensversicherungen, sondern auch die 53 Krankenversicherungen, 125 Bausparverträge und 5.209 Sachversicherungen zu betreuen hatte(n).
III. Die Revision des FA ist ebenfalls begründet, da die zur teilweisen Stattgabe der Klage führende Schätzung der Höhe der Rückstellung nicht den vom Senat aufgestellten Grundsätzen entspricht.