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Urteil vom 16. Oktober 2013, VI R 57/11

Keine Lohnsteuerpauschalierung für nicht steuerpflichtige Zuwendungen

BFH VI. Senat

EStG § 37b Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 37b Abs 2, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 2, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 3, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 4, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 5, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 6, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 7, EStG VZ 2007

vorgehend FG Düsseldorf, 05. Oktober 2011, Az: 8 K 4098/10 L

Leitsätze

1. § 37b EStG erfasst nur solche betrieblich veranlassten Zuwendungen, die beim Empfänger dem Grunde nach zu einkommensteuerbaren und einkommensteuerpflichtigen Einkünften führen .

2. § 37b EStG begründet keine weitere eigenständige Einkunftsart, sondern stellt lediglich eine besondere pauschalierende Erhebungsform der Einkommensteuer zur Wahl .

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist die Höhe der Bemessungsgrundlage der pauschalen Einkommensteuer i.S. des § 37b des Einkommensteuergesetzes (EStG).

  2. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Holdinggesellschaft des weltweit im Technologiebereich führend tätigen A-Konzerns. Sie hatte im Oktober 2007 im X-Hotel in B ein Management-Meeting durchgeführt, an dem sowohl ihre Arbeitnehmer aus Deutschland als auch Arbeitnehmer ihrer Tochtergesellschaften aus dem In- und Ausland teilgenommen hatten. Den Teilnehmern dieser Veranstaltung wurden dadurch betrieblich veranlasste Sachzuwendungen in Höhe von insgesamt 124.197 € gewährt.

  3. Die Klägerin beantragte die Pauschalierung der Einkommensteuer nach § 37b EStG. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) ermittelte darauf in Anwendung des pauschalen Steuersatzes von 30 % insoweit einen Lohnsteuernachforderungsbetrag in Höhe von 37.259,10 € zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuern und erließ unter Einbeziehung weiterer, hier nicht streitiger Sachverhalte einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuern über insgesamt 108.685,25 €.

  4. Die dagegen erhobene Klage war erfolgreich.

  5. Das Finanzgericht (FG) hob den Nachforderungsbescheid antragsgemäß mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 81 veröffentlichten Gründen insoweit auf, als die pauschalierte Einkommensteuer auf Empfänger von Zuwendungen entfiel, die nicht der Besteuerung im Inland unterlagen.

  6. Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

  7. Es beantragt,
    das angefochtene Urteil des FG Düsseldorf vom 6. Oktober 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  8. Die Klägerin beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

  9. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat den Beitritt zum Verfahren erklärt (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Pauschalierung nach § 37b EStG nur betrieblich veranlasste Sachzuwendungen unterliegen, die beim Empfänger zu einkommensteuerbaren Einkünften führen.

  2. 1. Nach § 37b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG können Steuerpflichtige die Einkommensteuer einheitlich für alle innerhalb eines Wirtschaftsjahres gewährten betrieblich veranlassten Zuwendungen, die zusätzlich zur ohnehin vereinbarten Leistung oder Gegenleistung erbracht werden und nicht in Geld bestehen, mit einem Pauschsteuersatz von 30 % erheben. Nach § 37b Abs. 2 Satz 1 EStG gilt § 37b Abs. 1 EStG auch für betrieblich veranlasste Zuwendungen an Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen, soweit die Zuwendungen nicht in Geld bestehen und zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden.

  3. a) Die Pauschalierung der Einkommensteuer nach § 37b EStG erfasst nur solche betrieblich veranlassten Zuwendungen, die beim Empfänger dem Grunde nach zu einkommensteuerbaren und einkommensteuerpflichtigen Einkünften führen. Denn § 37b EStG begründet keine weitere eigenständige Einkunftsart und keinen sonstigen originären (Einkommen-)Steuertatbestand, sondern stellt lediglich eine besondere pauschalierende Erhebungsform der Einkommensteuer zur Wahl. Das folgt aus dem Wortlaut des § 37b EStG sowie aus rechtssystematischen Gründen und aus der Einordnung des § 37b EStG in das Gesamtgefüge des Einkommensteuergesetzes. Gegenteiliges ergeben schließlich weder Entstehungsgeschichte noch Gesetzesmaterialien zu § 37b EStG.

  4. aa) § 37b EStG ist nach seinem Wortlaut eindeutig. Abs. 1 spricht von der Einkommensteuer für betrieblich veranlasste Zuwendungen. § 37b EStG setzt damit voraus, dass eine Einkommensteuer "für" bestimmte Zuwendungen entstanden ist. § 37b EStG enthält nichts dazu, aus welchem anderen Rechtsgrund als dem der Verwirklichung des einkommensteuerrechtlichen Grundtatbestandes sich die in § 37b EStG vorausgesetzte Einkommensteuer ergeben sollte. Einen eigenständigen Steuertatbestand, der über den Einkünftetatbestand des § 2 Abs. 1 i.V.m. §§ 13 bis 24 EStG hinausreicht, normiert § 37b EStG nicht; auch der Verweis in § 2 Abs. 1 EStG auf die §§ 13 bis 24 EStG ist nicht um den auf § 37b EStG erweitert.

  5. bb) Die Systematik des geltenden Einkommensteuerrechts gibt erst recht keinen Anhaltspunkt dafür, dass mit § 37b EStG ein eigenständiger Einkünftetatbestand geschaffen wurde. Gegenstand und Umfang der Einkommenbesteuerung regelt § 2 Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. §§ 13 ff. EStG. Die Einkommensteuer erfasst die Einkünfte, die der Steuerpflichtige "aus" einer bestimmten Erwerbsgrundlage erzielt, indem er eine Erwerbsgrundlage nutzt und daraus einen Gewinn oder Überschuss erzielt (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. September 1998  2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, B.I.2.; Kirchhof, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2 Rz A 105 ff., B 4 ff.). Danach unterliegen der Einkommensteuer nur die Einkünfte aus einer der in § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG genannten und in den §§ 13 bis 24 EStG näher bestimmten sieben Einkunftsarten.

  6. Zutreffend verweist daher auch die ganz herrschende Auffassung in der Literatur auf den Umstand, dass sich die Regelung des § 37b EStG im Einkommensteuergesetz unter "VI. Steuererhebung" findet. Die Steuererhebung setzt notwendigerweise einkommensteuerbare Einkünfte voraus, daran knüpft § 37b EStG an, normiert aber die Einkommensteuerbarkeit von Einkünften nicht selbst (Steiner in Lademann, EStG, § 37b EStG Rz 4; Schmidt/ Loschelder, EStG, 32. Aufl., § 37b Rz 3; Lingemann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 37b EStG Rz 13; Stickan in Littmann/ Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 37b Rz 8, 12 ‑‑Stand: November 2013‑‑; Graw, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 37b Rz A 8; Lindberg in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 37b Rz 4; Seifert, Deutsche Steuer-Zeitung 2007, 102, 103; Niermann, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2008, 1231, 1232; nur teleologisch einschränkend Eisgruber in Kirchhof, EStG, 12. Aufl., § 37b Rz 8; a.A. Hartz-Meeßen-Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Pauschalierung der Einkommensteuer für Sachzuwendungen, Rz 22).

  7. § 37b Abs. 2 EStG setzt demnach das Entstehen der Einkommensteuer dem Grunde nach voraus, pauschaliert ist lediglich die Bemessungsgrundlage. Das zeigt auch das systematische Zusammenwirken der Absätze 1 und 2 im Binnensystem des § 37b EStG selbst; eine Abkehr von den hergebrachten systematischen Grundsätzen der Besteuerung in den Grenzen der Einkünftetatbestände i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 7 EStG folgt daraus nicht. Denn die in § 37b Abs. 2 EStG erfassten Zuwendungen an Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen gründen ersichtlich auf der Voraussetzung, dass sie dem Grunde nach den Tatbestand der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erfüllen und nur im Hinblick auf die Höhe der Einkünfte zur Vereinfachung einer pauschalierten Bewertung unterworfen werden sollen. So erfasst § 37b Abs. 2 Satz 1 EStG nur zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachte Sachleistungen, also Bezüge, auf die zwar kein Rechtsanspruch besteht (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 19. September 2012 VI R 54/11, BFHE 239, 85, BStBl II 2013, 395; VI R 55/11, BFHE 239, 91, BStBl II 2013, 398), die aber nach § 19 Abs. 1 Satz 2 EStG dennoch einkommensteuerbar sind. Dementsprechend nimmt sodann § 37b Abs. 2 Satz 2 EStG aus dem Anwendungsbereich der Pauschalierung nur aus, was dem Grunde nach zu Lohneinkünften führt, aber Sondertatbestände des Einkommensteuerrechts anderweitig bereits pauschaliert bewerten (§ 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 8, Abs. 3, § 40 Abs. 2 sowie die Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 EStG). Das sind "gesetzlich bewährte Bewertungsregelungen", so die Gesetzesmaterialien (BTDrucks 16/2712, S. 56).

  8. Auch § 37a EStG als weitere Pauschalierungsnorm lässt sich nicht für die gegenteilige Auffassung heranziehen. Zwar erstreckt sich § 37a Abs. 1 Satz 2 EStG nur auf Prämien, die "den im Inland ansässigen Steuerpflichtigen zufließen", wohingegen § 37b EStG sich seinem Wortlaut nach nicht ausdrücklich nur auf einkommensteuerbare und dem Grunde nach einkommensteuerpflichtige Einkünfte beschränkt. Der Umstand, dass § 37b EStG diesen rechtssystematischen Grundsatz nicht ausdrücklich benennt, bedeutet indessen nicht, dass er bei der Auslegung der Vorschrift nicht zu beachten wäre, zumal sich ‑‑wie ausgeführt‑‑ auch ohne diesen Zusatz aus dem Wortlaut der Vorschrift und ihrer Stellung im Gesetz ableiten lässt, dass § 37b EStG keinen neuen Einkünftetatbestand schaffen will und daher nur einkommensteuerbare und dem Grunde nach einkommensteuerpflichtige Einkünfte einbezieht.

  9. Die Einbeziehung nicht steuerpflichtiger Zuwendungen lässt sich schließlich auch nicht mit einer "Mischkalkulation" rechtfertigen; denn eine solche findet stets statt, so etwa auch, wenn die Steuersätze einkommensteuerbarer und -pflichtiger Einkünfte zwischen 0 und dem Grenzsteuersatz liegen.

  10. cc) Ungeachtet der Frage, inwieweit Äußerungen in Gesetzgebungsmaterialien eine dem Wortlaut und der Gesetzessystematik widersprechende Auslegung stützen könnten, ergeben hier die Materialien (BTDrucks 16/2712, S. 55 f.; BRDrucks 622/06, S. 91 ff.; BRDrucks 622/1/06, S. 19 f.) keine Anhaltspunkte, die eine gegenläufige Auslegung stützen. Die Begründung zum Jahressteuergesetz 2007 geht vielmehr selbst von einem grundsätzlich steuerpflichtigen, wenn auch mitunter schwierig zu bewertenden geldwerten Vorteil aus, wenn es dort heißt, dass es sich für den Empfänger der Zuwendung regelmäßig um einen steuerpflichtigen Vorteil handele, dessen Wert häufig schwer zu ermitteln sei (BTDrucks 16/2712, S. 55). Insgesamt nehmen die Materialien jeweils zu ihrem Ausgangspunkt, dass dem Grunde nach ein nach den allgemeinen Grundsätzen einkommensteuerbarer Vorteil vorliegt und § 37b EStG lediglich die Bewertung durch eine pauschalierende Wertermittlung erleichtern soll. Dementsprechend ist etwa ausdrücklich die Rede davon, dass § 37b EStG nur Sachzuwendungen treffen solle, weil Barzuwendungen keine weitere Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens erforderten (BTDrucks 16/2712, S. 55); auch dem liegt offenkundig die Erwägung zu Grunde, dass sich die Steuervereinfachung lediglich auf die Bewertung richtet, weil Barzuwendungen ihren Wert ohnehin unmittelbar offenbaren. Nichts anderes folgt aus dem nur in der Gesetzesbegründung verwendeten unspezifischen Begriff des Steuerausländers, der gemeinsam mit den Geringverdienern Grund für einen gewichteten Durchschnittssteuersatz sein solle. Denn zutreffend führt insoweit das FG an, dass die pauschale Besteuerung nach § 37b EStG von nicht der Besteuerung im Inland unterliegenden Zuwendungsempfängern deren Besteuerung im Ausland nicht verhinderte, so dass bei ihnen § 37b EStG seinen Regelungszweck verfehlte.

  11. b) Im Ergebnis erfasst § 37b EStG die Einkommensteuer, die durch betrieblich veranlasste Zuwendungen Steuerpflichtiger an Dritte (§ 37b Abs. 1 Satz 1 EStG) oder an Arbeitnehmer (§ 37b Abs. 2 Satz 1 EStG) entsteht, wenn und soweit der Empfänger dieser Zuwendungen dadurch Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 13 bis 24 EStG erzielt.

  12. Denn § 37b EStG stellt lediglich eine besondere pauschalierende Erhebungsform der Einkommensteuer zur Wahl, indem der dort zum Steuerpflichtigen erklärte Zuwendende die grundsätzlich beim Zuwendungsempfänger entstehende Einkommensteuer übernimmt. Wenn die Finanzverwaltung insoweit eine gegenteilige Auffassung vertritt und etwa meint, es komme nicht darauf an, dass die Zuwendungen beim Empfänger im Rahmen einer Einkunftsart zuflössen (BMF-Schreiben vom 29. April 2008, BStBl I 2008, 566 Rz 13; dazu kritisch und differenzierend schon Niermann, DB 2008, 1231, 1232), ist dem aus den vorgenannten Gründen nicht zu folgen. Ein diese Auffassung stützender Grundsatz, dass eine Einkommensteuer bei betrieblich veranlassten Zuwendungen jeder Art per se entsteht, lässt sich dem geltenden Einkommensteuergesetz ‑‑wie ausgeführt‑‑ nicht entnehmen.

  13. 2. Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze hat das FG deshalb zutreffend mit weitgehend ähnlichen Erwägungen die pauschalierte Einkommensteuer nach § 37b EStG auf den Empfängerkreis begrenzt, bei dem die fraglichen Sachzuwendungen zu einkommensteuerbaren und grundsätzlich auch einkommensteuerpflichtigen Einnahmen im Inland führen.

  14. Nach den Feststellungen des FG unterlagen 34,85 % der Teilnehmer des Management-Meetings nicht der Besteuerung, so dass es zutreffend in diesem Umfang die Bemessungsgrundlage der Pauschalierung nach § 37b EStG gemindert hat.

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