BFH VI. Senat
EStG § 9 Abs 1 S 1, EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 4, EStG § 9 Abs 5, EStG § 4 Abs 5 S 1 Nr 5, EStG VZ 2009
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 28. März 2012, Az: 5 K 2160/11
Leitsätze
NV: Ein Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber für zwei Jahre befristet an einer anderen betrieblichen Einrichtung als seinem bisherigen Tätigkeitsort eingesetzt wird, begründet dort keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr. 4 EStG und keinen Tätigkeitsmittelpunkt i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG .
Tatbestand
I. Streitig ist, ob bei einer zeitlich befristeten Versetzung an eine Einrichtung des Arbeitgebers diese zur regelmäßigen Arbeitsstätte wird.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger ist seit 1995 Berufssoldat. In der Zeit vom 2. Dezember 2008 bis 31. Dezember 2008 war er zur Stammdienststelle der Bundeswehr nach X kommandiert. Mit Verfügung vom 28. Oktober 2008 bzw. 19. November 2008 wurde er für die Zeit ab 1. Januar 2009 dorthin versetzt. In der Versetzungsverfügung heißt es u.a.:
"Voraussichtliche Verwendungsdauer 31.12.2010 (...) Die Umzugskostenvergütung wird nicht zugesagt. (...) Die voraussichtliche Verwendungsdauer beschreibt den Verwendungszeitraum, der aufgrund der gegenwärtigen Personalplanung unter dem Vorbehalt gleichbleibender Sach- und Rechtslage vorgesehen ist. Rechtsansprüche auf eine bestimmte Verweildauer können daraus nicht hergeleitet werden (Nr. 17 des Erlasses vom 03. März 1988 – VMBl S. 76)."
Der Kläger bezog im Streitjahr (2009) als Trennungsgeld vom Arbeitgeber versteuerte Wegstreckenentschädigung für die Fahrten von seinem Wohnort zur Stammdienststelle der Bundeswehr in X.
Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in X Reisekosten geltend. Diese entfielen in Höhe von 6.793,50 € auf die unter Zugrundelegung eines Kostenansatzes von 0,30 € je gefahrenen Kilometer ermittelten Kosten der Wege zwischen der Wohnung und der Tätigkeitsstätte in X und in Höhe von 1.146 € auf Mehraufwendungen für die Verpflegung wegen mindestens achtstündiger Abwesenheit von der Wohnung an 191 Tagen.
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die geltend gemachten Fahrtkosten jedoch nur in Höhe des sich unter Ansatz der Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergebenden Betrages von 3.438 € (191 Fahrten x 60 km x 0,30 €). Die Berücksichtigung der Mehraufwendungen für Verpflegung lehnte er in vollem Umfang ab. Zur Begründung führte er aus, die Dienststelle in X stelle die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers dar. Dass die Wegstreckenentschädigung steuerpflichtig gezahlt worden sei, bekräftige dies, denn bei einer Auswärtstätigkeit ‑‑die hier nicht gegeben sei‑‑ lägen Dienstreisen vor und die Fahrtkosten könnten vom Arbeitgeber steuerfrei erstattet werden.
Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1247 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen, als Fahrten des Klägers von seinem Wohnort zur Stammdienststelle der Bundeswehr nach X nach Dienstreisegrundsätzen berücksichtigt und Mehraufwendungen für die Verpflegung für die Monate Januar und Februar 2009 gewährt worden sind.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Stammdienststelle der Bundeswehr in X weder die regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG noch der Tätigkeitsmittelpunkt i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG des Klägers war.
1. Als Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind sämtliche Aufwendungen abziehbar, die beruflich veranlasst sind. Hierzu gehören auch Fahrt- bzw. Mobilitätskosten. Sie sind grundsätzlich in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen (Vorlagebeschluss des Senats vom 10. Januar 2008 VI R 17/07, BFHE 219, 358, BStBl II 2008, 234). Allerdings sind Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte nach Maßgabe der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG genannten Entfernungspauschalen nur eingeschränkt als Werbungskosten abziehbar.
a) Regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne dieser Vorschrift ist nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats jede ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, das heißt fortdauernd und immer wieder aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb des Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb.
Liegt eine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, so kann sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken. Dies kann etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch eine entsprechende Wohnsitznahme geschehen. Für diesen Grundfall erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip.
b) Liegt dagegen keine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, auf die sich der Arbeitnehmer in der aufgezeigten Weise einstellen kann, ist eine Durchbrechung der Abziehbarkeit beruflich veranlasster Mobilitätskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sachlich nicht gerechtfertigt. Dies ist insbesondere bei Auswärtstätigkeiten der Fall. Ein auswärts tätiger Arbeitnehmer hat typischerweise nicht die vorbezeichneten Möglichkeiten, seine Wegekosten gering zu halten, insbesondere scheidet ein Familienumzug an die Tätigkeitsstätte aus (ständige Rechtsprechung des Senats, s. etwa Urteile vom 9. Juli 2008 VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822; vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852; jeweils m.w.N.).
aa) Eine Auswärtstätigkeit liegt u.a. vor, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend außerhalb seiner Wohnung und seiner regelmäßigen Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) beruflich tätig wird (Senatsurteile vom 15. Mai 2013 VI R 41/12, BStBl II 2013, 704; vom 13. Juni 2012 VI R 47/11, BFHE 238, 53, BStBl II 2013, 169; in BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825; in BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; in BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785); dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer seiner Berufstätigkeit vorübergehend längerfristig an einer anderen betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers nachgeht. Denn eine vorübergehende Tätigkeitsstätte wird nicht durch bloßen Zeitablauf zum Tätigkeitsmittelpunkt bzw. zur regelmäßigen Arbeitsstätte des Arbeitnehmers (vgl. Senatsurteile vom 19. Dezember 2005 VI R 30/05, BFHE 212, 218, BStBl II 2006, 378; vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818; Schmidt/Krüger, EStG, 32. Aufl., § 19 Rz 110, Stichwort: Reisekosten <Auswärtstätigkeit>). Vielmehr wird eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers nur dann zur regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer dieser Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet hat (Senatsurteile vom 19. Januar 2012 VI R 36/11, BFHE 236, 353, BStBl II 2012, 503; VI R 32/11, BFH/NV 2012, 936; vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38; VI R 36/10, BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36; VI R 58/09, BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34).
bb) Ob der Arbeitnehmer lediglich ‑‑unter Beibehaltung seiner bisherigen regelmäßigen Arbeitsstätte‑‑ "vorübergehend" in einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätig wird oder von Anbeginn dauerhaft an den neuen Beschäftigungsort entsandt wurde und dort eine (neue) regelmäßige Arbeitsstätte begründet hat, ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zu beurteilen. Hierfür hat das FG insbesondere die der Auswärtstätigkeit zugrunde liegenden Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Blick zu nehmen und anhand dieser ‑‑ex ante (vgl. hierzu Senatsurteil vom 9. Februar 2012 VI R 22/10, BFHE 236, 426, BStBl II 2012, 827)‑‑ zu beurteilen, ob der Arbeitnehmer voraussichtlich an seine regelmäßige Arbeitsstätte zurückkehren und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzen wird. Denn das Gesetz gibt derzeit noch (anders als künftig § 9 Abs. 4 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013, BGBl I 2013, 285) keine zeitliche Obergrenze für die Annahme einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit vor.
2. Gemessen daran war der Kläger in X auswärts tätig. Die Kosten für die Wege zwischen seiner Wohnung und der Tätigkeitsstätte in X sind daher, wie vom FG angenommen, in tatsächlicher Höhe gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG liegen nicht vor.
Nach den Feststellungen des FG war die Tätigkeit des Klägers in X lt. Versetzungsverfügung auf längstens zwei Jahre ausgerichtet und damit befristet. Der Kläger musste sogar im Zuge der Bundeswehrstrukturreform mit einer Versetzung vor Ablauf der Zweijahresfrist rechnen, was die Nichtzusage einer Umzugskostenvergütung erklärt. Die Tätigkeit des Klägers in X war demnach trotz Versetzung nur vorübergehend. Nach der Rechtsprechung des Senats ist, wie erwähnt, ein Arbeitnehmer auch dann auswärts tätig, wenn er einer längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte nachgeht. Denn der Begriff der "regelmäßigen Arbeitsstätte" i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG entspricht dem Begriff des "Tätigkeitsmittelpunkts" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG (Senatsurteile in BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825; in BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852). Ein Arbeitnehmer ist nicht am Tätigkeitsmittelpunkt (regelmäßige Arbeitsstätte), sondern auch dann auswärts beschäftigt, wenn er ‑‑wie hier‑‑ einer "längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte" nachgeht (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG; Senatsurteil in BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825; auch Senatsurteile vom 9. Februar 2012 VI R 42/11, BFHE 236, 439, BStBl II 2013, 236; VI R 44/10, BFHE 236, 431, BStBl II 2013, 234).
Die Urteile des Senats in BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34, in BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36 und in BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38 stehen, anders als das FA offensichtlich meint, diesem Ergebnis nicht entgegen. Denn diese Entscheidungen betreffen zum einen besondere Fallgestaltungen. Zum anderen hat der Senat auch hier darauf abgestellt, dass regelmäßige Arbeitsstätte (nur) der Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers sein kann. Eine, wie im Streitfall, schon aus ex ante-Sicht nur vorübergehende bzw. befristete Tätigkeit von allenfalls zwei Jahren erfüllt diese Voraussetzung nicht.
3. Die Vorentscheidung erweist sich auch hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung der Mehraufwendungen für die Verpflegung als zutreffend.
Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1 und 2 EStG kann ein Arbeitnehmer Mehraufwendungen für seine Verpflegung dann als Werbungskosten abziehen, wenn er vorübergehend von seiner Wohnung und dem Tätigkeitsmittelpunkt entfernt, also auswärts, beruflich tätig ist. Davon ist hier auszugehen, weil aus den genannten Gründen die Tätigkeitsstätte des Klägers in X nicht der Tätigkeitsmittelpunkt i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG war.
Da sich nach der Sonderregelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG der Abzug der Pauschbeträge nach Satz 2 der erstgenannten Vorschrift auf "die ersten drei Monate" der Auswärtstätigkeit beschränkt, kam die Berücksichtigung von Mehraufwendungen für die Verpflegung aus den vom FG genannten Gründen nur für die Monate Januar und Februar des Streitjahres in Betracht.