BFH VI. Senat
FGO § 76 Abs 1, FGO § 81 Abs 1 S 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 6, EStG § 33a
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 22. Januar 2013, Az: 7 K 6/12
Leitsätze
NV: Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das angebotene Beweismittel für die zu treffende Entscheidung untauglich ist, wenn es auf die Beweistatsache unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des FG nicht ankommt oder wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt wird.
Tatbestand
I. Die Beteiligten stritten im finanzgerichtlichen Verfahren um die Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastungen.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) machte Unterhaltsleistungen an ihre Tochter als außergewöhnliche Belastungen nach § 33a des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Dabei gab sie in den Steuererklärungen der Streitjahre (2004 bis 2006) jeweils an, dass ihre Tochter über kein eigenes Vermögen verfüge. Dementsprechend wurden in den bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheiden der Jahre 2004 bis 2006 unter Berücksichtigung der Unterhaltsaufwendungen i.S. des § 33a EStG die Einkommensteuern der Streitjahre festgesetzt.
Auf Grund einer Kontrollmitteilung hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erfahren, dass die Tochter der Klägerin über eigenes Vermögen verfügt habe, nämlich über eine GmbH-Beteiligung. Das FA änderte dementsprechend nach § 173 der Abgabenordnung die bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen wegen nachträglich bekannt gewordener neuer Tatsachen.
Die dagegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Nach den Feststellungen des FG habe die Tochter der Klägerin in Form der Beteiligung an einer GmbH über ausreichend eigenes Vermögen verfügt. Das FG ging dabei davon aus, dass das der Tochter übertragene Vermögen einen erheblichen Wert darstelle, weil die GmbH über eine Forderung gegenüber der Klägerin in Höhe von rd. 225.000 € verfüge und darüber hinaus gegen sie auch laufende Zinsansprüche habe. Die Werthaltigkeit der Beteiligung begründete das FG u.a. damit, dass die Klägerin die Beteiligung selbst mit Vertrag vom November 2002 von einem Dritten zu einem Kaufpreis von 250.000 € erworben habe. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass die Tochter der Klägerin mit Rücksicht auf die Wünsche ihrer Mutter auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche und den Verkauf der Beteiligung verzichtet habe. Denn ein solcher Verzicht sei rein privat motiviert und könne den Verkehrswert der Beteiligung nicht beeinflussen.
Das FG hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Klägerin mit der Beschwerde. Sie macht u.a. Verfahrensmängel wegen einer unterlassenen Einholung eines als Beweismittel angebotenen Sachverständigengutachtens geltend. In der mündlichen Verhandlung habe die Klägerin beantragt, Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Verkehrswert der Beteiligung zu erheben. Die Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte ergeben, dass der Wert der Beteiligung der Tochter an der GmbH 0 € betragen hätte. Das FG habe verfahrensfehlerhaft diesen Beweis nicht erhoben. Das Übergehen dieses Angebots durch das FG hätte erst im Beschwerdeverfahren gerügt werden können. Denn der Beweisantrag sei in der mündlichen Verhandlung gestellt worden. Das klageabweisende Urteil sei im Anschluss an diese mündliche Verhandlung ergangen. Eine Rüge sei zuvor daher nicht möglich gewesen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das angefochtene finanzgerichtliche Urteil wird gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
1. Das FG hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und damit gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.
a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 FGO die erforderlichen Beweise zu erheben. Dabei hat es den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zumutbaren, d.h. unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären. Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (vgl. Senatsentscheidungen vom 13. November 2007 VI B 100/07, BFH/NV 2008, 219; vom 1. Februar 2007 VI B 124/06, BFH/NV 2007, 956; vom 16. November 2005 VI R 71/99, BFH/NV 2006, 753; jeweils m.w.N.).
b) Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze hätte das FG der durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellten Behauptung, dass die der Tochter der Klägerin übertragene GmbH-Beteiligung keinen Wert gehabt habe, nachgehen und den insoweit entscheidungserheblichen Sachverhalt weiter aufklären müssen. Es ist nicht ersichtlich, dass der ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung ordnungsgemäß gestellte Beweisantrag für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, dass das Beweismittel im vorgenannten Sinne unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich wäre.
aa) Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird nach § 33a EStG nach der in den Streitjahren geltenden Fassung auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 7.680 € im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG setzt allerdings voraus, dass weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder auf Kindergeld für die unterhaltende Person hat und die unterhaltene Person kein oder nur ein geringes Vermögen besitzt.
bb) Danach kam es im Streitfall darauf an, ob die Tochter der Klägerin mit der GmbH-Beteiligung über eigenes werthaltiges Vermögen verfügte. Die Klägerin hat das bestritten. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem FG hatte die Klägerin beantragt, über den Wert der Beteiligung ein Sachverständigengutachten einzuholen. Das FG hat zu Unrecht diesen Beweis nicht erhoben. Es hat auch in den Entscheidungsgründen nicht weiter ausgeführt, aus welchen Gründen etwa diese Beweiserhebung entbehrlich gewesen wäre.
2. Die Klägerin hat ihr Rügerecht nicht verloren. Denn der gerügte Verfahrensverstoß ergab sich erst aus den Entscheidungsgründen selbst. Die rechtzeitige Rüge in der mündlichen Verhandlung war nicht möglich (vgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2008 VI B 131/07, BFH/NV 2008, 1475).
3. Der Senat hält es für sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.