BFH X. Senat
EStG § 22 Nr 1 S 3 Buchst a DBuchst bb S 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 2, FGO § 116 Abs 3 S 3, GG Art 3 Abs 1, EStG VZ 2007 , FGO § 96 Abs 1
vorgehend FG Nürnberg, 13. September 2012, Az: 4 K 1006/10
Leitsätze
1. NV: Die sog. Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG ist eine zulässige pauschalierende Regelung und begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken .
2. NV: Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, so ist zur substantiierten Darlegung eine an den Vorgaben des GG sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderlich .
Gründe
Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen Erfolg. Die Revision ist ‑‑zum Teil auch wegen nicht ausreichender Darlegung der Zulassungsgründe‑‑ weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) noch zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO noch wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen.
Die Kläger haben zwar explizit keinen dieser Zulassungsgründe ausdrücklich benannt, ihrem Vorbringen ist jedoch zu entnehmen, dass sie die Zulassung der Revision insbesondere wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache bzw. wegen der Notwendigkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Rechtsfortbildung anstreben.
1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung verlangt substantiierte, den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechende Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer zweifelhaften Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen. Ist über die Rechtsfrage bereits entschieden worden, so ist zusätzlich darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinandergesetzt hat (Beschluss vom 31. Januar 2005 III B 59/04, BFH/NV 2005, 1081; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32 ff., m.w.N.). Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, so ist zur substantiierten Darlegung eine an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderlich (BFH-Beschluss vom 4. Oktober 2010 III B 82/10, BFH/NV 2011, 38, unter II.1.b, m.w.N.).
Diesen Anforderungen werden die Ausführungen der Kläger nicht gerecht.
a) Sofern sie die Ungleichbehandlung von gesetzlichen und privaten Renten rügen, übersehen sie, dass der angerufene Senat in Bezug auf die Privilegierung der privaten Renten bereits in seinem Grundsatzurteil vom 26. November 2008 X R 15/07 (BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710) entschieden hat, dass deren Besserstellung nicht gegen Art. 3 GG verstößt. Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung sei, dass der Gesetzgeber im Massensteuerverfahren vereinfachen und typisieren könne und müsse. Die realitätsgerechte Typisierung habe zudem zwangsläufig Privilegierungen bzw. Härten zur Folge. Der Senat hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass eine Übergangsregelung sich an der gesetzlichen Neukonzeption ausrichten könne. Entspreche ein Besteuerungstatbestand in einem Teilbereich bereits der neuen Konzeption, müsse der Gesetzgeber "keinen Schritt zurück" machen. So sei es auch bei der Besteuerung der privaten Leibrentenversicherungen: Diese seien Teil der privaten Altersvorsorge und gehörten zur sog. dritten Schicht der Altersvorsorge, für die das Prinzip der vorgelagerten Besteuerung und damit die Ertragsanteilsbesteuerung gelte (vgl. Senatsurteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.2.b cc).
Eine den oben dargestellten Grundsätzen entsprechende substantiierte Auseinandersetzung mit diesen Argumenten des Senats bleiben die Kläger schuldig.
b) Das Vorbringen der Kläger, es komme zu einer Zersplitterung des Rentenstammrechts, wenn willkürlich zwischen der bis 2005 gezahlten Rente und späteren Rentenerhöhungen aufgeteilt werden müsse, weil die Letzteren vollständig nachgelagert zu besteuern seien, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen.
aa) Der angerufene Senat hat in seinem Urteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710 (unter II.3.b aa) bereits entschieden, dass der steuerfreie Teil der Rente in einem lebenslang geltenden grundsätzlich gleichbleibenden Freibetrag festgeschrieben wird. Regelmäßige Rentenanpassungen führen danach nicht zu einer Erhöhung des steuerfreien Teils der Rente (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 7 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung ‑‑EStG‑‑), so dass spätere reguläre Rentenerhöhungen uneingeschränkt der Besteuerung unterworfen werden (so auch Senatsbeschluss vom 6. März 2013 X B 113/11, BFH/NV 2013, 929). Der Senat hat dies damit erklärt, dass Hintergrund der ‑‑verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden‑‑ Festschreibung eines steuerfreien Betrages die vom Gesetzgeber gesehene Notwendigkeit sei, der ansonsten in der Übergangsphase eintretenden erneuten Vergrößerung der Besteuerungsunterschiede zwischen Sozialversicherungsrenten und Beamtenpensionen sowie den Einkünften der Erwerbstätigen entgegenzuwirken (BTDrucks 15/2150, S. 41). Die Kläger setzen sich mit dieser Begründung auch nicht ansatzweise auseinander.
bb) Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass seit dem Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427) die Besteuerung der Altersrenten der gesetzlichen Rentenversicherung auf dem Konzept der nachgelagerten Besteuerung beruht. Danach sind diese Altersrenten als solche steuerbar; zu berücksichtigen sind ‑‑wenn auch zeitlich versetzt‑‑ Aufwendungen und Erträge. Mit diesem Konzept der nachgelagerten Besteuerung können Rentenzuflüsse jetzt, auch soweit sie auf eigenen Beitragszahlungen des Steuerpflichtigen zur Rentenversicherung beruhen, über den Ertragsanteil hinaus der Besteuerung unterworfen werden (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.2.a bb(1)). Auf das Vorliegen eines Rentenstammrechts kommt es somit nicht mehr an, so dass dessen mögliche Zersplitterung ebenfalls nicht mehr relevant sein kann.
cc) Soweit die Kläger meinen, der Wortlaut der Sätze 4 und 5 des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG beziehe sich explizit auf den "Prozent-Anteil, der im Jahr nach Beginn der Rente festgeschrieben" werde, so dass der steuerfreie Teil der Rente nicht als Betrag, sondern als Bruchteil verstanden werden müsse, widerspricht diese Gesetzesauslegung, die nach Auffassung des Senats auch vom Wortlaut her nicht zwingend ist, dem unter 1.b aa dargestellten Sinn und Zweck der Übergangsregelung, der in den Gesetzesmaterialien eindeutig zum Ausdruck gekommen ist (siehe BTDrucks 15/2150, S. 41).
c) Die Bedenken, die die Kläger gegen die Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG vorbringen, rechtfertigen ebenfalls keine Zulassung der Revision.
Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG eine zulässige pauschalierende Regelung ist und keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (Senatsurteile vom 4. Februar 2010 X R 58/08, BFHE 228, 326, BStBl II 2011, 579, unter B.IV.3., und vom 18. Mai 2010 X R 1/09, BFH/NV 2010, 1803, unter II.2.e, und Senatsbeschluss vom 17. August 2011 X B 217/10, BFH/NV 2011, 2082). Ausgangspunkt sei die gesetzgeberische Annahme, dass es ohne die Öffnungsklausel (insbesondere bei Selbständigen) in seltenen Ausnahmefällen bei uneingeschränkter Anwendung der nachgelagerten Besteuerung zu einem Verstoß gegen das Verbot der Doppelbesteuerung kommen könne. Der gesetzlich geforderte Zehnjahreszeitraum habe den Zweck, Zufälligkeiten einzelner Jahre unberücksichtigt zu lassen, wie etwa das Überschreiten des Höchstbeitrags in der gesetzlichen Rentenversicherung in einem Jahr bei gleichzeitigem Unterschreiten des Höchstbeitrags in einem anderen Jahr. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Altersversorgung normalerweise langfristig angelegt sei und ein bestimmtes Versorgungsniveau sichern solle. Nach Auffassung des Senats dürfte die Öffnungsklausel daher den typischen Fall abbilden, dass Steuerpflichtige, die Beiträge oberhalb der Höchstbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hätten, diese Zahlungen regelmäßig über einen längeren Zeitraum vorgenommen hätten (siehe Senatsurteil in BFHE 228, 326, BStBl II 2011, 579, unter B.IV.3.).
In ihrer Beschwerdebegründung artikulieren die Kläger lediglich allgemeine Bedenken gegen die Voraussetzungen der Öffnungsklausel; eine substantiierte Auseinandersetzung mit den vom Senat aufgezeigten Gesichtspunkten ist darin jedoch nicht zu sehen.
Sofern sie darauf hinweisen, der Kläger hätte bei Kenntnis der künftigen Rechtslage eine andere Aufteilung seiner Rentenbeiträge vorgenommen, ist dies ohne Belang. Sowohl die Finanzverwaltung als auch die Finanzgerichtsbarkeit können und müssen nur die Rechtmäßigkeit der Besteuerung des tatsächlich verwirklichten und nicht eines eventuell möglichen Sachverhalts beurteilen.
d) Die Einwände der Kläger gegen die fehlende Transparenz bei der Berechnung des Betrags, der aufgrund der Öffnungsklausel nur mit dem Ertragsanteil zu besteuern ist, sind nicht entscheidungserheblich (vgl. dazu Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 30, m.w.N.). Sie könnten in einem künftigen Revisionsverfahren nicht geklärt werden, da die Voraussetzungen des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG, der die Anwendung der Öffnungsklausel ermöglicht, im Streitfall nicht erfüllt sind.
Das Finanzgericht (FG) hat in seinem Urteil dargelegt, dass der Kläger den Nachweis, er habe mindestens zehn Jahre Beiträge zur Rentenversicherung oberhalb des Beitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt, nicht geführt habe, da die vorgelegte Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung vom 21. Juni 2011 Beiträge des Klägers oberhalb der gesetzlichen Beitragsbemessungsgrenze nur für die Jahre 1958, 1961, 1977 sowie 1993 bis 1995 bescheinigt habe. Zweifel an der Richtigkeit der vom Kläger geleisteten Beiträge und der angesetzten Höchstbeiträge der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen nicht, so dass die Anwendung der Öffnungsklausel nicht möglich ist.
Damit ist es im Streitfall unerheblich, wie und von wem der Rentenbetrag zu ermitteln und zu überprüfen ist, der aufgrund der Öffnungsklausel gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG lediglich mit dem Ertragsanteil besteuert werden kann.
2. Bei dem Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts handelt es sich um einen Spezialtatbestand der Grundsatzrevision. Beide Zulassungsgründe setzen deshalb u.a. die substantiierte Darlegung einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage voraus (z.B. BFH-Beschluss vom 19. April 2007 III B 36/06, BFH/NV 2007, 1518). Wie oben unter 1. ausgeführt, fehlt es daran.
3. Sofern die Kläger rügen, der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) habe seine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts verletzt, weil er die von der Deutschen Rentenversicherung übermittelten Werte nicht überprüft habe, machen sie keinen Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend. Ein solcher Verfahrensmangel liegt nur vor, wenn das FG gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts, also insbesondere der FGO verstoßen hat. Dagegen sind Fehler, die dem FA im Besteuerungsverfahren unterlaufen, keine Verfahrensmängel i.S. des Revisionsrechts (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 21. August 2007 X B 68/07, BFH/NV 2007, 2143, m.w.N.).