BFH III. Senat
FGO § 90 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 3 S 3, FGO § 76 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 07. Januar 2013, Az: 3 K 12301/10
Leitsätze
NV: Die Erklärung eines ‑‑nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen‑‑ Steuerpflichtigen, "ein schriftliches Verfahren" durchführen zu wollen, ist als Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung i.S. des § 90 Abs. 2 FGO anzusehen.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen entweder nicht vor oder sind nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form dargelegt worden.
1. Soweit sich der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft, sind die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes entgegen § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden.
a) Macht der Beschwerdeführer geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), so muss er zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Des Weiteren muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan werden, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss dargelegt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32, 35, m.w.N.).
b) An einem solchen Vorbringen fehlt es.
aa) Der Kläger hält (sinngemäß) die Fragen für klärungsbedürftig und klärbar, inwieweit seitens des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ‑‑FA‑‑) vorgelegte Schätzbeträge für die Überzeugungsbildung des Finanzgerichts (FG) ausreichend sind, um die festgesetzten Steuernachzahlungen zu rechtfertigen, sowie inwieweit das FG im Rahmen seiner Überzeugungsbildung den Sach- und Rechtsvortrag des Klägers als Naturalpartei zu würdigen hat. Da die Beantwortung dieser Fragen von den Umständen des Einzelfalls abhängt, fehlt es jeweils schon an einer hinreichend konkreten Rechtsfrage.
bb) Zudem bleibt unklar, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser Fragen zweifelhaft und umstritten sein soll. Der Kläger setzt sich insbesondere nicht mit der Rechtsprechung und den Auffassungen des Schrifttums zu der Reichweite der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der finanzbehördlichen Schätzung durch das FG auseinander (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12. Oktober 2005 VIII B 241/04, BFH/NV 2006, 326; Schmidt-Troje in Beermann/Gosch, FGO § 96 Rz 30 ff.; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 162 Rz 58 ff.).
2. Insoweit hat der Kläger auch die Anforderungen an die Darlegung des Revisionszulassungsgrundes der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) nicht erfüllt. Es gelten die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten Anforderungen (z.B. BFH-Beschluss vom 7. Juni 2011 X B 212/10, BFH/NV 2011, 1709; zur Qualifikation dieses Zulassungsgrundes als speziellen Tatbestand der "Grundsatzrevision" vgl. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 38). Daher erfordert auch dieser Zulassungsgrund das Herausstellen einer klärungsbedürftigen, entscheidungserheblichen und klärbaren Rechtsfrage, deren Klärung in einem künftigen Revisionsverfahren zu erwarten ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1709; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 41 und § 116 Rz 38, 32).
3. Dass eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) erforderlich ist, hat der Kläger nicht (substantiiert) vorgetragen.
4. Verfahrensmängel, die zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO führen könnten, liegen nicht vor oder sind nicht ‑‑den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend‑‑ schlüssig gerügt worden.
a) Das FG konnte nach § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das FG im Urteilsverfahren grundsätzlich auf Grund mündlicher Verhandlung. Mit Einverständnis der Beteiligten kann es ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 FGO). Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist eine Prozesshandlung; er muss klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt werden (z.B. BFH-Beschluss vom 9. Januar 2006 XI B 176/04, BFH/NV 2006, 1105).
Im Streitfall durfte das FG ohne mündliche Verhandlung ‑‑also im schriftlichen Verfahren‑‑ entscheiden, weil wirksame Verzichtserklärungen der Beteiligten ‑‑neben den Einverständniserklärungen mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter (§ 79a Abs. 3, 4 FGO)‑‑ vorlagen. Neben dem mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2010 vom FA ausdrücklich erklärten Verzicht auf mündliche Verhandlung hat auch der Kläger wirksam den Verzicht auf mündliche Verhandlung dem FG gegenüber erklärt. Der ‑‑nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene‑‑ Kläger hat mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2010 den Antrag gestellt, "ein schriftliches Verfahren ohne anwaltliche Vertretung durchzuführen". Damit hat er klar und eindeutig zu verstehen gegeben, dass er mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und damit ohne mündliche Verhandlung einverstanden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2011 IX B 108/11, BFH/NV 2012, 245).
b) Die (sinngemäße) Rüge des Klägers, das FG sei ‑‑selbst ohne die gestellten Beweisanträge‑‑ verpflichtet gewesen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht, da sie nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht.
aa) Eine schlüssige Rüge, das FG habe gegen seine Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung ‑‑auch ohne entsprechenden Beweisantritt seitens des Beschwerdeführers‑‑ verstoßen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), erfordert die Darlegung, zu welchen konkreten Tatsachen weitere Ermittlungen geboten waren, welche Beweise zu welchem Beweisthema das FG von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung oder einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die unterlassene Ermittlungsmaßnahme oder Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23. Februar 2012 X B 91/11, BFH/NV 2012, 1150; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 69, 70, m.w.N.).
bb) An einem solchen Vorbringen fehlt es. Der Kläger hat insbesondere nicht schlüssig vorgetragen, warum sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen oder einer Beweisaufnahme auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen. Auch fehlt es an der gebotenen schlüssigen und substantiierten Darlegung, welches Ergebnis eine weitere Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und inwiefern diese zu einer anderen Entscheidung des FG hätte führen können.
c) Die Rüge des Klägers, das FG habe seinen Vortrag, insbesondere in der Klagebegründung vom 9. Oktober 2010 sowie in seinem weiteren Schriftsatz vom 9. Januar 2011 nicht ausreichend gewürdigt, führt nicht zur Zulassung der Revision wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, wesentliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es verpflichtet das Gericht jedoch nicht, sich mit sämtlichen Ausführungen der Beteiligten in den Urteilsgründen ausdrücklich auseinanderzusetzen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das wesentliche Vorbringen der Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist erst dann gegeben, wenn im Einzelfall aus den Urteilsgründen deutlich erkennbar ist, dass das Gericht wesentliche Ausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 1983 2 BvR 399/81, BVerfGE 65, 293; BFH-Beschlüsse vom 6. März 2006 X B 151/05, BFH/NV 2006, 1138; vom 31. Januar 2008 VIII B 253/05, BFH/NV 2008, 740, und vom 11. April 2012 X B 56/11, BFH/NV 2012, 1331). Dass sich das FG im Streitfall mit dem klägerischen Vortrag befasst hat, ergibt sich bereits aus dem Tatbestand des Urteils (S. 4), in dem es die wesentlichen Punkte des Vortrags wiedergegeben hat.
d) Soweit der Kläger wegen der Nichtdurchführung der mündlichen Verhandlung seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sieht, scheidet ein solcher Verstoß bereits deshalb aus, weil der Kläger wirksam den Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt hat (oben unter 4.a). Zudem hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18. Mai 2011 gegenüber dem FG ausgeführt, dass er "denke, es sind ausreichend Informationen, Argumente und Unterlagen eingereicht worden, ...". Insoweit ist diese Rüge auch unschlüssig.
e) Mit seiner Rüge, das FG habe seine Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verletzt, wird ein Verfahrensfehler nicht dargelegt. Für die schlüssige Rüge der Verletzung der Hinweispflicht durch das Gericht ist nicht nur anzugeben, worauf das Gericht hätte hinweisen sollen, sondern auch, was die Beteiligten im Falle des Hinweises konkret vorgetragen hätten und inwiefern das angefochtene Urteil ‑‑nach der insoweit maßgebenden materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts‑‑ auf dem vermeintlichen Verfahrensmangel beruhen kann (Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2012 III B 40/12, BFH/NV 2013, 222, m.w.N.). Dazu enthält die Beschwerdebegründung keine hinreichenden Ausführungen.
f) Sollte sich der Kläger mit dem Vortrag, das FG habe im Rahmen seiner rechtlichen Prüfung zu Unrecht den klägerischen Vortrag übergangen, auch gegen die Sachverhalts- bzw. Beweiswürdigung des FG wenden wollen, kann dies ebenfalls nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO rechtfertigen.
Mit Einwänden gegen die Würdigung des Sachverhalts bzw. gegen die Beweiswürdigung wird kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend gemacht. Die Sachverhaltswürdigung und die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 21. Januar 2013 III B 167/11, BFH/NV 2013, 754, m.w.N.; Lange in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 246). Selbst Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze stellen in der Regel materiell-rechtliche Fehler dar, und zwar auch dann, wenn sich diese Fehler auf die Würdigung von Tatsachen erstrecken (BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1165, m.w.N.); sie sind damit der Rüge eines Verfahrensmangels entzogen (z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 754; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 83).
5. Soweit sich die Einwendungen des Klägers letztlich gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung richten, können diese im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg führen. Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall ‑‑so sie denn vorliegen‑‑ rechtfertigen für sich genommen nicht die Zulassung der Revision (vgl. z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 754; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34). Eine Ausnahme hiervon kommt nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO nur dann in Betracht, wenn das angefochtene Urteil derart schwerwiegende Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des FG "objektiv willkürlich" erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (z.B. BFH-Beschluss vom 14. Dezember 2011 X B 85/11, BFH/NV 2012, 749). Dies ist schon nicht vorgetragen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
6. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung ab.