BFH XI. Senat
EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst b, FGO § 40 Abs 2, FGO § 101, FGO § 136 Abs 1 S 1, FGO § 143 Abs 1, SGG § 54, EStG VZ 2011 , GG Art 20 Abs 2, EStG § 63 Abs 1
vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 25. Oktober 2011, Az: 8 K 1030/11 (Kg)
Leitsätze
NV: Eine gegen einen Kindergeld-Ablehnungsbescheid gerichtete Klage ist unzulässig, soweit sie die Zeit nach dem Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung betrifft (Anschluss an BFH-Urteil vom 22. Dezember 2011 III R 70/09, BFH/NV 2012, 1446) .
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Mutter ihrer 1990 geborenen Tochter (T), die … an der Universität … studierte. Sie bezog für T laufend Kindergeld.
T wurde ab dem zum 1. Oktober 2010 beginnenden Wintersemester bis zum Ende des Sommersemesters am 30. September 2011 zur Sprecherin der Studentenvertretung ("…") der Universität gewählt und war während ihrer Amtszeit vom Studium beurlaubt. Ab dem 1. Oktober 2011 wirkte sie als kommissarische Geschäftsführerin dieses Gremiums.
Die frühere Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 16. September 2010 die Kindergeldfestsetzung für T für die Zeit ab Oktober 2010 auf und wies den hiergegen eingelegten Einspruch der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 22. November 2010 als unbegründet zurück.
Die Klägerin beantragte im April 2011 für T erneut Kindergeld. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 26. Mai 2011 ab. Der Einspruch der Klägerin wurde von der Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2011 unter Hinweis darauf, dass T vom Studium beurlaubt sei, gleichfalls als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klage, mit der die Klägerin Kindergeld für ihre Tochter T ab Dezember 2010 begehrte, hatte im Wesentlichen Erfolg. Die Familienkasse wurde verpflichtet, der Klägerin Kindergeld für T für den Zeitraum von Dezember 2010 bis Juni 2011 zu bewilligen und sie wegen des Kindergelds ab Juli 2011 neu zu bescheiden. Im Übrigen wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab.
Das FG war der Ansicht, dass sich T auch während ihrer Beurlaubung vom Studium wegen ihrer leitenden Tätigkeit für die Studentenvertretung in einer Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes befunden habe.
Es führte weiter aus, anders als im Falle einer Anfechtungsklage, die die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes betreffe und deren Gegenstand deshalb auch in zeitlicher Hinsicht entsprechend der Regelungswirkung des angefochtenen Verwaltungsaktes begrenzt sei, sei ‑‑wie im Streitfall‑‑ Gegenstand der Verpflichtungsklage die Frage, ob ein Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes bestehe. Werde ‑‑wie hier ab Dezember 2010‑‑ die Bewilligung von Kindergeld fortlaufend begehrt, müsse grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ‑‑hier am 26. Oktober 2011‑‑ entschieden werden. Sei die Sache hinsichtlich bestimmter Bewilligungsmonate oder bestimmter Bewilligungsvoraussetzungen nicht spruchreif, da ‑‑wie hier‑‑ die Familienkasse insoweit noch keine Entscheidung getroffen habe und das Gericht selbst aus Gewaltenteilungsgesichtspunkten keine Entscheidung treffen dürfe, ergehe insoweit nach § 101 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein Bescheidungsurteil.
Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 138 veröffentlicht.
Die Familienkasse stützt ihre mit Senatsbeschluss vom 21. Juni 2012 XI B 4/12 zugelassene Revision auf die Verletzung von § 101 Sätze 1 und 2 FGO. Der Regelungsgehalt eines Bescheids, durch den ‑‑wie hier‑‑ ein Antrag auf Festsetzung von Kindergeld abgelehnt werde, erschöpfe sich in der Bescheidung des Antragstellers für den Zeitraum bis einschließlich des Monats der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids. Die Klägerin könne nur insoweit beschwert sein, als die Bindungswirkung des Ablehnungsbescheids reiche.
Zudem sei eine Klage gemäß § 44 Abs. 1 FGO ‑‑soweit wie hier ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben sei‑‑ nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben sei. Über Zeiträume nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung sei kein Vorverfahren durchgeführt worden. Eine diesbezügliche Klage sei ‑‑wie im Streitfall‑‑ mithin unzulässig.
Hinzu komme, dass sich die Sach- und Rechtslage in den der Einspruchsentscheidung nachfolgenden Zeiträumen mit der Folge ändern könne, dass der Kindergeldanspruch aus Gründen wegfalle, die im bisherigen Verfahren keine Rolle gespielt hätten.
Die Familienkasse beantragt, die Vorentscheidung wegen Kindergeld für den Zeitraum ab Juli 2011 aufzuheben und insoweit die Klage als unzulässig abzuweisen.
Die Klägerin hat im Revisionsverfahren weder einen Antrag gestellt noch in der Sache Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II. Der während des Revisionsverfahrens durch den Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit vom 18. April 2013 Nr. 21/2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes (Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) eingetretene Zuständigkeitswechsel führt zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 22. August 2007 X R 2/04, BFHE 218, 533, BStBl II 2008, 109, m.w.N.).
III. Auf die Revision der Familienkasse hin war die Vorentscheidung entsprechend dem Revisionsantrag aufzuheben und die Klage hinsichtlich des Zeitraums ab Juli 2011 abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
Das FG hat der Klage zu Unrecht insoweit entsprochen, als es die Familienkasse verpflichtete, die Klägerin wegen des Kindergeldanspruchs für den Zeitraum nach dem Monat der Einspruchsentscheidung ‑‑hier Juli 2011‑‑ bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ‑‑hier Oktober 2011‑‑ neu zu bescheiden. Denn die Klägerin ist insoweit nicht klagebefugt i.S. des § 40 Abs. 2 FGO.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist entsprechend dem Revisionsantrag und der Revisionsbegründung der Familienkasse lediglich die vom FG ausgesprochene Verpflichtung, die Klägerin wegen des Kindergelds für den Zeitraum von Juli 2011 bis Oktober 2011 neu zu bescheiden. Die Vorentscheidung ist, soweit sie die mit der Revision nicht angegriffene Verpflichtung der Familienkasse betrifft, der Klägerin Kindergeld für den Zeitraum von Dezember 2010 bis Juni 2011 zu bewilligen, rechtskräftig (vgl. dazu z.B. Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 120 FGO Rz 171; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 6, jeweils m.w.N.).
2. Eine auf den Erlass eines abgelehnten Verwaltungsaktes gerichtete Klage (Verpflichtungsklage) ist, soweit ‑‑wie hier‑‑ gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach § 40 Abs. 2 FGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung eines Verwaltungsaktes in seinen Rechten verletzt zu sein. Hieran fehlt es im Streitfall.
a) Der angegriffene Ablehnungsbescheid vom 26. Mai 2011 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2011 enthalten keine das Kindergeld ab Juli 2011 ablehnende Regelung. Denn die Familienkasse kann im Falle eines zulässigen, in der Sache aber unbegründeten Einspruchs gegen einen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid längstens eine Regelung des Kindergeldanspruchs bis zu dem Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung treffen (vgl. dazu BFH-Urteile vom 9. Juni 2011 III R 54/09, BFH/NV 2011, 1858; vom 4. August 2011 III R 71/10, BFHE 235, 203, BStBl II 2013, 380; vom 22. Dezember 2011 III R 70/09, BFH/NV 2012, 1446). Dieser zeitliche Regelungsumfang wird durch eine Klageerhebung nicht verändert. Insbesondere ist das gerichtliche Verfahren keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens. Im Hinblick auf die von der Verfassung vorgegebene Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes) ist es die Aufgabe der Gerichte, das bisher Geschehene bzw. das Unterlassen auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht jedoch, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktionen auszuüben (vgl. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 1446, Rz 18).
b) Etwas anderes lässt sich auch nicht aus Gründen der Prozessökonomie vertreten.
aa) Der III. Senat des BFH hat ‑‑unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. dazu Urteile vom 2. Juni 2005 III R 66/04, BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184; vom 30. Juni 2005 III R 80/03, BFH/NV 2006, 262)‑‑ entschieden, dass die vom Bundessozialgericht (BSG) für das sozialgerichtliche Verfahren abweichend vertretene Auffassung, wonach bei einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungs- (§ 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes ‑‑SGG‑‑) bzw. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen einen Verwaltungsakt, durch den die Gewährung laufender Zahlungen abgelehnt werde, auch über die nach der Widerspruchsentscheidung abgelaufenen Zeiträume zu entscheiden sei (vgl. BSG-Urteil vom 11. Dezember 2007 B 8/9b SO 12/06 R, Sozialrecht 4-3500 § 21 Nr. 1), auf das finanzgerichtliche Verfahren in Kindergeldsachen nicht übertragbar ist (vgl. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 1446, Rz 20).
bb) Im finanzgerichtlichen Verfahren kann der Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Inhaltskontrolle gemacht werden, in dem die Familienkasse den Kindergeldanspruch geregelt hat. Gründe der Prozessökonomie oder der sozialen Fürsorge (vgl. dazu BSG-Urteil vom 28. April 1960 8 RV 1341/58, BSGE 12, 127) rechtfertigen es nicht, eine Klage ‑‑wie hier‑‑ ohne das Vorliegen zwingender Sachurteilsvoraussetzungen als zulässig anzusehen (vgl. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 1446, Rz 20, m.w.N.).
cc) Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung im BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 1446 an.
3. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung. Sie war daher entsprechend dem Revisionsantrag aufzuheben.
4. Die Sache ist spruchreif. Nach den vorgenannten Grundsätzen ist die Klägerin nicht in ihren Rechten i.S. des § 40 Abs. 2 FGO verletzt, soweit die Familienkasse über das Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ‑‑im Streitfall Juni 2011‑‑ hinaus keine Regelung über den Kindergeldanspruch der Klägerin getroffen hat. Die den Zeitraum ab Juli 2011 betreffende Klage ist mithin als unzulässig zurückzuweisen (§ 40 Abs. 2 FGO).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1, § 143 Abs. 1 FGO.
Das FG hat als Streitgegenstand auch das Kindergeld für den Monat nach Ergehen der Einspruchsentscheidung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung angesehen.
Da die Revision der Familienkasse Erfolg hat, kann auch die Kostenentscheidung des FG keinen Bestand haben. Der Senat hält es für angemessen, über die Kosten nach Verfahrensabschnitten zu entscheiden. Auch eine solche Entscheidung wahrt den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (vgl. dazu BFH-Urteile vom 30. April 2003 II R 6/01, BFH/NV 2004, 341; vom 6. Juli 1999 VIII R 17/97, BFHE 189, 302, BStBl II 2000, 306; vom 10. Dezember 2009 V R 13/08, BFH/NV 2010, 960; in BFHE 235, 203, BStBl II 2013, 380).