BFH IX. Senat
FGO § 76 Abs 2, FGO § 96 Abs 2, GG Art 103 Abs 1
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 15. Januar 2013, Az: 2 K 50/12
Leitsätze
1. NV: Angriffe gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der finanzgerichtlichen Entscheidung können keine Revisionszulassung unter dem Gesichtspunkt einer Divergenz oder grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigen.
2. NV: Eine Überraschungsentscheidung und damit Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen musste.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Soweit der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) eine Divergenz zur ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) rügt (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), fehlt es an einer Gegenüberstellung einander widersprechender abstrakter Rechtssätze. Vielmehr wird lediglich eine sachlich unzutreffende Anwendung der in ständiger Rechtsprechung des BFH entwickelten Grundsätze und damit eine materiell-rechtlich unrichtige Entscheidung des Finanzgerichts (FG) dargelegt. Dies kann die Revisionszulassung nicht rechtfertigen.
Entsprechendes gilt, soweit sich der Kläger auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) beruft. Auch insoweit legt die Nichtzulassungsbeschwerde lediglich dar, dass das FG das Merkmal des bestimmten Sachverhalts i.S. von § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) unzutreffend ausgelegt und subsumiert habe. Insoweit geht es der Sache nach wiederum allein um die angeblich materiell-rechtliche Fehlerhaftigkeit des finanzgerichtlichen Urteils. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, inwieweit das FG unter Zugrundelegung von § 174 Abs. 4 AO nur Teile der richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen habe. Im Übrigen fehlt eine schlüssige und substantiierte Darlegung, inwieweit die für bedeutsam gehaltenen Rechtsfragen im Allgemeininteresse klärungsbedürftig, da in Rechtsprechung und Literatur umstritten, sind.
Entsprechendes gilt, soweit die Beschwerde das Verhältnis von § 181 Abs. 5 AO zu § 174 Abs. 4 AO thematisiert.
Das FG hat auch keine Überraschungsentscheidung getroffen (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO, § 76 Abs. 2 FGO). Eine solche Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das FG indes nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten oder gar im Sinne der Beteiligten zu entscheiden. Danach liegt im Streitfall gerade keine Überraschungsentscheidung vor, da schon nach dem eigenen Aktenvermerk des Klägervertreters § 174 Abs. 4 AO in der mündlichen Verhandlung angesprochen wurde. § 174 Abs. 4 AO war zudem Gegenstand des vom FG an den Klägervertreter übersandten zusammengefassten wesentlichen Akteninhalts.