BFH IX. Senat
FGO § 155, ZPO § 240, ZPO § 249, InsO § 343, InsO § 352, FGO § 138
vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt , 02. September 2012, Az: 2 K 127/11
Leitsätze
NV: § 249 ZPO gilt für alle Fälle der Verfahrensunterbrechung und Verfahrensaussetzung, ohne dass insoweit Besonderheiten einer im Ausland stattfindenden Insolvenz von Bedeutung wären .
Tatbestand
I. Am 4. Februar 2011 erhob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Klage wegen Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2005. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung hat das Finanzgericht (FG) mit Beschluss vom 4. April 2012 über die Kosten des Verfahrens entschieden.
Am 2. März 2011 wurde über das Vermögen des Klägers in Großbritannien das Insolvenzverfahren eröffnet. Ausweislich eines britischen Registerauszuges ("Report for Bankruptcy Case") wurde dieses am 2. März 2012 mit einer Restschuldbefreiung des Klägers beendet. Nach dem Klägervortrag wurde gegen die Restschuldbefreiung seitens der … Einspruch eingelegt. Darüber sei möglicherweise noch nicht endgültig entschieden.
Nachdem der Beschluss vom 4. April 2012 in Unkenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2. März 2011 ergangen war, hat ihn das FG, da er ohne rechtliche Wirkung sei (§ 249 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑), "aus Gründen der Rechtsklarheit" aufgehoben. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der er beantragt,
den Beschluss des FG über die Aufhebung des Beschlusses vom 4. April 2012 aufzuheben.
§ 249 Abs. 2 ZPO sei nicht auf gerichtliche Entscheidungen anzuwenden, sondern betreffe nur Prozesshandlungen. Da es sich vorliegend um eine Auslandsinsolvenz handele, seien nicht §§ 240 ff. ZPO, sondern §§ 343 ff. der Insolvenzordnung (InsO) anzuwenden. Eine der Vorschrift des § 249 ZPO vergleichbare Regelung fehle hier aber, während § 240 ZPO seine Entsprechung in § 352 InsO finde.
Wäre indes der Beschluss vom 4. April 2012 auf Grundlage unwirksamer Prozesserklärungen ergangen, so wäre er allenfalls rechtswidrig, nicht aber unwirksam. Da der Beschluss aber unanfechtbar sei, sei für die Aufhebung nach § 249 Abs. 2 ZPO kein Raum.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet.
1. Eine übereinstimmende Erledigungserklärung beendet die Rechtshängigkeit konstitutiv; es ist nur noch durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. Die Erledigungserklärung ist eine Prozesshandlung. Gemäß §§ 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 249 Abs. 2 ZPO sind die während der Unterbrechung des Verfahrens von einer Partei in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung.
a) Gemäß § 240 ZPO wird im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Nach § 352 InsO gilt dasselbe für die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens, dessen Eröffnung gemäß § 343 InsO anerkannt wird. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Gerichte des Staates der Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht nicht zuständig sind oder soweit die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere, soweit sie mit den Grundrechten unvereinbar ist. Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen.
b) Gründe dafür, weshalb § 249 ZPO für inländische Verfahren im Falle einer Auslandsinsolvenz nicht anwendbar sein sollte, sind nicht ersichtlich (vgl. auch Reinhart in MünchKommInsO, 2. Aufl., § 352 Rz 10). Vielmehr regeln §§ 343 ff. InsO lediglich Besonderheiten der Auslandsinsolvenz. § 249 ZPO gilt demgegenüber für alle Fälle der Verfahrensunterbrechung und -aussetzung (Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 249 Rz 1), ohne dass insoweit Besonderheiten einer im Ausland stattfindenden Insolvenz von Bedeutung wären.
2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG den Beschluss vom 4. April 2012 zu Unrecht aufgehoben. Denn Insolvenzverfahren und Verfahrensunterbrechung waren beendet, als die übereinstimmende Erledigungserklärung und der Beschluss des FG vom 4. April 2012 erfolgten. Dem steht nicht entgegen, dass eine Restschuldbefreiung nach englischem Recht in bestimmten Fällen ‑‑etwa aufgrund eines Rechtsmittels des Gläubigers‑‑ nach Beendigung des Insolvenzverfahrens widerrufen werden kann (vgl. Sec. 375 (1) Insolvency Act 1986).