BFH III. Senat
FGO § 76 Abs 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 3 S 3, InvZulG § 2
vorgehend FG Münster, 03. Juli 2012, Az: 6 K 3567/09 I
Leitsätze
NV: Die Frage, ob das sog. Beizen von Getreide als handelsübliche Bearbeitung anzusehen ist oder zur Zuordnung eines Betriebs zum verarbeitenden Gewerbe führt, ist anhand der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Klassifikation der Wirtschaftszweige zu beantworten. Eine Unterscheidung zwischen steuerrechtlicher und statistischer Terminologie ist hierbei nicht zu treffen.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, handelt mit Saatgut, Futtermitteln und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Sie unterhält mehrere Betriebsstätten, darunter eine Betriebsstätte im Fördergebiet (Betriebsstätte A). Dort produzierte sie eigenes Saatgut; außerdem handelte sie mit Tiernahrung und mit eingekauftem Saatgut.
Die Klägerin errichtete ab November 2004 in A eine neue Lagerhalle, deren Herstellungskosten sich auf 716.037,50 € beliefen. Sie beantragte für das Jahr 2005 die Gewährung einer Investitionszulage nach § 2 des Investitionszulagengesetzes. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) lehnte den Zulagenantrag ab, weil die Betriebsstätte in A nicht dem verarbeitenden Gewerbe zuzurechnen sei. Im anschließenden Einspruchsverfahren trug die Klägerin vor, die Bearbeitung des Saatguts in der Betriebsstätte A unterscheide sich von der Tätigkeit, über die der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 24. März 2006 III R 49/04 (BFH/NV 2006, 1709) entschieden habe, weil das Getreide nicht lediglich gereinigt, sondern darüber hinaus auch gebeizt werde. Auf eine Anfrage des FA teilte das Statistische Bundesamt mit, dass es für die Einordnung unter einer Meldenummer keinen Unterschied mache, ob die Getreidekörner gebeizt würden oder nicht. Für statistische Zwecke sei das Beizen von Saatgut dem "Handel mit Getreide, Saatgut und Futtermitteln" innerhalb der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2003, zuzuordnen.
Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg, ebenso wenig die anschließend erhobene Klage. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, das in A produzierte Saatgut sei lediglich in handelsüblicher Weise bearbeitet worden, es liege demnach kein verarbeitendes Gewerbe vor. Die in A vorgenommene Bearbeitung des Saatguts gehe, abgesehen vom Beizen, nicht über die Bearbeitung hinaus, über welche das FG Thüringen sowie der BFH in den Urteilen vom 13. November 2003 IV 1294/00 (juris) bzw. in BFH/NV 2006, 1709 zu entscheiden gehabt hätten.
Mit der Beschwerde macht die Klägerin zunächst die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Zu klären sei der Begriff des verarbeitenden Gewerbes. Es handele sich um einen Grundbegriff des Subventionsrechts. Es bestehe ein hohes Allgemeininteresse an einer allgemeinen Klärung. Auch gehe es um die Bedeutung einer Auskunft des Statistischen Bundesamts, wenn sich eine Tätigkeit nicht eindeutig als verarbeitendes Gewerbe klassifizieren lasse. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe entschieden, dass die Normauslegung und die Kontrolle der Rechtsanwendung im Einzelfall den Gerichten vorbehalten seien (Beschluss vom 31. Mai 2011 1 BvR 857/07, BVerfGE 129, 1). Es habe eine Bindung an die Klassifikation der Wirtschaftszweige nach Maßgabe der finanzgerichtlichen Rechtsprechung festgestellt. Die gerichtliche Kontrolle erstrecke sich darauf, ob die statistische Klassifikation im Blick auf das Investitionszulagenrecht zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führe. Zu klären sei die Frage, wie die Evidenzprüfung konkret durchzuführen sei. Nach der Rechtsprechung des BFH sei die Verarbeitung einer Ware zu bejahen, wenn sie in ihrer stofflichen Zusammensetzung erheblich verändert werde (BFH-Urteile vom 24. Januar 2006 VII R 44/04, BFH/NV 2006, 1027, sowie in BFH/NV 2006, 1709). Erzeugnisse müssten so be- oder verarbeitet werden, dass dadurch andere Produkte hergestellt oder die Erzeugnisse veredelt würden (BFH-Urteile vom 7. März 2002 III R 44/97, BFHE 198, 169, BStBl II 2002, 545, sowie vom 23. März 2005 III R 20/00, BFHE 209, 186, BStBl II 2005, 497). Diese steuerrechtliche Terminologie habe das FG nicht hinreichend beachtet. Im Streitfall sei die stoffliche Zusammensetzung der Getreideware so erheblich verändert worden, dass ein neues Produkt hergestellt worden sei. Vor dem Beizen habe es sich bei dem Getreide um ein Nahrungsmittel gehandelt, danach sei daraus nicht zum Verzehr geeignetes Saatgut entstanden. Beide Produkte hätten unterschiedliche Funktionen. Die Ausführungen auf Seite 13 des angefochtenen Urteils veranlassten dazu, die Maßgeblichkeit der vom BFH entwickelten steuerrechtlichen Terminologie im Verhältnis zu den statistischen Kriterien grundsätzlich festzustellen.
Die Revision sei darüber hinaus nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Das Bedürfnis, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung bezüglich des Begriffs "verarbeitendes Gewerbe" sicherzustellen, ergebe sich aus einer Rechtsprechungsdivergenz, bei der unklar sei, ob sie auf verschiedenen Sachverhalten beruhe oder auf einer unterschiedlichen rechtlichen Beurteilung des Falles. Wenn das Urteil des Thüringer FG vom 24. Februar 1999 III 157/96 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1999, 576) und das später vom BFH aufgehobene Urteil des Thüringer FG vom 13. November 2003 IV 1294/00 (juris) die Getreideaufbereitung als Betrieb des verarbeitenden Gewerbes anerkannt hätten, während das angefochtene Urteil das Beizen als handelsübliche Manipulation qualifiziere, so ergebe sich daraus das Bedürfnis, genau zu klären, für welche Art von Sachverhalt verarbeitendes Gewerbe zu bejahen sei. Die Produktionsschritte, die dem Beizen vorangingen, gehörten noch nicht zum verarbeitenden Gewerbe. Es gehe darum, das Beizen als den wesentlichen Schritt für die Herstellung eines Produkts zu erkennen und nicht die anderen Produktionsschritte heranzuziehen, um eine lediglich handelsübliche Manipulation begründen zu können. Die Feststellung im angefochtenen Urteil, wonach durch das Beizen kein neues Produkt mit geänderter Marktgängigkeit hergestellt werde, zeige, dass das Beizen auf eine Stufe mit nicht verarbeitenden Produktionsschritten gestellt werde. Damit werde der für die Verarbeitung wesentliche Produktionsschritt des Beizens in seiner Bedeutung offensichtlich verkannt.
Schließlich sei die Revision auch wegen eines Verfahrensmangels des FG zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Zu rügen sei die Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung, weil das FG den Sachverhalt des Beizens nicht ausreichend ermittelt und festgestellt habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird daher durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor oder wurden nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt.
1. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) erfordert neben der Formulierung einer Rechtsfrage den konkreten und substantiierten Vortrag, aus welchen Erwägungen im Einzelnen die Klärung der Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (z.B. BFH-Beschluss vom 17. Juli 2002 I B 119/01, BFH/NV 2002, 1600, m.w.N.). Dazu gehört auch die Darlegung, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Frage umstritten ist (z.B. BFH-Beschluss vom 20. Februar 2002 X B 157/01, BFH/NV 2002, 803, m.w.N.).
a) Mit dem Vortrag, der Begriff des verarbeitenden Gewerbes bedürfe einer allgemeinen Klärung durch den BFH, hat die Klägerin noch keine Rechtsfrage formuliert. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Zuordnung eines Betriebs zum verarbeitenden Gewerbe mit Hilfe der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Klassifikation der Wirtschaftszweige vorzunehmen ist (z.B. Senatsurteil vom 22. September 2011 III R 64/08, BFHE 236, 168, BStBl II 2012, 358). Auch das BVerfG hat die Zuhilfenahme der Klassifikation der Wirtschaftszweige in der Entscheidung in BVerfGE 129, 1 nicht beanstandet, vielmehr hat es eine grundsätzliche Bindung an die von der Statistikbehörde getroffene Zuordnungsentscheidung und die Beschränkung auf eine Evidenzkontrolle abgelehnt. Eine allgemeine Definition des Begriffs "verarbeitendes Gewerbe" durch den BFH ist somit nicht erforderlich. Aus der grundsätzlichen Anknüpfung an die in der Klassifikation der Wirtschaftszweige enthaltenen Zuordnungen und Einteilungen ergibt sich auch, dass bei Anwendung des Begriffs "verarbeitendes Gewerbe" keine Unterscheidung zu treffen ist zwischen steuerrechtlicher und statistischer Terminologie. Entgegen der Ansicht der Klägerin könnte somit nicht "die Maßgeblichkeit der ... steuerrechtlichen Terminologie im Verhältnis zu den statistischen Kriterien" grundsätzlich festgestellt werden.
b) Ebenso wenig könnte allgemein geklärt werden, welche Bedeutung einer Auskunft des Statistischen Bundesamts über die Einordnung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zukommt, wenn sich eine Tätigkeit nicht eindeutig als verarbeitendes Gewerbe qualifizieren lässt. Im Streitfall hat das FG die Auskunft, die das Statistische Bundesamt im Verlauf des finanzamtlichen Verwaltungsverfahrens erteilt hat, nicht zur Entscheidungsfindung herangezogen, vielmehr hat es sie als "wenig aussagekräftig" bezeichnet.
c) Auch soweit die Klägerin vorträgt, es sei klärungsbedürftig, wie die Evidenzprüfung konkret durchzuführen sei, hat sie keine Rechtsfrage formuliert. Sie nimmt Bezug auf die Passage im BVerfG-Urteil in BVerfGE 129, 1, wonach die Klassifikation im Grundsatz für die finanzgerichtliche Rechtsprechung verbindlich sei und sich die gerichtliche Überprüfung insoweit darauf beschränke, ob die Klassifikation im Blick auf das Investitionszulagenrecht zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führe. Eine im Allgemeininteresse zu klärende Rechtsfrage hat die Klägerin in diesem Zusammenhang jedoch nicht herausgestellt. Allgemeine Grundsätze für eine gerichtliche Überprüfung, ob eine in der Klassifikation enthaltene Zuordnung eines Wirtschaftszweigs offensichtlich unzutreffend ist, könnten in dem von der Klägerin angestrebten Revisionsverfahren auch nicht aufgestellt werden.
2. Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) wurde nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt.
a) Wird als Zulassungsgrund geltend gemacht, das angefochtene Urteil weiche von anderer Rechtsprechung ab (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO), so müssen in der Beschwerdeschrift nicht nur die Entscheidungen, von denen das Urteil des FG abweichen soll, bezeichnet werden. Es muss darüber hinaus aus der Entscheidung des FG ein diese tragender abstrakter Rechtssatz abgeleitet werden, der zu einem ebenfalls tragenden abstrakten Rechtssatz der Divergenzentscheidung(en) im Widerspruch stehen kann. Die nach Auffassung des Beschwerdeführers voneinander abweichenden Rechtssätze sind dabei gegenüberzustellen (z.B. Senatsbeschluss vom 16. August 2011 III B 155/10, BFH/NV 2012, 48).
Dies hat die Klägerin nicht getan. Nach ihrer Ansicht ist unklar, ob die von ihr angenommene Divergenz auf verschiedenartigen Sachverhalten beruht oder auf einer unterschiedlichen rechtlichen Beurteilung. Die Klägerin ist somit selbst nicht davon überzeugt, dass das FG einen Rechtssatz aufgestellt hat, der von anderer Rechtsprechung abweicht.
b) Soweit die Klägerin geltend macht, eine Entscheidung des BFH sei zur Fortbildung des Rechts erforderlich (§ 115 Abs. 2 Alternative 1 FGO), hat sie dies nicht näher erläutert.
Sie rügt letztlich, das FG habe ihre wirtschaftliche Betätigung in der Betriebsstätte in A zu Unrecht nicht dem verarbeitenden Gewerbe zugeordnet, weil es die Bedeutung des Beizens des Getreides verkannt habe. Einen offensichtlichen (materiellen oder formellen) Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung, der im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu beachten wäre, hat sie damit nicht dargetan (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 2010 IX B 163/09, BFH/NV 2010, 887, und vom 3. Februar 2012 IX B 126/11, BFH/NV 2012, 741). Unterhalb dieser Schwelle liegende Rechtsfehler reichen nicht aus, um die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu begründen, insbesondere nicht etwaige bloße Subsumtions- bzw. sonstige Rechtsanwendungsfehler (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Februar 2012 IV B 126/10, BFH/NV 2012, 774).
3. Schließlich hat die Klägerin auch den geltend gemachten Verfahrensmangel, wonach das FG gegen seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) verstoßen habe, nicht schlüssig dargetan.
Die schlüssige Darlegung einer unzureichenden Sachaufklärung erfordert Ausführungen dazu, welche Tatsachen das FG hätte aufklären und welche Beweise es hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer Aufklärung hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich voraussichtlich ergeben hätten und inwieweit die weitere Aufklärung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (z.B. Senatsbeschluss vom 24. August 2012 III B 21/12, BFH/NV 2012, 1973).
Der Vortrag, der Sachverhalt des Beizens sei nicht ausreichend ermittelt und festgestellt worden, wie sich aus den Ausführungen auf Seite 13 des angefochtenen Urteils ergebe, entspricht nicht diesen Anforderungen.