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Urteil vom 22. November 2012, III R 66/11

Verlustabzug bei Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften und Altersentlastungsbetrag

BFH III. Senat

EStG § 23 Abs 3 S 9, EStG § 24a, EStG VZ 2005

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt , 13. September 2011, Az: 2 K 1832/08

Leitsätze

NV: Folgt man der Ansicht, dass nicht ausgeglichene Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften erst vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen und nicht bereits auf der Ebene der Ermittlung der Einkünfte zu berücksichtigen sind, führt dies zwar zunächst zu einer entsprechend höheren Bemessungsgrundlage für den Altersentlastungsbetrag. Der Abzug des Altersentlastungsbetrags wirkt sich dann jedoch auf den zu berücksichtigenden Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften aus und mindert diesen.

Tatbestand

  1. I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2005 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Die im Jahr 1939 geborene Klägerin erzielte im Veranlagungszeitraum 2005 neben Einkünften aus Leibrenten aus gesetzlichen Rentenversicherungen sowie aus berufsständischen Versorgungseinrichtungen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) in Höhe von 3.741 €.

  2. Bei der Ermittlung der Einkünfte der Klägerin aus privaten Veräußerungsgeschäften verrechnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) diese mit Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften aus den Vorjahren. Danach verblieben Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 0 €. Einen Altersentlastungsbetrag berücksichtigte das FA daraufhin nicht mehr.

  3. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 9. Mai 2011 aus nicht streitgegenständlichen Gründen einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005.

  4. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der die Kläger ‑‑ausgehend von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 3.741 €‑‑ für die Klägerin die Gewährung eines Altersentlastungsbetrags in Höhe von 1.496 € zusätzlich zum Verlustabzug nach § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG (jetzt Satz 8) begehrten, mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 241 veröffentlichten Gründen statt. Es war der Ansicht, das FA habe den Verlustvortrag der Klägerin zu Unrecht bereits auf der Ebene der Einkünfteermittlung berücksichtigt und deshalb keinen Altersentlastungsbetrag gewährt. Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften seien vielmehr wie "normale" Verluste erst vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen. § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG solle lediglich zum Ausdruck bringen, dass eine ‑‑auf Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften beschränkte‑‑ Verlustverrechnung weiterhin zulässig sei. Für diese Auffassung spreche auch die Formulierung des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG, dass die Verluste "nach Maßgabe des § 10d" die Einkünfte minderten.

  5. Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG in Zusammenhang mit der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den Altersentlastungsbetrag gemäß § 24a EStG.

  6. Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  7. Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.

  8. Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hätte die Klage ‑‑unabhängig von der Frage, an welcher Stelle der Einkommensermittlung der Verlustabzug nach § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG durchzuführen ist‑‑ abweisen müssen, weil es im Streitfall nicht zu einer Änderung des zu versteuernden Einkommens als Bemessungsgrundlage für die festzusetzende Einkommensteuer kommen kann.

  2. 1. Der Senat versteht das Urteil des FG in dem Sinn, dass dieses ‑‑in Übereinstimmung mit dem Klagebegehren‑‑ den Klägern den Altersentlastungsbetrag nach § 24a EStG in Höhe von 1.496 € zusätzlich zu dem im Einkommensteuerbescheid berücksichtigten Verlustabzug von 3.741 € gewährt hat, der Verlustabzug durch die Entscheidung des FG also der Höhe nach unverändert geblieben ist. Denn das FG, das die Einkommensteuer 2005 "ausgehend von einem Altersentlastungsbetrag in Höhe von 1.496 € festgesetzt" und die diesbezügliche Berechnung dem FA auferlegt hat, hat die Klage insbesondere nicht im Übrigen abgewiesen.

  3. 2. Altersentlastungsbetrag ist nach § 24a Sätze 1 und 5 EStG bis zu einem Höchstbetrag im Kalenderjahr ein nach einem Vom-Hundert-Satz ermittelter Betrag des Arbeitslohns und der positiven Summe der Einkünfte, die nicht solche aus nichtselbständiger Arbeit sind. Nach Maßgabe des § 24a Satz 2 EStG bleiben bestimmte Versorgungsbezüge bzw. Alterseinkünfte bei der Bemessung des Betrags außer Betracht. Im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer ist die Regelung für jeden Ehegatten gesondert anzuwenden (§ 24a Satz 4 EStG).

  4. 3. Bezieht der Steuerpflichtige ‑‑wie im Streitfall die Klägerin‑‑ keinen Arbeitslohn, setzt die Gewährung eines Altersentlastungsbetrags voraus, dass die Summe der anzusetzenden anderen Einkünfte positiv ist. Da der Verlustabzug nach § 10d EStG erst nach Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte durchgeführt wird, mindert er die Bemessungsgrundlage für den Altersentlastungsbetrag nicht.

  5. a) Die Frage, an welcher Stelle der Verlustabzug bei Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG vorzunehmen ist, wird in Rechtsprechung und Fachschrifttum uneinheitlich beantwortet.

  6. aa) Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG dürfen Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nur bis zur Höhe des Gewinns, den der Steuerpflichtige im selben Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat, ausgeglichen werden; sie dürfen nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch nach Maßgabe des § 10d EStG die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 EStG erzielt hat oder erzielt (§ 23 Abs. 3 Satz 9 EStG).

  7. bb) Die wohl herrschende Ansicht geht davon aus, dass der Abzug von nicht ausgeglichenen Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften, anders als bei § 10d EStG, noch auf der Ebene der Ermittlung der Einkünfte zu erfolgen hat (so FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Juni 2011  7 K 7303/08, EFG 2011, 2164; FG München, Urteil vom 13. August 2008  1 K 2045/06, EFG 2009, 243; FG Münster, Urteil vom 14. Juli 2004  7 K 3336/03 Kg, EFG 2004, 1779, in Zusammenhang mit § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG; Blümich/Glenk, § 23 EStG Rz 238; Musil in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 23 EStG Rz 321; Jacobs-Soyka in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 23 Rz 189; Schmidt/Wacker, EStG, 31. Aufl., § 24a Rz 6; Steiner in Lademann, EStG, § 24a EStG Rz 15a; Siebenhüter in HHR, § 24a EStG Rz 19; Graf in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 24a Rz 20; Walter/Stümper, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2002, 204; i.E. auch Carlé in Korn, § 23 EStG Rz 87). Diese Meinung stützt sich darauf, dass die nicht ausgeglichenen Ver-luste nach dem Gesetzeswortlaut "die Einkünfte" mindern.

  8. cc) Nach anderer Ansicht ist der Verlustabzug auch bei Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften erst vom Gesamtbetrag der Einkünfte vorzunehmen, da der Abzug "nach Maßgabe des § 10d" erfolgt (so Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 31. Aufl., § 23 Rz 97, a.A. noch in der Vorauflage; Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 F 9; Herzig/Lutterbach, DStR 1999, 521, 524; Schultze/Janßen, Finanz-Rundschau ‑‑FR‑‑ 2002, 568).

  9. b) Der Senat braucht diese Streitfrage jedoch nicht zu entscheiden. Denn auch wenn man den Verlustabzug nach § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG entgegen der herrschenden Meinung erst nach der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte vornimmt, ergibt sich im Streitfall gegenüber der Vorgehensweise des FA keine Minderung des zu versteuernden Einkommens der Kläger.

  10. Zwar würde die Bemessungsgrundlage für den Altersentlastungsbetrag in diesem Fall 3.741 € betragen, mit der Folge, dass dieser der Klägerin in der begehrten Höhe von 1.496 € zu gewähren wäre. Indes wäre in diesem Fall der Verlustabzug nach § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG nicht in Höhe von 3.741 € zu berück-sichtigen; dieser wäre vielmehr auf den Betrag von 2.245 € beschränkt.

  11. aa) § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG beschränkt ‑‑wie beispielsweise auch § 15 Abs. 4, § 22 Nr. 3 Sätze 3 und 4 EStG‑‑ die Verlust-verrechnung auf einen bestimmten, gesondert zu ermittelnden Verlustverrechnungskreis. Dem entspricht es, wenn der Verlust-abzug erst auf der Ebene der Einkommensermittlung vorzunehmen wäre, den berücksichtigungsfähigen Verlust auf den Betrag der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften zu begrenzen, der in den Gesamtbetrag der Einkünfte eingegangen ist (so auch Wernsmann/Dechant, FR 2004, 1272, 1274). Ein anderes Verständnis würde § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG mit seiner sachlichen Begrenzung des Verlustabzugs auf die Erwerbsquelle entgegenstehen. Der beschränkte Verlustabzug setzt vielmehr voraus, dass entsprechend positive Einkünfte vorhanden sind. Werden diese noch vor der Stufe des Gesamtbetrags der Einkünfte gemindert, ist es folgerichtig, den Verlustabzug entsprechend anzupassen.

  12. bb) Unter Berücksichtigung eines Altersentlastungsbetrags in Höhe von 1.496 € wären die Einkünfte der Klägerin aus privaten Veräußerungsgeschäften von ursprünglich 3.741 € deshalb als Folge der Entlastung durch § 24a EStG lediglich mit 2.245 € in den Gesamtbetrag der Einkünfte eingegangen. Gemäß den vorstehenden Ausführungen wäre der Verlustabzug in diesem Fall auf den Betrag von 2.245 € beschränkt. Damit bliebe das zu versteuernde Einkommen als Bemessungsgrundlage für die tarifliche Einkommensteuer (§ 2 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 EStG) im Vergleich zum streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid vom 9. Mai 2011 unverändert. Eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2005 kommt demzufolge nicht in Betracht, auch wenn die in ihm angesetzten Besteuerungsgrundlagen zum Teil unzutreffend sein sollten.

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