BFH III. Senat
GG Art 103 Abs 1, FGO § 76 Abs 1, FGO § 96 Abs 2, ZPO § 227, AO § 5
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 14. Mai 2012, Az: 2 K 256/11
Leitsätze
NV: Ist für den Kläger ein Prozessbevollmächtigter bestellt, ist der Kläger auch dann formell vertreten, wenn der Bevollmächtigte den Verhandlungstermin nicht wahrzunehmen beabsichtigt. Ein auf die Verhinderung des Steuerpflichtigen gestützter Verlegungsantrag bedarf deshalb grundsätzlich der substantiierten Darlegung der für die Notwendigkeit der persönlichen Anwesenheit des Steuerpflichtigen sprechenden Gründe, wenn das FG dessen persönliches Erscheinen nicht angeordnet hat .
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Sofern die von dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) behaupteten Zulassungsgründe in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.
1. Das Finanzgericht (FG) hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) nicht dadurch verletzt, dass es die Anträge auf Terminsverlegung ablehnte und die mündliche Verhandlung wie anberaumt durchführte.
Die Ablehnung eines Antrags auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung verstößt dann gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn hierfür erhebliche Gründe geltend gemacht worden sind (§ 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑).
Zu den erheblichen Gründen i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO gehört auch, wenn der Beteiligte selbst oder sein Bevollmächtigter gleichzeitig einen anderen früher anberaumten Termin wahrnehmen muss (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 27. Juni 2012 XI B 129/11, BFH/NV 2012, 1978, m.w.N.). Das FG hat im Fall einer Terminskollision zu entscheiden, welche Sache vorrangig ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31. Mai 1995 IV B 167/94, BFH/NV 1995, 1079).
Der Prozessbevollmächtigte hat indes trotz Aufforderung des FG weder glaubhaft gemacht, dass der von ihm in seinem Schreiben vom 7. Mai 2012 angeführte anderweitige Termin vor dem Familiengericht zum Zeitpunkt der Ladung durch das FG am 24. April 2012 bereits bestanden habe noch hat er dargelegt, dass eine Verlegung dieses Termins ausnahmsweise nicht möglich gewesen sei (vgl. hierzu z.B. BFH-Beschluss vom 18. April 2011 VIII B 140/10, BFH/NV 2011, 1183).
Der weitere ‑‑mit einem Arzttermin des Klägers in Frankreich begründete‑‑ Verlegungsantrag ging erst im Laufe des Tages vor der mündlichen Verhandlung bei dem FG ein. Der Kläger wäre deshalb auch ohne Aufforderung verpflichtet gewesen, die Gründe für die Verhinderung so anzugeben und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob der Kläger aufgrund seiner Erkrankung verhandlungsfähig ist, selbst beurteilen konnte (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Juli 2005 XI B 155/03, BFH/NV 2005, 2036). Allein aufgrund der nicht weiter substantiierten Behauptung, der Kläger sei herzkrank, war dem Gericht eine eigene Überprüfung der geltend gemachten Verhinderung nicht möglich, zumal es sich ersichtlich nicht um eine plötzlich aufgetretene Erkrankung handelte, sondern die Wahrnehmung eines "seit längerer Zeit feststehenden Arzttermins" beabsichtigt war. Aus dem zur Glaubhaftmachung beigefügten Busticket war die Vorrangigkeit des Arzttermins jedoch nicht ersichtlich, da der Reisetag "14.5.12" ‑‑im Gegensatz zu den übrigen Angaben‑‑ lediglich handschriftlich eingetragen war. Auch aus der eidesstattlichen Versicherung des Klägers ging nur pauschal hervor, er werde von einem befreundeten Arzt in Paris kostenlos behandelt. Trotz des Hinweises des FG, dass dies nicht ausreichend sei, ist eine weitere Glaubhaftmachung der Verhinderung des Klägers unterblieben.
Hinzu kommt, dass das persönliche Erscheinen des im Verfahren formell durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägers nicht durch das FG angeordnet war; dass der Prozessbevollmächtigte den Verhandlungstermin seinerseits nicht wahrzunehmen beabsichtigte, machte den Kläger nicht zu einem "nicht vertretenen" Beteiligten. In einem solchen Fall muss der Kläger, der sein persönliches Erscheinen vor Gericht trotz Vertretung durch den Bevollmächtigten für erforderlich hält, die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unter substantiierter Darlegung der für die Notwendigkeit seiner persönlichen Anwesenheit sprechenden Gründe beantragen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 11. Mai 2010 X B 136/09, BFH/NV 2010, 1479; vom 25. Januar 2006 X B 125/05, BFH/NV 2006, 806). An letzterem fehlte es vorliegend ebenfalls. Der Kläger ließ über seinen Prozessbevollmächtigten als Reaktion auf die Aufklärungsverfügung des FG vom 14. Februar 2012 vielmehr im Gegenteil mitteilen, seine Möglichkeiten zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts seien erschöpft. Dass die persönliche Teilnahme des Klägers an der mündlichen Verhandlung zur weiteren Aufklärung des Prozessstoffes hätte beitragen können, war für das Gericht aus dem bisherigen Vorbringen nicht ersichtlich. Nach alldem hat das FG rechtsfehlerfrei einen erheblichen Grund i.S. des § 227 ZPO für eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung verneint.
2. Soweit der Kläger rügt, das FG habe es zu Unrecht abgelehnt, ein Sachverständigengutachten über den Gesundheitszustand seiner Tochter J einzuholen, kommt eine Zulassung der Revision wegen einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) nicht in Betracht.
a) Die Einholung eines Sachverständigengutachtens steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Die Ablehnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens ist insbesondere ermessensfehlerhaft, wenn dem Gericht die erforderliche Sachkunde fehlt und sich dies dem Gericht hätte aufdrängen müssen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 82 Rz 31, m.w.N.).
b) Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze muss der Verfahrensrüge des Klägers der Erfolg versagt bleiben.
Zur Klärung der Frage, ob J als behindertes Kind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigungsfähig ist, hat das FG im Streitfall den Bescheid der X vom … 2010 herangezogen, der einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 ausweist. Ausgehend hiervon hat das FG zunächst dargelegt, dass eine Berücksichtigung von J zeitweise bereits deshalb nicht in Betracht kam, weil sie ‑‑anders als vom Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG gefordert‑‑ in den Monaten Dezember 2007 und Januar 2008 sowie März bis Mai 2008 in der Lage war, ihren gesamten Lebensbedarf aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Einnahmen zu bestreiten. Für die verbleibenden Monate hat das FG aufgrund der Umstände des konkreten Falles (GdB, verschiedene Beschäftigungsverhältnisse, Ableistung von Praktika, Bezug von Arbeitslosengeld II) ausführlich begründet, warum insoweit die Ursächlichkeit der Behinderung für das Außerstandesein zum Selbstunterhalt nicht gegeben war.
Mit der Frage, ob trotz des vorliegenden Bescheids der X ein ärztliches Gutachten über den GdB von J einzuholen war, hat sich das FG ausdrücklich befasst und nachvollziehbar begründet, weshalb dies nicht in Betracht kam. So war insbesondere aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar, welche Faktoren oder Krankheitsbilder die X nicht berücksichtigt haben und deshalb zu einem zu niedrigen GdB gekommen sein könnte. Eine Beiziehung der Akten der X war dem FG nicht möglich, weil der Kläger die hierfür benötigte Einwilligung von J nicht beigebracht hat. Damit hat das FG sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
Das FG hat seine Entscheidung zudem nicht allein auf den nachgewiesenen GdB von lediglich 30 gestützt, sondern vielmehr die Gesamtumstände des Falles gewürdigt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu beachten, dass auch bei einem GdB von 50 oder mehr nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich besondere Umstände hinzutreten müssen, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint (Senatsurteile vom 22. Dezember 2011 III R 46/08, BFH/NV 2012, 730; vom 19. November 2008 III R 105/07, BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057). Solche Umstände konnte das FG an Hand der Akten und des Vorbringens des Klägers nicht feststellen. Letztlich ist deshalb auch nicht ersichtlich, dass die Entscheidung des FG im Falle eines gutachterlich festgestellten GdB von 50 hätte anders ausfallen können.
3. Soweit der Kläger ‑‑ohne weitere Ausführungen‑‑ geltend macht, die Frage, ob das FG "so einfach" über seinen Verlegungsantrag habe hinweggehen können, habe grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, kommt eine Revisionszulassung ersichtlich nicht in Betracht. Abgesehen von der fehlenden Darlegung des Zulassungsgrundes geht es dem Kläger erkennbar nur um seinen konkreten Einzelfall.