BFH V. Senat
UStG § 12 Abs 2 Nr 6, UStG § 12 Abs 2 Nr 6, EWGRL 388/77 Art 28 Abs 3 Buchst a, UStG VZ 2005 , EWGRL 388/77 Art 13 Teil A Buchst e, EWGRL 388/77 Anl E Nr 2, UStG § 3 Abs 1, UStG § 3 Abs 1, UStG § 3 Abs 9, UStG § 3 Abs 9, UStG § 12 Abs 1, UStG § 12 Abs 1, GG Art 3 Abs 1
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 21. März 2012, Az: 5 K 22/11
Leitsätze
Die Steuersatzermäßigung für die Leistungen aus der Tätigkeit als Zahntechniker gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG umfasst sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG) und die Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG) von Zahnersatz, nicht indes die Lieferung anderer Gegenstände (z.B. Beatmungsmasken) .
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Zahntechnikermeister. In den Streitjahren 2003 bis 2005 lieferte er sog. Beatmungsmasken, die er auf ärztliche Verordnung individuell für einzelne Patienten in seinem Dentallabor herstellte. Abnehmer waren Schwerstkranke, die bei der Benutzung von Beatmungsgeräten die vom Hersteller mitgelieferten Standardmasken nicht verwenden konnten. Für die Herstellung nahm der Kläger unter ärztlicher Aufsicht Gipsabdrücke und verwendete Silikonmasse aus der Zahntechnik.
Der Kläger versteuerte die Lieferungen nach dem ermäßigten Steuersatz. Demgegenüber ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) im Anschluss an eine Außenprüfung davon aus, dass der Regelsteuersatz anzuwenden sei.
Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2012, 1404 veröffentlichten Urteil statt. Bei den Lieferungen handele es sich um eine Leistung aus der Tätigkeit als Zahntechniker, so dass § 12 Abs. 2 Nr. 6 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der in den Streitjahren (2003 bis 2005) geltenden Fassung anzuwenden sei. Berufstypisch für die Tätigkeit als Zahntechniker sei nicht nur die Herstellung von Zahnprothesen, sondern auch die Fertigung von Epithesen.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, für die es die Verletzung materiellen Rechts anführt. Die Tätigkeiten des Klägers seien nicht als berufstypische Leistungen der Zahntechniker nach der Verordnung über das Berufsbild und über die Prüfungsanforderungen im praktischen und im fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung für das Zahntechniker-Handwerk vom 27. Februar 1980 (BGBl I 1980, 261) bzw. ab 1. Juli 2007 der Verordnung über das Meisterprüfungsberufsbild und über die Prüfungsanforderungen in den Teilen I und II der Meisterprüfung im Zahntechniker-Handwerk Zahntechnikermeisterverordnung (ZahntechMstrV) vom 8. Mai 2007 (BGBl I 2007, 687) anzusehen.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen und regt an, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorzulegen.Das FG habe zutreffend entschieden, da die Aufzählung in § 2 ZahntechMstrV nicht abschließend sei. Zudem ergebe sich die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes aus § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der Anlage 2 Nr. 52 Buchst. d zum UStG, da die Beatmungsmasken nach Unterpos. 9021 90 des Zolltarifs (ZT) einzureihen seien. Eine dem entgegen stehende Zolltarifauskunft sei für Zwecke der Umsatzsteuer nicht bindend. Hilfsweise sei dem EuGH die Frage vorzulegen, ob die Herstellung individuell für einzelne Patienten maßgefertigter Beatmungsmasken im Rahmen der Berufsausübung der Zahntechniker erfolge. Zudem sei die Besteuerung nach dem allgemeinen Steuersatz verfassungswidrig, da er ansonsten seine Leistungen zu einem höheren Preis als andere Zahntechniker anbieten müsse. Dies verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die Anwendung des Regelsteuersatzes verletze ihn auch in seiner durch Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützten Berufsfreiheit.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Entgegen dem Urteil des FG handelt es sich nicht um Leistungen aus der Tätigkeit als Zahntechniker i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG. Die Sache ist nicht spruchreif. Im Hinblick auf eine mögliche Anwendung des ermäßigten Steuersatzes aufgrund der zolltariflichen Einordnung sind im zweiten Rechtsgang noch weitere Feststellungen zu treffen.
1. Die vom Kläger ausgeführten Lieferungen unterliegen nicht § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG. Die nach dieser Vorschrift erforderliche Leistung aus der Tätigkeit als Zahntechniker gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG setzt voraus, dass es sich um eine sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG) oder um die Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG) von Zahnersatz handelt. Die Steuersatzermäßigung erfasst nicht die Lieferung anderer Gegenstände wie z.B. von Beatmungsmasken.
a) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG ermäßigt sich in den Streitjahren die Steuer für "die Leistungen aus der Tätigkeit als Zahntechniker sowie die in § 4 Nr. 14 Satz 4 Buchstabe b bezeichneten Leistungen der Zahnärzte".
Die Vorschrift beruht in den Streitjahren 2003 bis 2005 unionsrechtlich auf Art. 28 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anlage E Nr. 2 i.V.m. Art. 13 Teil A Buchst. e der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach waren die Mitgliedstaaten berechtigt, auf "die Dienstleistungen, die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung erbringen, sowie die Lieferungen von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker" einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden.
Aufgrund richtlinienkonformer Auslegung entsprechend Art. 28 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anlage E Nr. 2 i.V.m. Art. 13 Teil A Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG sind nur Dienstleistungen (Art. 6 der Richtlinie 77/388/EWG) und damit nur sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG), die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung erbringen, als Leistungen aus der Tätigkeit als Zahntechniker i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG anzusehen. Handelt es sich demgegenüber um eine Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG und Art. 5 der Richtlinie 77/388/EWG), ist die Regelung nur anzuwenden, wenn es sich um die Lieferung von Zahnersatz handelt, so dass die Lieferung anderer Gegenstände von dieser Vorschrift nicht erfasst wird. Hierfür spricht neben dem allgemeinen Grundsatz enger Auslegung von Ausnahmetatbeständen, dass Vorschriften des nationalen Rechts auch dann eng auszulegen sind, wenn sie ansonsten nicht der Richtlinie entsprechen (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 8. März 2012 V R 14/11, BFHE 237, 279, BStBl II 2012, 630, unter II.2.c bb).
b) Im Streitfall hat der Kläger Beatmungsmasken hergestellt und geliefert. Es handelt sich nicht um eine "Zurichtung" von Gegenständen, die vom Leistungsempfänger mitgebracht werden und die als sonstige Leistung anzusehen sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 9. Juni 2005 V R 50/02, BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98 zur orthopädischen Zurichtung der vom Kunden mitgebrachten Konfektionsschuhe). Die Lieferungen durch den Kläger unterliegen somit nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG, da es sich bei den Beatmungsmasken nicht um Zahnersatz handelt.
c) Die gegen die Anwendung des Regelsteuersatzes gerichteten Einwendungen des Klägers greifen nicht durch.
aa) Die Anwendung des Regelsteuersatzes ist nicht verfassungswidrig. Wie der Senat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bereits ausdrücklich entschieden hat, ist das nationale Recht, soweit es auf der Umsetzung europäischer Richtlinien als sekundärem Unionsrecht beruht, grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte des GG zu überprüfen, sondern unterliegt dem auf Unionsrechtsebene gewährleisteten Grundrechtsschutz. Lediglich soweit der nationale Gesetzgeber über einen Spielraum bei der Umsetzung von sekundärem Unionsrecht verfügt, ist er an die Vorgaben des GG gebunden und unterliegt insoweit in vollem Umfang der verfassungsrechtlichen Überprüfung (BFH-Urteil vom 22. Juli 2010 V R 4/09, BFHE 231, 260, BStBl II 2013, 590, unter II.4.e; vgl. hierzu auch den BVerfG-Beschluss vom 20. März 2013 1 BvR 3063/10, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2013, 535, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2013, 818, mit dem eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Senatsurteil nicht zur Entscheidung angenommen wurde).
Im Streitfall lässt das sekundäre Unionsrecht keine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes zu, so dass für das nationale Recht bei der Frage, ob Lieferungen, die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung ausführen, einem ermäßigten Steuersatz unterliegen, kein Umsetzungsspielraum besteht. Im Übrigen kommt ein Gleichheitsverstoß schon deshalb nicht in Betracht, weil nicht nur die Lieferung von Beatmungsmasken durch den Kläger, sondern auch die Lieferung von Beatmungsmasken durch andere Zahntechniker dem Regelsteuersatz unterliegt.
bb) Einer Vorlage an den EuGH bedarf es nicht, da die Herstellung von Beatmungsmasken umsatzsteuerrechtlich eine Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG) ist, die nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anlage E Nr. 2 i.V.m. Art. 13 Teil A Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG vom Anwendungsbereich des ermäßigten Steuersatzes ausgeschlossen ist.
cc) Aus diesem Grund kam es auch nicht auf das Beweisangebot des Klägers zum Berufsbild des Zahntechnikers in der mündlichen Verhandlung vor dem FG an. Sind Lieferungen von der Steuersatzermäßigung ausgeschlossen, können auch Überlegungen zum Berufsbild des Zahntechnikers eine Steuersatzermäßigung der Lieferung nicht begründen.
2. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; das Urteil ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat ‑‑ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt zu Recht‑‑ keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Voraussetzungen für eine ermäßigte Besteuerung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 52 Buchst. d der Anlage 2 zum UStG vorliegen. Insoweit wird im zweiten Rechtsgang zu berücksichtigen sein, dass sich gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG die Steuer auf 7 % für die Lieferungen der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände ermäßigt. Zu diesen Gegenständen gehören nach Nr. 52 Buchst. d der Anlage 2 zum UStG Schwerhörigengeräte, Herzschrittmacher und andere Vorrichtungen zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen, zum Tragen in der Hand oder am Körper oder zum Einpflanzen in den Organismus, ausgenommen Teile und Zubehör aus den Unterpos. 9021.40 und 9021.50 sowie aus Unterpos. 9021.90 ZT.
Ohne dass dabei eine Bindung an die im Streitfall erteilte und nur für Zollzwecke verbindliche Zolltarifauskunft besteht, kann die zollrechtliche Einreihung aber nicht nach diesen Tarifpositionen erfolgen, wenn die vom Kläger hergestellten Beatmungsmasken zolltarifrechtlich der Pos. 9019 unterliegen, die für Apparate und Geräte für Ozontherapie, Sauerstofftherapie oder Aerosoltherapie, Beatmungsapparate zum Wiederbeleben und andere Apparate und Geräte für Atmungstherapie gilt. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS), die nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH sowie des BFH (z.B. BFH-Urteil vom 5. Februar 2013 VII R 37/11, BFH/NV 2013, 790, m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung) zwar nicht bindende, jedoch wichtige und bei der tariflichen Einreihung zu berücksichtigende Hilfsmittel sind, um eine einheitliche Anwendung des ZT zu gewährleisten, gehören hierzu Apparate und Geräte für Patienten, die unter unzureichender Thoraxkapazität leiden (ErlHS Nr. 25.0 zu Pos. 9019 der Kombinierten Nomenklatur ‑‑KN‑‑). Diese Tarifposition ist auch auf Teile und Zubehör für diese Apparate und Geräte anzuwenden (ErlHS Nr. 37.0 zu Pos. 9019 KN). Hierzu sind im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.