BFH VI. Senat
EStG § 11 Abs 1 S 1, EStG § 19 Abs 1 S 1 Nr 1, BGB § 133, BGB § 157, EStG § 6 Abs 1 Nr 5, KStG § 8 Abs 1
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 12. Oktober 2011, Az: 1 K 83/11
Leitsätze
Wird die arbeitsvertragliche Zusage von Weihnachts- und Urlaubsgeld vor dem Zeitpunkt der Entstehung dieser Sonderzuwendungen einvernehmlich aufgehoben, kann dem Arbeitnehmer weder Arbeitslohn über die Grundsätze des Zuflusses von Einnahmen bei einem beherrschenden Gesellschafter zufließen noch kann der Arbeitnehmer insoweit eine zuflussbegründende verdeckte Einlage bewirken.
Tatbestand
I.
Streitig ist der Zufluss vertraglich zugesagten, jedoch seit mehreren Jahren nicht zur Auszahlung gebrachten Urlaubs- und Weihnachtsgelds.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren 1999 bis 2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Die Kläger waren zu jeweils 50 % an einer GmbH beteiligt. Während der Kläger als Geschäftsführer der GmbH tätig war, war die Klägerin als kaufmännische Angestellte bei der GmbH beschäftigt. Im Jahr 1997 vereinbarten die Kläger jeweils mit der GmbH die Gewährung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Dieses wurde in den Streitjahren 1999 bis 2002 nicht ausgezahlt. In der Bilanz der GmbH wurden auch keine entsprechenden Passivposten gebildet.
In den Einkommensteuererklärungen gaben die Kläger Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit ohne den Bezug von Urlaubs- oder Weihnachtsgeld an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) veranlagte die Kläger erklärungsgemäß.
Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH ging das FA davon aus, dass den Klägern das Urlaubs- und das Weihnachtsgeld in den Streitjahren 1999 bis 2002 jeweils bereits mit Fälligkeit zugeflossen sei. Es erließ entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide.
Der nach erfolglosen Einspruchsverfahren erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1543 veröffentlichten Gründen stattgegeben.
Mit der zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass den Klägern das streitbefangene, nicht ausgezahlte Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht zugeflossen ist.
1. Der Zufluss i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes tritt mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ein; das ist in der Regel der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs oder der Möglichkeit, den Leistungserfolg herbeizuführen (Senatsurteile vom 3. Februar 2011 VI R 4/10, BFHE 232, 501; VI R 66/09, BFHE 232, 497; jeweils m.w.N.).
a) Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen dementsprechend regelmäßig dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Jedoch kann auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldbuchverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck kommt, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (Senatsurteil in BFHE 232, 501, m.w.N.).
b) Da sich die Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht nach den tatsächlichen Verhältnissen richtet, kann das Zufließen grundsätzlich nicht fingiert werden (Senatsurteil in BFHE 232, 501). Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung hiervon lediglich bei beherrschenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft. Bei diesen wird angenommen, dass sie über eine von der Gesellschaft geschuldete Vergütung bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit verfügen können und ihnen damit entsprechende Einnahmen zugeflossen sind (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; vom 16. November 1993 VIII R 33/92, BFHE 174, 322, BStBl II 1994, 632). Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion (Senatsurteil in BFHE 232, 501) nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung ihres Einkommens ausgewirkt haben (Senatsurteil in BFHE 232, 501; BFH-Urteil vom 11. Februar 1965 IV 213/64 U, BFHE 82, 440, BStBl III 1965, 407).
c) Überdies kann der Verzicht des Gesellschafters auf seinen Vergütungsanspruch zum Zufluss des Forderungswerts führen, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage erbracht wird (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307, m.w.N.).
aa) Eine verdeckte Einlage liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Gesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet, ohne dass der Gesellschafter hierfür neue Gesellschaftsanteile erhält, und wenn diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat. Letztere Voraussetzung ist gegeben, wenn ein Nichtgesellschafter der Gesellschaft den Vermögensvorteil bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht eingeräumt hätte (BFH-Urteil vom 20. Juli 2005 X R 22/02, BFHE 210, 345, BStBl II 2006, 457, m.w.N.).
bb) Als verdeckte Einlagen sind nur Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der Kapitalgesellschaft vermehrt haben, sei es durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens (BFH-Urteil vom 6. November 2003 IV R 10/01, BFHE 204, 438, BStBl II 2004, 416, m.w.N.). Ob als Voraussetzung für eine verdeckte Einlage das Vermögen der Kapitalgesellschaft durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens oder durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens vermehrt ist, bestimmt sich nach Bilanzrecht (BFH-Urteile vom 24. Mai 1984 I R 166/78, BFHE 141, 176, BStBl II 1984, 747; vom 22. November 1983 VIII R 133/82, BFHE 140, 69; vom 22. November 1983 VIII R 37/79, BFHE 140, 63). Insofern ist maßgeblich, inwieweit Bilanzposten in eine Bilanz hätten eingestellt werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden wäre (vgl. BFH-Urteil in BFHE 141, 176, BStBl II 1984, 747).
2. Nach diesen Maßstäben fehlt es an einem Zufluss des streitbefangenen Urlaubs- und Weihnachtsgelds.
a) Zu Recht ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass den Klägern die streitbefangenen Sonderzuwendungen tatsächlich nicht zugeflossen sind.
b) Überdies greifen auch die Grundsätze über den Zufluss von Einnahmen bei einem beherrschenden Gesellschafter nicht.
aa) Die Kläger waren in den Streitjahren schon keine beherrschenden Gesellschafter der GmbH. Denn sie waren nach den nicht angefochtenen Feststellungen des FG lediglich zu 50 % am Stammkapital der GmbH beteiligt und besaßen keine Stimmrechtsmehrheit. In einem solchen Fall ist der Gesellschafter kein beherrschender (vgl. Senatsurteil in BFHE 232, 501, m.w.N.). Eine beherrschende Stellung eines GmbH-Gesellschafters liegt im Regelfall vor, wenn der Gesellschafter die Mehrheit der Stimmrechte besitzt und deshalb bei Gesellschafterversammlungen entscheidenden Einfluss ausüben kann. Im Allgemeinen ist das erst der Fall, wenn der Gesellschafter, der durch Leistungen der Kapitalgesellschaft Vorteile erhält, mehr als 50 % der Stimmrechte hat (vgl. Senatsurteil in BFHE 232, 501, m.w.N.).
Hält ein Gesellschafter ‑‑wie im Streitfall die Kläger‑‑ nicht mehr als 50 % der Gesellschaftsanteile, kann er nach ständiger Rechtsprechung einem beherrschenden Gesellschafter gleichgestellt werden, wenn er mit anderen gleichgerichtete materielle, d.h. finanzielle Interessen verfolgenden Gesellschaftern zusammenwirkt, um eine ihren Gesellschafterinteressen entsprechende Willensbildung der Kapitalgesellschaft herbeizuführen; allein der Umstand, dass die Gesellschafter Eheleute sind, kann eine entsprechende Vermutung aber nicht begründen (Senatsurteil in BFHE 232, 501, m.w.N.). Das FG hat einen Interessengleichklang der Kläger deshalb verneint, weil jeder Gesellschafter etwaige gegen die GmbH bestehende Gehaltsansprüche letztlich aus eigenem Recht durchsetzen könne und sonstige für gleichgerichtete Interessen sprechende tatsächliche Anhaltspunkte nicht ersichtlich seien. Diese Würdigung verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze; sie ist daher für das Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend.
bb) Zudem fehlt es auf Grundlage der insoweit bindenden Feststellungen des FG an einer Forderung, die hätte fällig werden können.
Der zunächst arbeitsvertraglich eingeräumte Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld bestand in den Streitjahren 1999 bis 2002 nicht mehr; er ist mindestens konkludent aufgehoben worden. Denn das FG hat insoweit festgestellt, dass die streitigen Sonderzuwendungen dem Arbeitnehmer über mehrere Jahre hinweg unverändert weder ausbezahlt noch in der GmbH als Aufwand erfasst worden sind. Es hat diesen Vorgang sodann nicht als einen Buchungsfehler, sondern als ein planvolles Vorgehen der Beteiligten gewürdigt und darin letztlich einen konkludenten Verzicht auf die Sonderzuwendung gesehen. Dieser Beurteilung und Würdigung entspricht auch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung. Denn danach kann die widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer nach einem Änderungsangebot des Arbeitgebers gemäß §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs als Annahme der Vertragsänderung gesehen werden, wenn diese sich ‑‑wie hier durch die mehrjährige Nichtauszahlung der Sonderzuwendungen‑‑ unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt. Dann ist die widerspruchslose Weiterarbeit als Einverständnis mit der angebotenen Vertragsänderung anzusehen; setzt der Arbeitnehmer seine Tätigkeit dennoch widerspruchslos fort, darf der Arbeitgeber dies als Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Vertragsänderung verstehen (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 1. August 2001 4 AZR 129/00, BAGE 98, 293, m.w.N.). Bestand mithin deshalb in den Streitjahren 1999 bis 2002 zugunsten der Kläger schon kein Anspruch auf die Gewährung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld, fehlte es bereits an einer von der Gesellschaft geschuldeten Vergütung, über die im Zeitpunkt der Fälligkeit die Kläger hätten verfügen können.
c) Damit konnten die Kläger zugleich keine einen Zufluss begründende verdeckte Einlage bewirken. Denn aufgrund der einvernehmlichen Aufhebung des Anspruchs auf Sonderzuwendungen vor seiner Entstehung konnte darüber kein Erlassvertrag geschlossen werden.
d) Anders als es das FA meint, lässt sich der Senatsentscheidung in BFHE 232, 501 nicht entnehmen, dass der Zufluss von Vergütungsansprüchen des Gesellschafters über eine verdeckte Einlage bereits dann ausgeschlossen ist, wenn diese Ansprüche entgegen dem Bilanzrecht nicht in den Büchern der Gesellschaft berücksichtigt wurden. Denn in diesem Verfahren fehlten bereits Feststellungen dazu, ob die Gesellschafter auf ihnen zustehende Vergütungsansprüche verzichteten und dadurch einen bilanzierbaren Vermögensvorteil zuwandten.