BFH XI. Senat
UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 S 1, UStG § 15 Abs 2 S 1 Nr 1, UStG § 15 Abs 4 S 2, EWGRL 388/77 Art 2 Nr 1, EWGRL 388/77 Art 17 Abs 2 Buchst a, EWGRL 388/77 Art 17 Abs 5, EWGRL 388/77 Art 19 Abs 1, EWGRL 388/77 Art 19 Abs 3
vorgehend FG München, 29. Juni 2010, Az: 3 K 1532/08
Leitsätze
1. Stehen die von einem Unternehmer für sein Unternehmen bezogenen Vorleistungen zwar in keinem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, gehören die Kosten dieser Leistungen aber zu den allgemeinen Aufwendungen seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit und führt diese ausschließlich zu steuerpflichtigen Umsätzen, so kann der Unternehmer die für die Vorleistungen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen .
2. Eine Aufteilung der Vorsteuer nach § 15 Abs. 4 UStG setzt voraus, dass der Unternehmer die bezogenen Vorleistungen sowohl für Umsätze verwendet, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht. Dabei ist auf die Verhältnisse der gesamten Umsätze im Besteuerungszeitraum abzustellen .
Tatbestand
I.
Streitig ist der Umfang des Vorsteuerabzugs der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer Kapitalgesellschaft, im Streitjahr 2005. Gegenstand ihres Unternehmens ist die Vermittlung von Anteilen an Publikumsgesellschaften sowie die Erstellung von Anlegerinformationen für Publikumsgesellschaften. In den Jahren 2001 bis 2004 führte sie u.a. gemäß § 4 Nr. 8 Buchst. f des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfreie Umsätze aus der Vermittlung von Anteilen an vier Medienfonds aus und tätigte insgesamt folgende Umsätze:
2001
2002
2003
2004
€
€
€
€
steuerpflichtige Umsätze
...
...
...
...
steuerfreie Umsätze
...
...
...
...
Anteil steuerfreier Umsätze am Gesamtumsatz
76 %
79 %
89 %
87 %
In ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Januar bis August 2005 machte sie jeweils einen Vorsteuerabzug in Höhe von lediglich 5 % der angefallenen Vorsteuerbeträge geltend. Nachdem sich aufgrund von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im September 2005 herausstellte, dass die Auflage zweier weiterer Medienfonds und die geplante Vermittlung von Fondsanteilen hieran nicht mehr zustande kommen würden und nur noch steuerpflichtige Umsätze erzielt werden würden, holte die Klägerin den bisher nicht geltend gemachten Vorsteuerabzug (95 %) mit der am 12. Oktober 2005 eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung für September 2005 nach.
In ihrer Umsatzsteuererklärung für 2005 vom 24. April 2007 erklärte sie ausschließlich steuerpflichtige Umsätze in Höhe von ... € und machte Vorsteuerbeträge in Höhe von ... € geltend; die Umsatzsteuer errechnete sie mit dem negativen Betrag von ... €.
Mit Bescheid vom 12. November 2007 änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Schätzungsbescheid vom 30. April 2007 und setzte die Umsatzsteuer für 2005 auf den negativen Betrag von ... € fest. Dabei legte das FA abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von ... € zugrunde. Da der Vorsteuerabzug dem Grunde und der Höhe nach bereits beim Leistungsbezug entstehe, komme es auf die Verwendungsabsicht in diesem Zeitpunkt an. Nach den Voranmeldungen für Januar bis August 2005 habe die Klägerin ihre Eingangsleistungen zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs zu 95 % steuerfreien Umsätzen zugeordnet. Von den in der Umsatzsteuererklärung für 2005 geltend gemachten Vorsteuern in Höhe von ... € seien daher die von der Klägerin in den Voranmeldungen für Januar bis August 2005 nicht abgezogenen Vorsteuern in Höhe von ... € nicht zum Abzug zuzulassen. In einem weiteren Änderungsbescheid vom 19. Februar 2010 kürzte das FA den Vorsteuerabzug um ... € und setzte die Umsatzsteuer 2005 auf den negativen Betrag von ... € fest.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, die dem Vorsteuerabzug zugrunde gelegten Kosten stellten nahezu ausschließlich allgemeine Verwaltungskosten dar, die nicht direkt steuerpflichtigen oder steuerfreien Umsätzen zugeordnet werden könnten. Sie seien deshalb zum Jahresende entsprechend den tatsächlich ausgeführten Umsätzen aufzuteilen. Da sie im Streitjahr 2005 ausschließlich steuerpflichtige Ausgangsumsätze ausgeführt habe, sei die Vorsteuer in vollem Umfang zum Abzug zuzulassen. Außerdem habe sie beabsichtigt, gemäß § 9 Abs. 1 i.V.m. § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG auf die Steuerbefreiung zu verzichten.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) stimmten die Beteiligten darin überein, dass es sich bei den Leistungsbezügen der Klägerin um Aufwendungen handele, die nicht direkt und unmittelbar bestimmten Ausgangsumsätzen zugeordnet werden könnten.
Das FG wies die Klage ab (die Entscheidung ist abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1828). Die dem Vorsteuerabzug zugrunde liegenden Eingangsleistungen seien nur in Höhe eines Anteils von 5 % steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen zuzurechnen. Denn in die gemäß § 15 Abs. 4 UStG vorzunehmende Vorsteueraufteilung seien bei richtlinienkonformer Auslegung nicht nur die tatsächlich getätigten (steuerpflichtigen), sondern auch die nur beabsichtigten (steuerfreien) Umsätze einzubeziehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) sei für die Entstehung und den Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug maßgebend, ob der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Leistungsbezugs die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hatte, mit den Eingangsleistungen Umsätze auszuführen, für die der Vorsteuerabzug zugelassen ist. Diese Grundsätze zum sog. Sofortabzug müssten auch dann ‑‑entsprechend‑‑ angewandt werden, wenn die Ausführung steuerfreier Umsätze beabsichtigt sei. Zum Zeitpunkt des Bezugs der Leistungen habe die Klägerin ausweislich ihrer Voranmeldungen für Januar bis August 2005 beabsichtigt, zu 95 % steuerfreie Umsätze auszuführen. Für die Absicht, gemäß § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerfreiheit dieser Umsätze i.S. des § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG zu verzichten, habe sie keine objektiven Anhaltspunkte dargetan.
Mit ihrer Revision trägt die Klägerin u.a. vor:
Ein Unternehmer wisse regelmäßig nicht, wie sich die umsatzsteuerpflichtigen zu den umsatzsteuerfreien Umsätzen in einem Jahr und erst recht über mehrere Jahre hinaus entwickelten. Sie habe dementsprechend, entgegen der Annahme des FG, in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Januar bis August 2005 keine ‑‑bei den vorliegenden Eingangsleistungen im Übrigen gar nicht mögliche‑‑ Zuordnung vorgenommen. Die Nichtgeltendmachung eines pauschalen Betrags von Vorsteuern (95 %) habe ‑‑entsprechend dem vom FA anerkannten Verhalten in den Vorjahren‑‑ darauf beruht, dass sie die spätere (tatsächliche) Ausführung auch steuerfreier Umsätze erwartet und dementsprechend aufgeteilt habe, um einen zu hohen Vorsteuerabzug zu vermeiden. Stets sei aber eine Aufteilung nach dem Verhältnis der tatsächlichen steuerpflichtigen zu den tatsächlichen steuerfreien Umsätzen beabsichtigt gewesen. Im September 2005 habe man den Vorsteuerabzug der absehbaren Situation angepasst.
Da die Vorsteueraufteilung vor Ablauf des Jahres nicht nach dem aktuellen Jahres-Umsatzschlüssel möglich sei, müsse die Aufteilung zunächst unter Heranziehung des Vorjahres geschätzt werden. Sie müsse aber nach Ablauf des Jahres berichtigt werden. Denn der Aufteilungsmaßstab des § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG gehe nicht von beabsichtigten, sondern von erzielten Umsätzen aus.
Das FG-Urteil sei elementar widersprüchlich. Es gehe zwar davon aus, die Eingangsleistungen seien nicht bestimmten Umsätzen zurechenbar und müssten deshalb nach dem Verhältnis der erst am Jahresende feststellbaren tatsächlichen Jahres-Ausgangsumsätze aufgeteilt werden, nehme aber gleichwohl bereits während des Jahres eine endgültige Zuordnung vor. Es verkenne, dass der Grundsatz des Sofortabzugs im Sinne einer direkten Zuordnung bei der pauschalen Aufteilung von Eingangsleistungen, die als Verwaltungsgemeinkosten nicht bestimmten Ausgangsumsätzen zurechenbar seien, nicht anwendbar sei.
Das FG führe das Novum ein, nach dem Verhältnis der tatsächlichen steuerpflichtigen zu den beabsichtigten steuerfreien Umsätzen aufzuteilen. Das sei weder quantifizierbar noch seriös zu schätzen noch habe das FG entsprechende Zahlen dargelegt. Auch sei das im Jahr 2005 erzielbare Volumen der beiden neuen Fonds ganz ungewiss gewesen.
Eine Option durch Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnungen sei mangels Leistungserbringung zwar noch nicht möglich gewesen; ein Beweisanzeichen für die Optionsabsicht ‑‑wie es das FG verlangt habe‑‑ sei aber in der Voranmeldung für September 2005 zu sehen. Dass die Optionsabsicht nicht zügiger umgesetzt worden sei, liege an den damals drängenden Problemen u.a. infolge der Steuerfahndung.
Das FA sei zunächst von einer direkten Zuordnung der Eingangsleistungen zu bestimmten Ausgangsumsätzen ausgegangen und habe erst in der mündlichen Verhandlung zugestimmt, dass dies nicht möglich sei. Dass das FG die pauschale Aufteilung dann überraschend nach beabsichtigten und damit fiktiven Umsätzen vorgenommen habe und ohne die Grundlagen dafür vorher intensiv zu ermitteln, sei nicht abzusehen gewesen und habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung sowie die Einspruchsentscheidung vom 9. April 2008 aufzuheben und die Umsatzsteuer für 2005 unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids vom 19. Februar 2010 auf den negativen Betrag von ... € festzusetzen.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen,
hilfsweise die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.Es ist der Auffassung, in die Aufteilung nach § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG seien auch beabsichtigte Umsätze einzubeziehen. Denn das Recht auf Vorsteuerabzug entstehe "durch die Absicht zur Verwendung für steuerpflichtige Ausgangsleistungen anhand der Sofortentscheidung des Unternehmers". Das gelte in gleicher Weise für die beabsichtigte Ausführung steuerfreier Leistungen und auch für Gemeinkosten wie hier, die den Ausgangsumsätzen nicht unmittelbar zuzurechnen seien. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid für 2005 folge lediglich der beim Leistungsbezug von der Klägerin in die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Januar bis August 2005 dokumentierten Prognoseentscheidung. Eine Berücksichtigung nachträglich geänderter Verhältnisse sowie ein nachträglicher Wechsel des Aufteilungsschlüssels kämen nicht in Betracht. Eine Optionsabsicht habe die Klägerin im Übrigen nicht durch objektive Anhaltspunkte belegt.
Die getätigten Aufwendungen für die bezogenen Leistungen könnten kein Kostenbestandteil der getätigten Umsätze gewesen sein, denn Letztere hätten niemals kostendeckend sein können. Es sei zu klären, ob für die Aufteilung von Aufwendungen für gemischte Kosten allein die im Veranlagungszeitraum getätigten Umsätze maßgeblich sein könnten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der Klägerin steht der geltend gemachte Vorsteuerabzug zu.
1. a) Ein Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind (Eingangsleistungen), als Vorsteuerbetrag abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet.
Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG kann der Unternehmer die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. Nach § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG ist eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist.
b) Diese Vorschriften beruhen auf Art. 17 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG muss grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Umsätzen der nachfolgenden Stufe, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, bestehen, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Oktober 2009 XI R 82/07, BFHE 227, 238, BStBl II 2010, 247, m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung). Die Aufwendungen für den Bezug der Eingangsleistungen müssen Teil der Kosten der zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze sein, für die die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden (vgl. EuGH-Urteile vom 8. Juni 2000 C-98/98 ‑‑Midland Bank‑‑, Slg. 2000, I-4177, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2000, 342, Rz 20 f. und 30, und vom 6. September 2012 C-496/11 ‑‑Portugal Telecom‑‑, UR 2012, 762, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2012, 1859, Rz 36).
Fehlt ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, kann der Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt sein, wenn die Kosten für die Eingangsleistung zu seinen allgemeinen Aufwendungen gehören und ‑‑als solche‑‑ Bestandteile des Preises der von ihm erbrachten Leistungen sind. Derartige Kosten hängen dann direkt und unmittelbar mit seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammen (vgl. EuGH-Urteile vom 29. Oktober 2009 C-29/08 ‑‑SKF‑‑, Slg. 2009, I-10413, BFH/NV 2009, 2099, Rz 58, und in UR 2012, 762, DStR 2012, 1859, Rz 37; vom 21. Februar 2013 C-104/12 ‑‑Becker‑‑, Amtsblatt der Europäischen Union Nr. C 114, 20, DStR 2013, 411, UR 2013, 220; BFH-Urteil vom 6. Mai 2010 V R 29/09, BFHE 230, 263, BStBl II 2010, 885, Rz 22, m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung). Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist dann aber, dass die wirtschaftliche Tätigkeit zu Umsätzen führt, die zum Vorsteuerabzug berechtigen.
Gegenstände und Dienstleistungen, die der Steuerpflichtige einzig und allein für wirtschaftliche Tätigkeiten verwendet, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, fallen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 17 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG, sondern unter die Vorsteuerabzugsregelung des Art. 17 Abs. 2 dieser Richtlinie (EuGH-Urteil ‑‑Portugal Telecom‑‑ in UR 2012, 762, DStR 2012, 1859, Rz 41, 45).
2. Hiernach kann die Klägerin die gesetzlich geschuldete Steuer für die im Streitjahr bezogenen Lieferungen und sonstigen Leistungen als Vorsteuer abziehen.
Nach den für den Senat bindenden und unstreitigen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) stehen die von der Klägerin für ihr Unternehmen bezogenen Eingangsleistungen zwar in keinem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu einem oder mehreren Ausgangsumsätzen. Die Kosten dieser Leistungen gehören aber zu den allgemeinen Aufwendungen der Klägerin und sind ‑‑als solche‑‑ Bestandteile des Preises der von ihr erbrachten Leistungen. Die Kosten hängen damit direkt und unmittelbar mit ihrer wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammen.
Die Klägerin erfüllte im Streitjahr auch die weitere Voraussetzung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG, dass ihre wirtschaftliche Gesamttätigkeit ‑‑nach den ebenfalls unstreitigen Feststellungen des FG‑‑ ausschließlich zu steuerpflichtigen Umsätzen führte, die zum Vorsteuerabzug berechtigten (vgl. dazu EuGH-Urteile ‑‑Midland Bank‑‑ in Slg. 2000, I-4177, UR 2000, 342, Rz 20 f. und 30, und ‑‑Portugal Telecom‑‑ in UR 2012, 762, DStR 2012, 1859, Rz 41 und 45, sowie BFH-Urteile in BFHE 230, 263, BStBl II 2010, 885, Rz 22, m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung; in BFHE 227, 238, BStBl II 2010, 247).
3. Für eine Aufteilung (Zurechnung) der Vorsteuer nach § 15 Abs. 4 UStG besteht entgegen der Vorinstanz kein Anlass, weil die Klägerin im Streitjahr ausschließlich steuerpflichtige und damit zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze ausgeführt hat.
a) Die Regelung zur Aufteilung der Vorsteuer in Art. 17 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG greift nach ihrem klaren Wortlaut nur dann ein, wenn der Steuerpflichtige die bezogenen Vorleistungen sowohl für Umsätze verwendet, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht. Ebenso betrifft § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG nur den Vorsteuerabzug aus solchen bezogenen Leistungen, die der Unternehmer zum Teil zur Ausführung von Umsätzen verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen. Derartige Umsätze hat die Klägerin aber nicht ausgeführt. Die vom FG vorgenommene "anteilige Zurechnung" der bezogenen Vorleistungen zu nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätzen ist im Streitfall somit schon vom Ansatz her nicht möglich.
b) Dem FG kann auch nicht darin gefolgt werden, dass es für die im Streitjahr 2005 abziehbaren Vorsteuerbeträge auf die von der Klägerin in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Januar bis August 2005 vorgenommene "Zurechnung" ankomme.
aa) Bei der Aufteilung der Vorsteuern aus bezogenen Gemeinkosten ist gemäß § 15 Abs. 4 UStG regelmäßig auf die Verhältnisse der gesamten Umsätze im Besteuerungszeitraum abzustellen. Eine solche Aufteilung ist erst in der gemäß § 18 Abs. 3 UStG abzugebenden (Jahres-)Steuererklärung durchzuführen. Denn die Jahressteuerfestsetzung nimmt materiell-rechtlich den Inhalt der Steuerfestsetzungen für die Voranmeldungszeiträume in sich auf und die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide verlieren ihre Wirksamkeit. Die Vorläufigkeit der Umsatzsteuer-Voranmeldungen zeigt sich auch daran, dass diese keiner materiellen Bestandskraft in dem Sinne fähig sind, dass ‑‑mit gegenüber dem Jahressteuerbescheid durchsetzbarer Verbindlichkeit‑‑ über das Bestehen einer Umsatzsteuerschuld entschieden wird. Das endgültige materiell-rechtliche Schicksal der Vorauszahlungsschuld hängt daher grundsätzlich von der Festsetzung der Jahresumsatzsteuer ab (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 2011 V R 21/10, BFHE 234, 531, BFH/NV 2012, 143, unter II.1.d aa, m.w.N.).
bb) Dies steht in Übereinstimmung mit Art. 19 der Richtlinie 77/388/EWG. Nach Abs. 3 Unterabs. 1 i.V.m. Abs. 1 der Regelung bemisst sich der für ein Jahr geltende Pro-rata-Satz zwar vorläufig nach dem auf der Grundlage der Umsätze des vorangegangenen Jahres ermittelten Prorata-Satz. Nach Abs. 3 Unterabs. 2 führt aber die Festsetzung des endgültigen Pro-rata-Satzes, die für jedes Jahr im Laufe des folgenden Jahres vorgenommen wird, zur Berichtigung der nach dem vorläufigen Pro-rata-Satz vorgenommenen Vorsteuerabzüge.
Entgegen der Auffassung des FG kommt es danach bei unionsrechtskonformer Auslegung nicht auf die jeweiligen Voranmeldungszeiträume an. Abzustellen ist vielmehr auf den Veranlagungszeitraum insgesamt und die für diesen Zeitraum im Nachhinein festzustellenden Verhältnisse.
cc) Nur dies gewährleistet das Grundprinzip des Mehrwertsteuersystems, nach dem die Mehrwertsteuer auf jeden Produktions- oder Vertriebsvorgang erhoben wird, abzüglich der Mehrwertsteuer, mit der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet worden sind (EuGH-Urteil ‑‑Midland-Bank‑‑ in Slg. 2000, I-4177, UR 2000, 342, Rz 29). Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (EuGH-Urteil vom 22. Februar 2001 C-408/98 ‑‑Abbey National‑‑, Slg. 2001, I-1361, BFH/NV Beilage 2001, 48, Rz 24, m.w.N.).
Dieser Grundsatz würde aber in einem Fall wie diesem verletzt, wenn die Vorsteuerbelastung einer Eingangsleistung allein deshalb (endgültig) nicht abgezogen werden dürfte, weil zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs ein steuerfreier Ausgangsumsatz beabsichtigt war, obwohl die Vorleistung im selben Besteuerungszeitraum i.S. des § 18 Abs. 3 UStG ‑‑regelmäßig dem Kalenderjahr‑‑ tatsächlich in einen besteuerten Ausgangsumsatz eingegangen ist.
c) Aus den Urteilen des EuGH zum sog. Sofortabzug (vgl. z.B. Urteile vom 14. Februar 1985 C-268/83 ‑‑Rompelman‑‑, Slg. 1985, 655; vom 29. Februar 1996 C-110/94 ‑‑INZO‑‑, Slg. 1996, I-857, Rz 15; vom 15. Januar 1998 C-37/95 ‑‑Ghent Coal Terminal‑‑, Slg. 1998, I-1, UR 1998, 149, sowie vom 8. Juni 2000 C-400/98 ‑‑Breitsohl‑‑, Slg. 2000, I-4321, UR 2000, 329, und C-396/98 ‑‑Schlossstrasse‑‑, Slg. 2000, I-4279, BStBl II 2003, 446), d.h. dazu, dass der Vorsteuerabzug bereits in dem Besteuerungs- bzw. Voranmeldungszeitraum zu gewähren ist, in dem die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG erfüllt sind, ergibt sich nichts anderes.
Diese Urteile betreffen nicht den vorliegenden Sachverhalt, in dem es um nicht zurechenbare Gemeinkosten geht, sondern den Fall, dass der Steuerpflichtige die bezogenen Gegenstände oder Dienstleistungen aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig waren, nicht zu den ursprünglich beabsichtigten Umsätzen verwenden konnte. Mangels durchgeführter Umsätze hat der EuGH auf die beabsichtigten Umsätze abgestellt, um zu gewährleisten, dass das einmal entstandene Recht auf Vorsteuerabzug erhalten bleibt (Urteile ‑‑Ghent Coal Terminal‑‑ in Slg. 1998, I-1, UR 1998, 149, Rz 19 f.; ‑‑Breitsohl‑‑ in Slg. 2000, I-4321, UR 2000, 329, Rz 36 f.; ‑‑Schlossstrasse‑‑ in Slg. 2000, I-4279, BStBl II 2003, 446, Rz 38 f.). Diese Sachverhalte sind nicht mit dem vorliegenden zu vergleichen, in dem ein bereits seit Jahren tätiges Unternehmen seine bisherigen Aktivitäten im Streitjahr teils fortgeführt und teils eingestellt hat und für den Art. 19 der Richtlinie 77/388/EWG eine klare Regelung für den vorläufigen und den endgültigen Vorsteuerabzug enthält.
d) Soweit das FA vorträgt, die Aufwendungen für die bezogenen Leistungen könnten deshalb in dem streitigen Umfang keine Kostenbestandteile der von der Klägerin erbrachten umsatzsteuerpflichtigen Umsätze gewesen sein, weil diese nicht ausgereicht hätten, um die Kosten der getätigten Aufwendungen abzudecken, ist dem bereits deshalb nicht zu folgen, weil es die Möglichkeit eines Verlustes außer Acht lässt.
Im Übrigen soll mit der Formulierung, das Recht auf Abzug der Steuer für die betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen setze voraus, dass die für den Bezug dieser Leistungen getätigten Aufwendungen zu den Kostenelementen der besteuerten Umsätze gehörten, lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass die Kostenelemente in der Regel entstanden sein müssen, bevor der Steuerpflichtige die besteuerten Umsätze ausführt, denen sie zuzurechnen sind (vgl. EuGH-Urteil ‑‑Midland-Bank‑‑ in Slg. 2000, I-4177, UR 2000, 342, Rz 30; BFH-Urteil vom 14. März 2012 XI R 23/10, BFH/NV 2012, 1672, Rz 27; Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 15 Rz 582, m.w.N.).