BFH IX. Senat
EStG § 17 Abs 1 S 1, EStG § 22 Nr 3, EStG VZ 2006
vorgehend FG Köln, 19. Juni 2012, Az: 4 K 295/10
Leitsätze
1. Eine Anwartschaft auf eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist keine Beteiligung und deshalb bei der Bestimmung der Beteiligungshöhe i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht zu berücksichtigen.
2. Erklärt der Steuerpflichtige aufgrund der Zahlung eines Geldbetrags seine Ansprüche aus einem Aktienkauf als abgegolten, ist diese Zahlung nicht nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbar.
Tatbestand
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger sollte mit Aktienkauf- und Übertragungsvertrag vom 28. Juni 1999 zunächst 1 024 Stammaktien der AG zum Nennbetrag von 5 € erwerben (2 % des Kapitals). Die dingliche Übertragung der Aktien sollte lt. folgender Vertragsklausel am 1. Juli 2005 gegen Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 5.120 € erfolgen: "Verkäufer und Käufer sind darüber einig, dass alle Rechte aus den Aktien auch auf rückständige Dividenden - nebst dem - auch anteiligen - Eigentum an etwaigen Aktienurkunden und dem Anspruch auf deren Herausgabe mit Wirkung ab dem 1.7.2005 auf den Käufer übergehen. Das Dividendenbezugsrecht bis zum Jahr 2004 verbleibt ausdrücklich beim Verkäufer. Der Verkäufer stimmt in seiner Eigenschaft als Vorstand der Gesellschaft der vorstehenden Übertragung zu. Der Käufer wird den Übergang bei der Gesellschaft anmelden (§ 68 Abs. 3 AktG)." Lt. AG-Satzung stand die Übertragung von Aktien an Dritte unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Vorstandes.
Vor der Übertragung der Anteile trat der Verkäufer und Mehrheitsaktionär anlässlich eigener Verkaufsverhandlungen seines gesamten Aktienpaketes an den Kläger mit der Bitte heran, die Erfüllung des Vertrages durch Übereignung der Aktien zunächst zurückzustellen. Mit Vertrag vom 28. September 2006 wurden sämtliche Anteile der AG (einschließlich der von dem Kläger gekauften Anteile) zu einem Preis von 14,85 Mio. € zuzüglich eines Besserungsscheins in Höhe von 150.000 € veräußert. Am 5. Oktober 2006 leistete der Verkäufer eine Ausgleichszahlung in Höhe von 300.000 € an den Kläger, die sich nach Auskunft des Klägers der Höhe nach an dem Anteil der von ihm gekauften Anteile am Gesamtkaufpreis für die AG orientierte. Aufgrund dieser Zahlung erklärte der Kläger am 5. Oktober 2006 alle seine Ansprüche aus dem Aktienkauf- und Übertragungsvertrag vom 28. Juni 1999 als abgegolten.
Mit dem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erfasste der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Zahlung von 300.000 € als Einkünfte aus Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑). Mit der Einspruchsentscheidung änderte er die Einkommensteuerfestsetzung dahin, dass er die Ausgleichszahlung von 300.000 € nunmehr unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens (§ 3 Satz 1 Nr. 40c EStG) in Höhe von 150.000 € als Veräußerungsgewinn gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG erfasste. Im Übrigen wies er den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klage hiergegen hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 2022 veröffentlichten Urteil, die zur Abgeltung der Rechte aus dem Aktienkauf- und Übertragungsvertrag an den Kläger geleistete Zahlung in Höhe von 300.000 € sei weder als Veräußerungsgewinn gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG i.V.m. § 3 Satz 1 Nr. 40c EStG noch als Einkünfte aus Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 EStG steuerbar. Auch eine einkommensteuerrechtliche Erfassung der Ausgleichszahlung auf sonstiger Rechtsgrundlage komme nicht in Betracht.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der dieses die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG) rügt. Um der ratio legis des § 17 EStG, den aufgrund der Veräußerung des Geschäftsanteils eintretenden Zuwachs an finanzieller Leistungsfähigkeit zu erfassen, gerecht zu werden, müsse auch bereits der schuldrechtliche Erfüllungsanspruch aus einem Aktienkaufvertrag als Beteiligung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG einzuordnen sein.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Zutreffend hat das FG die Steuerbarkeit der Ausgleichszahlung von 300.000 € verneint.
1. Die Zahlung führt nicht zu einem Veräußerungsgewinn des Klägers i.S. von § 17 Abs. 1 EStG.
a) Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war.
Beteiligung in diesem Sinne ist die nominelle Beteiligung am Nennkapital (Gosch in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 17 Rz 18). Anteile an einer Kapitalgesellschaft sind zwar gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG auch Anwartschaften auf solche Beteiligungen. Jedoch bewirkt die Übertragung einer Anwartschaft noch keinen Übergang der Beteiligung (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2007 VIII R 14/06, BFHE 220, 249, BStBl II 2008, 475). Anwartschaften sind keine Beteiligungen und mithin bei der Bestimmung der Beteiligungshöhe nicht zu berücksichtigen, und zwar ungeachtet ihrer Eigenschaft als möglicher Gegenstand einer Veräußerung i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG (vgl. BFH-Urteile vom 14. März 2006 VIII R 49/04, BFHE 213, 307, BStBl II 2006, 746, 748, sowie in BFHE 220, 249, BStBl II 2008, 475).
b) Der Kläger war an der AG in dem Zeitpunkt, in dem er die Zahlung erhielt, nicht zu mindestens 1 % beteiligt.
Er hatte lediglich eine Anwartschaft auf eine solche Beteiligung; trotz des Zustimmungsvorbehalts des Vorstandes zur intendierten Anteilsveräußerung an den Kläger bestand lediglich eine begründete Aussicht auf den Anteilserwerb (vgl. BFH-Urteil vom 20. Februar 1975 IV R 15/71, BFHE 115, 223, BStBl II 1975, 505). Diese Anwartschaft vermittelte daher keine Beteiligung an der Gesellschaft, so dass sie ‑‑wovon auch das FG in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung ausgeht‑‑ die Beteiligungshöhe i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht beeinflusst.
Aus dem Umstand, dass die Zahlung der 300.000 € zum gleichen wirtschaftlichen Ergebnis führte, wie wenn der Kläger die entsprechende Beteiligung erworben und danach veräußert hätte, ergibt sich nichts anderes. Es würde sich dabei um einen anderen als den vorliegenden Sachverhalt handeln, der anders als dieser zu beurteilen wäre.
§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ist auch nicht analog anzuwenden. Eine hierfür erforderliche Gesetzeslücke ist nicht feststellbar. Vielmehr weist eine Anwartschaft von vornherein einen wesensmäßigen Unterschied zu den anderen in § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG aufgezählten Begriffen auf, indem sie gerade keine Kapitalbeteiligung des Anwärters begründet (s.o. a) sowie BFH-Urteil in BFHE 220, 249, BStBl II 2008, 475). Dies spricht gerade dafür, Anwartschaften bei der Bestimmung der Beteiligungshöhe nicht zu berücksichtigen.
2. Die streitbefangene Zahlung von 300.000 € an den Kläger ist auch nicht gemäß § 22 Nr. 3 EStG steuerbar.
a) Nach § 22 Nr. 3 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 EStG) noch zu den Einkünften i.S. der Nrn. 1, 1a, 2 oder 4 der Vorschrift gehören. Eine (sonstige) Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das weder eine Veräußerung noch einen veräußerungsähnlichen Vorgang im Privatbereich betrifft (vgl. BFH-Urteil vom 26. Oktober 2004 IX R 53/02, BFHE 207, 305, BStBl II 2005, 167, m.w.N.), Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und eine Gegenleistung auslöst (BFH-Urteil vom 24. April 2012 IX R 6/10, BFHE 237, 197, BStBl II 2012, 581). Wird jedoch das Entgelt dafür erbracht, dass ein Vermögensgegenstand in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird, so gehört das Entgelt nicht zu den Einkünften gemäß § 22 Nr. 3 EStG (ständige Rechtsprechung: BFH-Urteile vom 18. Mai 2004 IX R 63/02, BFHE 206, 174, BStBl II 2004, 874; vom 29. Mai 2008 IX R 97/07, BFH/NV 2009, 9). Dabei ist für die Abgrenzung im Einzelfall der wirtschaftliche Gehalt der zugrundeliegenden Vereinbarung maßgebend. Entscheidend ist nicht, wie die Parteien ihre Leistungen benannt, sondern was sie nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verhältnisse wirklich gewollt und tatsächlich bewirkt haben (ständige Rechtsprechung: BFH-Urteil vom 24. August 2006 IX R 32/04, BFHE 214, 542, BStBl II 2007, 44, m.w.N.).
b) Vorliegend hat das FG ‑‑für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO)‑‑ festgestellt, dass der Kläger aufgrund der streitbefangenen Zahlung seine Ansprüche aus dem Vertrag vom 28. Juni 1999 als abgegolten erklärt hat. Damit hat er sein sich hieraus ergebendes Anwartschaftsrecht auf die Anteile endgültig aufgegeben. Diese Vermögensumschichtung unterliegt als veräußerungsähnlicher Vorgang nicht § 22 Nr. 3 EStG. Es kann dahinstehen, ob anders zu entscheiden wäre, wenn es sich bei den 300.000 € um eine Zahlung gehandelt hätte, mit der der Kläger vom Vertrag Abstand genommen hätte.