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Urteil vom 20. September 2012, IV R 60/11

Teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 20.09.2012 IV R 36/10 - Sachliche Gewerbesteuerpflicht von Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften - Mindestbesteuerung nicht verfassungswidrig

BFH IV. Senat

GewStG § 2 Abs 1 S 1, GewStG § 10a S 1, GewStG § 10a S 2, GG Art 3 Abs 1, GG Art 20 Abs 3, GewStGuaÄndG Art 4, GG Art 14 Abs 1 S 1, GG Art 14 Abs 1 S 2, GewStG VZ 2007 , EStG VZ 2007

vorgehend FG Hamburg, 01. November 2011, Az: 1 K 208/10

Leitsätze

1. NV: Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sind sachlich gewerbesteuerpflichtig nur, wenn und solange sie einen Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts unterhalten. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht endet mit der dauerhaften Einstellung der werbenden Tätigkeit (Bestätigung der Rechtsprechung) .

2. NV: Die werbende Tätigkeit einer GbR, deren Gegenstand die Herstellung und Verwertung eines Films ist, ist nicht beendet, solange sie die Filmrechte verwertet .

3. NV: Der durch die Mindestbesteuerung eintretende Effekt einer definitiven Besteuerung ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar. Die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers wird von der Möglichkeit flankiert, im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen zu treffen, soweit die typisierende Regelung einzelne Steuerpflichtige unverhältnismäßig und unzumutbar benachteiligt .

4. NV: Ein Steuerpflichtiger kann sich nicht auf eine konkrete Verletzung des objektiven Nettoprinzips durch die Mindestbesteuerung berufen, solange er seine Geschäftstätigkeit noch nicht beendet hat und nicht feststeht, ob die Begrenzung des Verlustabzugs im Streitjahr überhaupt zu einer Definitivbesteuerung führen wird .

Tatbestand

  1. I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GbR, deren Gegenstand die Herstellung und Verwertung eines Films ist. Sie wurde mit Co-Produktionsvertrag vom … 2004 von einer Produktions-GmbH und einer Beteiligungs-GmbH & Co. KG (KG) gegründet. Nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel war der Gewinn allein der KG zuzurechnen.

  2. Der Klägerin entstanden für die Produktion des Films Kosten in Höhe von mehreren Millionen Euro. Der Film kam … 2007 erstmalig in die Kinos. Seit dem Jahr 2008 wird er in Videotheken verliehen.

  3. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) stellte mit Bescheid vom 23. September 2008 für die Klägerin einen vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 2006 in Höhe von X.XXX.XXX € fest.

  4. Im Streitjahr (2007) erzielte die Klägerin einen Gewerbeertrag vor Verlustabzug in Höhe von … €, der nach dem Gewinnverteilungsschlüssel der KG zugerechnet wurde.

  5. Das FA kürzte den Gewerbeertrag nach § 10a Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) um 1 Mio. € sowie den übersteigenden Gewerbeertrag zu 60 % (= … €) und setzte einen Gewerbesteuermessbetrag in Höhe von … € fest. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein, den das FA zurückwies.

  6. Mit ihrer dagegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend, sie könne die vorgetragenen Verluste wegen ihrer sowohl zeitlich als auch auf einen Film begrenzten Tätigkeit niemals nutzen. Es sei verfassungswidrig, wenn dennoch ein Gewerbesteuermessbetrag festgesetzt werde.

  7. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das FA habe den maßgebenden Gewerbeertrag in rechnerisch richtiger Höhe gemäß den Regelungen in § 10a Sätze 1 und 2 GewStG gekürzt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen § 10a GewStG teile der Senat nicht. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 434 veröffentlicht.

  8. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie trägt vor, vorliegend sei die Frage zu klären, ob die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG auf sog. Objektgesellschaften mit sehr kurzer Ertragsphase überhaupt Anwendung finde. Die Klägerin sei eine Gesellschaft zur Produktion und Vermarktung eines Spielfilms, der aus wirtschaftlicher Sicht ein Misserfolg gewesen sei. Die hohen Produktionskosten hätten nicht annähernd eingespielt werden können, so dass letztlich ein Totalverlust von ca. … Mio. € verbleiben werde. Dennoch müsse die Klägerin im Streitjahr, dem Jahr der Kinovermarktung, aufgrund der Mindestbesteuerung Gewerbesteuer in Höhe von … € zahlen. Der vorliegende Fall sei für die Filmbranche typisch. Sehr viele Spielfilme würden von Koproduktionsgesellschaften produziert, weil ein Produzent alleine die Kosten und das Risiko des Films nicht tragen könne. Die Mindestbesteuerung sei wegen eines Verstoßes gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip generell verfassungswidrig. Jedenfalls sei aber die Regelung im Streitfall verfassungskonform so auszulegen, dass die Mindestbesteuerung nicht zur Anwendung komme.

  9. Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewerbesteuermessbescheid 2007 vom 21. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. September 2010 dahingehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag auf 0 € festgesetzt wird.

  10. Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

  11. Gegen die Mindestbesteuerung bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Regelungen des § 10a GewStG seien angemessen und führten nicht zu einer Verletzung der Besteuerungsgleichheit oder des objektiven Nettoprinzips in seinem konkreten Kern.

  12. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid rechtmäßig und nicht wegen der Anwendung der Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG zu beanstanden ist.

  2. 1. Die Klägerin unterlag im Streitjahr der sachlichen Gewerbesteuerpflicht.

  3. a) Die Klägerin betrieb mit der Filmproduktion ein gewerbliches Unternehmen. Das ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

  4. b) Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sind sachlich gewerbesteuerpflichtig nur, wenn und solange sie einen Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts unterhalten. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht endet deshalb mit der dauerhaften Einstellung der werbenden Tätigkeit (ständige Rechtsprechung, u.a. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 24. April 1980 IV R 68/77, BFHE 131, 70, BStBl II 1980, 658, unter 1. der Gründe; vom 20. März 1990 VIII R 47/86, BFH/NV 1990, 799, unter 1.a der Gründe; vom 26. Juni 2007 IV R 49/04, BFHE 217, 150, BStBl II 2009, 289, unter II.2.a der Gründe).

  5. c) Die Klägerin hat ihre werbende Tätigkeit noch nicht beendet. Denn sie verwertet nach eigenem Vortrag weiterhin die Filmrechte. Unerheblich ist, ob das ‑‑wie sie geltend macht‑‑ auch die Aufgabe des Liquidators im Falle einer Liquidation wäre. Ihrem Vorbringen, sie werde nicht mehr "betrieben" und befinde sich faktisch in Liquidation, kann der Senat daher nicht folgen.

  6. 2. Das FA hat den Gewerbeertrag unter Berücksichtigung des § 10a Sätze 1 und 2 GewStG zutreffend ermittelt, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

  7. 3. Die Ermittlung des Gewerbeertrags im angefochtenen Bescheid ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

  8. a) Wie der erkennende Senat mit Urteil vom 20. September 2012 in der Sache IV R 36/10 entschieden hat, verstößt die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht gegen Verfassungsrecht. Dies gilt auch für den Fall, dass sie im Ergebnis zu einer Definitivbesteuerung im Jahr der beschränkten Verrechnung vortragsfähiger Fehlbeträge führt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf das Urteil IV R 36/10, BFHE 234, 542 Bezug.

  9. b) Die Besonderheiten eines Unternehmens der Filmbranche, zu denen die Klägerin gehört, rechtfertigen keine andere Beurteilung.

  10. Der durch die Mindestbesteuerung eintretende Effekt einer definitiven Besteuerung ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar, wie der Senat in seinem Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10, BFHE 234, 542 unter Hinweis auf die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers ausgeführt hat. Die Typisierungsbefugnis wird aber von der Möglichkeit flankiert, im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen zu treffen, soweit die typisierende Regelung einzelne Steuerpflichtige unverhältnismäßig und unzumutbar benachteiligt.

  11. c) Die Klägerin kann sich schon deshalb nicht auf eine konkrete Verletzung des objektiven Nettoprinzips berufen, weil bisher noch nicht feststeht, ob die Begrenzung des Verlustabzugs im Streitjahr überhaupt zu einer Definitivbesteuerung führen wird. Sie hat ihre Geschäftstätigkeit noch nicht beendet und kann aus den ihr zustehenden Verwertungsrechten noch weitere Einnahmen erzielen. Auch wenn sie Einnahmen in der Höhe der nicht ausgenutzten Verlustvorträge für unwahrscheinlich hält, kann eine solche Prognose nicht an die Stelle einer bereits eingetretenen Definitivbesteuerung treten.  

  12. 4. Das angefochtene Urteil entspricht den genannten Grundsätzen und ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision der Klägerin hat mithin keinen Erfolg.

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