BFH X. Senat
AO § 174
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 14. März 2012, Az: 10 K 182/10
Leitsätze
NV: Ein rechtmäßiger Steuerbescheid kann nicht nach § 174 AO geändert oder aufgehoben werden .
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. In der Beschwerdebegründung wird der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachte Zulassungsgrund nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt.
1. Wird dargetan, die Revision sei zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen, dann ist ausführlich darzustellen, aus welchen Gründen die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Hierzu ist unter Heranziehung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und strittig ist. Hat der Bundesfinanzhof (BFH) bereits früher über die Rechtsfrage entschieden, dann muss substantiiert vorgetragen werden, inwiefern und aus welchen Gründen die höchstrichterlich beantwortete Frage weiterhin umstritten ist. Hierzu muss aufgezeigt werden, welche neuen und gewichtigen, vom BFH noch nicht geprüften Argumente in der Rechtsprechung der Finanzgerichte (FG) und/oder der Literatur gegen die Rechtsauffassung des BFH vorgebracht worden sind (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 31 ff. und Rz 38, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).
2. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. In dieser wird zwar die Rechtsfrage aufgeworfen, ob ein rechtmäßiger Steuerbescheid in Anwendung des Rechtsgedankens des § 174 der Abgabenordnung (AO) geändert werden könne, wenn in ihm Betriebseinnahmen zutreffend erfasst seien, diese Betriebseinnahmen aber gleichzeitig in einem anderen Steuerbescheid berücksichtigt seien, der (wegen Eintritts der Verjährung) aber nicht mehr geändert werden könne. Zur Begründung, weshalb diese Frage im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf, wird von den Klägern lediglich vorgetragen, eine solche Doppelerfassung widerspreche dem objektiven Nettoprinzip und dem Sinn und Zweck von § 174 AO. Denn Kern dieser Norm sei, der materiellen Richtigkeit der Steuerfestsetzung Vorrang gegenüber dem Prinzip des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit einzuräumen.
Dieser Vortrag ist nicht ausreichend. Insbesondere setzen sich die Kläger nicht mit der einschlägigen BFH-Rechtsprechung auseinander, auf die sie bereits das FG hingewiesen hat. Danach kann ein Anspruch auf Änderung oder Aufhebung eines rechtmäßigen Steuerbescheids nicht auf § 174 AO gestützt werden, wenn ein bestimmter in diesem Steuerbescheid zu Ungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigter Sachverhalt bereits in einem früheren, rechtswidrigen Steuerbescheid zu dessen Lasten berücksichtigt worden war und der rechtswidrige Bescheid nicht mehr geändert werden kann (BFH-Urteil vom 17. Mai 2006 II R 48/04, BFH/NV 2006, 1611). Denn § 174 AO kann nicht die zutreffende, der materiell-rechtlichen Lage entsprechende Festsetzung verhindern (BFH-Urteil vom 16. April 1997 XI R 66/96, BFH/NV 1997, 738). Sind zu Lasten eines Steuerpflichtigen widerstreitende Steuerfestsetzungen vorgenommen worden, dann kommt allein eine Änderung des "fehlerhaften Steuerbescheids" (§ 174 Abs. 1 AO) in Betracht. Für eine Änderung des anderen ‑‑aus Sicht des Steuerpflichtigen zutreffenden‑‑ Steuerbescheids fehlt es an einer Rechtsgrundlage (BFH-Beschluss vom 17. Februar 2005 II B 115/03, BFH/NV 2005, 1004).
Auch haben die Kläger nicht in ausreichender Weise dargetan, weshalb abweichend vom Wortlaut des § 174 Abs. 1 AO, der allein auf die Änderung des fehlerhaften Bescheids abstellt, die von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen einer teleologischen Extension erfüllt sind und die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage in der von den Klägern geforderten Weise zulassen. Die Kläger hätten sich deshalb damit auseinandersetzen müssen, dass die Ausdehnung eines Gesetzes über den zu engen Wortlaut auf dessen weitergehenden Zweck nicht bereits dann gerechtfertigt ist, wenn die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung rechtspolitisch fehlerhaft erscheint; vielmehr muss die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen (Senatsurteil vom 23. März 2011 X R 28/09, BFHE 233, 404, BStBl II 2011, 753, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).