BFH VII. Senat
GG Art 103 Abs 1, FGO § 96 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 6, ZPO § 227
vorgehend FG Köln, 21. Februar 2012, Az: 2 K 3127/10
Leitsätze
1. NV: Durch die fehlerhafte Ablehnung eines Antrags auf Änderung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung wird der Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt. Die schlüssige Rüge, das FG habe verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Beteiligten verhandelt, erfordert keine Ausführungen, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können .
2. NV: Ein bereits vor der Ladung zur mündlichen Verhandlung vereinbarter geschäftlicher Termin eines Beteiligten ist ein die beantragte Terminsänderung rechtfertigender erheblicher Grund, wenn die Verschiebung des geschäftlichen zu Gunsten des gerichtlichen Termins nicht zumutbar ist .
Gründe
Die Beschwerde führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des Urteils des Finanzgerichts (FG) und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Der von der Beschwerde in zulässiger Weise geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑, § 96 Abs. 2 FGO) liegt vor und das Urteil des FG beruht auch auf diesem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 FGO).
Der Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs kann durch eine unzutreffende Behandlung eines Antrags auf Änderung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt sein (ständige Rechtsprechung, Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 6. Februar 1992 V R 38/85, BFH/NV 1993, 102; BFH-Beschluss vom 15. Juni 2001 IV B 25/00, BFH/NV 2001, 1579; Senatsbeschluss vom 3. Februar 2003 VII B 13/02, BFH/NV 2003, 797, jeweils m.w.N.). Indem die Beschwerde geltend macht, das FG habe trotz seitens des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) angegebener, sich mit der mündlichen Verhandlung überschneidender geschäftlicher Termine in S (Ausland) die beantragte Terminsverlegung abgelehnt, wird ein Verfahrensmangel in ausreichend schlüssiger Weise i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt. Die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör, weil das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden hat, erfordert keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802).
Die zulässige Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs ist auch begründet.
Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann der Vorsitzende bzw. das FG aus erheblichen Gründen einen Termin aufheben oder verlegen bzw. eine mündliche Verhandlung vertagen. Die erheblichen Gründe für eine Aufhebung oder Verlegung sind auf Verlangen glaubhaft zu machen (§ 227 Abs. 2 ZPO). Wenn erhebliche Gründe i.S. des § 227 ZPO vorliegen, verdichtet sich das in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht, d.h. der Termin muss in diesen Fällen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Der durch Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gesicherte Anspruch des Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das FG, einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Beteiligten aufzuheben oder zu verlegen, wenn dafür nach den Umständen des Falls, insbesondere nach dem Prozessstoff oder den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten bzw. seines Prozessbevollmächtigten erhebliche Gründe vorliegen. Bei der Prüfung der Gründe muss das FG zugunsten des Beteiligten berücksichtigen, dass es einzige Tatsacheninstanz ist und der Beteiligte ein Recht darauf hat, seine Sache in der mündlichen Verhandlung selbst zu vertreten (ständige Rechtsprechung, Senatsbeschluss vom 9. Januar 1992 VII B 81/91, BFH/NV 1993, 29; BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 102, jeweils m.w.N.).
Im Streitfall hat der Kläger seinen Antrag auf Terminsverlegung mit bereits vor Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung für diesen Tag vereinbarten geschäftlichen Terminen in S begründet. Er hat dieses Vorbringen durch Vorlage einer E-Mail einer ‑‑wie er angegeben hat‑‑ … Gesellschaft, für die er tätig ist, ausreichend glaubhaft gemacht. Dort ist ein Reiseplan beschrieben, dem zufolge der Kläger am 18. Februar 2012 über W nach S reisen und dort vom 21. bis zum 24. Februar 2012 geschäftliche Termine mit Mandanten dieser Gesellschaft wahrzunehmen hatte. Das FG hat weder Anhaltspunkte benannt noch sind solche ersichtlich, die Zweifel an der Richtigkeit dieses Vorbringens aufkommen lassen. Das FG geht in dem angefochtenen Urteil selbst davon aus, dass der Kläger für eine … Gesellschaft tätig ist und sich aus diesem Grund häufig in S aufhält. Der bloße Umstand, dass die vorgelegte E-Mail keine bestimmte Person als Aussteller ausweist, lässt es auch ‑‑anders als das FG meint‑‑ mangels weiterer entsprechender Anhaltspunkte nicht zweifelhaft erscheinen, dass diese E-Mail von der … Gesellschaft stammt und die dort vereinbarten geschäftlichen Termine zutreffend beschreibt.
Wie das FG unter Hinweis auf entsprechende BFH-Rechtsprechung richtig ausführt, ist zwar die durch berufliche Verpflichtungen bedingte Ortsabwesenheit eines Beteiligten nur dann ein erheblicher Grund für eine Terminsänderung, wenn die Verschiebung des anderweitigen Termins zugunsten des gerichtlichen Termins unzumutbar erscheint. Anders als das FG meint, ist hiervon aber im Streitfall auszugehen.
Wie ausgeführt, hat der Kläger ausreichend glaubhaft gemacht, dass er bereits vor der Bekanntgabe des Termins zur mündlichen Verhandlung geschäftliche Verabredungen für diesen Tag getroffen und zu diesem Zweck eine Flugreise ins Ausland gebucht hatte. Selbst wenn man es ‑‑wie das FG meint‑‑ für nicht hinreichend dargelegt ansähe, dass gerade für den 22. Februar 2012 die persönliche Anwesenheit des Klägers bei dem geschäftlichen Treffen in S erforderlich war, hätte der Kläger, um den gerichtlichen Termin am 22. Februar 2012 wahrnehmen zu können, entweder die gesamte bereits gebuchte Reise stornieren oder seinen Aufenthalt in S unterbrechen und kurzfristig eine Fahrt von S nach Köln und wieder zurück organisieren müssen. Dies erscheint dem Senat insbesondere aus Kostengründen und im Hinblick auf die (gemäß § 91 Abs. 1 FGO zwar ausreichende, jedoch) relativ kurze Zeitspanne zwischen der Zustellung der Ladung und dem anberaumten Termin nicht zumutbar.
Das FG hat auch keine Anhaltspunkte für einen Verdacht auf eine Prozessverschleppungsabsicht des Klägers benannt, der z.B. bestehen kann, falls ein Beteiligter wiederholt Anträge auf Terminsänderung stellt und es an der insoweit gebotenen Mitwirkung an einer zügigen Durchführung des Klageverfahrens fehlen lässt. Da zu dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung nur der Kläger und der Vertreter der Beklagten und Beschwerdegegnerin geladen waren, wäre die begehrte Verlegung des Termins zudem ohne erheblichen Aufwand möglich gewesen. Auch dies hätte bei der Frage, ob dem Kläger eine vollständige Absagung oder Unterbrechung seines Aufenthalts in S zumutbar war, den Ausschlag zu seinen Gunsten geben müssen.