BFH III. Senat
FGO § 96 Abs 1 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 96 Abs 2, GG Art 103 Abs 1, FGO § 76 Abs 1
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 18. Januar 2012, Az: 13 K 13406/08
Leitsätze
NV: Ein zur Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO führender Verstoß des Finanzgerichts gegen den klaren Inhalt der Akten liegt nicht bereits deshalb vor, weil das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt nicht entsprechend den Vorstellungen eines Beteiligten gewürdigt hat oder die Würdigung fehlerhaft erscheint. Insoweit würde es sich um materiell-rechtliche Fehler handeln, die grundsätzlich nicht zu einer Revisionszulassung führen .
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision wegen Vorliegens von Verfahrensmängeln gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen entweder nicht vor oder sind von dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form dargelegt worden.
1. Der von dem Kläger gerügte Verstoß des Finanzgerichts (FG) gegen den klaren Inhalt der Akten liegt nicht vor.
a) Die einen Verfahrensfehler begründende Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die Entscheidung darauf beruhen kann (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 21. Februar 2006 XI B 36/05, BFH/NV 2006, 1846).
b) Das FG hat insoweit jedoch keine Umstände unberücksichtigt gelassen, die es in seine Beweiswürdigung hätte einbeziehen müssen.
Der Kläger trägt vor, er habe in jeder Hinsicht unstreitig vorgetragen, eine Wohnung in der A-Straße und ein Geschäftslokal in der B-Straße innegehabt zu haben. Das FG habe dies nicht zur Kenntnis genommen und deshalb auf Seite 12 der Entscheidungsgründe von einer etwaigen weiteren Wohnanschrift in der A-Straße gesprochen.
Tatsächlich hat das FG das Bestehen einer (weiteren) Wohnung in der A-Straße und eines Geschäftslokals in der B-Straße weder unberücksichtigt gelassen noch negiert. Jedoch hat es diese Tatsachen im Ergebnis nicht für entscheidungserheblich erachtet. Denn es ist aufgrund der Gesamtwürdigung des Verhaltens des Klägers im Verwaltungsverfahren, des Klägervortrags und der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger sowohl bei der Zustellung des Änderungsbescheids zur Investitionszulage 1999 vom 28. Dezember 2005 als auch bei der Zustellung der beiden Einspruchsentscheidungen zur Investitionszulage 1996 und 1997 und zur Investitionszulage 1999 jedenfalls auch noch eine Wohnung in der C-Straße vorgehalten hat und dass diese auch die hauptsächlich von ihm genutzte Wohnung dargestellt hat.
Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt im Übrigen nicht bereits deshalb vor, weil das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt nicht entsprechend den klägerischen Vorstellungen gewürdigt hat oder die Würdigung fehlerhaft erscheint. Insoweit würde es sich um nicht zur Revisionszulassung führende materiell-rechtliche Fehler handeln, nicht indes um einen Verfahrensverstoß (vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 24. April 2007 VIII B 251/05, BFH/NV 2007, 1521; vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246, jeweils m.w.N.).
2. Soweit der Kläger behauptet, das FG habe gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen, weil es trotz entsprechender Anhaltspunkte nicht ermittelt habe, wie sich die Wohnsituation des Klägers im Jahr 2007 dargestellt habe, wird der behauptete Verfahrensmangel nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Art und Weise dargelegt.
a) Die Sachaufklärungspflicht des FG wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) begrenzt. Kommen diese ihrer Mitwirkungspflicht nicht nach, reduziert sich die Ermittlungspflicht des FG. Stellen rechtskundig vertretene Beteiligte keine auf eine weitere Sachaufklärung gerichteten Anträge, kommt eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FG regelmäßig nur in Betracht, wenn sich dem FG eine weitere Sachaufklärung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen (BFH-Beschluss vom 10. Januar 2007 X B 113/06, BFH/NV 2007, 935, m.w.N.). Für die ordnungsgemäße Rüge fehlender Sachaufklärung wären daher insbesondere Ausführungen dazu nötig gewesen, welche Tatsachen das FG hätte aufklären, welche Beweise es hätte erheben und aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer Aufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 13. August 2007 III B 159/06, BFH/NV 2007, 2284, m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Der Kläger trägt nicht vor, welche Tatsachen für die von ihm behauptete ausschließliche Wohnung in der A-Straße gesprochen hätten. Auch legt er nicht dar, welche weiteren Beweise das FG hätte erheben müssen, um solche Tatsachen festzustellen. Ebenso fehlt es an Darlegungen dazu, ob und aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer Aufklärung hätte aufdrängen müssen, nachdem das FG zahlreiche Indizien für eine fortbestehende Wohnung in der C-Straße festgestellt hatte. Allein der Umstand, dass der Kläger einen abweichenden Sachverhalt behauptet, für den er aber keine tatsächlichen, einer Überprüfung zugänglichen Anhaltspunkte liefert, genügt nicht, um weitere Ermittlungspflichten des FG auszulösen.
Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass das FG unaufgeklärt gelassen hat, wie sich die Wohnsituation des Klägers im Jahre 2007 dargestellt hat. Bereits bei der Beweisaufnahme vom 15. Dezember 2011 wurde durch Befragung der Postzustellerin ermittelt, ob nach den bei der Post geführten Mieterbüchern den Kläger betreffende Veränderungen hinsichtlich des Fortbestehens einer Wohnung in der C-Straße bekannt geworden seien. Im Anschluss an diese Beweisaufnahme erhielt der Kläger laut Protokoll über die mündliche Verhandlung auch Gelegenheit, die Wohnsituation aus seiner Sicht darzustellen. Ebenso hat das FG versucht, durch Zeugenvernehmung der Ehefrau des Klägers weitere Erkenntnisse für die Zeit ab 2005 zu gewinnen. Überdies hat das FG aus den Akten festgestellt, dass den Kläger auch nach 2005 zumindest nicht förmlich zugestellte Briefe unter der Adresse C-Straße erreicht haben müssen und er auch weiterhin überwiegend unter dieser Adresse gehandelt hat.
3. Auch die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) umfasst vor allem das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Sie haben einen Anspruch darauf, dem Gericht auch in rechtlicher Hinsicht alles vortragen zu können, was sie für wesentlich halten. Diesen Ansprüchen entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Weiterhin hat das Gericht seine Entscheidung zu begründen, wobei aus seiner Begründung erkennbar sein muss, dass eine Auseinandersetzung mit dem wesentlichen Vorbringen der Verfahrensbeteiligten stattgefunden hat (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 1980 2 BvR 827/79, BVerfGE 54, 86, m.w.N.). Diese richterliche Pflicht geht jedoch nicht so weit, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen müsste, da davon auszugehen ist, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Es darf das Vorbringen außer Acht lassen, das nach seiner Auffassung unerheblich oder unsubstantiiert ist. Das rechtliche Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2010 XI B 46/10, BFH/NV 2011, 448).
b) Die Beschwerdebegründung lässt eine solche Gehörsverletzung im Streitfall nicht erkennen.
Soweit der Kläger vorträgt, das FG sei zu Unrecht von einer Heilung etwaiger Zustellungsmängel ausgegangen, macht er in Wahrheit keine Gehörsverletzung, sondern einen materiell-rechtlichen Fehler geltend, der einen Zulassungsgrund nicht zu begründen vermag.
Ebenso ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag, das FG habe seine Darlegungen zum Bestehen einer Wohnung in der A-Straße unberücksichtigt gelassen, keine Gehörsverletzung. Denn insoweit übersieht der Kläger, dass das FG zum einen das Bestehen einer Wohnadresse in der A-Straße sehr wohl zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Insbesondere hat es bereits im Tatbestand des Urteils mehrere unstreitige Anhaltspunkte für diese Wohnadresse wiedergegeben und in den Entscheidungsgründen darauf abgestellt, dass der Wohnsitz in der A-Straße nach eigenen Angaben des Klägers nur aus beruflichen Gründen begründet worden sei, worauf auch der insoweit geschlossene Mietvertrag hindeute. Zudem ergibt sich aus dem Umstand, dass das FG der Aussage der Ehefrau des Klägers zu einem 95 %-igen Aufenthalt in der C-Straße gefolgt ist, dass es vom Bestehen eines weiteren Wohnsitzes ausgegangen ist. Dass das FG die Frage, welche Wohnung die Hauptwohnung des Klägers darstellte, nach den Gesamtumständen des Falles anders beantwortet hat als der Kläger, stellt hingegen keine Gehörsverletzung dar, sondern ist vielmehr eine ebenfalls dem materiellen Recht zuzuordnende Frage der (vermeintlich) unzutreffenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung.