BFH III. Senat
FGO § 60 Abs 3, FGO § 76 Abs 1, FGO § 96 Abs 2, FGO § 107, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 5 S 2, FGO § 155, ZPO § 295, ZPO § 317 Abs 4, GG Art 103 Abs 1, EStG § 63
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 07. März 2011, Az: 11 K 11148/10
Leitsätze
1. NV: Die einer Urteilsausfertigung anhaftende offenbare Unrichtigkeit kann nicht nach § 107 Abs. 1 FGO berichtigt werden. Sie ist von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 155 FGO i.V.m. § 317 Abs. 4 ZPO richtigzustellen .
2. NV: Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass die Familienkasse den Einwand des nachrangig Berechtigten, er habe das Kindergeld an den vorrangig Berechtigten weitergeleitet, aus Vereinfachungsgründen nur dann berücksichtigen kann, wenn eine auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck ausgefüllte Weiterleitungserklärung des vorrangig Berechtigten vorgelegt wird. Die Gründe, warum der vorrangig Berechtigte eine solche Erklärung nicht abgibt, sind unerheblich .
Tatbestand
I. Das im Rubrum des angegriffenen Urteils des Finanzgerichts (FG) genannte Datum der mündlichen Verhandlung ist nicht gemäß § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu berichtigen.
1. Eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 107 Abs. 1 FGO liegt nur vor, wenn es sich um ein Versehen handelt, durch das das wirklich Gewollte nicht zum Ausdruck gelangt. Ziel der Berichtigung nach § 107 FGO kann deshalb nur sein, den erklärten mit dem gewollten Inhalt eines Urteils in Einklang zu bringen (z.B. Senatsbeschluss vom 12. Februar 1996 III B 48/95, BFH/NV 1996, 754). Im Rechtsmittelverfahren ist eine solche offenbare Unrichtigkeit vom Bundesfinanzhof (BFH) zu berichtigen (z.B. BFH-Beschluss vom 13. April 2005 IX B 153/04, BFH/NV 2005, 1356).
2. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. In der in den FG-Akten befindlichen Kopie des angegriffenen Urteils wird zwar als Datum der mündlichen Verhandlung der "9. Februar 2011" genannt, wohingegen sich aus dem übrigen Akteninhalt, insbesondere der ebenfalls in den FG-Akten befindlichen Kopie des Sitzungsprotokolls, und dem Vortrag des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ergibt, dass die mündliche Verhandlung tatsächlich am 8. März 2011 stattgefunden hat. Weiter lässt sich dem Beschwerdevorbringen des Klägers, der sich mit seinem Rechtsmittel gegen das Urteil des FG vom 9. Februar 2011 wendet, entnehmen, dass offensichtlich auch in der an ihn zugestellten Urteilsausfertigung versehentlich der "9. Februar 2011" als Tag der mündlichen Verhandlung genannt worden ist. In der dem beschließenden Senat vorliegenden ‑‑von dem Einzelrichter unterschriebenen‑‑ Urschrift des Urteils ist aber als Tag der mündlichen Verhandlung der 8. März 2011 angeführt. Damit liegt keine Abweichung des erklärten Willens des Gerichts von dem wirklich gewollten Inhalt des Urteils vor. Die gegebenenfalls einer Urteilsausfertigung anhaftende offenbare Unrichtigkeit kann nicht nach § 107 Abs. 1 FGO berichtigt werden. Sie ist von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 155 FGO i.V.m. § 317 Abs. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) richtigzustellen (z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 1996, 754; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 107 FGO Rz 7).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Sofern die von dem Kläger behaupteten Zulassungsgründe in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.
1. Die Rüge, das FG habe einen Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) begangen, weil es die Kindsmutter nicht zu dem Klageverfahren des Klägers (Kindsvater) beigeladen habe, ist bereits unschlüssig. Denn zu einem Klageverfahren, dessen Gegenstand die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Vater und die Rückforderung des gezahlten Kindergeldes ist, ist nach der Rechtsprechung des BFH die Kindsmutter nicht notwendig beizuladen (§ 60 Abs. 3 FGO). Der Aufhebungsbescheid und die Rückforderung gegenüber dem Kläger greifen nicht unmittelbar gestaltend in die Rechtssphäre der Mutter ein (BFH-Beschluss vom 15. November 2004 VIII B 240/04, BFH/NV 2005, 494).
2. Soweit der Kläger rügt, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO verletzt, indem es unterlassen habe, seinen volljährigen Sohn X als Zeugen zu vernehmen, liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor.
a) Bei der Prüfung, ob ein Mangel in der Sachverhaltsfeststellung des FG vorliegt, ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen. Die Rüge mangelnder Sachverhaltsaufklärung kann daher keinen Erfolg haben, wenn die Tatsachen, von denen der Kläger meint, sie seien vom FG zu Unrecht nicht berücksichtigt worden, aus der Sicht des FG nicht entscheidungserheblich waren (z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2005, 1356; vom 20. April 2011 IV B 32/10, BFH/NV 2011, 1884).
b) Der Kläger führt aus, eine Zeugeneinvernahme des X hätte ergeben, dass der Kläger das Kindergeld an X weitergeleitet habe. Dieser Umstand war jedoch nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG nicht entscheidungserheblich. Das klageabweisende Urteil stützt sich maßgeblich darauf, dass die Kindsmutter nicht bescheinigt habe, das Kindergeld erhalten zu haben und den Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld als erfüllt anzuerkennen. Danach war es für die Entscheidung des FG nicht von Bedeutung, ob der Kläger als nachrangig Berechtigter das Kindergeld an X weitergeleitet hat. Im Übrigen steht die vom FG vertretene materiell-rechtliche Auffassung im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BFH. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Einwand der Weiterleitung des Kindergeldes nur dann beachtlich, wenn eine auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck ausgefüllte Weiterleitungserklärung des vorrangig Berechtigten vorgelegt wird (so zuletzt Senatsurteil vom 22. September 2011 III R 82/08, BFHE 235, 336, BFH/NV 2012, 490, m.w.N.). Anderenfalls kann die Familienkasse ‑‑wie hier‑‑ nicht von der Rückforderung des gezahlten Kindergeldes absehen. Die Gründe, warum der vorrangig Berechtigte eine solche Erklärung nicht abgegeben hat, sind unerheblich (Senatsurteil in BFHE 235, 336, BFH/NV 2012, 490).
c) Außerdem kann ein Verfahrensmangel nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten ‑‑ausdrücklich oder durch Unterlassen der Rüge‑‑ verzichten können (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch das Übergehen eines Beweisantrags (z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. März 2010 V B 57/08, BFH/NV 2010, 1312; vom 3. November 2010 I B 102/10, BFH/NV 2011, 808).
Der Kläger hat X in seinem Schriftsatz vom 1. Juli 2010 als Zeugen benannt. X ist jedoch nicht zu der mündlichen Verhandlung vor dem FG geladen worden und ausweislich des Sitzungsprotokolls dort auch nicht erschienen. Der rechtskundig vertretene Kläger musste daher davon ausgehen, dass das FG ohne Zeugeneinvernahme entscheiden werde. Gleichwohl hat er ausweislich des Sitzungsprotokolls die Nichterhebung des Zeugenbeweises weder gerügt noch die Protokollierung dieser Rüge beantragt. In dieser unterlassenen Rüge liegt ein Verzicht auf die Zeugeneinvernahme des X.
3. Die von dem Kläger geltend gemachten Verletzungen seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) sind nicht ordnungsgemäß dargelegt.
a) Bei behaupteten Gehörsverletzungen, die ‑‑wie im Streitfall‑‑ nur einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte des angegriffenen Urteils betreffen, muss der Kläger in der Beschwerdebegründung substantiiert darlegen, was er bei aus seiner Sicht ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch zusätzlich vorgetragen hätte und dass bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre (BFH-Urteile vom 19. Dezember 2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866; vom 9. April 2008 I R 43/07, BFH/NV 2008, 1848).
b) Soweit der Kläger sinngemäß vorträgt, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es unberücksichtigt gelassen habe, dass er das Kindergeld an X weitergeleitet habe, ist das Vorbringen unschlüssig. Es wird nicht dargelegt, aus welchen Gründen bei Berücksichtigung dieses Vorbringens unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre. Abgesehen davon wurde bereits ausgeführt, dass die Entscheidung des FG in diesem Punkt der Rechtsprechung des BFH entspricht (s. oben II.2.b).
c) Soweit der Kläger rügt, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es das in der mündlichen Verhandlung am 8. März 2011 Vorgetragene nicht berücksichtigt habe, wird hiermit ebenfalls keine Gehörsverletzung schlüssig dargelegt. Der Kläger will die fehlende Berücksichtigung seines Vorbringens daraus schließen, dass das FG die Entscheidung bereits am 9. Februar 2011 verfasst, die mündliche Verhandlung aber erst am 8. März 2011 abgehalten habe. Er legt in seiner Beschwerdebegründung aber nicht dar, was er Entscheidungserhebliches in der mündlichen Verhandlung am 8. März 2011 vorgetragen haben will. Auch lässt sich dem Sitzungsprotokoll hierzu nichts entnehmen. Abgesehen davon ist in der Urschrift des Urteils ‑‑wie bereits ausgeführt (s. oben I.2.)‑‑ als Datum der mündlichen Verhandlung nicht der 9. Februar 2011, sondern der 8. März 2011 genannt.
4. Soweit der Kläger nunmehr in der Beschwerdebegründung ausführt, er sei in den Monaten August und September 2008 vorrangig kindergeldberechtigt gewesen, weil X während dieses Zeitraums noch in seiner Wohnung gelebt habe, macht er hierdurch keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO geltend. Im Übrigen hat der Kläger die gegenteiligen tatsächlichen Feststellungen des FG, wonach X ab August 2008 nicht mehr in den Haushalt eines Kindergeldberechtigten aufgenommen gewesen sei, nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen. Schließlich ließe sich mit dem Vortrag einer fehlerhaften Rechtsanwendung die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreichen (z.B. Senatsbeschluss vom 30. Januar 2012 III B 153/11, BFH/NV 2012, 705, m.w.N.).
5. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.