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Urteil vom 04. Juli 2012, II R 56/11

Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 04.07.2012 II R 15/11 - Vom Erblasser herrührende Steuerschulden für das Todesjahr als Nachlassverbindlichkeiten - Ausscheiden des verstorbenen Personengesellschafters gegen Abfindung an den Erben

BFH II. Senat

ErbStG § 9 Abs 1 Nr 1, ErbStG § 10 Abs 1, ErbStG § 10 Abs 5 Nr 1, ErbStG § 11, ErbStG § 12 Abs 1, BewG § 12, BGB § 1922, BGB § 1967 Abs 2, AO § 37 Abs 2, AO § 38, AO § 44, AO § 45 Abs 1, AO § 270, EStG § 2 Abs 7 S 1, EStG § 25 Abs 1, EStG § 36 Abs 1, EStG § 36 Abs 4 S 1, EStG § 51a Abs 1, SolZG § 1 Abs 2, ErbStR R E10.8 Abs 3 S 2, EStG § 24 Nr 2, EStG § 16 Abs 1 S 1 Nr 2

vorgehend FG Düsseldorf, 01. November 2011, Az: 4 K 2263/11 Erb

Leitsätze

1. NV: Die auf den Erben entsprechend seiner Erbquote entfallenden Abschlusszahlungen für die vom Erblasser herrührende Einkommensteuer des Todesjahres, einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag, sind als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig (Änderung der Rechtsprechung) .

2. NV: Zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG gehören nicht nur die Steuerschulden, die zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtlich entstanden waren, sondern auch die Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen .

3. NV: Der Erblasser verwirklicht auch dann in eigener Person einen einkommensteuerrelevanten Tatbestand, wenn er unmittelbar mit seinem Ableben steuerpflichtige Einkünfte erzielt und diese in die Besteuerung für das Todesjahr einbezogen werden .

4. NV: Als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig ist die Einkommensteuer-Abschlusszahlung i.S. des § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG, also diejenige Einkommensteuer, die sich nach Anrechnung der vom Erblasser entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen und der durch Steuerabzug erhobenen anrechenbaren Einkommensteuer ergibt. Es kommt dabei allein auf die materielle Rechtslage und nicht auf die Steuerfestsetzungen an. Entsprechendes gilt für den Solidaritätszuschlag sowie für die ebenfalls an das Einkommen anknüpfende, nach Landesrecht festzusetzende Kirchensteuer .

5. NV: Die Steuerverbindlichkeiten sind mit dem Nennwert anzusetzen .

Tatbestand

  1. I. Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Alleinerbe seines im April 2008 verstorbenen Vaters (V), der an einer Kommanditgesellschaft (KG) beteiligt war. Nach dem Gesellschaftsvertrag der KG vom 26. April 2004 sollte die Gesellschaft beim Tod eines Gesellschafters nicht aufgelöst, sondern ohne dessen Erben von den verbleibenden Gesellschaftern fortgeführt werden, wobei der Erbe des verstorbenen Gesellschafters eine Abfindung erhalten sollte. Die Abfindung des Klägers belief sich laut Vereinbarung vom 19. Dezember 2008 auf 817.000 €.

  2. Aufgrund der Einzelveranlagung des V für das Todesjahr 2008 wurden die Einkommensteuer auf 502.373 €, die Kirchensteuer auf 50.959,71 € und der Solidaritätszuschlag auf 27.500,60 € festgesetzt. Als Einkünfte des V aus Gewerbebetrieb wurden der laufende Gewinn aus der Beteiligung an der KG und die Abfindung als Veräußerungsgewinn angesetzt. Nach Anrechnung der von V geleisteten Vorauszahlungen von 16.709 € (Einkommensteuer 14.133 €, Kirchensteuer 1.799 €, Solidaritätszuschlag 777 €), des Zinsabschlags von 802 € und der Kapitalertragsteuer von 44,06 € waren Abschlusszahlungen in Höhe von insgesamt 563.278,25 € zu entrichten.

  3. Der Kläger machte die für V festgesetzten Beträge für 2008 abzüglich des Zinsabschlags und der Kapitalertragsteuer, jedoch ohne Anrechnung der von V geleisteten Vorauszahlungen, als Nachlassverbindlichkeiten geltend. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erfasste u.a. die dem Kläger zustehende Abfindung von 817.000 € als Erwerb von Todes wegen. Die geltend gemachten Steuer- und Ergänzungsabgabebeträge für 2008 wurden nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt, weil sie erst nach dem Ableben des V entstanden seien. Das FA setzte im Steuerbescheid vom 7. September 2009 die Erbschaftsteuer gegen den Kläger auf 173.850 € fest. In der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2011 wurde die Erbschaftsteuer wegen des Ansatzes eines höheren Erwerbs von Todes wegen auf 179.550 € erhöht.

  4. Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass die in der Person des V bis zum 6. April 2008 entstandenen Verbindlichkeiten aus der Festsetzung der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 146.837,75 € als Nachlassverbindlichkeiten beim Erwerb des Klägers abzugsfähig seien. Erbschaftsteuerrechtlich seien diese Ansprüche mit der Verwirklichung des Steuertatbestands durch V entstanden. Die Ansprüche seien um die von V geleisteten Vorauszahlungen zu mindern. Nicht abzugsfähig seien aber die Steuerverbindlichkeiten, die auf das bei V der Besteuerung zugrunde gelegte Abfindungsguthaben entfielen. Eine latente Belastung mit Ertragsteuer könne nicht bereicherungsmindernd berücksichtigt werden. Das Urteil des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 259.

  5. Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) und von § 24 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der für 2008 maßgeblichen Fassung (EStG).

  6. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seinen Klageantrag dahin eingeschränkt, dass er nicht mehr einen Abzug der festgesetzten Steuer- und Ergänzungsabgabebeträge in Höhe von 579.987,25 €, sondern nur noch den Abzug der Abschlusszahlungen in Höhe von insgesamt 563.278,25 € begehrt.

  7. Der Kläger beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen, die Vorentscheidung aufzuheben und den Erbschaftsteuerbescheid vom 7. September 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2011 dahin zu ändern, dass die Abschlusszahlungen der Einkommensteuer, der Kirchensteuer sowie des Solidaritätszuschlags für V für 2008 in Höhe von insgesamt 563.278,25 € als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden.

  8. Das FA beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  9. Mit der Revision rügt das FA ebenfalls die Verletzung von § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie zur Änderung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung. Die Abschlusszahlungen für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag des V für 2008 in Höhe von insgesamt 563.278,25 € sind entgegen der Auffassung des FG auch insoweit als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig, als sie auf die Besteuerung der Abfindung als Veräußerungsgewinn des V entfallen. Die Berechnung der Erbschaftsteuer wird dem FA übertragen.

  2. Die Revision des FA ist unbegründet. Sie war daher nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.

  3. 1. Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind von dem Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb oder Anteil an einem Gewerbebetrieb in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits nach § 12 Abs. 5 und 6 ErbStG berücksichtigt worden sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Nachlassverbindlichkeiten in diesem Sinne sind auch die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), § 45 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) auf den Erben übergegangen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 17. Februar 2010 II R 23/09, BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641, m.w.N.).

  4. Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Tod einer Person (Erbfall) deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über. Gemäß § 1967 BGB haften die Erben für die Nachlassverbindlichkeiten. Das hierin für den Erbfall statuierte Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge beschränkt sich nicht auf den Bereich des Zivilrechts, sondern erstreckt sich auch auf das Steuerrecht (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, unter D.I.). So ordnet § 45 Abs. 1 Satz 1 AO an, dass bei der Gesamtrechtsnachfolge "die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über(gehen)". Ungeachtet des restriktiv gehaltenen Wortlauts des § 45 Abs. 1 Satz 1 AO leitet der BFH in ständiger Rechtsprechung aus dieser Bestimmung her, dass der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger grundsätzlich in einem umfassenden Sinne sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers eintritt (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, unter D.I.1., m.w.N.).

  5. 2. Zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG gehören nicht nur die Steuerschulden, die zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtlich entstanden waren, sondern auch die Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen.

  6. a) Der Abzug von Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG setzt ebenso wie die Erbenhaftung nach § 1967 Abs. 2 BGB voraus, dass Schulden vom Erblasser herrühren. Aus dem Begriff "herrühren" ergibt sich, dass die Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht voll wirksam entstanden sein müssen. Zivilrechtlich gehen mit dem Erbfall auch "verhaltene", noch werdende und schwebende Rechtsbeziehungen des Erblassers auf den Erben über (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 7. Juni 1991 V ZR 214/89, Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 1991, 2558, m.w.N.). Deshalb sind Erblasserschulden i.S. des § 1967 Abs. 2 BGB auch die erst in der Person des Erben entstehenden Verbindlichkeiten, die als solche schon dem Erblasser entstanden wären, wenn er nicht vor Eintritt der zu ihrer Entstehung nötigen weiteren Voraussetzung verstorben wäre (vgl. BGH-Urteil in NJW 1991, 2558).

  7. b) Diese zivilrechtlichen Grundsätze sind auch für die Beurteilung der Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG zu beachten (vgl. BFH-Urteil vom 5. Juli 1978 II R 64/73, BFHE 126, 55, BStBl II 1979, 23; Weinmann in Moench/Weinmann, § 10 ErbStG Rz 51). Der Abzug der vom Erblasser herrührenden Schulden setzt nicht zwingend voraus, dass beim Tod des Erblassers, also zum maßgeblichen Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), eine rechtliche Verpflichtung bestanden haben muss (vgl. BFH-Urteile vom 18. November 1963 II 166/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964, 83, und in BFHE 126, 55, BStBl II 1979, 23). Bei einem Erwerb von Todes wegen wirken sich auch Steuerschulden aus der Veranlagung des Erblassers für das Todesjahr bereicherungsmindernd aus, obwohl sie beim Erbfall noch nicht rechtlich entstanden waren. Denn der Erbe hat diese Steuerschulden zu tragen. Entscheidend für den Abzug der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist, dass der Erblasser in eigener Person und nicht etwa der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger steuerrelevante Tatbestände verwirklicht hat und deshalb "für den Erblasser" als Steuerpflichtigen eine Steuer entsteht.

  8. c) Das für das Erbschaftsteuerrecht maßgebliche Stichtagsprinzip (§ 9 und § 11 ErbStG) steht dem Abzug dieser Steuerverbindlichkeiten nicht entgegen. Bereits zum Zeitpunkt der Steuerentstehung, also beim Tod des Erblassers steht fest, dass die Belastung kraft Gesetzes mit Ablauf des Todesjahres eintreten wird (nachfolgend unter II.2.e). Dabei ist unschädlich, dass zum Zeitpunkt des Erbfalls die Belastung durch Steuerverbindlichkeiten der Höhe nach nicht genau feststeht, weil noch mögliche Wahlrechte ausgeübt werden oder besondere steuerrelevante Ereignisse eintreten können.

  9. d) Soweit aus den hauptsächlich zum Erfordernis einer wirtschaftlichen Belastung ergangenen Entscheidungen des BFH entnommen werden könnte bzw. kann, dass der Abzug von Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG "nur" bei einer zum Zeitpunkt des Erbfalls bestehenden rechtlichen Verpflichtung möglich ist, hält der Senat daran jedenfalls für die kraft Gesetzes aufgrund einer Tatbestandsverwirklichung des Erblassers entstehenden Steueransprüche nicht mehr fest (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 24. März 1999 II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339; vom 15. Januar 2003 II R 23/01, BFHE 200, 413, BStBl II 2003, 267; vom 14. Dezember 2004 II R 35/03, BFH/NV 2005, 1093; vom 14. November 2007 II R 3/06, BFH/NV 2008, 574; in BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641; BFH-Beschluss vom 15. Mai 2009 II B 155/08, BFH/NV 2009, 1441; differenzierend BFH-Urteil vom 27. Juni 2007 II R 30/05, BFHE 217, 190, BStBl II 2007, 651, unter II.3.a). Es verbleibt jedoch dabei, dass der Abzug einer Steuerschuld als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG ‑‑abweichend vom Zivilrecht‑‑ zusätzlich voraussetzt, dass sie eine wirtschaftliche Belastung darstellt (vgl. BFH-Urteil vom 2. März 2011 II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147, unter III.7.c aa aaa).

  10. e) Nach diesen Grundsätzen sind die auf den Erben entsprechend seiner Erbquote entfallenden Abschlusszahlungen für die vom Erblasser herrührende Einkommensteuer des Todesjahres, einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag, als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig (vgl. Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG, Rz 82; Gebel in Troll/ Gebel/Jülicher, ErbStG, § 10 Rz 119, 140; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 16. Aufl., § 10 Rz 32, unter a und c; Kämper/Milatz, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge ‑‑ZEV‑‑ 2011, 70; Billig, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2012, 61; a.A. Weinmann, a.a.O., § 10 ErbStG Rz 54; Jüptner in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 4. Aufl., § 10 Rz 134; Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 10 Rz 121; Hartmann, Der Erbschaft-Steuer-Berater 2007, 170, unter 3.c; Gleichlautender Ländererlass vom 18. Januar 2010, ZEV 2010, 107; R E 10.8 Abs. 3 Satz 2 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011, BStBl I Sonder-Nr. 1/2011, 2, 23 f.).

  11. aa) Stirbt ein Steuerpflichtiger vor Ablauf des Kalenderjahres, sind zum Zeitpunkt des Erbfalls zwar noch keine Einkommensteuerverbindlichkeiten für das Todesjahr entstanden. Der Steuerpflichtige hat aber bis zu seinem Ableben selbst Steuertatbestände verwirklicht und damit das spätere Entstehen der Steuerverbindlichkeiten begründet. Mit seinem Ableben tritt der Erbe in die Rechtsstellung des Verstorbenen (Erblasser) ein; der durch den Erblasser (Steuerpflichtiger) begründete, mit Ablauf des Todesjahres entstehende Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis geht auf den Erben über.

  12. bb) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO). Die Einkommensteuer ist eine Jahressteuer (§ 2 Abs. 7 Satz 1 EStG), die nach § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht.

  13. Sie wird nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat, soweit nicht nach § 43 Abs. 5 und § 46 EStG eine Veranlagung unterbleibt (§ 25 Abs. 1 EStG). Stirbt der Steuerpflichtige vor Ablauf des Kalenderjahres und endet damit seine persönliche Steuerpflicht, wird der Veranlagung für das Todesjahr (Kalenderjahr) ein abgekürzter Ermittlungszeitraum zugrunde gelegt. Die Veranlagung ist auf das bis zum Tod des Steuerpflichtigen erzielte Einkommen zu beschränken (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, unter D.III.1.). Im Hinblick darauf, dass das Einkommen des Erblassers erfasst und damit an die Verwirklichung des Steuertatbestands durch den Erblasser angeknüpft wird, ist die Einkommensteuer des Todesjahres unmittelbar in der Person des Erblassers (Steuerpflichtiger) begründet. Eine etwaige Einkommensteuerschuld für das Todesjahr des Erblassers bleibt trotz des Übergangs auf den Erben eine vom Erblasser herrührende Steuerschuld. Insoweit ist unerheblich, dass der Einkommensteuerbescheid für den Erblasser gegenüber dem Erben als Gesamtrechtsnachfolger ergeht.

  14. Soweit der Erbe selbst einkommensteuerrelevante Tatbestände verwirklicht, wie z.B. beim Zufluss nachträglicher Einnahmen aus einer ehemaligen Tätigkeit des Erblassers nach § 24 Nr. 2 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 24. Januar 1996 X R 14/94, BFHE 179, 406, BStBl II 1996, 287, unter 3.), sind die darauf entfallenden Einkommensteuerzahlungen des Erben keine Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Obwohl der Erblasser die Grundlage für den Zufluss von Einnahmen gesetzt hat, wird der Steuertatbestand in diesen Fällen erst mit dem Zufluss der Einnahmen durch den Erben als Steuerpflichtigen verwirklicht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 179, 406, BStBl II 1996, 287).

  15. cc) Eine bereits am Todestag des Erblassers bestehende rechtliche Verpflichtung als Voraussetzung für den Abzug von Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass nur rechtlich entstandene Steuererstattungsansprüche zum Erwerb i.S. des § 10 Abs. 1 ErbStG zählen.

  16. Nach der Rechtsprechung des BFH fallen Einkommensteuererstattungsansprüche, die das Todesjahr des Erblassers betreffen, jedenfalls bei einer Zusammenveranlagung mit dem überlebenden Ehegatten nicht in den steuerpflichtigen Erwerb nach § 10 Abs. 1 ErbStG, weil sie erst mit Ablauf des Todesjahres entstehen (vgl. BFH-Urteil vom 16. Januar 2008 II R 30/06, BFHE 220, 518, BStBl II 2008, 626). Für Erwerbe ab dem 1. Januar 2009 gilt zudem § 10 Abs. 1 Satz 3 ErbStG (i.d.F. des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008, BGBl I 2008, 3018, BStBl I 2009, 140). Danach sind Steuererstattungsansprüche des Erblassers zu berücksichtigen, wenn sie rechtlich entstanden sind (§ 37 Abs. 2 AO).

  17. Das Anknüpfen an unterschiedliche Voraussetzungen für den Abzug von Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten einerseits und für den Ansatz von Steuererstattungsansprüchen als Erwerb andererseits beruht auf den unterschiedlichen Regelungen in § 10 Abs. 1 und Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Denn für den Abzug von Schulden als Nachlassverbindlichkeiten kommt es nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG nur darauf an, dass sie vom Erblasser "herrühren". Für eine einschränkende Auslegung des Begriffs "herrühren" im Sinne von "rechtlich entstanden" ist ein zwingender Grund nicht ersichtlich. Eine solche Auslegung würde auch dem im Erbschaftsteuerrecht geltenden Bereicherungsprinzip zuwiderlaufen, weil der Erbe in Höhe der entstehenden und von ihm zu begleichenden Steuerschulden für das Todesjahr des Erblassers nicht bereichert ist.

  18. dd) Der Erblasser verwirklicht auch dann in eigener Person einen einkommensteuerrelevanten Tatbestand, wenn er unmittelbar mit seinem Ableben steuerpflichtige Einkünfte erzielt und diese in die Besteuerung für das Todesjahr einbezogen werden.

  19. Zu den vom Erblasser erzielten Einkünften gehört nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG der Gewinn aus der Veräußerung des Mitunternehmeranteils anlässlich seines durch den Tod bedingten Ausscheidens aus einer Personengesellschaft, wenn aufgrund der Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag die Gesellschaft zwischen den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt wird und der Erbe des verstorbenen Gesellschafters (Erblasser) eine Abfindung erhält. Das Ausscheiden des verstorbenen Gesellschafters (Erblasser) gegen Abfindung wird steuerlich wie eine Veräußerung des Mitunternehmeranteils behandelt (vgl. BFH-Urteile vom 13. November 1997 IV R 18/97, BFHE 184, 518, BStBl II 1998, 290, und vom 19. August 1999 IV R 67/98, BFHE 190, 150, BStBl II 2000, 179). Mit seinem Ableben verwirklicht der Erblasser in eigener Person den Tatbestand des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.

  20. ee) Als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig ist die Einkommensteuer-Abschlusszahlung i.S. des § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG, also diejenige Einkommensteuer, die sich nach Anrechnung der vom Erblasser entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen und der durch Steuerabzug erhobenen anrechenbaren Einkommensteuer (vgl. § 36 Abs. 2 EStG) ergibt. Es kommt dabei allein auf die materielle Rechtslage und nicht auf die Steuerfestsetzungen an (vgl. BFH-Urteil in BFHE 220, 518, BStBl II 2008, 626).

  21. ff) Entsprechendes gilt gemäß § 51a Abs. 1 und § 36 Abs. 1 EStG für den mit Ablauf des Kalenderjahres entstehenden Solidaritätszuschlag (vgl. § 1 Abs. 2 des Solidaritätszuschlaggesetzes) sowie für die ebenfalls an das Einkommen anknüpfende, nach Landesrecht festzusetzende Kirchensteuer.

  22. 3. Die abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten sind mit ihrem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert abzuziehen (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Schulden sind mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes ‑‑BewG‑‑).

  23. Für Steuerverbindlichkeiten, die mit Ablauf des Todesjahres entstehen, verbleibt es beim Ansatz mit dem Nennwert, obwohl die zu einer Abschlusszahlung führende Festsetzung erst nach dem Stichtag für die Entstehung der Erbschaftsteuer erfolgt. Besondere Umstände, die eine Abweichung vom Nennwert rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Eine Abzinsung nach § 12 Abs. 3 BewG scheidet ebenfalls aus, weil es an einem von vornherein bestimmten Zeitpunkt für den Eintritt der Fälligkeit der Einkommensteuer, der Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags fehlt und somit die Berechnungs- oder Schätzungsgrundlagen für eine Abzinsung fehlen (vgl. BFH-Urteile vom 17. Januar 1996 II R 4/93, BFH/NV 1996, 649, unter II.3.b; in BFHE 220, 518, BStBl II 2008, 626, betr. Einkommensteuererstattungsansprüche). Einkommensteuernachforderungen sind im Übrigen nur innerhalb des in § 233a Abs. 2 AO bestimmten Zeitraums unverzinslich.

  24. 4. Danach war die Vorentscheidung aufzuheben. Entgegen der Auffassung des FG sind auch die Abschlusszahlungen für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag des V für 2008, soweit sie auf die Besteuerung der Abfindung entfallen, als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen. Die vom Kläger geltend gemachten Zahlungen mindern in Höhe von insgesamt 563.278,25 € als Nachlassverbindlichkeiten seinen Erwerb. Die Berechnung der Erbschaftsteuer wird auf das FA übertragen (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

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