BFH X. Senat
EStG § 4 Abs 4a, EStG § 52 Abs 11 S 2
vorgehend FG Düsseldorf, 01. August 2010, Az: 11 K 763/08 G,F
Leitsätze
1. NV: Überentnahmen können nicht höher sein als der Überschuss der Entnahmen über die Einlagen (Anschluss an BFH-Urteil vom 3. März 2011 IV R 53/07, BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688) .
2. NV: Der Gewinnbegriff im Sinne von § 4 Abs. 4a EStG umfasst auch Verluste (Bestätigung der BMF-Schreiben vom 22. Mai 2000 IV C 2 -S 2144- 60/00, BStBl I 2000, 588, Rz. 11, 15 und vom 17. November 2005 IV B 2 -S 2144- 50/05, BStBl I 2005, 1019, Rz. 11) .
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wendet sich in Zusammenhang mit der Berechnung der nach § 4 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre 2002 bis 2005 geltenden Fassung (EStG) nicht abziehbaren Schuldzinsen gegen die Verrechnung des Verlustes 2001 mit Einlagen desselben Jahres.
Der Kläger erzielt gewerbliche Einkünfte und ermittelt seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG. Seine Buchführung enthält folgende Werte:
Jahre
1999
2000
2001
DM
DM
DM
Verlust
-464.447
-589.813
-339.309
Einlagen
370.085
Entnahmen
72.492
74.295
135.080
Das in der Bilanz zum 31. Dezember 1998 ausgewiesene Kapital war negativ.
Bei einer Außenprüfung ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) für die Berechnung des nicht abziehbaren Betrages nach § 4 Abs. 4a EStG die zu übertragende Ausgangsgröße der Vorjahre durch Addition der beiden Überentnahmen der Jahre 1999 und 2000 (146.787 DM = 75.051 €). Die nach Saldierung mit den Entnahmen verbleibenden Einlagen für 2001 (235.005 DM) verrechnete es vollständig mit dem laufenden Verlust des Jahres 2001; eine Minderung der vorausgegangenen Überentnahme nahm es somit nicht vor. Daraus ergaben sich für den Streitzeitraum 2002 bis 2005 folgende Werte:
Jahre
2002
2003
2004
2005
€
€
€
€
Überentnahme Vorjahre
75.051
123.095
197.489
308.096
Überentnahme laufendes Jahr
48.044
74.394
110.908
51.741
Summe
123.095
197.489
308.397
359.837
Der Kläger vertrat hingegen die Auffassung, dass im Jahr 2001 eine Unterentnahme in Höhe von 235.005 DM vorgelegen habe, die sich aus dem Saldo zwischen Entnahmen und Einlagen ohne Berücksichtigung des Verlustes errechne. Mithin sei für die Berechnung ab 2002 die maßgebende Ausgangsgröße aus den Vorjahren nicht eine Überentnahme von 75.051 €, sondern eine Unterentnahme von 88.218 DM (= 45.105 €). In den Jahren 1999 bis 2001 habe er insgesamt 88.218 DM mehr eingelegt als entnommen.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 516 veröffentlichten Urteil hat das Finanzgericht (FG) ausgeführt, der Gewinnbegriff in § 4 Abs. 4a EStG sei mangels besonderer Bestimmungen im Sinne des allgemeinen Gewinnbegriffs in § 4 Abs. 1 EStG bzw. § 4 Abs. 3 EStG auszulegen und umfasse daher grundsätzlich auch einen Verlust. Eine vollständige Gleichsetzung des Verlustes mit dem Gewinn sei nur insoweit unzulässig, als allein ein Verlust nicht zu einer Überentnahme führen oder diese erhöhen dürfe.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, die Verluste des Jahres 2001 seien bei der Berechnung nach § 4 Abs. 4a EStG nicht zu berücksichtigen. Der Gesetzeswortlaut sehe eine Verlustberücksichtigung für die Ermittlung der Überentnahme nicht vor. Der Kläger nimmt Bezug auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. März 2011 IV R 53/07 (BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688).
Hätte der Gesetzgeber Verluste berücksichtigen wollen, hätte er nicht die Formulierung "Summe des Gewinns", sondern "Summe oder Saldo des Gewinns" wählen können. Der Gesetzeszweck spreche nicht für die Einbeziehung der Verluste. Das Abzugsverbot solle die von der Kontentrennungsrechtsprechung sanktionierte Unschädlichkeit von Überentnahmen für den Schuldzinsenabzug begrenzen. Verluste und Überentnahmen seien aber nicht vergleichbar.
Schließlich sei die Nichtberücksichtigung der Verluste unter steuer- und ordnungspolitischen Gründen vorzugswürdig. Die Auffassung der Finanzverwaltung führe zu der Gestaltungsüberlegung, Gewinne umgehend zu entnehmen, damit dieses Entnahmepotenzial nicht durch spätere Verluste aufgezehrt werde. Spätere Einlagen führten sonst dazu, dass der Steuerpflichtige seine Verluste privat finanziere. Das bedeute, dass die Eigenkapitalbasis der Unternehmen künstlich gering gehalten werde. Das widerspreche der Regelung des § 34a EStG, der gerade nicht entnommene Gewinne begünstigen wolle.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG Düsseldorf vom 2. August 2010 aufzuheben und die Bescheide über die gesonderten Feststellungen der Einkünfte 2002 bis 2005, den Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2002 sowie die Bescheide über die gesonderten Feststellungen der vortragsfähigen Gewerbeverluste 2003 und 2004, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Februar 2008, dahingehend abzuändern, dass die Berechnung der nicht abzugsfähigen Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG auf der Basis einer Unterentnahme aus den Vorjahren 1991 bis 2001 in Höhe von 88.218 DM wie folgt durchgeführt wird:
2002 Überentnahme in Höhe von 2.939 €,
2003 Überentnahme in Höhe von 77.333 €,
2004 Überentnahme in Höhe von 188.241 €,
2005 Überentnahme in Höhe von 239.982 €.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Es schließt sich der Auffassung des FG an. Der Hinweis auf § 34a EStG trage nicht, zumal diese Vorschrift erst 2008 eingeführt worden sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht erkannt, dass die nichtabziehbaren Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG infolge der vorzunehmenden Verrechnung mit dem betrieblichen Verlust ohne Berücksichtigung einer Unterentnahme aus dem Jahre 2001 zu berechnen sind, so dass die Revision gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen ist.
1. Seit Einführung des § 4 Abs. 4a EStG ist der Schuldzinsenabzug zweistufig zu prüfen. Zunächst ist zu klären, ob der betreffende Kredit nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 8. Dezember 1997 GrS 1-2/95, BFHE 184, 7, BStBl II 1998, 193) eine betriebliche oder private Schuld ist. Sodann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und in welchem Umfang die betrieblich veranlassten Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG abziehbar sind (vgl. Senatsurteile vom 21. September 2005 X R 46/04, BFHE 211, 238, BStBl II 2006, 125, und X R 47/03, BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504).
Im Streitfall gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass betrieblich veranlasste Schuldzinsen im Sinne der ersten Stufe dieser Prüfung vorliegen.
2. Die Schuldzinsen sind jedoch nur beschränkt abziehbar.
a) Nach § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG sind Schuldzinsen nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Eine Übernahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen (§ 4 Abs. 4a Satz 2 EStG). Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 Prozent der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt (§ 4 Abs. 4a Satz 3 EStG). Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2.050 € verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 4 Abs. 4a Satz 4 EStG). Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- und Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens bleibt unberührt (§ 4 Abs. 4a Satz 5 EStG).
b) Nach diesen Vorschriften sind das FA und das FG zu Recht davon ausgegangen, dass die die Entnahmen übersteigenden Einlagen des Wirtschaftsjahres 2001 mit dem in diesem Zeitraum erwirtschafteten Verlust zu verrechnen waren, so dass die Überentnahmen der Vorjahre 1999 und 2000 unvermindert in das erste Streitjahr 2002 vorzutragen waren.
aa) Grundsätzlich umfasst der Gewinnbegriff des § 4 EStG positive wie negative Ergebnisse einer betrieblichen Betätigung. Insbesondere die Definitionen in § 4 Abs. 1 EStG, aber auch die Wortwahl in § 4 Abs. 3 und Abs. 5 EStG sind insoweit eindeutig. Da § 4 Abs. 4a EStG keine abweichende Begriffsbestimmung vornimmt, ist bei der Berechnung der nicht abziehbaren Schuldzinsen vom einkommensteuerrechtlichen Gewinn auszugehen (vgl. Senatsurteil vom 7. März 2006 X R 44/04, BFHE 212, 501, BStBl II 2006, 588; BFH-Urteile vom 18. Oktober 2006 XI R 41/02, BFH/NV 2007, 416, und in BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688).
bb) § 4 Abs. 4a EStG schränkt im Fall der Entnahme von Fremdkapital ("Überentnahme") den Schuldzinsenabzug ein. Das ist nur der Fall, wenn der Steuerpflichtige mehr entnimmt als ihm hierfür als Eigenkapital zur Verfügung steht.
cc) Verluste führen für sich genommen nicht zu Überentnahmen i.S. des § 4 Abs. 4a EStG (im Kern einhellige Auffassung bei Unterschieden im Detail; vgl. BFH-Urteil in BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688, unter II.2.b; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 17. November 2005 IV B 2 -S 2144- 50/05, BStBl I 2005, 1019, Rz 11; Blümich/ Wied, § 4 EStG Rz 618; Schmidt/Heinicke, EStG, 31. Aufl., § 4 Rz 526; Nacke in Littmann/Batz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, §§ 4, 5 Rz 1657b; Seiler, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 4 Rz Ea 71; Schallmoser in Hermann/Heuer/ Raupach, § 4 EStG Rz 1056, 1057).
Zutreffend weist der IV. Senat des BFH im Urteil in BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688 darauf hin, dass andernfalls die Differenzberechnung nach § 4 Abs. 4a Satz 2 EStG beispielsweise in einem Verlustjahr, in dem weder Entnahmen noch Einlagen getätigt wurden, zu einer Überentnahme in Höhe des Verlustes führen würde. Eine Überentnahme kann jedoch nicht höher sein als die Entnahme (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2005, 1019, Rz 11).
dd) Eine weitere Einschränkung der Berücksichtigung von Verlusten ist im Rahmen von § 4 Abs. 4a EStG nicht geboten. So wie Gewinne und Einlagen das dem Steuerpflichtigen für Entnahmen zur Verfügung stehende Eigenkapital mehren, wird dieses durch Verluste gemindert. Es ist daher folgerichtig, vorbehaltlich der sich aus den vorstehenden Ausführungen unter cc ergebenden Einschränkungen Verluste in die Berechnung von Überentnahmen und Unterentnahmen einzubeziehen.
Die Ausgestaltung des § 4 Abs. 4a EStG beruht auf dem sog. Eigenkapitalmodell (vgl. im Einzelnen Senatsurteil in BFHE 211, 238, BStBl II 2006, 125, m.w.N., sowie BFH-Urteile vom 17. August 2010 VIII R 42/07, BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041, und in BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688). Das bilanzielle (nach Buchwerten ermittelte) Eigenkapital bildet ‑‑im Hinblick auf die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG‑‑ Maßstab und Grenze dessen, was der Betriebsinhaber dem Betrieb an Mitteln entziehen darf.
So wie das Eigenkapital durch Gewinne und Einlagen aufgestockt wird, wird es durch Entnahmen und Verluste verbraucht. Zutreffend stellt der IV. Senat des BFH im Urteil in BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688 darauf ab, dass darlehensfinanzierte Entnahmen, die durch das Eigenkapital nicht gedeckt sind, privat veranlasst sind, und zwar auch dann, wenn das Eigenkapital durch Verluste aufgezehrt wurde. Daher gehen Verluste grundsätzlich in die Berechnung der nicht abziehbaren Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG ‑‑als Bestandteil des "Gewinns" im Sinne der Vorschrift‑‑ ein. Das gilt auch dann, wenn Einlagen getätigt wurden. Der Senat schließt sich insoweit ausdrücklich der in BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688 vertretenen Auffassung an. Im jeweiligen Wirtschaftsjahr sind (Über-)Einlagen (Einlagenüberschüsse) dieses Jahres zunächst mit Verlusten dieses Jahres auszugleichen. Der jeweilige Differenzbetrag ist sodann mit den fortgeführten Vorjahreswerten zu verrechnen oder auf der Grundlage dieser Werte/Ansätze (formlos) fortzuschreiben (so auch BMF-Schreiben in BStBl I 2005, 1019, Rz 11 f.).
c) Nach diesen Grundsätzen hat das FA zu Recht die kumulierten Überentnahmen der Jahre 1999 und 2000 in das Jahr 2002 vorgetragen. Bei Saldierung des im Jahre 2001 erwirtschafteten Verlustes mit Einlagen und Entnahmen verbleibt kein positives Verrechnungspotential in Gestalt einer Unterentnahme zur Verrechnung mit den Überentnahmen der Vorjahre. Das Eigenkapital, das für eine Entnahme zur Verfügung gestanden hätte, wurde insgesamt nicht aufgestockt. Das Zahlenwerk im Übrigen steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit.