BFH IV. Senat
EStG § 7g
vorgehend FG Münster, 11. Mai 2011, Az: 10 K 4791/08 G,F
Leitsätze
1. NV: Eine GmbH & Co. KG ist als Existenzgründerin i.S. des § 7g Abs. 7 Satz 2 EStG a.F. anzusehen, wenn alle an ihr beteiligten Mitunternehmer ihrerseits die Voraussetzungen eines Existenzgründers nach dieser Vorschrift erfüllen.
2. NV: Wesentliche Betriebsgrundlagen eines noch zu eröffnenden Betriebs sind im Anwendungsbereich des § 7g EStG a.F. die Anlagegüter, ohne die der Betrieb nicht geführt werden kann.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die mit Vertrag vom 23. Oktober 2006 gegründet und am 4. Dezember 2006 in das Handelsregister eingetragen worden ist. Gegenstand ihres Unternehmens sind der An- und Verkauf von Kunststoffbehältern für die industrielle Verwendung sowie der Kraftfahrzeughandel. Alleinige Komplementärin bei Gründung war die ebenfalls mit Vertrag vom 23. Oktober 2006 gegründete X-GmbH, die nicht am Vermögen der Klägerin beteiligt ist. Alleiniger Kommanditist (und gleichzeitig auch alleiniger Gesellschafter der GmbH) ist X.
X war seit 1998 als Betriebsleiter bei der V-KG beschäftigt. Dieses Unternehmen wurde von seinem Vater (V) betrieben. Nach der geplanten Unternehmensnachfolge sollte der Betrieb der V-KG eingestellt und durch X im Rahmen einer neu zu gründenden GmbH weitergeführt werden. Am 4. Oktober 2005 schlossen X und die V-KG einen Vertrag über die Veräußerung des Kundenstammes sowie des gesamten Warenlagers der V-KG. Der Kaufpreis für den Kundenstamm sollte danach 250.000 € betragen. Da es zwischen X und V zu Meinungsverschiedenheiten über die Vertragsdurchführung, insbesondere über den Kaufpreis für den Kundenstamm, kam, wurde der Vertrag zunächst nicht erfüllt.
Im Januar 2006 nahm X Darlehen zur Gründung eines Unternehmens bei der Sparkasse auf und überwies davon Ende Juni 2006 einen Betrag in Höhe von 250.000 € auf das Konto der V-KG. Da es gleichwohl weiterhin zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und V über die Höhe des Kaufpreises für den Erwerb des Kundenstammes kam und eine Einigung mit der V-KG im Herbst 2006 endgültig unmöglich erschien, gründete X die Klägerin und begann mit der Abwerbung von Kunden und Personal der V-KG. Daraufhin war diese bereit, den Kundenstamm zu dem ursprünglich vereinbarten Kaufpreis an die Klägerin zu übertragen. Vor Gründung der Klägerin hatte X als Darlehensnehmer lediglich Zahlungen auf die mit der Sparkasse geschlossenen Darlehensverträge geleistet. Die für die Darlehen entstandenen Aufwendungen in Höhe von … € machte er im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2006 als negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb geltend und wurde vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) insoweit erklärungsgemäß veranlagt.
In ihrer Bilanz zum 31. Januar 2007 machte die Klägerin, die ein abweichendes Geschäftsjahr vom 1. Februar bis zum 31. Januar des Folgejahres hat, eine Ansparrücklage für Existenzgründer gemäß § 7g Abs. 3, Abs. 7 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 17. August 2007 geltenden Fassung (EStG) in Höhe von 215.000 € gewinnmindernd geltend. Die Rücklage setzte sich wie folgt zusammen:
geplante
Investitionshöhegebildete
Ansparrücklage (40 %)3 Schreibtische
4.500 €
1.800 €
3 EDV-Arbeitsplätze
6.000 €
2.400 €
Büroschränke
10.000 €
4.000 €
Büroregale
3.000 €
1.200 €
Küche
20.000 €
8.000 €
Kopierer/Drucker-Kombi
5.000 €
2.000 €
2 Gabelstapler
30.000 €
12.000 €
Hochregallager
100.000 €
40.000 €
Bediengerät f. Lager
15.000 €
6.000 €
3 PKW
60.000 €
24.000 €
Tresor
4.000 €
1.600 €
1 LKW
75.000 €
30.000 €
1 LKW
80.000 €
32.000 €
3 Stretchautomaten
30.000 €
12.000 €
1 Blas-Werkzeug für
Flaschen
25.000 €
10.000 €1 Transporter
30.000 €
12.000 €
1 Containerspülstraße
40.000 €
16.000 €
537.500 €
215.000 €.
Als Aktivposten bilanzierte die Klägerin (u.a.) den Kundenstamm mit … €. Ihr Warenbestand belief sich zum 31. Januar 2007 auf … €. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) stellte X der Klägerin die ihm gewährten Darlehen zur Verfügung.
Mit Feststellungsbescheid vom … 2008, der gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, stellte das FA einen Gesamthandsgewinn der Klägerin aus Gewerbebetrieb in Höhe von … € fest. Die Ansparrücklage wurde dabei antragsgemäß mit 215.000 € berücksichtigt. Mit Bescheid vom … 2008 änderte das FA diese Feststellung nach § 164 Abs. 2 AO und stellte nunmehr den Gesamthandsgewinn der Klägerin mit … € fest. Hierbei begrenzte es die Ansparrücklage auf einen Betrag von 154.000 €, da die Klägerin keine Existenzgründerin i.S. des § 7g Abs. 7 Satz 2 EStG sei. Zugleich änderte das FA den ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Gewerbesteuermessbescheid 2007 und setzte den Gewerbesteuermessbetrag unter Berücksichtigung der entsprechend geringeren Ansparrücklage mit Bescheid vom … auf … € fest. Die gegen die Änderungsbescheide gerichteten Einsprüche wies es mit Einspruchsentscheidung vom … als unbegründet zurück.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage, mit der die Klägerin die Berücksichtigung der Existenzgründerrücklage in Höhe von 215.000 € begehrte, mit Urteil vom 12. Mai 2011 statt. Es entschied, das FA habe die Ansparabschreibung zu Unrecht auf 154.000 € begrenzt. Die Klägerin sei Existenzgründerin i.S. des § 7g Abs. 7 Satz 2 Nr. 2 EStG. Auch die übrigen Voraussetzungen des § 7g Abs. 3, Abs. 7 EStG seien gegeben. Insbesondere habe die Klägerin ihre Investitionsabsicht zum 31. Januar 2007 hinreichend konkretisiert. Handele es sich um die Neugründung eines Betriebs und beziehe sich die Bildung der Ansparrücklage auf erst noch anzuschaffende wesentliche Betriebsgrundlagen, setze eine Konkretisierung zwar voraus, dass diese wesentlichen Betriebsgrundlagen am Bilanzstichtag bereits verbindlich bestellt worden seien. Auf eine verbindliche Bestellung der Investitionsgüter komme es im Streitfall jedoch nicht an, denn wesentliche Betriebsgrundlagen seien in die Ansparabschreibung nicht einbezogen worden. Wesentliche Betriebsgrundlagen seien im Unternehmen der Klägerin der Kundenstamm und das Warenlager, nicht aber das Hochregallager, der Gabelstapler, die Containerspülstraße und die LKW.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Eine GmbH & Co. KG könne nach dem klaren Wortlaut des § 7g Abs. 7 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 EStG kein Existenzgründer sein. Darüber hinaus könne die gebildete Rücklage auch deshalb nicht in der von der Klägerin begehrten Höhe als Existenzgründerrücklage berücksichtigt werden, weil die ernsthafte Investitionsabsicht der Klägerin nicht zweifelsfrei erkennbar sei. Auf eine Konkretisierung der Investitionsabsicht könne auch bei Wirtschaftsgütern, die für die Erbringung der unternehmerischen Leistungen nicht erforderlich seien, nicht völlig verzichtet werden.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Zu Recht geht das FG zwar davon aus, dass auch eine GmbH & Co. KG als Existenzgründerin i.S. des § 7g Abs. 7 Satz 2 EStG anzusehen ist, wenn alle an ihr beteiligten Mitunternehmer ihrerseits die Voraussetzungen eines Existenzgründers nach dieser Vorschrift erfüllen. Insofern verweist der Senat zur weiteren Begründung auf sein Urteil vom 2. Februar 2012 IV R 16/09 (dort unter II.2.a der Gründe, BFHE 236, 389). Ausgehend von den den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG, denen zufolge X ohne Zwischenschaltung eines Einzelbetriebs nur das Unternehmen der Klägerin gegründet hat, durch das die Darlehen deshalb veranlasst waren, und es sich bei den erklärten Zinsaufwendungen insoweit um vorweggenommene Betriebsausgaben handelt, ist es revisionsrechtlich auch nicht zu beanstanden, wenn das FG davon ausgeht, dass X seinerseits die Voraussetzungen des § 7g Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 EStG erfüllt.
2. Die Feststellungen des FG tragen aber nicht seine rechtliche Würdigung, dass die Klägerin ihre Investitionsabsicht zum 31. Januar 2007 hinreichend konkretisiert und es einer verbindlichen Bestellung der in die Ansparrücklage aufgenommenen Investitionsgüter nicht bedurft habe.
a) Nach § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG können Steuerpflichtige für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines neuen beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens eine den Gewinn mindernde Rücklage bilden (Ansparabschreibung). Die Rücklage darf 40 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten des begünstigten Wirtschaftsguts nicht überschreiten, das der Steuerpflichtige voraussichtlich bis zum Ende des zweiten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs anschaffen oder herstellen wird (§ 7g Abs. 3 Satz 2 EStG). Wird die Rücklage von einem Existenzgründer im Wirtschaftsjahr der Betriebseröffnung und in den fünf folgenden Wirtschaftsjahren (Gründungszeitraum) gebildet, sind gemäß § 7g Abs. 7 Satz 1 EStG die Absätze 3 bis 6 der Vorschrift u.a. mit der Maßgabe anzuwenden, dass das begünstigte Wirtschaftsgut vom Steuerpflichtigen voraussichtlich bis zum Ende des fünften auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs angeschafft oder hergestellt wird.
b) Das Gesetz enthält keine Regelung dazu, ob und ggf. wie darzulegen ist, dass eine Investition i.S. von § 7g Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 EStG "beabsichtigt" ist. Der Steuerpflichtige ist jedenfalls nicht gehalten, die Absicht einer Investition nachzuweisen. Allerdings muss die geplante Investition nach Art, Umfang und Investitionszeitpunkt ausreichend konkretisiert sein (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 15. September 2010 X R 21/08, BFH/NV 2011, 235, m.w.N.).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann in der Situation der Betriebseröffnung von einer hinreichenden Konkretisierung des Investitionsvorhabens mit Blick auf die wesentlichen Betriebsgrundlagen erst dann ausgegangen werden, wenn diese Wirtschaftsgüter verbindlich bestellt worden sind (z.B. BFH-Urteile vom 25. April 2002 IV R 30/00, BFHE 199, 170, BStBl II 2004, 182; vom 15. September 2010 X R 16/08, BFH/NV 2011, 33, und in BFH/NV 2011, 235, mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; BFH-Beschluss vom 9. April 2009 IV B 114/08, BFH/NV 2009, 1420). Diese in der Phase der Betriebseröffnung geltenden strengeren Anforderungen an die Konkretisierung der vorgeblich geplanten Investitionen gelten gleichermaßen für den Fall, dass der Steuerpflichtige durch die betreffenden Investitionen seinen Unternehmensgegenstand auf einen weiteren Geschäftszweig ausdehnen will oder eine "wesentliche" Kapazitätserweiterung plant (z.B. BFH-Urteile vom 19. September 2002 X R 51/00, BFHE 200, 343, BStBl II 2004, 184; vom 17. November 2004 X R 38/02, BFH/NV 2005, 846; vom 11. Juli 2007 I R 104/05, BFHE 218, 323, BStBl II 2007, 957; vom 12. Dezember 2007 X R 16/05, BFH/NV 2008, 559; in BFH/NV 2011, 33, und in BFH/NV 2011, 235).
c) Der Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage ist normspezifisch auszulegen. Wesentliche Betriebsgrundlagen eines noch zu eröffnenden Betriebs sind danach im Anwendungsbereich des § 7g EStG diejenigen Anlagegüter, ohne die der Betrieb nicht geführt werden kann (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 846; BFH-Beschlüsse vom 26. Juli 2005 VIII B 134/04, BFH/NV 2005, 2186, und in BFH/NV 2009, 1420). Entsprechend rechnen zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen einer (geplanten) Betriebserweiterung die Anlagegüter, die für die (behauptete) Erweiterung des Betriebs erforderlich sind (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 1420).
d) Ausgehend von diesen Grundsätzen kann das angefochtene Urteil des FG keinen Bestand haben.
Auch das FG geht zwar davon aus, dass in der Situation der Betriebseröffnung von einer hinreichenden Konkretisierung des Investitionsvorhabens mit Blick auf die wesentlichen Betriebsgrundlagen erst dann ausgegangen werden kann, wenn diese Wirtschaftsgüter verbindlich bestellt worden sind. Seinem Urteil lässt sich jedoch nicht entnehmen, aufgrund welcher Feststellungen es zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es sich z.B. bei dem Hochregallager, den Gabelstaplern, der Containerspülstraße und den LKW, die die Klägerin ebenfalls in die Ansparrücklage eingestellt hat, um für den Betrieb der Klägerin nicht wesentliche Betriebsgrundlagen handelt. Nach den Feststellungen des FG ist Gegenstand des Unternehmens der Klägerin der An- und Verkauf von Kunststoffbehältern für die industrielle Verwendung sowie der Kraftfahrzeughandel. Gegenstand des Kaufvertrags zwischen X und der V-KG waren (nur) der Kundenstamm und das Warenlager der V-KG. Am Bilanzstichtag verfügte die Klägerin über den von der V-KG erworbenen Kundenstamm; ihr Warenbestand belief sich auf … €. Weitere Feststellungen zum geplanten und später auch durchgeführten Betrieb der Klägerin hat das FG nicht getroffen. Dem angefochtenen Urteil lässt sich nicht entnehmen, worin die Tätigkeit der Klägerin genau besteht. So fehlen z.B. Feststellungen zu den konkreten Abläufen im Betrieb der Klägerin, der Anzahl der Beschäftigten, den räumlichen Gegebenheiten und insbesondere zu der jeweiligen Funktion, die die von der Klägerin in die Ansparrücklage eingestellten Wirtschaftsgüter in ihrem Betrieb jeweils haben sollten. Ohne entsprechende Feststellungen kann jedoch die rechtliche Würdigung des FG, wesentliche Betriebsgrundlagen für das Unternehmen der Klägerin seien nur der Kundenstamm und das Warenlager, nicht nachvollzogen werden.
Darüber hinaus hat das FG bislang nicht geprüft, ob es sich bei den in die Ansparrücklage eingestellten Wirtschaftsgütern ‑‑insbesondere bei dem Hochregallager, dem Bediengerät für das Lager, den Gabelstaplern, den LKW, den Stretchautomaten, dem Blas-Werkzeug für Flaschen und der Containerspülstraße‑‑ ggf. um wesentliche Betriebsgrundlagen für eine von der Klägerin etwa geplante Betriebserweiterung handelt; auch in diesem Fall wäre die Bildung einer Ansparrücklage für ihre Anschaffung nach den oben genannten Rechtsprechungsgrundsätzen nur zulässig, wenn die Wirtschaftsgüter am 31. Januar 2007 bereits verbindlich bestellt waren.
Mit der Zurückverweisung der Sache an das FG erhält dieses daher Gelegenheit, die fehlenden Feststellungen zum Betrieb der Klägerin, zu einer etwa geplanten Betriebserweiterung und zu der Funktion, die die in die Ansparrücklage eingestellten Wirtschaftsgüter im (ggf. erweiterten) Betrieb der Klägerin haben sollten, nachzuholen.